Schlepper

[714] Schlepper (Bugsierer, Schleppdampfer, Remorqueur), ein freifahrendes Schiff mit Motor und Propeller, welches entweder mehrere mittels einer Schlepptrosse angehängte Fahrzeuge, einen Zug von Kähnen, befördert, schleppt oder bugsiert, oder beim Einkommen und Auslaufen größerer Schiffe, Segler wie Dampfer, diesen im Revier, d.h. auf der Reede, in den Hafeneinfahrten, beim Durchschleusen oder im Hafen beim Verholen und Festmachen behilflich ist. Auch dient er in der Großschiffahrt zum Verkehr zwischen den auf Strom oder auf Reede liegenden Schiffen und dem Festlande. Nicht zu verwechseln hiermit ist der Schlepp oder der Schleppkahn, welcher (ohne Motor) nur zur Aufnahme der Fracht dient und stets gezogen wird.

Der Propeller des Schleppers muß das in seinen Wirkungsbereich gelangende Wasser stark beschleunigen, um den erforderlichen Zug zu erzeugen; infolgedessen ist der theoretische Weg des Propellers stets wesentlich größer als der tatsächlich vom Schiff zurückgelegte. Die Differenz zwischen beiden nennt man Slip. Daher ist auch im allgemeinen der Nutzeffekt der Maschinenleistung des freifahrenden Schleppers oder Remorqueurs geringer als bei der Kettenschiffahrt (s.d.) oder Seilschiffahrt; hingegen ist jene gegenüber dieser im Vorteil wegen des Fortfalls der kostspieligen Bahnanlage, wie es die Kette ist, wegen der freien, ungezwungenen Beweglichkeit und der hieraus folgenden freien Konkurrenz. Bei geringerer Strömung, bis zu einem relativen Gefälle von höchstens 0,3‰, behauptet der Schleppdampfer den Verkehr. Auch auf Schiffahrtskanälen mit längeren Haltungen (s.d.) und größerem Wasserquerschnitt wird die Remorquage erfolgreich betrieben (s.a. Kanalschiffahrt). Als eine besondere Art solcher Dampfer kann man den für rascheren Stückgütertransport geeigneten Frachtdampfer (toueur porteur) bezeichnen, welcher selbst eine Frachtladung trägt und zuweilen einen Anhang zieht. Je nach dem Treibapparat oder Propeller (s.d.) gibt es folgende Gattungen von Schleppern:

1. Radschlepper. Sie sind schon bei geringerem Tiefgang von 0,5 m brauchbar und haben einen Nutzeffekt der indizierten Maschinenleistung von 36–52%. Man unterscheidet Seitenraddampfer, bei denen je ein Rad Steuerbord und Backbord, d.h. rechts und links, seitlich etwa in der Mitte, arbeitet, und Stern- oder Heckraddampfer, deren Rad am Heck, d.i. am hinteren Ende des Schiffes, angebracht ist. Manchmal sind diese Räder unterteilt. Heckraddampfer sind wegen der geringen Breite auf Kanälen und kanalisierten Flüssen mit Schleusen besonders zweckmäßig.

2. Schraubendampfer. Da der Propeller, die Schraube, etwa 0,20 m unter dem Wasserspiegel bleiben soll, so erfordern sie eine größere Wassertiefe als die Radschlepper. Der Nutzeffekt ihrer Maschinenleistung bewegt sich im allgemeinen in den gleichen Grenzen. Besondere Umstände können ihn noch etwas steigern. Für die Binnenschiffahrt werden meistens Einschraubenschlepper verwendet. Seeschlepper haben nicht nur größere Wasserverdrängung, sondern auch größere Maschinenleistung und werden meistens als Doppelschraubenschlepper gebaut.

3. Greifraddampfer, welche (z.B. auf der Rhone) mittels der Radschaufeln oder -ruder ihren Stützpunkt auf der losen, kiesigen Flußsohle finden.

Für den Betrieb der Schleppschiffahrt ist es Regel, daß die Schleppen »hinausgehängt«, d.h. am Schlepptau a (Fig. 1 und 2) vom Remorqueur R[714] nachgezogen werden und zwar sowohl bei der Berg- als auch bei der Talfahrt (stromab). Das erste, direkt am Schlepptau gehende Fahrzeug b heißt (auf der Donau) die Seilschleppe; dazu wird der tiefsttauchende oder größte Kahn ausgewählt. Die andern, an den Pollern (s.d.) oder Büffeln c mittels der Aufklampseile d, d' hintereinander gebundenen Kähne, von denen z.B. der erste e achtern (hinten) an die Seilschleppe angehängt ist, werden »Aufgeklampfte« genannt. Bei günstigen Stromverhältnissen gibt man an die Seiten des Remorqueurs noch die Fahrzeuge f, die vorn und achter mittels kurzer Seile, der »Seilbögen« n, »zugekoppelt« oder »zugeschwabbelt« sind; die schrägen Verbindungsteile o am Dampfer heißen Strupfen oder Sprengen. Eine solche Kupplung ist namentlich bei Talfahrten mit kleinem Anhang gebräuchlich. Die Entfernung der Seilschleppe b vom Dampfer beträgt bei der Bergfahrt ca. 100 m, bei der Talfahrt ca. 60 m. In Fig. 1 erscheint der Anhang in zwei Reihen zu je vier Kähnen. – In seltenen Fällen wird die Remorquage derart betrieben, daß der Dampfer, wie z.B. am Aire- und Calderflusse in England ([1], S. 93), vier bis sechs Kähne vor sich her flößt; die letzten werden durch Drahtseile vom Motor aus geleitet. Aehnlich findet die Dampfflößerei auf dem oberen Mississippi statt. Auch werden auf amerikanischen Strömen nach Art der Fig. 3 Kähne von einem Heckraddampfer H geschoben. Insbesondere auf dem Eriekanal ist das sogenannte Konfortsystem üblich: ein Dampfer als Frachtdampfer schiebt ein Schiff vor sich und zieht noch, etwa 90 m achteraus, zwei, manchmal wieder ebenso weit achteraus noch zwei, also zusammen vier Schiffe nach sich [3].


Literatur: [1] Weber, Bau, Betrieb u.s.w. der Wasserstraßen, Wien 1895. – [2] Verbandsschrift Nr. 25 des deutsch-österr.-ungar. Verbands für Binnenschiffahrt, 1. Heft: Schiffbarkeit der Donau und ihrer Nebenflüsse, Berlin 1897. – [3] Roloff, Nordamerikanisches Wasserbauwesen, Berlin 1895. – [4] Deutsch-österr.-ungar. Verband für Binnenschiffahrt; Verbandsschrift Nr. 9: Die Ausflüge des ersten Verbandstages, Berlin 1897; Verhandlungen der internationalen Schiffahrtskongresse Düsseldorf 1902, Mailand 1905 und Petersburg 1908; Binnenschiffahrt, Mitteilungen und Berichte.

Schütte.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 714-715.
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