[224] 33. Von der Schwester des Muntifiuri. [224] 34. Von Quaddaruni und seiner Schwester.

Diese M. – sowie das vorhergehende zum großen Theil – sind verschiedene Fassungen eines und desselben sehr verbreiteten M. Man kann es bezeichnen als das M. von dem Bruder und seiner schönen Schwester, welche ein König, der durch ihren – meist bei ihm in Dienst stehenden – Bruder von ihr gehört oder ihr Bild gesehen hat, heiraten will, an deren Stelle aber auf der Fahrt zum König eine falsche Braut untergeschoben wird, bis schließlich doch die rechte Braut die Gemahlin des Königs wird. S. Pentamer. IV, 7, Schneller Nr. 22, Salmelainen I, Nr. 8 = Bertram, Jenseits der Scheeren S. 18, Hyltén-Cavallius Nr. VII, C, Grimm Nr. 135, Wolf, D.M.u.S. Nr. 19, Grundtvig III, 112, Asbjörnsen Nr. 57, Glinski III, 97 = Chodzko S. 315, Gerle II, 325 (Grimm III, 343), Ausland 1858, S. 90 (rumänisch) und das M. »Rosette« der Gräfin d'Aulnoy.

In mehreren dieser M. hat die Heldin wie Quaddaruni's Schwester gewisse wunderbare schöne Eigenschaften, und zwar hat sie dieselben meist in ähnlicher Weise wie jene für ihre Freundlichkeit und Güte erhalten. Im Pentamerone kommen Rosen und Jasminen aus ihrem Munde, wenn sie athmet, Perlen entfallen ihren Haaren, wenn sie sich kämmt, und Lilien und Veilchen entsprießen ihren Tritten. Im schwedischen M. fällt ein Goldring aus ihrem Mund, wenn sie lacht, und unter ihren Tritten sprießen Rosen. Im norwegischen fallen Goldmünzen aus ihrem Mund, wenn sie spricht, und aus ihrem Haar, wenn sie sich kämmt. Im dänischen fallen Edelsteine aus dem sprechenden Munde und Gold und Silber aus dem Haar. Im polnischen weint sie Perlen – so auch im böhmischen –, lacht Rosen, und wenn sie sich die Hände wäscht, entstehen goldne Fische im Wasser. Im wälschtiroler hat sie goldne Haare, Weizenkörner entfallen ihren Händen, wenn sie sich reibt, und sie hinterläßt goldne Fußspuren. Im rumänischen scheint die Sonne, wenn sie lacht, regnet es, wenn sie weint, entsteht Sturm, wenn sie hustet, und fällt Gold und Silber beim Kämmen aus ihrem Haar. In den M., in welchen der Heldin von Anfang an eine Stiefschwester oder eine Mutterschwestertochter gegenübersteht (Nr. 34, Pentamer., Hyltén-Cavallius, Grundtvig, Asbjörnsen, Glinski), erhält diese entsprechende ekelhafte Eigenschaften.

Wie Muntifiuri ein Bild seiner Schwester hat, welches dem König zu Gesicht kömmt, so auch die Brüder in den deutschen, schwedischen, norwegischen, polnischen und finnischen M. und bei der Gräfin d'Aulnoy.

Wie in Nr. 32 Caterina sich nicht dem Meer nähern darf, weil sie sonst eine Seeschlange wird, so darf im wälschtiroler M. das Mädchen kein Sonnenstrahl[225] berühren, sonst wird sie in den Bauch eines Walfisches versetzt. Auch im böhmischen darf sie von keinem Sonnenstrahl berührt werden.

Die Sirene des Meeres, welche die rechte Braut an einer Kette hält (Nr. 33 und 34) kömmt auch im neapolitan. M. vor. Im schwedischen entspricht die Meerfrau, im finnischen der Meergott. Die Kette kömmt auch, aber ohne rechte Motivirung, in dem unten zu erwähnenden M. bei Pröhle vor.1

Wenn in Nr. 34 die von dem Bruder an seine Schwester während der Seefahrt gerichteten Worte von der Base boshaft verändert werden, so kömmt ganz ähnliches bei Grimm, Asbjörnsen, Hyltén-Cavallius, Salmelainen vor. Den Versen »Soru ddi beddi sciuri« u.s.w. entsprechen die Verse bei Grimm:


»Deck dich zu, mein Schwesterchen,

Daß Regen dich nicht näßt,

Daß Wind dich nicht bestäubt,

Daß du fein schön zum König kommst!«


und die Worte der einen norwegischen Version (Asbjörnsen S. 497): »Vogt dich vel for Veir og Vind, kjär Sösteren min.«

Wie Giovannino und Muntifiuri auf Anstiften der Stiefmutter oder der falschen Königin gewisse schwere Aufgaben bekommen und sie mit Hilfe der Schwester lösen, so auch im wälschtiroler M. Tilio; insbesondere ist der dritten Aufgabe Giovannino's die dritte Tilio's sehr ähnlich, und mit der Lösung dieser dritten Aufgabe verknüpft sich in beiden M. die Erlösung der Schwester.

Wie in Nr. 33 und 34 die aus dem Meer hervorkommende Schwester die von dem Bruder gehüteten Enten und Gänse füttert, so auch im neapolit. und im welschtiroler M. Den Versen in Nr. 33


Coccu, coccu, du mari vinemu,

Chini di perni nui semu,

E la soru di Muntifiuri

È cchiù bedda di lu suli –


und in Nr. 34:


Qua, qua, qua,

Di la marina semu vinuti,

E la soru di Quaddaruni,

Chi è chiù bedda di lu suli,

Granu e oriu n'ha datu a mancià –


entsprechen im Pentamerone die Verse:
[226]

Assaje bello è lo Sole co la Luna,

Assaje cchiù bella è chi coverna a nnuje –


und im welschtiroler M.:


Siamo state sulla riva del mare,

Abbiamo mangiato, abbiamo bevuto,

La sorella del Tilio abbiamo veduto,

È bella, bella,

Come 'na stella,

E presto sarà sposa del nostro signor.


Es sei noch bemerkt, daß ich Grimm Nr. 13, Pröhle, M. Nr. 5, Ey S. 215, Hyltén-Cavallius VII, A, B, Haltrich Nr. 39, Mailath II, 209, Wolf's Z. II, 442 = Wenzig S. 45 und Hahn Nr. 282 nicht zur Vergleichung herangezogen habe, weil in diesen übrigens hergehörenden M. der Bruder der Heldin fehlt und – mit Ausnahme des siebenbürgischen, magyarischen und neugriechischen M. – nicht auf der Fahrt zur Hochzeit, sondern nach der Hochzeit die Unterschiebung geschieht.

Daß am Schluß die falsche Braut zerschnitten und eingesalzen und ihrer Mutter als Thunfisch geschickt wird, kehrt in 48 und 49 wieder. Vgl. bes. Nr. 48 mit Nr. 33 und Nr. 49 mit Nr. 34.

1

In einem Volkslied bei Erk, Neue Sammlung deutscher Volkslieder, 2. Heft, Nr. 26, läßt ein Wassermann die von ihm geraubte Frau auch mit einer Kette am Fuß an's Land.

2

Die drei letztgenannten M. haben mit dem oben angeführten rumänischen M. das gemein, daß der Heldin die Augen ausgestochen und die ausgestochenen Augen nachher wiedergekauft und eingesetzt werden. Im siebenb. M. wachsen neue Augen durch Morgenthau.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 224-227.
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