Spitzbogen

[214] Spitzbogen, die im späteren Mittelalter herrschende Konstruktions- und Kunstform des sogenannten gotischen Stils, wo er in der Wölbetechnik (s. Gewölbe, Bd. 4, S. 498 ff.) wie auch zur Ausschmückung der Wände und deren Oeffnungen (s. Maßwerk, Bd. 6, S. 331) diente. S.a. Mauerbogen.

Die im hohen Altertum in Spitzbogenform eingedeckten Steinbauten sind durch Vorkragung (s.d.) entstanden, zählen daher nicht hierher. Erst im 12. Jahrhundert, zur Zeit der Kreuzzüge, erscheint diese Form sowohl im Orient an arabischen, sarazenischen und persischen Bauten wie auch in Europa, und zwar vorzüglich in den germanischen Ländern nördlich der Alpen, bei der Aufnahme und Entwicklung des Gewölbebaues der großen Kirchen. Das romanische, bis dahin übliche Kreuzgewölbe baute sich über dem Quadrate auf und war streng an diese Form gebunden. Mit der weiteren Ausbreitung und Entwicklung des Gewölbes trat aber die Aufgabe heran, für das Rechteck mit seinen verschiedenen Weiten und Spannungen die entsprechende Gewölbeform zu finden. Dies wurde erreicht durch den Spitzbogen, der in verschiedener Höhe und Form zwischen zwei Kämpfern gebildet werden kann, die Einhaltung gleicher Scheitelhöhen ermöglicht und den Schub des Bogens bedeutend verringert. Mit der Anordnung einzelner Stützpunkte, deren Schub durch Strebepfeiler (s.d.) aufgenommen oder durch Strebebogen (s.d.) weitergeleitet wurde, ist ein neuer Gedanke in der Kunst des Wölbens zur sieghaften Durchführung gelangt. Der Spitzbogen zeigt folgende Hauptformen: I. Aus zwei Kreislinien zusammengesetzt: Die Mittelpunkte liegen a) in den Bogenanfängen (Fig. 1), er ist somit aus dem gleichzeitigen Dreieck gebildet; b) innerhalb auf den Hälften der Kämpferlinie zwischen Widerlager und Mittelachse (Fig. 2) oder c) außerhalb der Widerlager (Fig. 3) überhöhter Spitzbogen. Verwandte Formen sind II. die aus mehreren Kreisbogen gebildeten: d) der Eselsrücken oder Karniesbogen (Fig. 4); e) der in England beliebte Tudorbogen (Fig. 5) und f) der Sternbogen (Fig. 6), im Profanbau des Mittelalters vielfach gebraucht. III. Hufeisenbogen, in spitzer Form (Fig. 7) im Orient üblich.


Literatur: Außer der unter Baustil (Bd. 1, S. 632 [10]) genannten vgl. [1] Mothes, O., Illustriertes Baulexikon, 4. Aufl., Leipzig, Artikel Bogen (Bd. 1, S. 429) und Spitzbogen (Bd. 4, S. 236). – [2] Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné de l'architecture française, Paris 1863, Bd. 6, Ogive S. 421 ff.

Weinbrenner.

Fig. 1–7.
Fig. 1–7.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 214-215.
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