[203] 66. Pikkers Dudelsack

Im Jahre achtzehnhundertsechsundsechzig gab es einen trockenen Sommer. Warum war er wohl so trocken? Waaske, ein Zauberer, erklärte diesen trockenen Sommer folgendermaßen.

An einem warmen Frühlingstage legte sich Pikker1 in den Sonnenschein schlafen; den Dudelsack legte er an seine Seite und seinen Arm auf den Dudelsack, damit niemand ihm diesen stehlen könne.

Vanapagan2 ging zufällig vorbei und sah Pikker schlafen. Sofort bekam er Lust, den Dudelsack zu stehlen; aber er konnte ihn [203] nicht in seine Hände bekommen, denn Pikkers Arm lag auf dem Dudelsack.

Vanapagan war nicht um einen Rat verlegen, er hatte sogleich einen Plan. Er nahm seinen Sohn auf die Arme und hob ihn empor, damit er den Dudelsack stehle. Aber dem Sohn ging es ganz ebenso: er konnte nicht heran, denn Pikkers Arm lag auf dem Dudelsack!

Vanapagan kratzte sich hinter dem Ohr, holte da eine Laus hervor, reichte sie seinem Sohn und hieß ihn, sie hinter Pikkers Ohr zu setzen, damit sie ihn dort beiße; wenn Pikker sich hinter dem Ohr kratze, solle er ihm sogleich den Dudelsack fortnehmen.

So geschah es auch. Die Laus fing an zu beißen; Pikker kratzte sich den Kopf, der Knabe nahm den Dudelsack fort und gab ihn Vanapagan.

Dann gingen sie sogleich in die Hölle. Vanapagan verschloß den Dudelsack hinter sieben Schlössern, von wo ihn niemand mehr herausbekommen konnte.

Als Pikker aus dem Schlafe erwachte und seinen Dudelsack nirgends fand, wurde er sehr traurig: woher sollte denn jetzt die Erde ihren Regen bekommen! Pikker erriet gleich, daß Vanapagan den Dudelsack gestohlen hatte; was konnte ihm aber da helfen?

Pikker begann zum Zeitvertreib mit seinem Sohn Fische zu fangen. Als sie bis zum Abend gefischt hatten, hatten sie noch keinen einzigen Fisch gefangen.

Plötzlich sah der Sohn, wie ein kleines Männchen unten mit einem Messer ins Zugnetz ein Loch schnitt, die Fische in seinen eigenen Sack laufen ließ und das Loch rasch wieder zunähte. Pikker nahm das kleine Männchen fest: das war Vanapagans Sohn, welcher sich mit Fischestehlen beschäftigte.

Der Knabe begann zu bitten: »Wir haben in der Hölle bald große Hochzeit, denn die Höllentochter heiratet, da haben wir frisches Fleisch nötig.«

»Aber anders lasse ich dich nicht frei, es sei denn, daß du versprichst, mich auch zur Hochzeit zu rufen!«

Vanapagans Sohn hatte freilich keine Lust, ihn zu rufen, da er [204] aber sah, daß man ihn anders nicht freilassen würde, so versprach er, Pikker zur Hochzeit einzuladen.

Da sagte auch Pikkers Sohn: »Wenn du mich nicht zur Hochzeit einlädst, nehmen wir dir die Fische weg; dann müßt ihr eure Hochzeit ohne frisches Fleisch abhalten.«

Dem Knaben tat es leid, die Fische fahrenzulassen, und so lud er Pikkers Sohn ebenfalls zur Hochzeit.

Im Herbste, im Monat August, kamen die Einladungsschreiben: Pikker und sein Sohn sollten in die Hölle zur Hochzeit kommen.

Die Hochzeit begann. Die Höllengesellschaft tobte in der größten Hochzeitslust. Schnaps gab es so viel, daß die Hochzeitsgäste darin schwammen. Aller Art Instrumente – Dudelsäcke, Posaunen, Flöten und Trommeln – lärmten durcheinander. Der alte Satan war in bester Laune und blickte auf diese Hochzeitslust, wo alle Höllenbewohner hüpften und sprangen.

Plötzlich kam es Vanapagan in den Sinn, daß er noch einen Dudelsack habe, der hinter sieben Schlössern verschlossen lag. Er ging und brachte auch diesen her, um die Blasmusik zu verstärken. Wohl versuchte er, ihn zu blasen, aber er konnte keinen Ton herausbringen.

Pikker schaute hin: »Sieh da, wo mein Dudelsack ist! Könnt ich ihn nur in die Hände bekommen, ich würde euch schon etwas vorblasen!«

Alle Höllenmusikanten versuchten, darauf zu blasen, aber keiner konnte den Dudelsack handhaben. Schließlich sprach Pikkers Sohn: »Laßt auch mich probieren, ob ich nicht ein paar Töne herausbringe!«

Der Dudelsack wurde Pikkers Sohn übergeben. Der Knabe besah ihn von allen Seiten, dann setzte er ihn an seinen Mund. Alle Hochzeitsgäste versammelten sich um den Knaben, um den neuen Dudelsack hören zu können.

Kreuzmillionendonnerwetter! Als der Knabe loslegte, da fuhren Blitze aus dem Dudelsack und Donnergetöse erscholl. Viele der Hochzeitsgäste wurden vom Blitz erschlagen, und die am Leben geblieben waren, verschwanden spurlos.

Pikker und sein Sohn spazierten durch die leere Hölle und fanden [205] nirgends ein lebendes Wesen. Pikker nahm den Dudelsack und blies darauf so, daß die Hölle krachte.

Fußnoten

1 Der Donnergott.


2 Der Teufel.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 203-206.
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