2. Märchen aus Amerika.

[54] Die Sagen und Märchen der amerikanischen Neger stimmen so vielfach mit denen der afrikanischen überein, daß kein Zweifel über deren enge Zusammengehörigkeit besteht.1 Der Sklavenhandel hat nicht nur die Menschen, sondern auch deren geistigen Besitz in die neue Welt verpflanzt. Und da die Schwarzen viel und gern erzählen, ja bisweilen – wie Nr. 3 gezeigt hat – sogar vorzügliche Erzähler sind, so entwickelt die verpflanzte Sage, befruchtet von den Kultureinflüssen der Plantagenwirtschaft, ein viel kräftigeres Leben als in der ursprünglichen Heimat. Bei den mannigfaltigen Berührungen mit einheimischen Völkern breitet sie sich auch unter diesen aus. So ist es kein Wunder, daß wir die Fabel vom Hasen und der Schildkröte auch bei Indianerstämmen finden.

Ich beginne mit einer Variante, in der der Hase noch nicht, wie in den übrigen, durch ein beliebiges anderes Tier ersetzt ist, sondern das im Märchen ihm oft entsprechende Kaninchen auftritt.


a) Hase (Kaninchen) und Schildkröten.

9. Aus nordamerikanischen Plantagen (nähere Ortsbestimmung fehlt).


[A] Zwischen dem Kaninchen und der Schildkröte entsteht gesprächsweise die Frage, wer am schnellsten laufen könne. Da aber jedes behauptet, das schnellste zu sein, so beschließen sie, auf einer fünf Meilen langen Strecke um die Wette zu laufen. [A8] Als Preis werden 50 Dollars ausgesetzt. Das Kaninchen übt sich nun die Tage zuvor fleißig, die Schildkröte tut nichts weiter, als daß sie [B2] an je einem der vier Meilenpfosten ihre Familie (Frau und drei Kinder) versteckt, und als das Kaninchen den Weg entlangläuft, zeigt sich [B2 ohne Rufen] nach jeder Meile eine Schildkröte. Sobald der Hase in die Nähe des Zieles kommt, [B3] kriecht die Schildkröte hervor, zeigt sich als Sieger und bekommt das Geld. (Episodisch kommt auch der Bussard vor. Er ist der Schiedsrichter und fragt vor dem Ablauf: »Meine Herren, sind Sie fertig?« Die Schildkröte, die dort aufgestellt ist, ruft: »Los!« Der Bussard fliegt oben in der Luft. Weitere Ausschmückung: es sind Zuschauer da, und als der Hase die Schildkröte am Ziele zunächst nicht bemerkt und meint, daß er gewonnen hat, lachen sie ihn aus.)


  • Literatur: Harris, Uncle Remus. London 1881, Nr. 18.

[54] 10. Märchen der Cherokee.


[A] Kaninchen und Schildkröte streiten über die Schnelligkeit und bestimmen Tag und Ort eines Wettlaufes, welcher über vier Bergrücken hinweggehen soll. Das Kaninchen ist seines Sieges gewiß und prahlt. [B1] Auf jedem Bergrücken steht im Grase verborgen eine Schildkröte. Das Kaninchen [B2 ohne Rufen] läßt sich täuschen [B4], fällt am Ziele erschöpft hin und schreit: »Mi, mi, mi, mi!« Seitdem schreit es immer so, wenn es zu müde ist, weiter zu laufen.


  • Literatur: Mooney, Myths of the Cherokee, S. 270.

b) Reh (Hirsch) und Schildkröten.

11. Märchen aus Brasilien.


a) Aus Amazonas.


Reh und Schildkröte begegnen einander. Die Schildkröte ist auf der Suche nach Wasser, und [A1] das Reh spottet über ihre kurzen Beine: »Wann denkst du denn, daß du das Wasser erreichen wirst?« [A2] Darauf schlägt die Schildkröte vor, am andern Morgen um die Wette zu laufen. Sie benachrichtigt alle Verwandten, daß sie das Reh töten wolle, und [B1] befiehlt ihnen, sich in kleinen Zwischenräumen voneinander im Walde zu zerstreuen. Als der Wettlauf beginnen soll, besteht die Schildkröte darauf, daß er im Walde stattfinde, und gibt dann das Zeichen zum Beginn. Zuerst geht das Reh nur langsam; [B8] als aber auf seinen Ruf eine Schildkröte vor ihm antwortet, beeilt es sieh. Wäh rend auf alle weiteren Zurufe eine Antwort vor ihm ertönt, läuft es schneller und schneller. [B4] Zuletzt bricht es tot zusammen, worauf bei allen Schildkröten großer Jubel ausbricht.


  • Literatur: Ch. Fred Hartt, Amazonian Tortoise Mythe. (Rio de J. 1875) S. 7 = Herbert Smith, Brazil, the Amazons and the Coast, S. 543.

b) Märchen der Tupi.


Eine kleine Schildkröte wollte ihre Verwandten aufsuchen, und dabei begegnete ihr ein Reh. [A1 unklar:2] Das Reh fragte sie: »Woher kommst du? Was willst du?« Die Schildkröte antwortete: »Ich will meine Verwandten zusammenrufen zu dem großen von mir erlegten Tapir.« »Was?« rief das Reh, »du hättest einen Tapir getötet?« »Jawohl, und ich will hier warten, bis der Tapir verfault, damit ich aus seinen Knochen eine Flöte machen kann!« Das Reh antwortete nun: »Wenn du einen Tapir getötet hast, so kann ich es auch versuchen, [A2 entstellt3] mit dir um die Wette zu laufen.« »Gut,« antwortete die Schildkröte, »warte nur hier auf mich, ich will nur nachsehen, wo ich laufe.« Das Reh versetzte: »Lauf du auf der andern Seite des Flusses, und wenn ich dich anrufe, so antworte mir.« [B1] Die Schildkröte rief nun alle ihre Verwandten zusammen und stellte sie an der anderen Seite des Flusses in Reih und Glied auf. Hier sollten sie dem dummen Reh antworten. Dann sagte sie zum Reh: »Reh, bist du bereit?« Das Reh sagte: »Ich bin bereit.« Die Schildkröte fragte: »Wer will vorauslau fen?« Das Reh lachte und sagte: »Du gehst voraus, du erbärmliches Schildkrötlein!« Die Schildkröte aber lief nicht; sie täuschte das Reh und blieb[55] auf ihrem Platze. Das Reh aber verließ sich auf seine flinken Läufe. Da rief der Vetter der Schildkröte (jenseits des Flusses in Reihen aufgestellt) nach dem Reh. [B2 entstellt; das Reh müßte rufen.] Das Reh antwortete: »Hier bin ich, Schildkröte.« Das Reh lief und lief und rief dann wieder: »Schildkröte!« Da rief ein (anderer aufgestellter) Vetter der Schildkröte: »Nur immerzu!« Das Reh sagte: »Mann, hier bin ich!« Das Reh lief und lief und rief: »Schildkröte!« Stets aber antwortete eine Schildkröte. Da sagte das Reh: »Ich muß Wasser trinken.« [B] Die Schildkröte aber rief und rief, doch keine Antwort kam. »Ich will mal nachsehen,« sagte sie nun, »das Männlein ist wohl tot?« Nun sagte die Schildkröte zu ihren Begleitern: »Ich will langsam hingehen, um nach ihm zu sehen.« Als sie am Rande des Flusses war, rief sie: »Reh, nicht einmal geschwitzt habe ich!« Aber kein Reh antwortete. Als nun die Verwandten der Schildkröte das tote Reh sahen, sagten sie: »Wirklich, es ist gestorben!« [B5] Die Schildkröte aber rief: »Kommt, laßt uns seine Knochen herausziehen.« Die anderen fragten: »Was willst du denn damit machen?« Die Schildkröte antwortete: »Ich will fortwährend darauf blasen!«


  • Literatur: Aus Couto de Magalhaes, O Selvagem (Rio de J., 1876), S. 185 übersetzt von Andreę, Verh. d. Berl. anthrop. Gesellschaft 1887, 341. Auch bei Roméro, Contos populares do Brazil (1885), S. 173: Jabuti e o Veado = Schildkröte und Hirsch. Die Übereinstimmung ist bis auf den Hirsch wörtlich. – Der Hirsch findet sich ebenfalls bei J. de Santa Anna-Nery, Folklore Brésilien IIIe partie, p. 191. Dort wird mit einiger Kürze erzählt, wie die Schildkröte dem Hirsch begegnet und (ohne Veranlassung!) einen Wettlauf vorschlägt: der Sieger soll das Recht haben, den Besiegten zu töten. Nach drei Tagen hat sie alle Bekannten an einem unendlich langen Wege aufgestellt. Wenn der Hirsch ruft, antwortet es vor ihm. Er läuft, bis er tot umfällt, und die Schildkröten freuen sich darüber.
    (Eine Variante findet sich nach Andree, Verh. 1887, 674 in Bd. 6 der Archivos do Museu Nacional do Rio de Janeiro, S. 137. Vgl. Globus 28, 11.)

12. Erweiterung durch das Motiv der Brautgewinnung.


a) Märchen der Neger in Süd-Carolina.


Das Reh und die Schildkröte lieben beide dieselbe Dame. Die Dame liebt zwar die Schildkröte, aber das Reh noch mehr. [A] Daher schlägt sie einen Wettlauf von zehn Meilen vor und [A3] verspricht, den Sieger zu heiraten. Die Schildkröte willigt ein und sagt, sie wolle im Wasser laufen, das Reh solle auf dem Lande laufen. [B1] Darauf holt sie sich neun Gefährten, verteilt sie so, daß jeder auf eine Meile kommt, und versteckt sich selber im Grase vor der Tür der Dame. [B9] Das Weitere wie gewöhnlich. Der Schluß bricht kurz ab [B3]: »und so verlor das Reh die Wette«.


  • Literatur: Hartt, Amazonian Tortoise Myths, p. 12 = Riverside Magazine, Nov. 1868; auch Uncle Remus, p. 7.

b) Märchen der Neger aus Nord- Carolina.


Die Schildkröte und die Tochter des Waschbären lieben einander. Der alte Waschbär setzt den Wettlauf (sieben Meilen weit) an, um die Schildkröte verlieren zu lassen. Im übrigen wie oben.


  • Literatur: Journal of American Folklore 11, 284.

c) Kreolen-Märchen aus Louisiana.


Im wesentlichen gleich, nur in Einzelheiten aufgeputzt.

Die Schildkröte fragt das Krokodil um Rat, und dieses rät ihm die bekannte List. Alle Einwohner sind als Zuschauer bei dem Wettlauf anwesend.


  • Literatur: Loys Brueyre im Annuaire des trad. pop. 2me année 1887, p. 61.
    Den Zusammenhang mit der ursprünglichen Geschichte, die von dieser Liebe nichts[56] weiß, deutet der Märchenerzähler selbst an, indem er die Schildkröte zu sich selber sagen läßt: Ehedem hat mein Großvater das Kaninchen im Wettlauf besiegt. Wie werde ichs anfangen, das Reh zu besiegen? (Um so merkwürdiger freilich, daß sie trotz des Beispieles ihres Großvaters, dessen List sie doch wohl kennen müßte, erst noch zum Krokodil läuft!)

Offenbar hat sich hier ein zweites Märchen hereingedrängt, das überall sehr beliebt war, das Märchen von zwei Bewerbern, die eine Probe bestehen müssen.

Wir kennen es aus Louisiana in folgender Fassung:

Spottdrossel und Eule lieben Fräulein Spottdrossel. Sie erklärt, sie wolle den heiraten, der am längsten faste. Ihre Liebe gehört aber allein dem Vogel Spottdrossel. Dieser fliegt jeden Tag zu ihr und singt: »Tschiwi, Tschiwi! Tra la la! He, he!« Dann küßt er sie, und sie gibt ihm dabei heimlich zu essen. Die Eule fliegt auch zu ihr und singt: »Huhu! tralala! He, he!« und will sie auch küssen. Sie aber sagt: »Deine Flügel tun mir weh!« und gibt diesem Bewerber nichts. Der andere gewinnt demnach. Denn die Eule wird immer schwächer und stirbt. (Fortier, Louisiana Folktales, p. 35.) – Brautgewinnung durch Wettlauf ist im Tiermärchen, soviel ich weiß, selten. Sie findet sich z.B. bei den Akwapim (Afrika), wo Gottes Tochter der Preis ist, um den die Spinne und die Katze um die Wette laufen; die Spinne verliert, und ihr Auge ist seitdem rot vor Neid. (Petermanns Mitt. 1856, 466.) – Die Schildkröte kommt als Brautwerber, der den Nebenbuhler besiegt, auch in anderen Märchen vor, vgl. Santa Anna-Nery III, Nr. 7 und 8.


d) Negermärchen aus Bahama.


[Die Seeschildkröte und die Muschel wollten die Tochter des Königs haben. Der König gebietet ihnen einen Wettlauf, welcher entscheiden solle.] Die Muschel wußte, daß die Schildkröte besser laufen könne. Darum ging sie zu den andern Muscheln und stellte sie an den Wegmar ken auf. Danach ging sie zum Fluß hinunter, wo die Schildkröte war, und sagte ihr, sie sei zum Wettlauf bereit. Also liefen sie nun zusammen los. Als die Schildkröte an der ersten Wegemarke ankam, traf sie eine Muschel, die sie für die Wettgenossin hielt; die schwatzte mit ihr. Aber die erste Muschel überholte unterdessen unbemerkt die Schildkröte. Diese setzte erst nachher ihren Weg fort. Am nächsten Wegmal war wieder eine Muschel; die hielt sie ebenfalls für die erste. Sie schwatzten ein Weilchen miteinander, und unterdessen hatte die Muschel Gelegenheit, vorüber zukommen. Als nun die Schildkröte zum Königspalast kam, war die Muschel schon da. Sie erhielt also die Königstochter. Danach erklärte die Schildkröte, sie wolle lieber in der See leben.


  • Literatur: Edwards, Bahama Songs and Stories, 69. – Die grobe Entstellung des ursprünglichen Inhalts liegt auf der Hand.

c) Reh (Fachs) und Frösche.

13. Märchen der Kootenay-Indianer (der großen Jobacco-Ebenen in Britisch-Columbien).


Es waren einmal viele Frösche im Lande. Einer sagte: »Dort kommt das Rehkalb. Es geht nach Hause. Laßt es uns im Wettrennen betrügen.« Bald stand das[57] Tier vor ihnen, und [A2] einer der Frösche forderte es zu einem Wettrennen heraus. Das Rehkalb, das sich einen ganz bequemen Sieg versprach, willigte gern ein, und als man das Zeichen gab, sprang es geschwind weg und ließ den Frosch weit zurück. Als es aber mehrere Meilen gegangen war und eine Weile zu ruhen gedachte, [B2 ohne Rufen] sah es zu seinem großen Erstaunen den Frosch mitten im Pfade vor sich stehen. Noch einmal sprang das Tier hurtig weg und ließ den Frosch zurück. Als es aber zum zweiten Male ruhen wollte, sah es den Frosch noch im Pfade stehen. Zornig warf das Rehkalb seine Kleider [in diesen Sagen kommen die Tiere als Menschen vor] weg und lief emsig fort. Sein Lauf dauerte, bis die Sonne im Westen sank und der Abend herankam. Und jedesmal, so oft das Rehkalb sich ausruhen wollte, sah es den Frosch, der nach dem Ziele vorhüpfte. Endlich scharfen Hunger leidend und [B4?] ganz ermüdet erreichte es das Ziel, aber nur um zu finden, [B3] daß der Frosch vor ihm angekommen war. Nach diesem Siege fand ein großes Fest statt, dem alle Frösche beiwohnten.

Der Frosch hatte durch List gewonnen. Alle Frösche sehen einander gleich, und das arme Rehkalb hatte nicht jedesmal denselben Frosch, sondern immer verschiedene Frösche gesehen. [B] Längs der Rennbahn lagen viele Frösche verborgen, und von Zeit zu Zeit hüpfte einer aus seinem Schlupfwinkel hervor, als er das Rehkalb nahen sah.


  • Literatur: S.J. Chamberlain, Am Urquell 3, 213.

14. Märchen der argentinischen Indianer. (Reste des Stammes der Araukaner, der ursprünglich in Chile ansässig war und nun unter den Nachkommen der spanischen Eroberer und anderen Stämmen zerstreut lebt; nach S. und SW. bis nach Patagonien verbreitet).


Fuchs und Frosch verabreden sich, mit einander zu spielen und ihre Freunde dazu einzuladen. Sie spielen auf Vorschlag des Frosches Ball.

[A1] »Du wirst nicht gewinnen,« entgegnete der Fuchs. [A2] Der Frosch aber sagte: »Ich werde dich bald herumspringen lassen« und krämpelte sich die Ärmel hoch. Dann fragte er den Fuchs: »Um was wollen wir spielen, verdammter Fuchs, Großmaul?« [Der Fuchs will um ein gesatteltes Pferd spielen.] »Nun wollen wir also spielen,« sagte der Frosch. »Los, Freunde,« sagte er zu seiner Partei. »Spielt um Dinge, die etwas wert sind! Wir werden nicht verlieren, bald sollen die verdammten Füchse verlieren.« Da fragte der Fuchs den Frosch: »Nun, hast du Mitspieler gefunden?« – »Gewiß,« antwortete der. Sie spielten also, und der Fuchs verlor. Als er nun verloren hatte, fragte er wiederum den Frosch: »Was wollen wir jetzt spielen?« [Der Frosch überläßt ihm die Wahl; der Fuchs will Wettlaufen; als Preis gelten des Fuchses dunkelbrauner Pony und des Frosches hellbrauner Pony.] [A1] Dann sagte der Fuchs zum Frosch: »Du wirst ja doch nicht im Wettlauf gewinnen.« [A2] »Und du auch nicht,« entgegnete er dem Fuchs; »du am allerwenigsten wirst gewinnen, Freundchen, verdammter Fuchs, Falschspieler.« Da entgegnete dieser: »Du wirst am allerwenigsten gewinnen, Freundchen Frosch.« Sie machten sich also auf den Weg, und unterwegs fragte der Fuchs den Frosch: »Wieviel Strecken sollen es sein?« Der Frosch aber antwortete: »Vier!« Nun kamen sie zum Zielstrich und [A3] ließen den Einsatz zurück. »Hier wollen wir alle Wertgegenstände zurücklas sen,« sagte der Frosch zu dem Fuchs, »denn du bist ein falscher Spieler.« – »Na ja,« sagte der Fuchs, und sie liefen aus. [B1 fehlt!!] Und als sie schon eine Strecke zurückgelegt hatten, [B2] fragte der Fuchs. »Wo kommt denn mein Freund Frosch?«[58] Da schrie dieser aber schon: »Hier bin ich, Freund Fuchs!« Da lief der Fuchs wieder eine Strecke. Und als er wieder am Ziele vorbeikam, fragte er von neuem: »Wo kommst du, Freund Frosch?« Da schrie aber schon der Frosch um eine Strecke voraus: »Hierbin ich schon wieder, verdammter Fuchs!« Der Fuchs aber peitschte sein Pferd, legte wieder eine Strecke zurück und rief von neuem: »Wo kommst du, Freund Frosch?« Und wieder eine Länge voraus quakte der Frosch: »Hier, hier komme ich!« Der Fuchs aber galoppierte von neuem, und als er wiederum beinahe am Zielstrich ankam, rief er wieder: »Wo kommt denn der verdammte Frosch? Hierher will ich ihn rufen. Wo kommst du denn, Freundchen Frosch?« rief er wieder, als er beinahe am Zielstrich war. »Hier bin ich, verdammter Fuchs!« antwortete der Frosch. Da peitschte dieser von neuem sein Pferd. [B3] Der Frosch aber rief schon als erster am Zielstrich: »Woher kommst du denn, Freundchen Fuchs?« als dieser endlich am Zielstrich ankam. Auf diese Weise wurde der Fuchs.


  • Literatur: Zeitschr. des Vereins f. Volksk. 16, 156.

d) Mensch und Eichhörnchen.

15. Märchen der Zuñi.


Es war einmal in der Zeit der Alten, daß die Läufer von K'iákime vor allen Orten des Shíwina-Tales wegen ihrer Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit berühmt waren. Wenn sie den Tikwa, den Wettlauf mit dem gestoßenen Stock, liefen, so besiegten sie nacheinander die Läufer von Shiwina oder Zuñi, von Mátsaki oder der Salz-Stadt, von Pínawa oder der Stadt der Winde, schließlich alle, die es wagten, sie zu fordern oder ihre Forderung anzunehmen. Die Leute von Shiwina und Mátsaki gaben sich aber nicht leicht zufrieden. Sie liefen wieder und wieder, nur um große Haufen Wertsachen zu verlieren, um die sie gewettet hatten, bis sie ganz entmutigt waren und nichts mehr hatten, worum sie hätten wetten können, ohne sich zu schämen. Da beriefen die Leute dieser zwei Städte eine Versammlung, und sie berieten, was man wohl tun könne, um die Läufer von K'iákime zu besiegen. Sie dachten an alle weisen Leute und weisen Geschöpfe, die sie kannten, einer nach dem anderen wurde erwähnt, und zuletzt meinte man, daß von allen erwähnten das Erd-Eichhörnchen am größten in Schlauheit und List sei. So wurde ein junger Mann ausgesandt zu einem Erd-Eichhörnchen, das an einem Hügelabhang wohnte, wo der Wettlauf immer begann. Es war gerade draußen in der Sonne und beendete einen Kellergraben, als der junge Mann herankam. »Holla, Enkel, störe mich heute morgen nicht, ich bin gerade beim Kellergraben.« Der Jüngling sagte ihm aber, daß er mit einer wichtigen Botschaft von seinen Leuten käme. Da hörte das alte Erd-Eichhörnchen auf zu arbeiten, und hörte aufmerksam zu, als der Jüngling ihm die Schwierigkeiten seines Volkes erzählte. »Geh zurück, Enkel,« sagte er, »und sage deinen Leuten, daß sie die Leute von K'iákime zu einem Wettlauf mit Stockstoßen fordern, und einem einzelnen Läufer für den vierten Tag von heute ab, und sage deinem Volk, daß ich den Wettlauf für sie laufen will, wenn die Läufer von K'iákime mir erlauben wollen, auf meinem eigenen Weg, d.h. unter der Erde, zu laufen.«

Der Jüngling dankte dem alten Erd-Eichhörnchen, und wollte gerade fortgehen, als der fette, dickbackige Bursche ihm zurief, noch einen Augenblick zu warten.

»Höre zu,« sagte er, »sag deinen Leuten, daß sie für mich um zwei Dinge wetten sollen, rote Farbe und heiligen gelben Pollen. Diese sollen die Bezahlung für meine Mühe sein, wenn ich gewinne, da sie mir das liebste sind.«

[59] Der Jüngling ging nach Hause und berichtete, was das Erd-Eichhörnchen gesagt hatte.

Darauf sandten die Leute von Shiwina und Mátsaki den Leuten von K'iákime eine Forderung zum Wettlauf und ließen sagen: »Wir wetten alles, was wir haben, gegen alles, was ihr uns nach und nach abgewonnen habt, daß unser Läufer, das Erd-Eichhörnchen, der am Abhang des Hügels wohnt, wo der Wettlauf beginnt, euch in dem Lauf besiegen wird, und schlagen vor, daß der Wettlauf in vier Tagen stattfinden soll. Die einzige Bedingung, die wir nennen, ist die, daß das Erd-Eichhörnchen seinen gewohnten Weg unter der Erde laufen darf.«

Die Läufer von K'iákime waren sehr erfreut, gegen je mand zu laufen, der von den so oft Besiegten vorgeschlagen wurde. Sie zögerten keinen Augenblick zu antworten, daß sie gegen das Erd-Eichhörnchen oder sonst irgend einen Freund der Leute von Mátsaki und Shiwina laufen würden, vorausgesetzt, daß das Erd-Eichhörnchen, wenn es unterirdisch liefe, von Zeit zu Zeit an der Oberfläche erscheine, damit sie wüßten, wo es wäre. So wurde es abgemacht und die Annahme der Forderung dem Erd-Eichhörnchen mitgeteilt, nebst der Bedingung, die die Leute von K'iákime gemacht hatten. In derselben Nacht ging das alte Erd-Eichhörnchen zu seinem jüngeren Bruder, der war alt wie er selbst, dickbackig grau- und braun-röckig und staubig vom Kellergraben. »Jüngerer Bruder,« sagte das alte Erd-Eichhörnchen, »am vierten Tag von heute ab soll ich Wettlaufen. Ich werde ablaufen beim Anfang der Wettlaufstrecke der Leute von K'iákime drüben, das ist bei meinem Hause, wie du weißt. Nun werde ich zwei Löcher graben, eins am Anfang der Strecke und eins ein Stückchen weiter. Nun grabe du ein Loch hier bei deiner Wohnung, unten, wo die Strecke bei dir vorbeiführt, und ein zweites ein Stückchen weiter. Ich werde als Läufer durch eine rote an den Kopf gebundene Feder erkenntlich sein. Binde du dir auch eine rote Feder an den Kopf. Wenn du den Donner hörst, der von den Füßen der Läufer herrührt, so laufe heraus, zeige dich eine Minute und laufe in das andere Loch, so schnell du kannst.« »Ich verstehe, was du von mir willst, und will es gerne tun. Es wird mir besondere Freude machen, den Stolz der hochmütigen Läufer von K'iákime zu vernichten, oder wenigstens dabei zu helfen,« antwortete der jüngere Bruder.

Nun ging das alte Erd-Eichhörnchen an einen anderen Ort, wo ein zweiter seiner jüngeren Brüder wohnte, der ihm ebenso ähnlich war, als der vorhergehende; und an jenem Ort ging die Wettlaufstrecke ebenfalls vorüber.

Er teilte ihm dasselbe mit und gab ihm dieselben Anweisungen.

Dann ging er an einen dritten Ort, wo noch ein jüngerer Bruder wohnte, unter den zwei breiten Säulen des Donner-Berges an der letzten Biegung der Laufstrecke, und danach noch zu zwei Brüdern, von denen der letzte ebenso listig und schlau, wie er selber bei K'iákime wohnte, wo die Laufstrecke zu Ende war. Als nun so alles angeordnet war, ging das alte Erd-Eichhörnchen zurück und setzte sich gemütlich in sein Nest. [B1]

Früh am Morgen des vierten Tages wurden Vorbereitungen zum Wettlauf gemacht. Die Läufer von K'iákime hatten gefastet und sich in den heiligen Häusern geübt, sie kamen entkleidet und zum Lauf gegürtet mit ihren Stöcken. Dann kamen die Leute von Mátsaki und Shiwina, die sich auf der Ebene versammelten und warteten. Sie brauchten aber nicht lange zu warten, denn das alte Erd-Eichhörnchen erschien bald in ihrer Mitte, es guckte aus der Erde heraus, und auf seinem Kopf war eine kleine, rote Feder. Es legte den Stab, der für es bereitet worden war, auf die Erde, wo es ihn leicht mit den Zähnen packen konnte, und[60] sagte: »Ihr werdet mich wohl entschuldigen, wenn ich meinen Stock nicht stoße, da meine Füße zu kurz dazu sind. Dagegen braucht ihr euch den Weg nicht zu graben, wie ich es muß. Also sind wir gleich.«

Die Läufer von K'iákime lachten verächtlich und fragten es, warum es nicht um eine Vergünstigung bäte, statt über dergleichen Dinge zu reden, die ihnen doch nichts ausmachten.

Endlich wurde das Zeichen gegeben. Mit einem Schrei und Sprung schössen die Läufer von K'iákime davon, ihren Stock lustig vor sich herstoßend. Seinen Stock faßte das Erd-Eichhörnchen mit den Zähnen und verschwand unter der Erde. Die Leute von Mátsaki und Shiwina liefen zu einem benachbarten Hügel und warteten atemlos auf sein Erscheinen an der Oberfläche der Wettlaufsstrecke. In einer Staubwolke schössen die Läufer von K'iákime über die Ebene.

Sie waren schon ein gutes Stück weit, als plötzlich vor ihnen mitten in der Strecke das alte Erd-Eichhörnchen herausguckte; die rote Feder war staubig, aber sie nickte stolz an seinem Kopfe. Nachdem es sich nach den Läufern umgesehen hatte, schoß es wieder in die Erde. Die Leute von Shiwina und Mátsaki schrien Beifall. Die Läufer von K'iákime, voll Erstaunen, daß das Erd-Eichhörnchen schon vor ihnen sein sollte, verdoppelten ihre Anstrengungen. Weiter rasten sie, doch bald sahen sie das Erd-Eichhörnchen wieder vor sich, jetzt schweißbedeckt, denn der schlaue Bruder hatte sich etwas Wasser besorgt und damit sein Fell eingerieben und es schmutzig gemacht, als ob es voll Schweiß wäre und schon müde würde. Es kam aus dem Loch und lief in das nächste etwas weniger schnell als das vorige Erd-Eichhörnchen, und die Läufer, die dicht hinter ihm waren, taten einen lauten Schrei und liefen noch schneller. Als sie meinten, sie müßten es überholt haben, sieh! da tauchte ja schon wieder dieses alte schmutzige Erd-Eichhörnchen auf, das mit Anstrengung ein Stück lief und dann wieder verschwand. Und so geschah es noch einige Male, und bei der Biegung tauchte es beinahe zwischen ihnen auf, ganz erschöpft und beschmutzt. Da die Läufer die rote Feder am Kopf sahen, wenn auch verschmutzt und herunterhängend, meinten sie natürlich, es sei wieder dasselbe alte Erd-Eichhörnchen.

Zuletzt erhob sich das ursprüngliche alte Erd-Eichhörnchen, das unterdessen ruhig geschlafen hatte, tauchte ins Wasser von der Nasen- bis zur kurzen Schwanzspitze, watete dann im Schmutz, bis es damit gepanzert war, schloß die Augen halb und kroch als ein trauriger Anblick vor der erstaunten Menge am Ende des Ziels, weit vor den Läufern auf, die schnell herankamen.

Alle schrien laut, und die Läufer von K'iákime verloren zum erstenmal all ihr Gewonnenes, und ihre Schnelligkeit, d.h. das Vertrauen darin, war ihnen genommen, wie der Wind an Schnelligkeit verliert, dessen Beine gebrochen sind. [B3] So geschah es in der Zeit der Alten. Durch das Geschick und die List des Erd-Eichhörnchens, das durch sein Löchergraben der Widersacher aller Läufer ist, wurde der Wettlauf gewonnen gegen die schnellsten Läufer der Jugend. Darum nehmen noch heute die jungen Läufer von Zuñi, wenn sie sich zum Lauf bereiten, den heiligen gelben Pollen und rote Farbe mit, und sie stellen für die Erd-Eichhörnchen um die Strecke schöne, kleine Federn hin, und sie sprechen Gebete zu ihnen und sagen: »Seht, o ihr Erd-Eichhörnchen, wir laufen. Damit ihr uns helft, geben wir euch diese Dinge, die euch das liebste sind, damit ihr die Stöcke unserer Gegner in eure Löcher fallen laßt, damit sie im Dunkeln verschwinden.« So endet die Geschichte.


  • Literatur: Cushing, Zuñi Folk-Tales, p. 277.

e) Verschollenes Märchen.

[61] 16. John Brinckmann, Aus dem Volk für das Volk, plattdeutsche Dorfgeschichten I, Güstrow 1854, S. 8: Dat Brüden geit um behauptet, in einem englischen Fabelbuch eine Geschichte vom Windspiel und der Schildkröte gelesen zu haben, die die List von der Verwandtenhilfe enthielt. (Vgl. Pröhle, Feldgarben S. 397.)

Da nun, wie sich unten zeigen wird, in Europa kein einziges Schildkrötenmärchen vorkommt, so handelt es sich hier nicht um ein Märchen aus England, sondern etwa um eine amerikanische Variante. Nicht unmöglich aber ist, daß ein englischer Fabeldichter in freier Anlehnung an eine solche den Stoff umänderte und das Windspiel statt eines anderen Tieres einsetzte. Es findet sich sonst nirgends.

Fußnoten

1 Vgl. darüber Crane, Populär Science Monthly, April 1881, und Journ. of Am. Folklore 1, 13 f. Harris, Uncle Remus, Introduction. Auffallende Parallelen in Afrika und Amerika kennt jeder Sammler aus Erfahrung.


2 Der Hohn des Rehes liegt nur im Ton der Anrede! Der Sinn ist: Wohin willst du in deiner erbärmlichen Langsamkeit? – Die Tötung des Tapirs siehe bei Santa Anna-Nery, III, 199.


3 Die Schildkröte müßte (wie die anderen Varianten zeigen) als Antwort auf die Zweifel des Rehes zum Wettlauf auffordern.


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 62.
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