Hauptschubspannungen

[790] Hauptschubspannungen. Denkt man sich durch einen Körperpunkt m eine beliebige Gerade n, v gelegt (s. Figur unter Hauptspannungen, S. 791), so entsprechen dieser von m aus zwei entgegengesetzte Richtungen n und v. In einem zu nv senkrechten Schnittelement durch m hängen zwei Flächenelemente fn, fv der Normalenrichtungen n, v zusammen. Dieselben werden im allgemeinen mit Kräften gleicher Größe aber entgegengesetzter Richtung aufeinander wirken, welche für die Flächeneinheit Spannungen heißen und in Komponenten Nn, Nv, normal den Flächenelementen, und resultierende Komponenten Tn, Tv längs den letzteren zerlegt werden können (vgl. Bd. 3, S. 111, 389). Die Normalspannungen suchen die Flächenelemente fn, fv auseinander zu ziehen oder gegeneinander zu drücken und werden hiernach in Zugspannungen und Druckspannungen unterschieden; die Tangentialspannungen streben die Flächenelemente fn, fv längs einander zu verschieben und werden deshalb auch Schubspannungen genannt. Für die einem bestimmten Punkte m anliegenden Flächenelemente ändern sich alle diese Spannungen erfahrungsgemäß stetig mit der Normalenrichtung n (vgl. Bd. 3, S. 391), abgesehen von gewissen Unstetigkeitsschnitten, wie sie als Risse, Gelenke u.s.w. vorkommen. Für die drei zueinander senkrechten Schnittelemente, deren anliegende Flächenelemente durch die Hauptspannungen (s.d.) ergriffen sind, hat man Tn = 0; für andre können die Bedingungen für mathematische Maxima und Minima von Tn bei endlicher Größe dieses Absolutwerts erfüllt sein. Die entsprechenden Werte der Schubspannung Tn werden Hauptschubspannungen genannt. Unter ihnen befindet sich die größte beim Punkte m überhaupt vorkommende Schubspannung Tn.

Bezeichnen A, B, C die drei Hauptspannungen bei m, so hat man die Hauptschubspannungen daselbst:


Hauptschubspannungen

wobei die Klammem andeuten, daß nur die Absolutwerte genommen werden sollen. Die sechs Schnittelemente, deren anliegende Flächenelemente durch Hauptschubspannungen ergriffen werden, gehen je durch die Richtungslinie einer Hauptspannung (oder Achse des Spannungsellipsoids) und halbieren den Winkel zwischen den beiden andern Hauptspannungen (oder Achsen des Spannungsellipsoids). Unter den gewöhnlichen Voraussetzungen der Biegungstheorie gerader und einfach gekrümmter Stäbe beispielsweise (s. Biegung) hat man die Hauptspannungen für Flächenelemente senkrecht der Biegungsebene:


Hauptschubspannungen

und damit die größte Hauptschubspannung, die einzige für Flächenelemente senkrecht der Biegungsebene:


Hauptschubspannungen

Ueber σ, τ s. Bd. 1, S. 792, 798. Diese Schubspannung wirkt auf die zwei Schnittelementen anliegenden vier Flächenelemente, welche Winkel von 45° mit den durch die Hauptspannungen A, B beanspruchten einschließen. Vgl. Spannungstrajektorien.

Weiteres über Hauptschubspannungen in [6], [7]; für vollkommene Flüssigkeiten sind alle Schubspannungen gleich Null. Die Hauptschubspannungen pflegen in der Technik weniger als die Hauptspannungen beachtet zu werden; doch wurde mehrfach und neuerdings besonders von Mohr die Ansicht vertreten, daß der Bruch eines Körpers durch Trennungen in den Flächen bedingt sei, welche durch Hauptschubspannungen beansprucht sind [4], [5], [8], [10]. Vgl. Festigkeitsbedingung, Bd. 3, S. 718.


Literatur: [1] Winkler, Die Lehre von der Elastizität und Fettigkeit, Prag 1867, S. 11. – [2] Klein, Theorie der Elastizität, Akustik und Optik, Leipzig 1877, S. 21. – [3] Grashof, Theorie der Elastizität und Fettigkeit, Berlin 1878, S. 14. – [4] Potier, Sur la direction des cassures dans un milieu isotrope, Compt. rend. 1878, LXXXVI, S. 1539. – [5] Saint-Venant, Sur la plus grande des composantes tangentielles des tensions intérieures en chaque point d'un solide et sur la direction des faces de ses ruptures, Compt. rend. 1878, LXXXVII, S. 89. – [6] Weyrauch, Theorie elastischer Körper, Leipzig 1884, S. 43, 45. – [7] Wittenbauer, Theorie der Schubspannungen und der spannungslosen Geraden, Annalen der Physik und Chemie 1896, LVII, S. 567. – [8] Harel la Noe, Déformations et conditions de la rupture dans les corps solides, Annales[790] des ponts et chaussées 1900, II, S. 180. – [9] Brauer, Festigkeitslehre, Leipzig 1905, S. 30, 33. – [10] Mohr, Abhandlungen aus dem Gebiete der technischen Mechanik, Berlin 1906, S. 187. – S.a. Elastizitätslehre, allgemeine.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 790-791.
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