23. Vom weissen Wolf. (5)

[438] Es war ein König, der hatte drei Töchter; eine war immer schöner wie die andre, die jüngste aber war die schönste. Einst wollte der Vater in Geschäften nach Wilna fahren und wollte dort eine Magd dingen, die sollte im Hauswesen zum Rechten sehn, alles fegen und rein halten und die Schweine füttern. Da sprach die jüngste ›Vater, ich will selbst die Wirtschaft führen und brauche keine Mägde. Wenn du aber doch nach Wilna fährst, so bring mir eine kleine Matte von lebenden Blumen mit.‹ Der König fuhr darauf nach Wilna, und er kaufte für seine älteste Tochter ein Kleid, für die zweite ein kostbares Kopftuch, und für die dritte suchte er in der ganzen Stadt in allen Läden nach einer Matte von lebenden Blumen, fand aber keine. So fuhr er ohne Blumenmatte wieder nach Haus, und der Weg führte durch einen Wald. Es waren aber noch drei oder vier Meilen bis zum Schloss, da sah der König am Weg einen weissen Wolf sitzen, der hatte auf seinem Kopf ein Deckchen von lebenden Blumen. Und er sprach zum Kutscher ›Steig von der Kutsche herunter und hole dort das Deckchen.‹ Aber der Wolf redete und sprach ›Mein Herr und König, die Blumendecke bekommt ihr nicht umsonst.‹ Da fragte der König ›Was verlangst du? Ich will dich dafür gern mit Schätzen überhäufen.‹ ›Ich verlange nicht nach deinen Schätzen‹, antwortete der Wolf,[438] ›versprich mir nur, dass du mir das geben willst, was dir zuerst entgegenkommt; in drei Tagen komm ich auf dein Schloss, um mir's abzuholen.‹ Da dachte der König ›Nach Haus ist's noch weit, es wird mir schon noch ein wildes Thier oder ein Vogel aufstossen; da sag ich's ihm zu!‹ Und er that's. Er fuhr nun mit der Decke weiter, aber auf dem ganzen Heimweg stiess ihm nichts auf. Wie er aber in den Schlosshof einfuhr, kam ihm die jüngste Tochter entgegen. Der König und die Königin weinten bittre Thränen. Ihre Tochter fragte ›Vater und Mutter, warum weint ihr nur so sehr?‹ und der Vater antwortete ›Ach, ich habe dich einem weissen Wolf versprochen; in drei Tagen kommt er auf's Schloss, und da musst du mit ihm gehn!‹ Am dritten Tag kam auch der Wolf auf den Schlosshof, pfiff und sprach dann ›Gebt mir mein Eigentum, was ihr mir versprochen habt!‹ Sie hatten aber eine Kammerjungfer für ihn angezogen, die gaben sie ihm statt der Prinzessin, und der Wolf sprach zu ihr ›Setz dich auf mich, ich werde dich nach meinem Edelhof tragen.‹ Er trug sie darauf bis an die Stelle, wo er mit dem Blumendeckchen am Weg gesessen hatte, dann sprach er ›Hier wollen wir uns niedersetzen und ausruhen!‹ Sie setzten sich hin, und der weisse Wolf sprach ›Was würde wol dein Vater ma chen, wenn dieser Forst sein Eigentum wäre?‹ ›Mein Vater‹, antwortete sie, ›ist ein armer Mann, der würde die Bäume fällen, von dem Holz Tonnen machen und sie verkaufen, und dann hätt er allzeit Brod.‹ ›Das ist nicht die rechte!‹ sagte der Wolf, trug die Kammerjungfer wieder zum Schloss zurück und rief ›Gebt mir die rechte heraus! denn wenn ihr mir die nicht gebt, so komm ich mit Sturmesbrausen über euch, stürze alle Mauern und das ganze Schloss um, und ihr könnt dann sehn, wo ihr bleibt!‹ Da weinte der König und seine Frau, und sie sprachen zur Prinzessin ›Liebes Kind, so geh nur mit dem weissen Wolf! wir haben dich ihm nun einmal versprochen.‹ Da machte sich die Prinzessin fertig und wickelte auch ihr Blumendeckchen zusammen und nahm es mit. Und der weisse Wolf trug sie fort, und sie kamen an den Platz, wo er sich mit der Kammerjungfer niedergesetzt hatte. ›Hier wollen wir uns setzen und ausruhen!‹ sprach er, und er fragte sie darauf ›Was würde dein Vater machen, wenn dieser Forst sein Eigentum wäre?‹ Das Fräulein antwortete ›Mein Vater würde die Bäume fällen, Gebäude aufrichten und[439] Pächter hineinsetzen, und da würde er noch reicher werden als er schon ist.‹ ›Das ist die richtige‹, sagte der Wolf und sprach dann zu der Prinzessin ›Setz dich jetzt wieder auf mich, dass ich dich nach meinem Edelhof trage.‹ Und er trug sie durch die Wälder dorthin, und es war ein stattliches Gehöfte: schöne Häuser und der Hof ganz gepflastert. ›Ein schönes Gehöft‹, sprach die Prinzessin, ›und ein schönes Herrenhaus! Dass mir nur Vater und Mutter so fern sind!‹ Der Wolf aber sagte ›Uebers Jahr werden wir deine Eltern besuchen.‹ Und der weisse Wolf war gar kein Wolf, sondern ein schöner Junker und hatte nur einen Wolfspelz um.

Ein halbes Jahr verstrich, da kam der weisse Wolf eines Tags nach Haus und sprach ›Mein Herzchen, mach dich zu einer Hochzeit bereit, deine älteste Schwester heiratet, ich werde dich hintragen. Wenn ich dich dann aber wieder abhole und ich pfeife dir, so hör nicht auf Vater noch Mutter, sondern lass Essen und Trinken im Stich und komm sogleich zu mir; denn wenn ich dich zurücklassen muss, findest du nicht den Heimweg durch die Wälder.‹ Er trug sie also zu der Hochzeit hin und kehrte selbst wieder heim. Gegen Abend aber kam er dann wieder und pfiff vor dem Schloss. Und da liess sie auch Essen und Trinken sogleich sein, kam zu ihm und setzte sich auf ihn, und er trug sie wieder nach seinem Edelhof zurück.

Wiederum verging ein halbes Jahr, da kam der weisse Wolf wieder eines Tags nach Haus und sprach ›Mein Herzchen, lass uns zur Hochzeit nach deiner Eltern Schloss gehn, deine zweite Schwester heiratet. Aber diessmal gehn wir beide als Gäste hin und wer den über Nacht dort bleiben.‹ Sie gingen zusammen zur Hochzeit und am Abend, wie die Gäste zur Ruhe gingen, da führte die Königin die Prinzessin und den weissen Wolf in ein Zimmerchen, dass sie da schliefen. Und da sah die Königin, wie der weisse Wolf seinen Pelz ablegte, und da war er ein schöner Junker. Und sie befahl danach ihren Mägden in der Küche den Herd einzuheizen und den Pelz ins Feuer zu werfen. Kaum aber war der Pelz in den Ofen geworfen, da verschwand der Junker mit Sturmesbrausen durch die Thür. Und er kehrte ohne die Prinzessin nach seinem Edelhof zurück. Die Prinzessin weinte und wollte zu ihm zurück, sie ging durch die Wälder, fand aber nicht Weg noch Steg. So[440] wanderte sie einen halben Monat im Wald umher, da kam sie an ein kleines Häuschen. Sie trat ein, da sass der Wind und las. Sie fragte ihn ›Wind, habt ihr nicht den weissen Wolf gesehn?‹ Er antwortete ›Ich habe den Tag und die Nacht über geblasen und bin ohnlängst erst nach Haus gekommen, aber ich habe ihn nicht gesehn.‹ Er schenkte ihr aber einen Schuh, mit dem konnte sie hundert Meilen weit ausschreiten. Da schritt sie zu einem Stern und fragte ihn ›Sternlein, habt ihr nicht den weissen Wolf gesehn?‹ Der Stern antwortete ›Ich habe die Nacht über geleuchtet, aber ich hab ihn nicht gesehn.‹ Er schenkte ihr aber einen Schuh, mit dem konnte sie zweihundert Meilen weit ausschreiten. Da schritt sie zum Mond und fragte ›Lieber Mond, habt ihr nicht den weissen Wolf gesehn?‹ Er antwortete ›Ich habe die ganze Nacht über geschienen, bin ohnlängst erst heimgekommen, aber ich hab ihn nicht gesehn.‹ Er schenkte ihr aber einen Schuh, mit dem konnte sie vierhundert Meilen weit ausschreiten. Da schritt sie zur Sonne und fragte ›Liebe Sonne, habt ihr nicht den weissen Wolf gesehn?‹ Die Sonne antwortete ›Ja, ich hab ihn gesehn, aber dein weisser Wolf hat sich schon ein andres Mädchen ausgewählt, das bei ihm dient, und mit dem will er jetzt Hochzeit machen. Aber ich will dir helfen.‹ Und sie schenkte der Prinzessin einen Schuh: wenn sie einmal ausschritt, legte sie mit dem fünfhundert Meilen zurück; und ein Spinnrädchen, wenn sie damit Moos spann, war Seide auf der Spule; (und ein Messer, wenn sie damit an einem verfaulten Stück Holz schnitzte, fielen goldne Späne ab; und eine Gabel, wenn sie damit ein Stück Splint durchstach, waren die Löchelchen von Gold.)1 Und dann sprach die Sonne ›Nun wirst du an einen Glasberg kommen. Unten findest du eine Schmiede, dort lass dir die Küsse und Hände beschlagen und lass dir eine vier Klafter lange Kette schmieden. Klimm alsdann den Berg hinan, und wenn du oben bist, lass dich in den Edelhof des weissen Wolfs hinab.‹ Da schritt denn die Prinzessin aus und kam an den Berg, und wie sie oben war, liess sie sich in den Edelhof hinab. Dort nun nahm man sie in den Dienst, um die Betten zu machen und aufzuwaschen. Sie hatte sich aber wie ein altes Weib verkleidet und sich den Kopf vermummt und liess ihr Gesicht nicht[441] sehn. Am Abend nun, als sie ihre Arbeit besorgt hatte, setzte sie sich mit ihrem Spinnrädchen hin und spann Moos. Und da sah das Mädchen, das der weisse Wolf am nächsten Sonntag zur Trauung führen wollte, wie das Moos auf dem Spinnrädchen sich in Seide verwandelte, und sprach zur Prinzessin ›Mütterchen, schenk mir das Rädchen da!‹ Die Prinzessin antwortete: ›Ich will dirs schenken, wenn du mich diese Nacht unter deines Liebsten Bett schlafen lässt.‹ Und das Mädchen sprach ›Gut, es mag sein.‹ Aber sie schickte einen Diener nach der Stadt, der musste einen starken Schlaftrunk für den Herrn kaufen. Den gab sie am Abend dem weissen Wolf und liess alsdann das Mütterchen sich unter sein Bett legen. Da fing denn das Mütterchen unter dem Bett an ihre ganze Lebensgeschichte zu erzählen: wie ihrer drei Schwestern waren, sie die jüngste und die schönste; wie man sie einem weissen Wolf zugelobte; wie sie auf ihrer Schwestern Hochzeiten war, auf der ersten allein und auf der zweiten mit dem weissen Wolf; wie da ihre Mutter den Mägden befahl den Pelz zu verbrennen und der Junker darauf mit Sturmwind ausfuhr und sie verliess; wie sie dann weinend ihn suchen ging und zum Wind, zu dem Stern und zum Mond kam; wie sie darauf weiterging und die Sonne fand; wie die Sonne ihr sagte, dass sie den weissen Wolf gesehn habe, dass der aber jetzt mit einer andern Hochzeit machen wolle, und wie die Sonne ihr sagte, was sie thun müsse, um den Glasberg hinaufzukommen; wie sie alsdann in des weissen Wolfs Schloss gelangte und wie seine jetzige Braut ihr erlaubte die Nacht unter ihres Bräutigams Bett zu liegen. Der weisse Wolf hörte von allem dem nichts. Aber die Thürwächter, die die Nacht über nicht schliefen, die hörten alles, was sie erzählte. Und am nächsten Morgen sprachen sie zu ihrem Herrn ›Hört nur, Herr, was alles heute Nacht unter eurem Bett die Alte erzählt hat!‹ und erzählten's ihm wieder. Und da merkte der weisse Wolf, dass seine frühere Frau ihn suchte. Er wartete aber bis zum Sonntag, wo die Hochzeit sein sollte. Da kamen viele Könige zu Gast gefahren, und er sprach zu denen ›Hört, ihr Könige, was ich euch zu sagen habe! Ich verlor von meinem Koffer den Schlüssel, liess mir einen neuen anfertigen und hab jetzt den alten wiedergefunden. Welcher von beiden Schlüsseln ist jetzt der bessere?‹ Alle Könige antworteten ›Der alte ist allemal besser als der neue.‹[442] ›So ist‹, sprach der weisse Wolf, ›auch meine frühere Frau besser als die andre.‹ Und er liess seine neue Braut rufen und sprach zu ihr ›Du kannst gehn! denn meine erste Gattin ist zurückgekehrt, ich dachte nicht, dass sie mich wiedersuchen werde. Jetzt ist sie wieder mein, und ich bin ihr. Geh du also zu deinem Vater zurück!‹

1

Messer und Gabel werden im weiteren Verfolg der Erzählung nicht wieder erwähnt.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 438-443.
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