2. Betrachtungen über den Tod.

[353] O Menschenkind, die Welt vergeht,

Was bleibt, das hier in Blüte steht?

Reichtum und Glück wird bald verweht:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.
[353]

Denk an des Herrn gar starke Hand!

Das Grab, das ist dein Vaterland,

Und was du thust, ist alles Tand:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Gier führt vom rechten Weg dich ab.

Denk' dessen, der dir alles gab; –

Denn deine Heimat ist das Grab:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Lass ab von allem Saus und Braus,

Geh fleissig in des Herrn Haus

Und treibe fromm den Satan aus:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Kommt einst der Tod, bist du allein.

Kein Freund wird dann mehr bei dir sein,

Und niemand lindert deine Pein:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Allein gehst du den Todesgang,

Und was du hier geliebt bislang,

Verlässt dich. Hör' den Warnungssang:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Und liegst du erst im engen Schrein,

Ins Leichentuch gehüllt, allein,

Ist keine Zeit mehr fromm zu sein:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.
[354]

Und lebtest du auch tausend Jahr,

Du meidest, Freund, nicht die Gefahr,

Am Ende musst du auf die Bahr':

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Sieh' deine Freunde sind dahin,

Auch du wirst Staub, so wahr ich bin!

Nimm diese Warnung dir zu Sinn:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Jetzt lebst du noch, doch sei bereit,

Kehr' dich zu Gott! Verbanne weit

Der Sünde Schmutz! Noch ist es Zeit:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Und mühst du noch so sehr dich ab:

Den Erben bleibt, was Gott dir gab,

Und deine Wohnung wird das Grab:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.


Und wärst du Fürst, wärst Kaiser gar,

Ob arm, ob reich – doch bleibt es wahr:

Einst musst du auf die Totenbahr:

Das Ende ist das Nichts,

Das Nichts.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 353-355.
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