IV
17. Die beiden Könige.

[145] EARABSCHAH p. 9 l. 3 ff. Die Anekdote wird Rosenöl II p. 256 aus dem »Dschamiol Hikajat ve Lamiol-rivajat« von Chosroes Parvis1 erzählt.


König Anuscharwân2 bestieg eines Tages sein Ross und unternahm einen Spazierritt. Doch das Ross wurde störrisch und bekam Gewalt über ihn, so dass er es nicht mehr zügeln konnte. Da liess er die Zügel los und schlug es mit den Fäusten und den Füssen; aber es wurde noch störrischer, sodass es sogar die Zügel zerriss, und [der König] nahe daran war herabzufallen. Da wandte er sich mit Sanftheit und Freundlichkeit an das Ross und erreichte nun seinen Willen. Als er zu Hause ankam, zitterte sein Inneres vor Erregung, und er liess den Stallmeister herbeirufen, schimpfte und fluchte und wollte ihn hinrichten lassen. »Du3 legtest diesem störrischen Pferde«, sagte er, »einen sehr schwachen Zügel an, da riss er in meiner Hand, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte mich dieser Hengst abgeworfen!« Da erwiderte der Stallmeister und sprach: »Gerechter König! Ich beschwöre dich bei dem Gotte, der dich zu dieser Stufe erhoben hat, dass du mir zu einer Antwort das Ohr leihest.« »Sprich«, sagte der König zu ihm. Da antwortete der Stallmeister: »Dieser Zügel sagt: ›Seine Majestät ist der Herrscher über die Menschen, und sein Ross ist das Haupt der Pferde, ich wurde nun zwischen den Gewalten zweier Könige hin und her gezogen,[146] wie sollte ich zwischen ihnen Stand halten können!‹« Diese Antwort des Stallmeisters gefiel König Anuscharwân, und er entliess ihn in Gnaden.

1

Regierte 590–628.

2

Regierte 531–579. Er wird als ein Ausbund von Gerechtigkeit gepriesen; vgl. jedoch NÖLDEKE'S treffliche Charakteristik des Mannes TabGesch. p. 160 ff.

3

So in der Übersetzung; im Texte steht »Ich«.

Quelle:
Lidzbarski, Mark (Hg.): Geschichten und Lieder aus den neuaramäischen Handschriften. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1896, S. 145-147.
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