[205] 48. Tolojäla und seine Tochter

[205] In der Landschaft Tolonier auf Ponape lebte einmal ein Mann, der hieß Tolojäla. Er war ganz allein und hatte keine Frau. So mußte er allein die Wirtschaft besorgen, sein Essen kochen und das Haus reinmachen. Als er eines Tages wieder das Haus säuberte, schnitt er sich mit einem Stückchen Schilfrohr in den Finger, der heftig zu bluten anfing. Um das Blut zu stillen, wickelte er ein Taroblatt um die Wunde. Da sammelte sich das Blut in dem Blättchen; als die Wunde geschlossen war, nahm Tolojäla den Verband ab und hing das Blatt an einem Baume auf. Dann ging er wieder an seine Arbeit.

Das Blatt fiel auf die Erde herunter. Als Tolojäla nachher an dem Baum vorüberkam, war das Blatt nicht mehr vorhanden. An seiner Stelle stand ein hübsches, junges Mädchen da. Der Mann freute sich sehr. Jetzt war er nicht mehr allein. Er hatte eine Tochter, die ihm im Hause helfen konnte, und er nannte sie Limascheimalug.

Eines Tages sagte das Mädchen zum Vater, es möchte fortgehen und baden. Da antwortete der Vater: »Wasche und bade dich im Brunnen, aber hüte dich vor dem fließenden Wasser im Bache.« Das Mädchen gehorchte jedoch nicht und badete im Bache. Das Wasser spülte ihr Öl vom Körper herab, floß ins Meer und gelangte nach der Landschaft Matolenim zum Könige Schautelur.

Als der König das eigentümliche Wasser und Öl bemerkte, wollte er wissen, von wo es herkam. Er ließ seinen Diener, den Schaukampul, kommen und befahl ihm, einmal zu untersuchen, woher das Wasser mit dem Öl käme. Der Diener folgte dem Wasser, gelangte nach Tolonier und sah, wie die schöne Limascheimalug sich im Bache badete. Dann ging er nach Matolenim zurück und erzählte dem König, was er gesehen hatte. Schautelur war von der Nachricht, daß in[206] Tolonier ein schönes Mädchen lebte, so entzückt, daß er den Schaukampul sofort wieder zurücksandte, um sich das Mädchen als Gemahlin vom Vater zu erbitten.

Tolojäla gehorchte schweren Herzens; aber Schautelur freute sich, daß er ein Mädchen zur Frau bekam, das kein Weib geboren hatte, sondern aus dem Blute eines Mannes entstanden war. Schautelur heiratete Limascheimalug, und bald wurde sie schwanger. Als sie mit dem Kinde ging, wollte sie eines Tages eine Fischleber essen. Der König ließ eine Leber bringen, und sie schmeckte seiner Gemahlin so schön, daß sie immer und immer wieder neue verlangte. Schließlich vermochte Schautelur keine neuen mehr herbeizuschaffen, und er sandte zu einem Zauberer, der ihm helfen sollte. Der Zauberer kam und riet dem König, seiner Frau die Leber ihres Vaters zu essen zu geben. Da Schautelur sich nicht anders zu helfen wußte, die Königin ihn aber immer wieder um neue Lebern bat, sandte er schließlich einen Mann nach Tolonier. Der erschlug den Tolojäla und brachte die Leber zur Limascheimalug. Die Tochter beroch die Leber, wußte jedoch nicht, von wem sie herstammte. Sie sagte: »Kocht die Leber, ich mag sie nicht roh essen,« Da taten die Leute die Leber in den Ofen, und als sie kochte, sang sie:


»Enin Nan Tolojäla, Limascheimalug!

Tiarük mau ke uija schama Katin Telur!«

(Jetzt kocht man Nan Tolojäla, Limascheimalug!

Katin Telur1, mein Liebling, du behandelst deinen Vater ja recht schön!)


Da mochte die Königin keine Lebern mehr essen. Als die Sonne untergegangen war, ließ sie das Boot fertig machen, um ihren Vater zu besuchen und ihn zu fragen, was der Gesang bedeuten sollte. Als sie nach Tolonier kam und in das Haus eintrat, lag ihr Vater tot auf seiner Matte. Limascheimalug war sehr traurig; weinend hob sie den Vater auf, wickelte ihn in schöne Matten und zündete das Haus an allen vier Ecken an. Darauf legte sie sich hin, nahm den [207] Kopf des Vaters in den Arm und ließ sich mit ihm verbrennen.

Als seine Frau nicht wiederkam, wurde Schautelur unruhig. Er fragte das Gesinde, wohin sie gefahren wäre. Die Leute sagten es ihm, und er machte sich auf, um sie wieder nach Matolenim zu holen. Als er nach Tolonier gelangte, sah er dort dicken schwarzen Rauch aufsteigen. Er lief zum Hause des Tolojäla, und als er seine Frau mitten in den Flammen erblickte, wollte er auch nicht länger leben. Er sprang in die Glut hinein, und so verbrannten sie alle drei. o uä!

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Titel der Limascheimalug als Königin.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 205-208.
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