12.

[43] Es war einmal eine Frau, die war auf dem Markte von Damaskus und kaufte verschiedene Gegenstände ein. Da sah sie einer vor dem Laden stehen, wie sie Leinentuch kaufte; er trat zu ihr und sagte ihr: »Wenn du Geld willst, so will ich es dir geben.« Sie gab ihm keine Antwort. Darauf ging sie zu einem andern Laden und kaufte Tücher. Er kam wieder zu ihr und sagte ihr: »Wenn du das Geld für die Tücher haben willst, so will ich es dir geben.« Sie gab ihm keine Antwort. Dann kaufte sie Kappen, und er sagte wieder: »Wenn du das Geld für die Kappen haben willst, so will ich dir es geben.« Da sagte sie: »Jetzt gehe ich aber und hole dir drei Gensdarmen, damit sie dich binden und zum Vogt bringen. Weshalb willst du mir Geld geben? Bist du doch nicht mein Bruder noch mein Vetter noch mein Mann. Du hast mich angeredet, als ich Leinentuch kaufte, ich gab dir keine Antwort; dann sprachst du mich an, als ich Tücher kaufte, ich gab dir keine Antwort; nun bin ich gekommen, Kappen zu kaufen, und du bist mir gefolgt; ich werde dich mitnehmen vor den Vogt, da wollen wir sehen, weswegen du mir Geld geben willst. Geh und sei vernünftig und denke nicht, daß die Frauen anständiger Leute auf Abwegen gehen.« Da ging er hin, versammelte drei, vier Knaben, gab jedem von ihnen einen Groschen, zeigte ihnen die Frau und befahl ihnen: »Wohin sie immer geht, da nehmt Steine in eure Hände und macht Lärm hinter ihr und ruft: ›Tantchen, weshalb hast du auf der Straße gef..zt?‹« Die Knaben folgten ihr also und fingen an, mit Steinen Lärm hinter ihr her zu machen und ihr zuzurufen: »Tantchen, weshalb hast du auf der Straße gef..zt?« Da wurden die Leute aufmerksam und schauten hin, weshalb wohl die Knaben so zu der Frau sagen möchten. Nun war da ein Mädchen, das redete sie an: »Tantchen!« »Was gibts?« erwiderte sie. »Weswegen verfolgen dich die Knaben und sagen dies zu dir?« »Wegen eines schlechten Kerls,« antwortete sie. Das Mädchen schlug nun die Jungen und suchte sie von ihr wegzutreiben, aber sie ließen nicht von ihr ab. Die Frau sah sich um und fand, daß jener Mann, welcher den Knaben gesagt hatte, sie möchten ihr nachlaufen und so zu ihr sagen, hinter den Knaben herging. Da rief sie ihm und sagte: »Komm, ich will dir etwas sagen.« »Was denn?« fragte er. »Wer mit einem[43] andern sprechen will,« erwiderte sie, »(der mag dies tun), wer aber mit einer Frau sprechen will1, der geht zu ihrem Hause, um mit ihr zu sprechen. Du dagegen sagst mir in Gegenwart der Ladenbesitzer, du wolltest mir Geld geben; sie werden hingehn und es meinem Manne sagen. Komm mit nach Hause, rauche eine Pfeife, frühstücke und vergnüge dich. Hast du die Jungen um mich versammelt, um mich an die große Glocke zu hängen?« Da rief er die Knaben, gab jedem wieder einen Groschen und sagte ihnen: »Schweigt jetzt und geht nach Hause!« Die Knaben nahmen jeder seinen Groschen und gingen nach Hause. Darauf fragte er die Frau: »Wo ist dein Haus?« »Komm,« erwiderte sie, »wir wollen zusammen hingehn.« So ging sie mit ihm zu ihrem Hause; dort sagte sie zu ihm: »Setz dich hierhin, unsere Wasserpfeife ist in der Nachbarschaft, ich will hingehn sie holen und dir eine Pfeife zurechtmachen.« Sie ließ ihn also im Hause und ging weg.

Ihr Mann hatte eine Bade, in welcher er webte, denn er war seines Zeichens Weber. Sie ging rasch zu ihm und bat ihn, nicht lange zu verweilen, sondern nach Hause zu kommen; und als er sie fragte, was es denn zu Hause gebe, antwortete sie: »Ich habe dir ein Frühstück zubereitet, komm frühstücken.« Darauf holte sie die Wasserpfeife, kam wieder nach Hause und sagte zu dem Manne, den sie dort hatte niedersitzen heißen: »Ich will dir eine Pfeife zurechtmachen.« »Tue es,« erwiderte er. Während sie hiermit noch beschäftigt war, wurde an die Türe geklopft. Da fragte der Mann: »Wer klopft an die Türe?« »Mein Mann,« erwiderte sie. »Wo willst du mich denn verstecken?« »Steh auf, verstecke dich in dem Kasten!« Damit öffnete sie den Kasten und ließ ihn in denselben hineinsteigen. Darauf verbarg sie ihre Pantoffeln und ließ seine Schuhe draußen. Ihr Mann trat ein und sagte: »Nun, was gibts, Frau?« »Komm und frühstücke,« sagte sie. Er aber entgegnete: »Du hast ja einen Männerschuh2 bei dir, wem gehört der?« »Meinem Liebhaber,« erwiderte sie. »Wo ist er?« »Im Kasten.« Der Mann im Kasten geriet in große Furcht; vor Furcht fiel ihm das Herz in die Hosen, er ließ alles unter sich gehn und beschmutzte seine Kleider. Der Mann der Frau sagte: »Jetzt werde ich dich und ihn töten.« »Weshalb willst du mich denn töten?« entgegnete sie. »Wenn ich wirklich Liebhaber hätte, würde ich dir dann sagen: ›Mein Liebhaber ist bei mir?‹« »Aber wem gehört denn der Schuh?« »Ich war zur Nachbarin gegangen, um Feuer zu holen, da habe ich die Schuhe ihres Mannes angezogen und bin so hergekommen.« Da sagte er: »Nun, so bring denn das Frühstück und laß uns frühstücken.« Sie brachte es ihm, und er aß; dann stand er auf und ging wieder zu seinem Laden.[44] Als sie nun den Mann aus dem Kasten hinausließ, da fand sie ihn über und über besudelt und mit beschmutzten Kleidern. »Komm heraus,« sagte sie, »der Schlaue ist der, welcher es zu Wege brachte, daß du dich in dem Kasten vor Furcht besudeltest. Bist du nicht derjenige, welcher die Knaben bestochen und ihnen gesagt hast, sie sollten gehn und sagen: ›Tantchen, weshalb hast du auf der Straße gef..zt?‹ Ich hätte meinem Manne sagen sollen, er möchte dich binden und vor den Vogt fahren, damit sie dich aufhängen, auf daß du lernest, was es heißt, die Frauen anständiger Leute zu beschimpfen; ich bin ehrbarer Leute Kind, nicht bin ich hinter der Hecke geboren wie du, Mann, du Lumpenkerl!« Darauf sagte sie: »Ein andermal wirst du wissen, was es heißt, anständiger Leute Töchter zu beschimpfen,« und ließ ihn heraus auf die Straße. Da folgten ihm die Knaben: »Dieser Mann besudelt sich, beschmutzt seine Kleider!« Er fing an, auf der Straße zu laufen, und die Jungen liefen hinter ihm her. So kam er nach Hause und klopfte an die Türe. Seine Frau kam heraus und fand, daß seine Kleider feucht waren und mit Kot besudelt. Da fragte sie: »Wie kommt das, Mann?« Er erwiderte: »Mir tat der Bauch weh, und es gelang mir nicht mehr, die Hose auszuziehen.« Darauf brachte seine Frau ihm andere Kleider, und er zog sie an.

Als der Mann jener andern Frau nach Hause kam, sagte er zu ihr: »Du hast mich heute Vormittag gerufen, ich möchte frühstücken kommen; an andern Tagen bist du nie gekommen mich rufen; wie geschah es denn, daß du mich heute rufen kamst?« Sie antwortet: »Wenn die Lüge rettet, so rettet die Wahrheit noch viel mehr.« »Wieso, Frau?« »Ich war auf den Markt gegangen, um Leinentuch und Tücher und Kappen für die Knaben zu holen, und stand da an einem Laden; da kam einer zu mir und sagte: ›Wenn du Geld willst, so will ich es dir geben,‹ ich gab ihm keine Antwort.« Als ich darauf Tücher kaufte, trat er wieder zu mir und sagte: ›Wenn du das Geld für die Tücher haben willst, so will ich es dir geben;‹ ich gab ihm keine Antwort. Wie ich nun Kappen kaufte, sagte er wieder dasselbe zu mir. Da sagte ich ihm: ›Geh, oder ich hole dir drei Gensdarmen, daß sie dich zum Vogt führen; was bist du denn von mir, daß du mir Geld geben willst?‹ Nun ging er hin, suchte sich einige Knaben, gab ihnen drei Groschen und sagte ihnen: ›Folgt dieser Frau und ruft ihr nach, sagt ihr: »Tantchen, weshalb hast du auf der Straße gef..zt?«‹ Die Jungen folgten mir nun und riefen mir dieses nach. Die Leute fingen an zu fragen: »›Weshalb mögen wohl die Knaben so zu dieser Frau sagen?‹, und ich schämte mich. Ich schaute mich um, da erblickte ich ihn. Da sagte ich ihm: ›Komm, laß uns nach Hause gehn, mache nur, daß die Buben hinter mir schweigen.‹ So nahm ich ihn mit und kam hierher; dann ging ich dich rufen und verbarg ihn im Kasten; in seiner Angst ließ er alles unter sich gehn, und als du weggegangen warst, ließ ich ihn aus dem Kasten heraus[45] mit besudelten Kleidern. Die Jungen fingen an, ihm nachzulaufen: ›Kommt, steht euch mal diesen Mann an! Ein großer Mann und macht noch in die Hosen!‹« Da sagte der Mann: »Bravo! Nicht aller Vögel Fleisch wird gegessen, und nicht mit allen Frauen läßt sich heillose Rede führen.« [Und so lebten sie weiter. Es ist aus.]

1

[und zwar mit einer Frau], weiter].

2

[Männerschuhe; und entsprechend weiter].

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 43-46.
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