15.

[49] Es war einmal einer, der bekam keine Kinder; er war reich; wie viele Ärzte er auch fragte, bekam er doch keine Kinder. Einst kam ein Arzt zu ihm, den fragte er: »Weißt du kein Mittel, um Kinder zu bekommen?« Dieser erwiderte: »Ja freilich weiß ich[49] ein Mittel, damit deine Frau schwanger wird.« »Gut,« sagte er; dann fuhr er fort: »Was für einen Lohn verlangst du, wenn ich einen Sohn bekomme?« Jener erwiderte: »Ich verlange nichts;« dann fuhr er fort: »Willst du mir bei deinem Leben versprechen, daß du, wenn du einen Sohn bekommst, ihn eine Nacht bei mir willst schlafen lassen? Einen anderen Lohn verlange ich nicht von dir.« »Schön,« sagte er, »ich will ihn bei dir schlafen lassen.« Hierauf gab jener ihm eine Arznei für seine Frau, so daß sie schwanger wurde; dann ging er seines Weges. Die Frau aber gebar dem Manne einen Sohn. Als dieser etwas herangewachsen war und gehen und sprechen konnte, kam bald der Arzt, der ihnen die Arznei gegeben hatte, wieder. Er fragte: »Mann, hast du einen Sohn bekommen?« »Ja,« erwiderte dieser. »Willst du dein Versprechen halten?« fragte jener. »Ja, ich will es halten,« antwortete dieser. Jener sagte: »Also heute Nacht sollst du deinen Sohn bei mir schlafen lassen.« »Schön,« sagte dieser. Hierauf legten sich der Junge und der Arzt schlafen; der Arzt aber ließ ihn auf seinen Knieen einschlafen. Als der Junge aus dem Schlafe erwachte, fragte ihn der Arzt: »Was hast du im Traume gesehen?« Er antwortete: »Ich habe den Mond zu meiner Rechten und die Sonne zu meiner Linken gesehen.« Da sagte der Arzt zu dem Jungen: »Wenn dich jemand fragt: ›Was hat der Arzt mit dir gemacht?‹, so sage den Leuten: ›Er hat mich auf seinen Knien schlafen lassen; da habe ich einen Traum gehabt.‹ Wenn sie dann zu dir sagen: ›Möge es etwas Gutes bedeuten.‹ so erzähle ihnen den Traum; wenn sie dich aber fragen: ›Wovon hast du geträumt?‹, so erzähle ihn ihnen nicht.« Am anderen Morgen früh begab sich der Junge zu seiner Mutter und zu seinem Vater. Diese fragten ihn: »Lieber Sohn, was hat der Arzt mit dir gemacht?« Er antwortete: »Er hat nichts mit mir gemacht.« Sie sagten: »Aber du hast ja doch bei ihm geschlafen?« Er erwiderte: »Er hat mich auf seinen Knien schlafen lassen, und ich habe einen Traum gehabt.« Da fragten ihn seine Eltern: »Was denn, lieber Sohn?« Er antwortete: »Ich weiß es nicht mehr.« Sie sagten: »Wie kommt das, daß du es nicht weißt?« »Ich habe es nicht behalten,« sagte er. »Wie kommt es, daß du es nicht behalten hast?« fragte sein Vater. »Ich habe es nun einmal nicht behalten,« erwiderte er. »Freilich hast du es behalten,« sagte jener. »Ich habe den Traum nicht verstanden,« sagt er. Da sprach sein Vater: »Ich schlage dich tot, wenn du es mir nicht erzählst.« Er antwortete: »Ich weiß es nicht mehr.« »Ich will dich verkaufen,« sagte jener. »So verkaufe mich!« erwiderte dieser. »So erzähle es mir doch!« sagte jener. »Verkaufe mich nur,« sagte dieser. Da brachte er ihn auf den Markt und verkaufte ihn.

Hierauf verweilte er drei Tage bei dem, der ihn gekauft hatte; da sagte dieser: »Junge, weshalb hat dich dein Vater verkauft? Er hat ja doch Gelübde getan und für Ärzte und Arzneien sehr viel ausgegeben, bis du ihm geboren wurdest, und er hat keinen[50] anderen Sohn als dich; wie hat er sich von dir trennen und dich verkaufen können?« Jener sagt: »Ich habe einen Traum gehabt.« »Was war es für ein Traum?« fragte dieser. »Ich weiß es nicht mehr,« erwiderte jener; »eben deswegen hat mich mein Vater verkauft, weil ich ihm sagte: ›Ich weiß es nicht mehr.‹« Er sagte: »Aber mir erzähle es.« »Ich weiß ihn ja nicht mehr deutlich,« sagte jener. »Nein,« erwiderte dieser, »du mußt ihn mir erzählen, sonst schlage ich dich tot.« »Schlage mich nur tot,« antwortete jener, indem er beifügte: »Wenn ich ihn noch deutlich wüßte, hätte ich ihn meinem Vater erzählt, der viel Geld und Gold geopfert hat, bis ich ihm geboren wurde; aber ich habe ihm meinen Traum nicht erzählt; darum hat er mich verkauft.« »Auch ich will dich verkaufen,« sagte der Mann, »Verkaufe mich nur,« erwiderte der Junge. Hierauf beschloß der, welcher ihn gekauft hatte, ihn wieder zu verkaufen, weil er ihm nichts von dem Traume erzählte; er brachte ihn daher seinerseits auf den Markt und verkaufte ihn.

Es kaufte ihn ein Zuckerbäcker. Bei ihm verkaufte der Junge, der nun Husain der Zuckerbäcker hieß, Zuckerwaren. Er besaß aber eine schöne Stimme zum Singen, so daß jeden Tag die Leute herbeikamen, um ihn singen zu hören. Der Ruf seiner herrlichen Stimme verbreitete sich in der Stadt; schließlich hörten auch die Tochter des Obersten1 und die Tochter des Ministers von ihm. Da sprachen sie zu einander: »Wir wollen hingehen uns diesen Zuckerbäcker ansehen, dessen Ruf in der Stadt verbreitet ist und zu dem alle Leute hingehen, um ihn zu sehen; auf, laßt uns auch hingehen!« Da begaben sie sich mit ihren Sklavinnen dorthin; als sie vor der Türe des Zuckerbäckerladens vorbeigingen, hörten sie ihn singen, und er gefiel der Tochter des Obersten und der Tochter des Ministers. Als sie abends wieder in ihre Gemächer gekommen waren, ließen sie den Baumeister kommen; den fragten sie: »Hast du (im Schlosse) einen geheimen Platz?« Er erwiderte: »Ja, eine tiefe Zisterne.« Da befahlen sie ihm: »Du sollst von dort eine Grube bis zum Laden Husains des Zuckerbäckers graben lassen.« Da ließ er ihnen einen Gang vom Laden des Zuckerbäckers bis zu ihren Gemächern eröffnen. Von nun an brachten sie abwechselnd jede Nacht einen Abend bei ihm und er einen Abend bei ihnen zu.

Einmal, als er den Abend bei ihnen zubrachte, ereignete es sich binnen kurzem, daß jenem Obersten ein rätselhaftes Geschäft von Seiten des Königs übertragen wurde; wenn er es nicht klar auseinandersetzen konnte, wollte der König ihn köpfen lassen. Da versammelte er seine guten Freunde; aber niemand konnte herausbringen, was der Auftrag, der an den Obersten ergangen war, bedeutete. Nun befand sich jener junge Mann im Palast bei der Tochter des Obersten; es war aber im Zimmer eine Fensterlucke oberhalb des Saales, in welchem Rat gehalten wurde; dort saßen die Tochter des[51] Obersten und die Tochter des Ministers. Als nun die dort Versammelten nicht herausbrachten, was der Auftrag an den Obersten bedeute, stand jener junge Mann voll Zorn auf und ging hin – die Tochter des Obersten und die Tochter des Ministers saßen bei einander –, da ging er hin und setzte sich zwischen sie, so daß er eine zur Linken und die andere zur Rechten hatte, und rief: »Ihr alle könnt also jene Sache nicht herausbringen und erraten; ich kann sie herausbringen und sagen, und will den Obersten vom Tode erretten.« Da kamen die Leute, und schickten ihn zum Obersten.2 Dieser3 fragte ihn: »Aus welchem Lande bist du?« »Ich bin aus der Gegend von Bagdad,« erwiderte er. »Was hat dich denn hierher geführt?« fragte jener. Er erwiderte: »O Herr! sei mir gnädig, denn Gott ist gnädig, und gib mir Pardon!« Jener sagte: »Bei Gott, Pardon und Schutz sei dir gewährt! Erzähle nun, junger Mann, wie es mit dir steht.« Da erzählte er: »O Herr! meine Mutter bekam keine Kinder, und (mein Vater) wandte alle Ärzte an4, ohne daß meine Mutter Kinder bekam; auch gab er viel Geld und Gold aus, aber er bekam keine Kinder. Da kam einmal ein Arzt zu uns: der fragte meinen Vater: ›Weshalb hast du keine Kinder?‹ Er erwiderte: ›So viel Mittel ich auch anwende, bekomme ich keine Kinder.‹ Nun fragte der Arzt: ›Wenn ich dir aber eine Arznei gebe und du Kinder bekommst, was willet da mir geben?‹ Er antwortete: ›Was du verlangst, will ich dir geben.‹ Da fragte jener: ›Willst du bei deinem Leben versprechen, daß, falls du einen Sohn bekommst, du ihn eine Nacht bei mir willst schlafen lassen?‹ ›Ja,‹ erwiderte jener. Hierauf gab er meiner Mutter eine Arznei« – so erzählte der junge Mann dem Obersten –; »da wurde meine Mutter schwanger und brachte mich zur Welt. Bald kam jener Arzt wieder und sagte zu meinem Vater: ›Willst du deinen Sohn bei mir schlafen lassen?‹ ›Ja,‹ erwiderte dieser. Als es Abend wurde, rief der Arzt: ›Heda! schicke mir deinen Sohn, damit ich mit ihm zusammen heute Nacht schlafe.‹ Da ging ich zum Arzte ins Zimmer; er aber legte mich auf seine Knie und ließ mich auf seinen Knien einschlafen. Hierauf hatte ich einen Traum« – der Oberst sagte: »So Gott will, gute Träume!« –; »dann setzte mich der Arzt von seinen Knien hinunter und fragte mich: ›Was hast du gesehen?‹ ›Einen Traum,‹ erwiderte er5. ›Möge der Traum etwas Gutes bedeuten,‹ sagte er.« Da berichtete er6 ihm: ›Ich habe den Mond zu meiner Linken und die Sonne zu meiner Rechten gesehen.‹ Er aber wies mich an: ›Wenn dich deine Angehörigen fragen: »Was hat der Arzt mit dir gemacht?«, so antworte ihnen: »Ich habe einen Traum gehabt.« Wenn sie dann zu dir sagen: »Möge[52] der Traum etwas Gutes bedeuten,« so erzähle ihn ihnen; wenn sie dich aber fragen: »Was war das für ein Traum?«, so erzähle ihn ihnen nicht, sonst schlage ich dir den Kopf ab.‹ »Hierauf fragte mich mein Vater; aber ich erzählte ihm nicht; da verkaufte er mich.« So erzählte der junge Mann dem Obersten; dieser aber sagte: »Meine Tochter heißt ja Mond und die Tochter des Ministers heißt Sonne; ich will den Kontrakt der Ehe mit diesen beiden für dich aufsetzen lassen; denn du hast mich aus der Gefahr, geköpft zu werden, errettet und hast mir den Auftrag, der mir geworden war, klar auseinandergesetzt7; davon hast du ja geträumt.« Hierauf ließ der Oberste öffentlich ausrufen: »Niemand soll acht Tage und acht Nächte hindurch ein Feuer anzünden, sondern man soll beim Obersten speisen; er gibt dem Husain dem Zuckerbäcker seine Tochter und die Tochter des Ministers zur Frau.« So setzten sie den Heiratskontrakt auf und vollzogen die Sache8. Die Tochter des Obersten und die Tochter des Ministers gaben sie Husain dem Zuckerbäcker. Der Oberste aber stieg von seinem Throne und übergab Husain dem Zuckerbäcker seinen Siegelring, und so wurde sein Schwiegersohn Oberster. Und nun ist die Geschichte aus.

1

[der Text hier und weiter ›Sultan‹].

2

Die Geschichte ist, besonders hier, schlecht erzählt; wahrscheinlich schickt der Sultan zu den Mädchen; dort wird der junge Mann gefunden.

3

[der Sultan schickte nach ihm und].

4

Originalübersetzung: und sie wählten Arzte. – [die Ärzte waren ratlos].

5

[ich].

6

[ich].

7

Auch hier ist augenscheinlich eine Lücke; vielleicht handelt es sich weniger um einen Auftrag, als um eine Rätselfrage – am Ende geradezu die Frage: »Wer sitzt zwischen Sonne und Mond?«

8

Unsicher.

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 49-53.
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