3. Die tapfere Seventee Bai.
3. Die tapfere Seventee Bai

[55] Siu Rajah1, welcher vor langen Jahren in dem Lande Agrabrum2 herrschte, hatte nur einen einzigen Sohn, an dem er leidenschaftlich hing. Der Prinz, der den Namen Logedas trug, war jung und schön und hatte eine wunderschöne Prinzessin, Namens Parbuttee Bai zur Frau.

Nun hatte zufälliger Weise Siu Rajahs Wuzeer eine Tochter, welche Seventee Bai oder die Dame Tausendschön hieß. Sie war so lieblich wie der Morgen, und Jedermann hatte sie gern wegen ihrer Freundlichkeit und Güte. Logedas Rajah sah sie, verliebte sich in sie und beschloß sie zu heirathen. Als Siu Rajah das vernahm, ward er sehr zornig, ließ seinen Sohn vor sich kommen und sprach: »Von allen Kostbarkeiten und Reichthümern meines Königreichs habe ich Dir nichts vorenthalten, und in Parbuttee Bai hast Du ein Weib, wie es[56] sich Dein Herz nur wünschen kann; aber wenn Du dessen ungeachtet nach einer zweiten Gemahlin verlangst, so gebe ich Dir hierzu gern meine Einwilligung. Die benachbarten Könige haben Töchter genug, die stolz sein würden, Deine Ranee zu heißen, aber eine Wuzeerstochter zu heirathen, das ist unter Deiner Würde, und wenn Du das thust, so soll mich meine Liebe zu Dir nicht hindern, Dich aus dem Königreiche zu verbannen.« Doch Logedas verachtete seines Vaters Drohung und heirathete Seventee Bai; wonach der Vater, als er hiervon Kunde erhielt, ihm befahl, das Land sofort zu verlassen. Weil er aber seinen Sohn so sehr liebte, gab er ihm viele Elephanten, Kameele, Sänften, Pferde und Begleiter, damit er auf seiner Reise keiner Hülfe bedürfe und seinem Range entsprechend auftreten möge.

Auf diese Weise ausgestattet, begaben sich Logedas und seine zwei Frauen auf die Reise. Ehe sie indessen sehr weit gekommen waren, entließ der Prinz sein ganzes Gefolge, außer dem Elephanten, auf dem er selbst ritt, und der von zwei Männern getragenen Sänfte, in welcher seine zwei Frauen reisten. So, fast allein, eilten sie durch den Dschungel, um sich eine neue Heimath zu suchen. Aber da sie in diesem Theile des Landes gänzlich unbekannt waren, verloren sie sehr bald den Weg. Die armen Prinzessinnen sahen sich in eine trostlose Lage versetzt. Sie wanderten einen Tag nach dem anderen, lebten von Wurzeln oder wilden Beeren. Die Blätter der Bäume fielen auf sie herab, und Nachts erschreckte sie das Brüllen wilder, nach Beute suchender Thiere. Logedas Rajah ward täglich trauriger und niedergeschlagener, bis er schließlich eines Nachts, wahnsinnig gemacht durch den Gedanken an die traurige Lage seiner Frauen und unfähig den Anblick ihres Elendes länger zu ertragen, aufsprang, seine königlichen Gewänder abwarf, um seinen Kopf nach der Weise der Fakier[57] ein grobes Taschentuch wand, sich in einen langen, wollenen Mantel hüllte und also verkleidet in den Dschungel rannte. Nachdem er ein Weilchen fort war, erwachte die Wuzeerstochter und fand Parbuttee Bai bitterlich weinend. »Mein Gott Schwester, was ist Dir passirt?« fragte sie. »Ach Schwester,« entgegnete Parbuttee Bai: »Es träumte mir, unser Gatte kleide sich wie ein Fakier und laufe in den dichten Dschungel. Da erwachte ich und fand, daß mein Traum Wahrheit sei. Deßhalb weine ich. Er ist fort und ließ uns allein. O, es wäre uns besser gestorben zu sein, als solches Leid ertragen zu müssen.« »Weine nicht« sprach Seventee Bai, »wenn wir weinen, sind wir verloren. Dann werden die Sänftenträger denken, daß wir nur zwei schwache Frauen sind und weglaufen und uns in diesem Dschungel allein lassen, aus dem wir uns schwerlich durch eigene Hülfe herausfinden können. Sei frohen Muthes, und alles wird noch gut, wer weiß, ob wir unsren Mann nicht noch schließlich wiederfinden. Unterdessen will ich seine Kleider anziehen und den Namen Seventee Rajah annehmen, und Du sollst meine Frau sein. Dann meinen die Sänftenträger, nur ich sei verloren, und es wird ihnen nicht unwahrscheinlich vorkommen, daß mich in solchem Platze, wie dieser ist, ein wildes Thier zerrissen haben sollte.«

Da lächelte Parbuttee Bai und sprach: »Schwester, Du hast recht gesprochen, Du hast ein tapferes Herz. Ich will Deine kleine Frau sein.«

Hierauf zog Seventee Bai die Kleider ihres Mannes an, bestieg am anderen Tage den Elephanten, wie er es gethan, und befahl den Trägern, die Sänfte, in der Parbuttee Bai saß, aufzunehmen, um noch einmal den Versuch zu machen aus dem Dschungel zu gelangen.

Die Sänftenträger dachten in ihrem Sinne: »Was mag[58] wohl aus Seventee Bai geworden sein?« Und dann sprachen sie zu einander: »Wie selbstsüchtig und unbeständig sind doch die Reichen! Seht doch unsern jungen Rajah, der sich durch seine Heirath mit der Wuzeerstochter in all dies Ungemach stürzte, und man kann wohl sagen, daß sie wirklich schön war! Schien er sie doch, wie seine eigene Seele zu lieben, aber jetzt, da sie in diesem Dschungel von irgend einem wilden Thiere zerrissen ward, scheint er kaum ihren Tod zu betrauern.«

Nachdem sie einige Tage hindurch unter der umsichtigen Leitung der Wuzeerstochter gereist war, sah sich die Gesellschaft am Ende des Dschungels und erreichte schließlich eine freie Ebene, in deren Mitte eine große Stadt lag. Als die Einwohner derselben den Elephanten kommen sahen, eilten sie herbei, um zu sehen, wer auf demselben säße und kehrten dann zurück, um ihrem Rajah anzuzeigen, daß ein sehr schöner, reichgekleideter Rajah der Stadt entgegenreise und seine Gemahlin, eine äußerst liebliche Prinzessin, mit sich führe. Hierauf sandte der Rajah des Reiches zu Seventee Bai und ließ sie fragen, wer sie sei, und woher sie komme. Seventee Bai erwiderte: »Mein Name ist Seventee Rajah. Mein Vater zürnt mir und hat mich aus seinem Reiche verbannt, und ich und meine Gemahlin wanderten seit vielen Tagen in dem Dschungel, woselbst wir uns verirrt hatten, herum.«

Der Rajah und sein ganzer Hof dachten, sie hätten noch nie einen so tapferen und königlich aussehenden Prinzen erblickt, und der Rajah sprach, wenn Seventee Rajah in seinen Dienst treten wolle, solle sie so viel Geld, als sie wünsche, erhalten. Worauf die Wuzeerstochter erwiderte: »Ich bin nicht gewohnt, bei irgend Jemanden in Dienst zu treten, aber es ist freundlich von Euch, daß Ihr uns höflich empfanget und uns Euren Schutz anbietet; deßhalb gebt mir welche Stelle Ihr mir geben[59] wollt, ich werde Euer treuer Diener sein.« Darauf gab der Rajah an Seventee Bai ein jährliches Einkommen von 24,000 £. und ein prächtiges Haus. Auch schenkte er ihr das größte Vertrauen, indem er in allen wichtigen Fragen ihren Rath verlangte und ihr viele Staatsgeschäfte anvertraute. Da sie sehr gut und freundlich war, beneidete man sie wegen ihres großen Glückes nicht, sondern alle liebten und ehrten sie. So lebten diese zwei Prinzessinnen zwölf Jahre lang in dieser Stadt. Niemand hegte den Verdacht, daß Seventee Bai nicht der Rajah sei, für den sie sich ausgab, und sie verbot Parbuttee Bai sehr streng, irgend einen nahen Verkehr zu unterhalten oder Jemandem ihr Vertrauen zu schenken, denn sie sprach: »Man kann es nicht wissen, ob Du nicht eines Tages, ohne es zu wollen, verräthst, daß ich nur Seventee Bai bin und thätest Du das, so würde ich Dich, obgleich ich Dich wie eine leibliche Schwester liebe, mit eigener Hand tödten.« Nun stand der Königspalast an der einen Seite der Stadt in der Nähe des Dschungels, und eines Nachts erwachte die Königin von einem lauten durchdringenden Geheul, welches von jener Richtung her kam. Sie weckte deßhalb ihren Gemahl und sprach: »Ich bin so in Angst gejagt von diesem entsetzlichen Geschrei, daß ich nicht zu schlafen vermag. Schicke Jemanden hin, der die Ursache hievon erkunde.« Der Rajah rief alle seine Diener und sagte ihnen: »Gehet bis an den Wald und seht, woher das Geschrei kommt.« Sie fürchteten sich aber alle, denn die Nacht war sehr dunkel und das Geschrei äußerst schreckenerregend, und sie antworteten ihm: »Wir fürchten uns zu gehen. Wir mögen es wirklich nicht. Schickt zu dem jungen Rajah, Eurem Günstling und befehlt ihm es zu thun. Er ist tapfer. Er bekommt mehr Geld, als wir. Wozu gebt Ihr ihm so viel, wenn Ihr ihn dann nicht braucht, wenn Ihr seiner bedürft?« Hierauf gingen[60] sie alle miteinander zu Seventee Bai's Hause, und als sie den Grund ihres Kommens hörte, sprang sie aus dem Bette und sagte, sie wolle gehen, um zu sehen, woher das Geschrei komme. Es kam aber von einem Rakshas, der unter einem Galgen stand, an dem ein Dieb Tags zuvor gehenkt war. Er hatte versucht den Leichnam mit seinen grausigen Klauen zu erreichen, aber er hing ihm ein kleines Bischen zu hoch und er heulte nun vor Aerger und Enttäuschung. Als indessen die Wuzeerstochter den Platz erreichte, ließ sich kein Rakshas sehen. An seiner Statt saß dort unter dem Galgen eine sehr alte Frau in einem wundervoll glänzenden Saree und rang ihre welken Hände und über ihr hing – der Leichnam, der vom Nachtwinde hin und her geweht ward. »Alte Frau,« sprach Seventee Bai, »was fehlt Euch?« »Ach,« entgegnete der Rakshahs, (denn er war es) »mein Sohn hängt dort oben am Galgen. Er ist todt! er ist todt! Und mich hat das Alter so gebeugt, daß ich nicht im Stande bin, den Strick zu erreichen, um den Leichnam herabzuschneiden.« »Arme alte Frau«, sprach Seventee Bai, »steigt auf meine Schultern, und dann werdet Ihr hoch genug stehen, um Euren Sohn zu erreichen.« Hierauf kletterte der Rakshas auf Seventee Bai's Schultern, welche ihn an seinem glänzenden Saree festhielt. Als sie nun so stand, fing Seventee Bai an zu denken, warum die alte Frau nur eine solche lange Zeit brauche, um den Strick des todten Mannes abzuschneiden. Da schien gerade der Mond hinter einer Wolke hervor, und als Seventee Bai aufblickte, sah sie, anstatt der alten schwachen Frau, der sie auf ihre Schultern geholfen hatte, einen Rakshas, der sich große Stücken Fleisch abriß und sie verzehrte. In Todesangst sprang sie zurück, und mit einem durchdringenden Schrei entfloh der Rakshas und ließ das glänzende Saree in ihrer Hand.[61]

Seventee Bai beschloß, die Ranee nicht durch die Erzählung dieses Abenteuers zu beunruhigen, deßhalb sagte sie nur, als sie zum Palaste zurückkehrte, jenes Geschrei habe eine alte Frau ausgestoßen, die schluchzend unter dem Galgen gesessen habe. Darauf kehrte sie in ihr Haus zurück und gab das prächtige Saree an Parbuttee Bai.

Eine Zeit hiernach beschlossen zwei von den kleinen Rajahstöchtern Parbuttee Bai zu besuchen, und zufälligerweise hatte Parbuttee Bai des Rakshas Saree an und stand hinter den halb geschlossenen Fensterläden, und sah heraus, als die Prinzessinnen ankamen. Die kleinen Prinzessinnen waren von dem goldenen Saree geblendet, und liefen nach Hause und sprachen zu ihrer Mutter: »Die junge Rajahsfrau trägt das schönste Saree, das wir bis jetzt sahen. Es scheint wie die Sonne und blendet einem die Augen. Wir haben kein so schönes Saree und obgleich Du die Königin bist, hast Du doch keins, das so kostbar als ihres ist. Warum besorgst Du Dir kein ähnliches?«

Als die Ranee von Parbuttee Bai's Saree hörte, wünschte sie dringend, auch ein solches zu haben und sprach zu dem Rajah: »Die Frau Deines Dieners ist kostbarer gekleidet, als Deine Ranee. Ich höre, daß Parbuttee Bai ein Kleid hat, das werthvoller ist, als irgend eines von meinen. Deßhalb bitte ich Dich, mir auch ein solches zu verschaffen. Ich kann nicht ruhen, bis ich ein eben so werthvolles besitze.«

Da schickte der Rajah zu Seventee Bai und sprach: »Sagt mir, woher Euer Weib jenes wundervolle Saree hat, denn die Ranee wünscht auch ein solches zu haben.« Seventee Bai erwiderte: »Ew. Majestät, das Saree kam aus einem weitentfernten Lande, ja aus dem Lande der Rakshas. Hier kann man kein solches bekommen, das ist unmöglich, aber wenn Ihr es mir erlaubt, will ich ihr Land aufsuchen, und gelingt[62] es mir, dasselbe zu entdecken, so bringe ich Euch Sarees derselben Art.« Der Rajah war sehr zufrieden und befahl Seventee Bai abzureisen. So kehrte sie in ihr Haus zurück, sagte Parbuttee Bai Lebewohl, ermahnte sie zur Verschwiegenheit und Vorsicht, bestieg ihr Pferd und ritt fort, um das Land der Rakshas zu suchen.

Seventee Bai reiste viele Tage lang durch den Dschungel, legte täglich hundert Meilen zurück und ruhte nur zuweilen in kleinen, am Wege liegenden Dörfern.

Zuletzt, nachdem sie manche hundert Meilen geritten hatte, kam sie eines Tages zu einer schönen, am Ufer eines herrlichen Flusses gelegenen Stadt. An den Mauern der Stadt war in großen Buchstaben eine Bekanntmachung geschrieben. Seventee Bai fragte die Leute, was dies zu bedeuten habe, worauf man ihr erwiderte, daß hiemit angezeigt würde, die Rajahs-Tochter würde denjenigen Mann heirathen, der einen gewissen Poni, welcher ihrem Vater gehöre, der sehr halsstarrig sei, zähmen könne. »Hat ihn bis jetzt noch Niemand zureiten können?« fragte Seventee Bai. »Noch Keiner,« antworteten sie. »Manche haben es versucht, aber sie haben sich jämmerlich blamirt. Er ist so unbändig, daß Keiner sich ihm nahen kann. Das kleine Pferd ist am selben Tage, wie die Prinzessin geboren. Als die Prinzessin hörte, wie wild es sei, schwur sie, sie wolle nur den heirathen, der das Thier zu zähmen vermöge. Es steht Jedem, der Lust hat, frei sein Heil zu versuchen.« Da sprach Seventee Bai, »zeigt mir morgen das kleine Pferd, ich glaube ich bin im Stande es zu bändigen.« Sie antworteten: »Das könnt Ihr thun, wenn Ihr Lust habt, aber es ist sehr gefährlich und Ihr seid nur ein Jüngling.« Sie entgegnete: »Gott verleiht den Schwachen Kräfte. Ich fürchte mich nicht.« Hierauf legte sie sich schlafen und am nächsten Morgen ward unter Trommelschlag[63] der ganzen Stadt angekündigt, daß abermals ein Mann gekommen sei, der den Versuch wagen wolle, das kleine Pferd zu bändigen und alle Leute strömten aus allen Häusern um das Schauspiel zu sehen. Das kleine Pferd war auf einem Felde, in der Nähe des Flusses und Seventee Bai eilte auf dasselbe zu, gerade als es ihr mit der Absicht sie mit seinen Hufen zu zerstampfen entgegenrannte und ergriff es kühnlichst bei der Mähne, so daß es weder vorn noch hinten ausschlagen konnte. Das kleine Pferd versuchte sie abzuschütteln, Seventee Bai aber klammerte sich fest an und schwang sich schließlich auf seinen Rücken. Als das Thier sich bezwungen sah, ward es ganz fromm und sanft. Dann gab sie dem Poni die Sporen, um zu zeigen, daß sie es vollständig beherrsche, und versuchte über den Fluß zu setzen. Das kleine Pferd sprang sofort in die Luft und setzte gerade über den Fluß (es war ein drei Meilen weiter Sprung) und das that es drei Mal, denn es war stark und behende und war nie vorher geritten worden, und als das ganze Volk das sah, jauchzte es vor Freude und lief zu den Ufern des Flusses und führte die auf dem Poni reitende Seventee Bai im Triumphe zum König. Und der Rajah sprach: »Bester der Männer, Du verdienst alle Ehrenbezeugungen, Du hast meine Tochter gewonnen.« So nahm er Seventee Bai mit sich in den Palast, erwies ihr große Ehre und gab ihr Juwelen, reiche Gewänder, Pferde und zahllose Kameele. Die Prinzessin erschien auch, um den Gewinner ihrer Hand zu begrüßen. Und dann sagten sie: »Morgen soll die Hochzeit sein.« Aber Seventee Bai erwiderte: »Großer Rajah und wunderschöne Prinzessin, ich bin auf der Reise wegen einer wichtigen, mir von meinem eigenen Rajah aufgetragenen Botschaft, bitte, laßt mich erst die mir auferlegte Pflicht erfüllen. Auf meinem Heimwege werde ich durch diese Stadt kommen und um meine Braut[64] werben.« Hierüber waren beide erfreut, und der Rajah sagte: »Du hast wohl gesprochen. Wir wollen Dich nicht von Deiner Treue gegen Deinen eigenen Rajah zurückhalten. Ziehe hin, wir werden sehnsüchtig Deiner Rückkehr harren, dann aber sollst Du Anspruch auf die Prinzessin und all ihre Besitzungen erheben, und wir wollen eine so frohe Hochzeit feiern, wie sie noch nie seit der Erschaffung der Welt gehalten worden ist.« Und sie begleiteten sie bis zu den Grenzen ihres Reiches und zeigten ihr den Weg.

Nun reiste die Wuzeerstochter weiter, um das Land der Rakshas zu suchen, bis sie schließlich eines Tages eine andere große Stadt erblickte. Hier ruhte sie sich in einem Wirthshause ein paar Tage aus. Der Rajah des Landes besaß eine schöne Tochter, welche sein einziges Kind war, und für diese hatte er ein prachtvolles Bad gebaut. Es glich einem kleinen See und war rings von hohen Marmormauern umgeben, und auf der Spitze der Mauern war eine so hohe spitzige Hecke, daß sie aus der Ferne wie eine große Burg aussah. Die junge Prinzessin hatte hieran eine besondere Freude und schwur, sie werde nur einen Mann heirathen, der zu Pferde über ihr Bad hinwegsetzen könne. Dies hatte sie vor einigen Jahren gelobt, aber es war kein Mensch im Stande das auszuführen. Der Rajah und die Ranee klagten sehr darüber, denn sie wünschten lebhaft, ihre Tochter glücklich vermählt zu sehen. Und sie sprachen zu ihr: »Wir werden beide sterben, ehe Du einen Mann kriegst. Was ist das für eine Thorheit, zu erwarten, daß irgend Jemand im Stande sein sollte über diese hohen mit Spitzen versehenen Marmormauern hinwegzusetzen.« Die Prinzessin antwortete nur, »dann will ich nicht heirathen. Es liegt mir nichts daran, ich will keinen Mann, der nicht zu Pferde über diese Mauern sprang.«[65]

Der Rajah befahl, man solle durch das ganze Land bekannt machen, daß er demjenigen, welcher zu Pferde über das Bad der Prinzessin setzen würde, seine Tochter zur Gemahlin geben und ihn noch außerdem sehr reich machen würde.

All das erfuhr Seventee Bai, sobald sie die Stadt erreichte und sie sprach: »Morgen will ich über das Bad der Prinzessin zu springen versuchen.« Die Einwohner entgegneten ihr: »Ihr sprecht thöricht, es ist ganz unmöglich.« Sie aber antwortete: »Der Himmel, dem ich vertraue, wird mir beistehn.« Sie erhob sich am folgenden Tage, sattelte ihr Pferd, führte es vor den Palast, setzte sich dort auf seinen Rücken und sprang in vollem Galopp über die Marmormauern, hoch in der Luft über die Spitzen hinweg und ließ sich dann auf den Erdboden an der Seite des Bades nieder. Und das that sie drei Mal! Der Rajah sah es voll Freude, ließ Seventee Bai vor sich kommen und sprach: »Nennt mir Euren Namen tapferer Prinz. Ihr seid der einzigste Mann in der Welt! Ihr habt meine Tochter gewonnen.« Da antwortete die Wuzeerstochter: »Ich heiße Seventee Rajah, und komme aus einem weitentfernten Lande und habe eine Botschaft meines Königs in das Reich der Rakshas zu bringen. Bitte, laßt mich deßhalb erst das mir zugewiesene Werk vollenden, und kehre ich lebend heim, so komme ich in dies Land und hole meine Braut.« Hiemit war der Rajah einverstanden, denn er wünschte nicht, daß die Prinzessin seine Tochter eine so lange und ermüdende Reise unternähme. Es war ihm deßhalb recht, wenn die Prinzessin bis zu Seventee Bais Rückkehr am Hof ihres Vaters blieb, und Seventee Bai unverzüglich ihre Reise fortsetzte.

Von hieraus reiste diese nun viele, viele Tage lang, ohne Abenteuer zu bestehen. Sie zog durch einen dichten Dschungel, und ihr tapferes Herz half ihr alle Hindernisse besiegen. Zuletzt[66] erreichte sie eine dritte große Stadt. Dieselbe lag in der Nähe eines schönen Sees, blaue Hügel erhoben sich hinter derselben und beschützten sie vor scharfen Winden, und von der Stadt bis zum Rande des Wassers breiteten sich kleine mit Granatäpfelbäumen, Jasminen, und anderen wohlriechenden und lieblichen Blumen gefüllte Gärten aus.

Die von der Reise ermüdete Seventee Bai ritt zu einem Maleehause, woselbst die gastfreien Bewohner, da sie sahen, daß sie müde und fremd war, ihr Speise und Obdach anboten, was sie dankbar annahm.

Als sie alle um den Herd saßen, auf dem das Essen kochte, befragte Seventee Bai die Maleefrau über Land und Leute, und wie es in der Stadt zugehe. »Unsres Rajahs Traum, den Niemand zu deuten vermag,« entgegnete sie, »hat große Aufregung hervorgerufen.« »Was träumte ihm?« fragte Seventee Bai. »Seit seinem zehnten Jahre träumt ihm von einem schönen Baume«, der in einem großen Garten wächst. Der Stamm des Baumes besteht aus Silber, die Blätter aus reinem Golde und die Früchte sind Trauben von Perlen. Der Rajah hat alle seine weisen Männer und Seher gefragt, wo solch ein Baum zu finden sei, aber sie haben ihm sämmtlich erwidert: »Es giebt keinen solchen Baum in der Welt.« Deßhalb ist er niedergeschlagen und schwermüthig. In Folge davon hat die Prinzessin, seine Tochter, nachdem sie ihres Vaters Traum vernommen hat, beschlossen, keinem anderen als nur dem Entdecker dieses wunderbaren Baumes ihre Hand zu reichen. »Das ist höchst seltsam,« sagte Seventee Bai, und da ihr Abendessen beendet war, zog sie ihre Matratze (wie es einem Manne geziemt) aus dem kleinen Hause, legte dieselbe in einen geschützten Winkel in der Nähe des Sees und kniete nieder, um ihrer Gewohnheit gemäß ihre Abendandacht zu verrichten.[67] Als sie so niederkniete und ihre Augen auf den dunklen See gerichtet waren, sah sie plötzlich ein hellscheinendes Licht auf sich zukommen und erkannte, ein paar Augenblicke darauf, einen sehr großen Cobra, welcher sich die zum Rande des Wassers führenden Stufen hinaufschlängelte. Er trug in seinem Rachen einen enormen Diamanten in Form und Gestalt eines Eies, der glänzte und flimmerte wie eine kleine Sonne oder wie eine Sternschnuppe, die plötzlich am Himmel herabgleitet. Der Cobra legte den Diamanten auf die oberste Stufe und kroch fort, um Futter zu suchen. Mitten in der Nacht kehrte er plötzlich zurück, nahm den Diamanten wieder in den Rachen und glitt mit demselben die Stufen hinab in den See. Seventee Bai wußte nicht, was sie davon denken sollte, doch beschloß sie in der nächsten Nacht zu diesem Platze zurückzukehren, um den Cobra zu beobachten. –

Da sah sie ihn abermals den Diamanten in seinem Rachen hertragen, und nachdem er sich Abendfressen besorgt hatte, nahm er denselben mit sich, und in der dritten Nacht ereignete sich dasselbe. Da beschloß Seventee Bai den Cobra zu tödten, und den Diamanten womöglich an sich zu nehmen. Deßhalb ging sie am folgenden Morgen in den Bazar und befahl dem Grobschmied eine starke, eiserne Falle anzufertigen, welche jedes Ding, das hineingeriethe, so fest hielt, daß es der Stärke von zwölf Männern bedürfe, es wieder herauszuziehen. Der Grobschmied folgte dem Befehle und machte eine sehr starke Falle. Der untere Theil glich einem Schwerte, und wenn er etwas fest ergriffen hatte, so bedurfte man einer zwölf Männerstärke um ihn aufzubrechen und zu entwischen.

Seventee Bai hatte diese Falle mit einem Seile an einem, nahe bei dem See stehenden Baume befestigt. Rings umher streute sie Blumen voll süßer Wohlgerüche, wie sie die Cobras[68] lieben, und bei einbrechender Nacht kletterte sie in den Baum; gerade über der Falle saß sie und wartete auf die Ankunft des Cobras.

Ungefähr um zwölf Uhr kroch der Cobra, um sich sein Futter zu suchen, aus dem See. Er trug den Diamanten im Rachen, und da ihn die süßen Wohlgerüche und Blumen anzogen, schlich er anstatt in den Dschungel, zu dem Baume, auf dem Seventee Bai saß.

Als Seventee Bai ihn erblickte, schnitt sie das Seil ab und ließ die Falle auf ihn herab. Sa sie aber besorgte, er sei noch nicht völlig todt, so beschloß sie den Morgen zu erwarten, ehe sie den Diamanten holte.

Sobald die Sonne aufgegangen war, stieg sie herab, um sich ihre Beute anzusehen. Da lag der Cobra kalt und todt und hielt den Diamanten, der wie ein Lichtmeer glänzte, in seinem Rachen. Sevanten Bai steckte ihn zu sich und weil sie von Nachtwache ermüdet war, beschloß sie, sich vor ihrer Rückkehr in der Maleehütte zu baden. Zu diesem Zwecke kniete sie am Ufer nieder und tauchte ihre Hände und ihr Gesicht in das kühle Wasser. Kaum hatte sie die Oberfläche desselben mit dem Diamanten berührt, so wogte es rückwärts und bildete zu beiden Seiten eine Mauer und sie erblickte einen Fußpfad, der in den See hinabführte. Zur Rechten und Linken desselben standen prächtige Häuser und Gärten voller rother, weißer und blauer Blumen. Seventee Bai entschlossen zu sehen, wohin derselbe führen möchte, ging den Fußpfad entlang, bis sie vor einer großen Thüre stand. Sie öffnete diese und befand sich nun in einem schöneren Garten, als sie je auf Erden erschaut hatte. Große, mit köstlichen Früchten beladene Bäume wuchsen in demselben. Glänzende Vögel sangen in ihren Zweigen süße Melodien, während auf dem Erdboden schimmernde Schmetterlinge zwischen den Blumen hin und her flatterten.[69]

In der Mitte des Gartens wuchs ein Baum, der war schöner als alle anderen. Der Stamm war von Silber, die Blätter von Gold und die Früchte waren Trauben von Perlen. Auf den Zweigen wiegte sich ein junges Mädchen von überirdischer Schönheit. Ihr Gesicht glich dem Antlitze der Engel, welche die Menschenkinder nur im Traume erblicken. Ihre Augen schimmerten wie zwei Sterne, ihr goldenes Haar wallte lockig bis auf die Füße herab, und sie sang sich ein Lied. Als sie den Fremden sah, stieß sie einen leisen Schrei aus und sprach: »O mein Herr, wie kommst Du hierher?« Seventee Bai antwortete: »Ist es mir nicht vergönnt, Dich zu besuchen, schöne Dame?« Da erwiderte die Jungfrau: »O mein Herr, Du bist mir willkommen, aber wenn mein Vater Dich erblickt, so wird er Dich tödten. Ich bin des großen Cobras Tochter und er erbaute mir diesen Garten zum Spielplatz. Ich spiele hier seit vielen, vielen Jahren ganz allein, denn er erlaubt mir nicht Jemanden zu sehen, nicht einmal unsre eignen Unterthanen. Du bist das erste Wesen, das ich sehe. Sprich, schöner Prinz, sage mir, woher Du kommst und wer Du bist?« Seventee Bai antwortete: »Ich bin Seventee Rajah, fürchte nichts, der strenge Cobra lebt nicht mehr.« Als die Dame hörte, daß der Cobra, der sie so lange tyrannisirt hatte, todt sei, war sie voller Freuden, und sie erzählte, ihr Name sei Hera Bai, (die Diamanten-Dame). Sie sei im Besitz aller Schätze, die unter dem See vergraben seien und sie sprach zu Seventee Bai: »Bleibe bei mir, Du sollst der König dieses Reiches werden, und ich will Deine Frau sein.« »Das geht nicht,« antwortete Seventee Bai, »denn mein Rajah hat mich mit einem Auftrage fortgesandt, und ich muß meine Reise fortsetzen, bis ich ihn ausgeführt habe. Aber wenn Du mich so sehr liebst, wie ich Dich liebe, dann komm mit mir in meine Heimath[70] und Du sollst meine Frau werden«. Hera Bai schüttelte den Kopf. »Nein, mein Theuerster,« entgegnete sie, »gehe ich mit Dir und sehen die Menschen, wie schön ich bin, dann tödten sie Dich und verkaufen mich als Sklavin. Dann bringe ich Dir Unheil und kein Glück. Doch nimm diese Flöte, mein lieber Mann (und indem sie dies sagte, gab sie an Seventee Bai eine kleine goldene Flöte) und wenn Du mich zu sehen wünschest oder meiner Hülfe bedarfst, gehe in den Dschungel und spiele auf derselben und ehe der Ton verhallt ist, werde ich bei Dir sein, aber spiele nicht in den Städten, noch wo viele Leute sind.« Darauf verbarg Seventee Bai die Flöte in den Falten ihres Gewandes, sagte der Hera Bai Lebewohl und ging fort.

Als sie zurückkam zu der Maleehütte, sprach die Maleefrau zu ihr: »Wir haben uns Euretwegen gesorgt, Herr. Seit zwei Tagen wissen wir nichts von Euch und wir glaubten, Ihr müßtet fortgegangen sein. Wo seid Ihr indessen gewesen?« Seventee Bai antwortete: »Ich hatte etwas im Bazar zu besorgen (denn sie wollte der Maleefrau nicht gern erzählen, daß sie unter dem See gewesen sei). Jetzt geht und fragt, zu welcher Zeit Eures Rajahs Wuzeer einem Fremden eine Audienz ertheilen kann, denn ich muß ihn sprechen, ehe ich diese Stadt verlasse.« Die Maleefrau ging, und während sie fort war, eilte Seventee Bai an das Ufer des Sees und verbrannte dort voll Ehrfurcht den Leichnam des Cobra. Aus zwei Gründen, erstens aus Liebe zu Hera Bai, und dann weil der Cobra ein heiliges Thier ist. Am folgenden Tage (nachdem die Maleefrau eine günstige Antwort im Palaste erhalten hatte) begab sich Seventee Bai zum Wuzeer. Nun wunderte sich der Wuzeer sehr über ihren Besuch und sprach: »Wer seid Ihr und was ist Euer Begehr?« Worauf sie entgegnete: »Ich heiße Seventee[71] Rajah. Ich mache im Auftrage meines eigenen Rajahs eine lange Reise, und da ich zufällig in diese Stadt gekommen bin, nehme ich mir die Freiheit Euch einen freundschaftlichen Besuch zu machen.« Darauf wurde der Wuzeer ganz herzlich und unterhielt sich mit Seventee Bai über das Land, die Stadt, den König und seinen wunderbaren Traum.

Seventee Bai sagte: »Was würde Eurer Meinung nach, der Rajah dem geben, der ihm diesen Baum, von dem er so oft träumte, zeigen könnte?« Der Wuzeer entgegnete: »Er würde ihm sicher seine Tochter zur Frau geben und das halbe Königreich obendrein.« »Nun wohl,« sagte Seventee Bai, »theilt Eurem Herrn mit, daß er auf diese Bedingungen hin zu mir schicken möge, wenn es ihm beliebt. Ich will ihm den Baum zeigen, er mag sich denselben eine Nacht hindurch ansehen, sein Eigenthum kann er aber nicht werden.«

Der Wuzeer brachte diese Nachricht zum Könige und der schickte ihn mit allen Sirdars und Großen des Hofes in vollem Pomp zur Maleehütte, um Seventee Rajah anzukündigen, daß seine Majestät Willens sei, seine Forderungen zu erfüllen und in der folgenden Nacht den Baum zu sehen wünsche. Seventee Bai versprach hierauf ihrerseits dem Rajah, falls er mit seinem Hofstaate kommen wolle, ihm die Verwirklichung seines Traumes zu zeigen. Sie ging in den Dschungel, und wie sie auf ihrer kleinen Flöte spielte, erschien sofort Hera Bai in derselben Gestalt wie damals, als sie sich in dem Silberbaume wiegte. Nachdem sie Seventee Bais Wunsch erfahren, versprach sie denselben unverzüglich zu erfüllen, nur müsse sich der Rajah mit seinen Großen in den Dschungel bemühen.

Als der Rajah kam, war sowohl er wie sein ganzer Hofstaat vor Ueberraschung, denn in dem sonst so trostlosen Dschungel stand ein herrlicher Palast. Fontainen sprangen in[72] den verschiedenen Hallen, die Zimmer waren auf das kostbarste mit funkelnden Juwelen verziert, ein klares Tageslicht ergoß sich über den ganzen Ort, von unsichtbaren Händen ward eine sanfte Musik gespielt, süße Wohlgerüche erfüllten die Luft, und mitten im Schloßgarten wuchs ein silberner Baum, dessen Blätter waren eitel Gold, seine Früchte aber von Perlen.

Am folgenden Morgen war alles verschwunden, allein der Rajah war so entzückt von dem Gesehenen, daß er seinem Versprechen treu, Seventee Bai die Hand seiner Tochter und die Hälfte seines Königreichs anbot. »Ein Mann, der in einer Nacht den Dschungel in ein Paradies umzuwandeln vermag,« dachte er in seinem Sinn, »der muß sicher reich und klug genug sein, um mein Schwiegersohn zu werden.« Doch Seventee Bai sagte, sie habe von ihrem Rajah einen Auftrag erhalten, den wünsche sie vor allen Dingen auszuführen. »Bitte, gewährt mir das,« sprach sie. »Auf meinem Heimwege verweile ich wieder in dieser Stadt und heirathe die Prinzessin.« Seventee Bai erhielt die Erlaubniß abzureisen, und der Rajah mit seinen Großen geleiteten sie an des Reiches Gränzen.

Nun reiste die Wuzeerstochter manchen Tag lang, bis dies Land weit hinter ihr lag, aber so sehr sie auch forschte und suchte, sie fand den Weg in das Land der Rakshas nicht. In dieser Schwierigkeit dachte sie an Hera Bai und spielte auf der kleinen goldenen Flöte. Hera Bai erschien sofort und fragte: »Mein lieber Mann, was soll ich für Dich thun?« Seventee Bai entgegnete: »Gute Hera, ich streife nun schon so lange im Dschungel umher und suche vergebens das Land der Rakshas, zu dem mich mein Rajah sendet. Kannst Du es mir nicht suchen helfen?« Sie antwortete: »Durch eigne Hülfe kannst Du überhaupt nicht dahin gelangen. Das ganze Reich ist von einer Rakshaswache umstellt und viele tausend Meilen weit steht[73] ein Rakshas neben dem andern, so daß nicht einmal ein Sperling ohne ihr Wissen und Wollen in das Land gelangen kann. Ja, es sind ihrer mehr denn Bäume auf der Oberfläche der Erde. Sie selbst sind unsichtbar, doch sehen sie alles, und da keinem Menschen der Zutritt in ihr Reich gewährt ist, so würden sie Dich augenblicklich in Stücke reißen. Willst Du aber meinem Rathe folgen, so sollst Du trotz allem hineinkommen. Nimm diesen Ring.« Mit diesen Worten steckte sie einen glänzenden Ring an Seventee Bais Hand. »Meine beste Freundin, die Rajahstochter der Raksahs gab ihn mir. Er wird Euch unsichtbar machen. Blicke auf jenen Berg, Du siehst, sein blauer Gipfel hebt sich eben jetzt vom Himmel ab, Du mußt die Spitze desselben erklimmen, denn dort ist die Grenze des Rajah-Reiches. Bist Du oben, so drehe den Stein mit Deiner inneren Handfläche, und sofort wirst Du durch die Erde hindurch in einen Raum unten im Berge sinken. Hier hält der Rakshas-Rajah Hof. Auch findest Du daselbst seine Tochter. Erzähle ihr, Du seiest mein Gemahl, dann hat sie Dich lieb und hilft Dir um meinetwillen.« Als Hera Bai das gesagt hatte, verschwand sie, Seventee Bai aber setzte ihre Reise fort, bis sie die Bergspitze erreicht hatte, dann drehte sie den Ring, wie ihr anempfohlen war, und alsobald fühlte sie, daß sie in die Erde hinabsank, hinab, hinab, hinab, tiefer und tiefer, bis sie zuletzt in einem prachtvollen, reich ausgestatteten, mit goldenen Teppichen behängten Gemache anlangte. Zu allen Seiten, so weit ihr Auge reichte, sah man tausend und abertausend Rakshas, und in der Mitte des Saales stand ein Thron aus Gold und Elfenbein, und auf demselben saß die allerschönste Prinzessin, die man sich nur denken kann. Sie war groß und hatte ein Ehrfurcht gebietendes Ansehen. Ihre schwarzen Haare wurden von langen Perlenschnüren zusammengehalten;[74] ihr Kleid war aus feinem gesponnenen Golde, und um ihre Taille schlang sich ein Gürtel von ruhelos flimmernden, leuchtenden Diamanten. Ihr Hals und ihre Arme waren mit einer Anzahl kostbarer Juwelen bedeckt, aber strahlender als das Alles waren ihre strahlenden, voll lieblicher Hoheit blickenden Augen. Sie konnte Seventee Bai sehen, obgleich ihre Umgebung dies wegen des magischen Ringes nicht vermochte. Sie stutzte und rief! »Wer bist Du und woher kommst Du?« Seventee Bai antwortete: »Ich bin Seventee Rajah, der Gemahl der Dame Hera, und ich bin kraft des Ringes, den sie mir gab, hierher gekommen.« Die Rakshah-Prinzessin sagte darauf: »Du bist willkommen, doch mußt Du wissen, daß Dein Hiersein mit großer Gefahr verbunden ist, denn wenn die mich umgebende Wache Deine Gegenwart bemerkte, dann würde sie Dich sofort umbringen und ich wäre machtlos Dich zu retten. Theile mir die Ursache Deines Kommens mit.« Seventee Bai antwortete: »Ich kam, um Euch schöne Dame zu sehen. Nennt mir Euren Namen und sagt mir, warum ihr hier so ganz allein seid.« Sie entgegnete: »Ich bin des Rakshas-Rajahs einzige Tochter, mein Name Tara Bai (Sternen-Dame), und weil mein Vater mich so heiß liebt, hat er mir diesen Palast gebaut und rings umher, wohl tausend Meilen weit eine große Wache von Rakshas gestellt, damit Niemand ohne seine Erlaubniß herein oder hinaus kann.

Meine Wächter halten eine solch' musterhafte Ordnung, daß ich sogar meinen Vater und meine Mutter selten sehe. Ja, ich habe sie seit mehreren Jahren nicht begrüßt. Dessen ungeachtet will ich selbst zu ihnen gehen und sie bitten, Euch in ihren Schutz zu nehmen, denn obgleich ich noch nie einen König oder Prinzen sah, liebe ich Euch sehr.«

Nachdem sie also gesprochen hatte, bat sie Seventee Bai,[75] auf ihre Rückkehr zu warten, und ging an den Hof ihres Vaters.

Als der Rakshas-Rajah und die Ranee hörten, daß ihre Tochter zu ihnen komme, waren sie äußerst überrascht und dachten: »Was fehlt unserer Tochter? Kann sie krank sein oder fühlt sich unsere Tara Bai in dem schönen Hause, das wir ihr gaben, unglücklich?« Und sie sprachen zu ihr: »Tochter, weßhalb kommst Du? Fehlt Dir etwas?« Sie antwortete: »O nein, Vater. Ich komme, um Euch mitzutheilen, daß ich mich gern verheirathen möchte. Könnt Ihr mir nicht irgend einen schönen, fürstlichen Gemahl suchen?« Da lachte der Rajah und sprach: »Du bist ja noch ein Kind, meine Tochter; dessenungeachtet, wenn Du gern einen Mann haben möchtest, so wollen wir Dich, sobald irgend ein Prinz hierher kommt und um Dich wirbt, mit ihm trauen lassen.« Sie sprach: »Wenn irgend ein schöner und tapferer Prinz zu uns käme, und sich durch die große Wache, die ihr um meinen Palast gestellt habt, Bahn bräche, würdet Ihr ihn wirklich um meinetwillen beschützen und nicht zugeben, daß er zerrissen würde?« Der Rajah antwortete: »Wenn solch' Einer kommt, soll er sicher sein.« Da war Tara Bai voller Freude und holte eilends Seventee Bai und sprach zu ihrem Vater und ihrer Mutter: »Seht, hier ist Seventee Rajah, der junge Prinz, von dem ich Euch erzählte.« Und als der Rajah und die Ranee Seventee Bai sahen, waren sie sehr erstaunt und konnten nicht begreifen, wie sie es angefangen habe, ihr Land zu erreichen. Sie dachten, sie müsse sehr tapfer und klug sein, um das zu Stande zu bringen. Und weil also Seventee Bai wie ein sehr edler Prinz aussah, gaben sie um so williger ihre Erlaubniß zur Hochzeit mit Tara Bai und sprachen: »Seventee Rajah, wir freuen uns, daß Du unser Schwiegersohn werden willst. Du siehst gut und wahr[76] aus und mußt tapfer sein, sonst würdest Du Deiner Braut wegen keine so lange und gefahrvolle Reise unternommen haben, und deßhalb sollt Ihr Euch heirathen. Das ganze Land steht Dir zu Diensten, alles was wir haben, gehört Dir, behüte nur unsre theure Tochter, und wenn Ihr beide Euch nicht glücklich fühlt, so kehret zu uns zurück und Ihr sollt bei uns eine Heimath finden.« Hierauf wurde unter lautem Jubel Hochzeit gehalten. Die Hochzeitsfeierlichkeiten währten zwölf Tage und zu denselben kamen hunderttausend und aber hunderttausend Rakshas aus jedem Lande unter dem Himmel, vom Norden, vom Süden, vom Westen und Osten, aus den Tiefen der Erde und von den äußersten Enden des Oceans. Haufe nach Haufe strömte herbei, eine immer wachsende Menge, von allen Theilen dieser weiten Welt. Wollten doch alle Rakshas die Hochzeit der Tochter ihres Herrn miterleben!

Es würde unmöglich sein, alle die kostbaren und reichen Geschenke zu zählen, die der Rakshas-Rajah und die Ranee an Tara Bai gaben. Da sah man genug Juwelen, um ganze Seen damit auszufüllen. Auch Diamanten, Saphyre und Perlen, Gold und Silber, köstliche Gehänge, ausgeschnitztes Elfenbein und Ebenholz, mehr als ein Mensch in hundert Jahren zählen kann. Der Rajah gab seiner Tochter eine Wache von 100,000,000,000,000 Rakshas mit, und jeder Rakshas trug ein Bündel voll Kostbarkeiten und jedes Bündel war so groß wie ein Haus! Und so nahmen sie Abschied vom Rakshas-Rajah und der Ranee und verließen des Rakshas Reich.

Als sie das Land des Rajah erreichten, der von dem silbernen Baume mit den Blättern von Gold und den Früchten von Perlen geträumt hatte, beschlossen Seventee Bai und Tara Bai, daß Tara Bai (weil die Zahl ihres Gefolges so groß war, daß sie, falls sie in das Land gegangen wären, alles[77] in demselben befindliche gleich einem Heuschreckenschwarme aufgezehrt haben würden) mit der Rakshas-Wache im Dschungel außerhalb der Grenzen der Rajah-Besitzung bleiben, und daß Seventee Bai in die Stadt gehen solle, um ihrem Versprechen gemäß die Königstochter zu heirathen. Sie verweilten dort eine Woche, und die Rajahstochter ward mit großer Pracht und Feierlichkeit mit Seventee Bai vermählt, und als sie die Stadt verließen, gab der Rajah Seventee Bai und der jungen Frau Pferde, Kamele, Elephanten, reiche Gewänder und zahllose Juwelen und er und sein ganzer Hof geleiteten sie bis an die Grenzen des Landes.

Dann kamen sie zu dem Reiche, in dem die Prinzessin wohnte, über deren großes Marmorbad Seventee Bai hinweggesetzt war. Nun verheirathete sich Seventee Bai unter lautem Jubel mit derselben und die Hochzeit war von einem alles übersteigenden Glanze, und die Hochzeitsfeierlichkeiten währten drei volle Tage lang.

Und nachdem sie jene Stadt verlassen hatten, reisten sie fürbaß, bis sie die Stadt erreichten, wo Seventee Bai das wilde Poni bezwungen hatte. Dort verlebten sie zwei Tage unter großen Ehren und in Herrlichkeit, und Seventee Bar heirathete auch diese Prinzessin. Dann kehrte sie mit ihren fünf Frauen – bestehend aus Hera Bai, der Rajahstochter des Cobras, Tara Bai der Rajahstochter des Rakshas und den drei andern Prinzessinnen – und mit einem großen Gefolge von Elephanten, Kamelen und Pferden in die Stadt zurück, in der sie Parbuttee Bai gelassen hatte.

Als Seventee Bais Herr (der ihr befreundete Rajah) die Nachricht vernahm, daß diese große Cavalcade sich seiner Stadt nahe, erschrack er heftig. Er glaubte Seventee Bai sei irgend ein fremder Rajah, der mit ihm Krieg zu führen komme. Als[78] Seventee Bai hörte, in welchen Schrecken sie ihn versetzt habe, schickte sie ihm einen Boten auf einem schnellen Pferde, um ihm zu melden: »Sei nicht bestürzt, es ist niemand Anderes als Dein Diener Seventee Rajah, der nach Beendigung Deines Auftrages heimkehrt.« – Da ward des Rajahs Herz leicht. Er befahl, königliche Freudenschüsse abzufeuern und dann ging er mit seinem ganzen Hofe Seventee Bai entgegen, um sie zu begrüßen, und sie hielten sammt und sonders einen prächtigen Einzug in die Stadt. Seventee Bai aber sprach zum Könige: »Ihr sandtet Euren Diener in das Reich der Rakshas, um ein goldenes Saree für die Königin zu holen. Siehe, ich habe Deinen Wunsch erfüllt.« Mit diesen Worten gab sie dem Rajah fünf Rakshasbündel voll reicher Teppiche und juwelenbesetzter Kleider (das waren also fünf Häuser voll werthvoller Dinge; denn jeder Rakshas trug auf seinen Schultern ein Bündel, mit dessen Inhalt man ein Haus hätte füllen können) und dem Wuzeer schenkte sie zwei Bündel.

Danach entließ Seventee Bai fast ihr ganzes Gefolge (da dasselbe sonst eine Hungersnoth in dem Lande hervorgerufen haben würde) und sandte es mit kostbaren Geschenken beladen in seine Heimath zurück. Die drei Prinzessinnen, ihre Gemahlinnen ließ sie bei sich und Parbuttee Bai wohnen, aber Hera Bai und Tara Bai hatten in Rücksicht ihres hohen Ranges und ihrer ungemeinen Schönheit einen eigenen prächtigen Palast in dem Dschungel, von dem nur Seventee Bai etwas wußte.

Als die kleine Rajahstochter Seventee Bai wiedersah, sprach sie zu ihrem Vater: »Vater, ich glaube es giebt in der ganzen Welt keinen so tapferen Prinzen wie dieser Seventee Rajah ist. Ich möchte ihn lieber zum Manne haben, als irgend einen anderen.« Und der Rajah sprach: »Tochter, es ist mir sehr lieb, wenn Du ihn heirathetest.« So wurde ausgemacht,[79] daß Seventee Bai die kleine Prinzessin heirathen solle, doch sagte dieselbe zum Rajah: »Ich bin bereit, Eure Tochter zu heirathen, doch müssen wir dazu eine große Hochzeit veranstalten. Gebt mir eine Zeit, damit ich in jedes Land ringsumher senden kann, um all die Könige zu dieser Festlichkeit einzuladen.« Hiermit war der Rajah einverstanden.

Nun sah eines Tages hierauf Seventee Bai Parbuttee Bai weinen. Deßhalb fragte sie: »Kleine Schwester, bist Du unglücklich?« Parbuttee Bai erwiderte: »Du hast uns aus allem Ungemach erlöst und Ehre und Reichthümer gewonnen, doch fühle ich mich nicht froh gestimmt, denn ich muß immer an unsren armen Mann denken, der jetzt vielleicht als ein elender Bettler umherirrt. Mein ganzes Herz sehnt sich danach, ihn wiederzusehen.« Darauf erwiderte Seventee Bai: »Wohlan ermuntere Dich, weine nicht, bedenke, sonst merken diese Frauen, daß ich nicht Seventee Rajah bin. Sei frohen Herzens, ich will versuchen, ob ich unseren Mann nicht wiederfinden kann.« Darauf ging Seventee Bai in das Waldschloß zu Hera Bai und sprach zu derselben: »Ich habe einen Freund, den habe ich nicht wiedergesehen, seit er vor zwölf Jahren in einem Anfall von Wahnsinn als Fakier verkleidet in den Dschungel rannte. Ich möchte so gern ausfindig machen, ob er noch lebt. Wie kann ich das erfahren?« Nun war Hera Bai eine ungemein kluge Prinzessin, deßhalb antwortete sie: »Das Beste wird sein, daß Du den Armen ein großes Fest veranstaltest, und in allen Ländern weit und breit verkündigen läßt, dies sei ein Dankopfer für die Segnungen, die Gott Dir verliehen habe. Dann werden die Armen aus allen Gegenden herbeiströmen, und vielleicht bist Du dann im Stande, Deinen Freund unter ihnen zu finden.«

Seventee Bai befolgte den Rath der Hera Bai und ließ[80] zwei lange Tafeln im Dschungel aufschlagen, und an denselben wurden hunderte von Armen täglich gespeist. Sechs Monate hindurch musterten Seventee Bai und Parbuttee Bai die langen Volksreihen, anscheinend, um zu sehen, wie es ihnen ginge, aber in Wirklichkeit um Logedas Rajah zu suchen, aber sie fanden ihn nicht.

Schließlich als Seventee Bai eines Tages ihre gewohnte Umschau hielt, sah sie einen elenden, wildaussehenden Mann. Der war schwarz wie Pech, hatte struppiges Haar, ein mageres runzliges Antlitz und in der Hand hielt er einen hölzernen Napf, wie ihn die Fakeers zum Sammeln des übriggebliebenen Fleisches und der Brodkrusten brauchen. Und Seventee Bai berührte Parbuttee Bai und sprach zu ihr: »Siehe Parbuttee, das ist Dein Mann.« Parbuttee Bai aber fing bei diesem bejammernswerthen Anblicke (denn es war allerdings Logedas; doch so verändert und gealtert, daß seine zwei Frauen ihn kaum wiedererkannten) zu weinen an. Da sprach Seventee Bai: »Weine nicht, komm schnell nach Hause. Ich will für ihn sorgen.« Und nachdem Parbuttee Bai fort war, rief sie Einen von der Wache und sagte ihm: »Ergreife den Mann dort und führe ihn ins Gefängniß.« Da sagte Logedas Rajah: »Warum ergreift Ihr mich? Ich habe Niemandem ein Leid zugefügt.« Aber Seventee Bai befahl der Wache, seine Vorstellungen nicht zu beachten, sondern ihn sofort ins Gefängniß zu bringen, denn sie wollte nicht, daß das umstehende Volk bemerke, welchen Antheil sie an ihm nähme. In Folge dessen ward Logedas Rajah von der Wache ergriffen und eingesperrt. Der arme Logedas Rajah sprach zu ihnen: »Weßhalb hat mich dieser böse Rajah zum Gefangenen gemacht? Ich habe Niemanden beleidigt. Ich habe mich nicht geprügelt, noch Jemanden beraubt; ich bettle und lebe seit zwölf Jahren nur von milden Gaben.« Doch erzählte[81] er ihnen nicht, daß er ein Rajah's Sohn sei, denn er wußte wohl, daß sie ihn auslachen würden. Sie erwiederten: »Du darfst unsern Rajah nicht böse nennen, im Gegentheil, Du bist böse, nicht er, und zweifelsohne wird er Dir den Kopf abschlagen lassen.«

Als sie ihn in das Gefängniß führten, bat er sie abermals, ihm zu sagen, was mit ihm geschehen würde. »O,« entgegneten sie, »Du wirst sicher morgen früh gehängt werden, oder man wird Dich, willst Du das lieber, vor dem Palaste enthaupten.«

Sobald Seventee Bai nach Hause kam, ließ sie ihre obersten Diener vor sich kommen und sagte ihnen: »Gehet sofort zu dem Gefängnisse, und laßt Euch von der Wache den Fakeer geben, den ich unter ihre Obhut stellte, und bringt ihn in einer Sänfte hierher, doch achtet darauf, daß er Euch nicht entwische.«

Darauf ließ Seventee Bai Logedas in einen entfernten Theil des Palastes bringen und befahl, daß man ihn wasche, ihm neue Kleider anziehe und ihm Essen bringe. Auch solle man nach einem Barbier schicken, der ihm sein Haar schneide und ihm seinen Bart stutze. Da sprach Logedas zu seinen Wächtern: »Seht, wie gut behandelt mich Euer Rajah! Nachdem er das gethan, wird er mich sicher nicht hängen lassen.« »O, sorge Dich deßhalb nicht,« antworteten sie, »bist Du hübsch gekleidet und nett aufgeputzt, so ist der Anblick, Dich hängen zu sehen, schöner als vorher.« Auf diese Weise versuchten sie es, den armen Mann in Furcht zu jagen.

Aber Seventee Bai berief hierauf die berühmtesten Aerzte des Königreiches und sprach zu ihnen: »Wenn ein Rajah zwölf Jahre lang im Dschungel umhergeirrt ist, bis jede Spur seiner königlichen Schönheit verging, wie viele Zeit gebraucht ihr alsdann, um ihm sein[82] ursprüngliches Ansehn wiederzugeben?« Sie antworteten »Wenn man ihn recht hegt und pflegt, so läßt es sich in sechs Monaten erreichen.« »Nun wohl,« sagte Seventee Bai »einer meiner Freunde hier im Palaste ist in solchem Falle. Nehmt ihn, behandelt ihn gut, und nach dem Verlaufe von sechs Monaten erwarte ich ihn wieder im Besitze seiner ursprünglichen Gesundheit und Kraft zu sehen.«

Also kam Logedas in die Pflege der Aerzte, aber während dieser ganzen Zeit ahnte er nicht, wer Seventee Bai sei, oder weßhalb man ihn auf diese Weise behandelte. Jeden Tag besuchte ihn Seventee Bai und unterhielt sich mit ihm. Dann sprach er zu seinen Wächtern: »Seht, gute Leute, wie freundlich mich dieser Rajah täglich besucht. Er kann nur etwas Gutes mit mir im Sinn haben!« Worauf sie zu erwidern pflegten: »Uebereile Dich nicht, Niemand kann die Herzen der Könige ergründen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß er dich nach all' diesem Zaudern doch schließlich nimmt und erhängen läßt.« So machten sie sich einen Spaß daraus, ihn zu beunruhigen. Und war dann Seventee Bai eines Tages ganz besonders freundlich, pflegte Logedas Rajah wohl zu sagen: »Ich kann mir nicht denken, daß der Rajah es böse mit mir meint. Merktet Ihr nicht, wie außerordentlich freundlich er heute war?« Und darauf antworteten seine Wächter meistens: »Das ist zweifelsohne sehr amüsant für ihn, aber unserer Meinung nach schwerlich für Dich. Er wird wahrscheinlich eine Zeit lang mit Dir spielen, wie die Katze mit der Maus. Aber in drei Monaten ist des Rajahs Geburtstag, sicher macht er sich dann das Vergnügen, Dich zu tödten.« Und so verging die Zeit.

Es ward festgesetzt, daß an Seventee Bai's Geburtstage die Heirath mit der Rajahstochter stattfinden solle. Dieses großen Ereignisses wegen wurden umfassende Vorbereitungen[83] getroffen. Auf der ganzen Ebene außerhalb der Stadt erbaute man zum Gebrauch für die benachbarten Könige in einem großen, wohl zwölf Meilen breiten und zwölf Meilen lange Vierecke Zelte aus Goldstoff. In der Mitte erhob sich ein Zelt, das war größer als die übrigen. Mit Juwelen bedeckt, glich es einem großen, goldenen Tempel, in dem sich die Gesellschaft versammeln sollte.

Da sprach Seventee Bai zu Parbuttee Bai: »An meinem Geburtstage will ich Dir Deinen Mann zurückgeben.« Aber Parbuttee Bai ward ärgerlich und sprach: »Ich kann den Gedanken an ihn nicht ertragen. Es ist so entsetzlich, daß aus unserem einst so schönen Manne nichts anders als ein elender Fakeer geworden ist.«

Seventee Bai lächelte. »In Wahrheit,« sprach sie: »Du wirst ihn zu seinem Vortheile umgewandelt finden. Du kannst Dir die Veränderung kaum denken, die Ruhe und Pflege an ihm hervorgebracht haben; doch weiß er nicht, wer wir sind und liegt Dir mein Glück am Herzen, so sage gerade jetzt Niemandem, daß ich nicht der Rajah bin.« »Nein, gewiß nicht theure Schwester,« entgegnete Parbuttee Bai; »man müßte mich dann ja wirklich hassen, nach alledem, was Du für mich thatest, denn Dir verdanke ich es, daß wir zwölf Jahre lang glücklich, wie Schwestern, lebten; und ich glaube nicht, daß eine klügere Frau, als Du jemals auf unserer Erde geboren ward.«

Unter anderen Hochzeitsgästen befand sich auch Siu Rajah und seine Gemahlin, der Wuzeer, Seventee Bai's Vater, und ihre Mutter. Seventee Bai besorgte für sie Throne, die ganz aus Gold, Smaragden, Diamanten, Rubinen und Elfenbein gemacht waren. Und sie befahl, daß auf dem Ehrenplatze zu ihrer linken Hand der Wuzeer sitzen solle, neben ihm ihre Mutter und nach ihnen Siu Rajah und dessen Gemahlin und[84] darauf all' die andern Rajahs, je nach ihrem Range. Und all' die Rajahs und Ranees verwunderten sich, daß man dem fremden Wuzeer jenen Ehrenplatz gäbe. – Aber Seventee Bai nahm ihr allerkostbarstes Rajah-Kleid und befahl, damit Logedas Rajah zu bekleiden und ihn dann zum Zelte zu geleiten. Sie selbst legte die männliche Kleidung ab, die sie getragen und zog ein Saree an. Als sie dasselbe anhatte, sah man, daß sie, die bis dahin als ein schöner Mann erschienen war, als Frau einen noch weit lieblicheren Eindruck machte. Und sie führte Parbuttee Bai zu dem Zelte, und mit ihr gingen Hera Bai und Tara Bai in überirdischer Schönheit und die drei übrigen Prinzessinnen, gekleidet in kostbare Gewänder. Dann knieete Seventee Bai im Beisein aller Rajahs und Ranees zu Logedas Füßen nieder und sprach zu ihm: »Ich bin Dein treues Weib. O mein Gemahl! Vergaßest Du mich, die Du vor zwölf Jahren mit Parbuttee Bai im Dschungel verließest? Sieh, hier sind wir, und dann blicke auf diese goldenen Zelte, diese Teppiche von unschätzbarem Werthe, diese Elephanten, Kameele, Pferde, Diener und all' diesen Reichthum. Es ist alles Dein, so wie ich Dein bin, denn ich habe alles für Dich gesammelt!« –

Da weinte Logedas Rajah vor Freude, und Siu Rajah erhob sich und küßte Seventee Bai und sprach zu ihr: »Meine edle Tochter, Du hast meinen Sohn aus dem Elende errettet, und weiser und besser gehandelt, als je eine Frau zuvor. Möge Dich fortan und für immer Glück und Segen begleiten«.

3. Die tapfere Seventee Bai

Und die versammelten Könige und Königinnen waren über die Maßen erstaunt und sprachen: »Hörte man je, daß eine Frau soviel that?« Aber der gute Rajah, dem Seventee Bai seit zwölf Jahren so treu gedient hatte, wunderte sich mehr, als die Uebrigen, als er vernahm, daß sie eine Frau sei. – Alle kamen dahin überein, daß Logedas Rajah an diesem Tage sich[85] aufs neue mit seinen beiden Gemahlinnen Seventee Bai und Parbuttee Bai vermählen, und auch die sechs anderen schönen Prinzessinnen – Prinzessin Hera Bai, Prinzessin Tara Bai, die kleine Rajahtochter und die drei anderen Prinzessinnen, zu seinen Frauen machen, und dann mit seinem Vater in sein eigenes Königreich heimkehren solle. Die Hochzeiten fanden unter großem Glanz und unerhörtem Jubel statt, und es ist unmöglich, an einem Tage all' die Herrlichkeiten zu schildern, die man da zu sehen bekam. Später reiste Logedas Rajah mit seinen acht Frauen, seinem Vater, seiner Mutter, dem Wuzeer und dessen Gemahlin und allem Gefolge wieder in sein Vaterland zurück, woselbst sie mitsammen glücklich lebten. Und alle, die diese Geschichte lesen, sollen ebenfalls glücklich leben! –

1

Oder Singh Rajah, der Löwenkönig.

2

Ich bin dem Sir Charles Trevelgan sehr verpflichtet, denn er bewies, daß hiermit zweifelsohne nichts anderes gemeint sei, als Agrabhum, das Land oder der Distrikt Agra. Ebenso bedeutet auch Birbhum das Land der Helden, Janem-Bhum, das Land, in dem man geboren ward, so wie Virabhurn, Maubhum und viele andere.

Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 55-86.
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