Evokation

[200] Evokation (lat.), eigentlich das Herausrufen, Evocatio sacrorum, bei den Römern die feierliche Aufforderung an den Schutzgott einer belagerten Stadt, dieselbe zu verlassen und nach Rom überzusiedeln, mit dem Gelöbnis, ihm dort ein Heiligtum zu errichten. Evocatio inferorum (manium, mortuorum), Totenbeschwörung; Evocatio militiae, Aufgebot der Mannschaft zum Krieg. – Im Staatsund[200] Prozeßrecht des frühern Deutschen Reiches bezeichnet E. die Vorladung eines Beklagten vor ein auswärtiges Gericht und besonders die Abberufung einer bei einem Landesgericht anhängigen Rechtssache von diesem letztern und die Überweisung derselben an ein kaiserliches Gericht. Mittelbare Reichsuntertanen (landsässige Personen) hatten nämlich in den ersten Instanzen ihr Recht vor ihren Landesherren und deren Gerichten zu nehmen. Es stand jedoch dem Kaiser das Mecht zu, die Streitsachen solcher Personen ihrem ordentlichen Richter zu entziehen und an die Reichsgerichte zu bringen. Solchen Evokationen suchten die Reichsstände durch Erlangung von Evokationsprivilegien (privilegia de non evocando) vorzubeugen. Namentlich stand ein solches Privilegium den Kurfürsten zu. Im Mittelalter bezeichnete man mit E. auch das dem Papst zustehende Recht, eine Streitsache von den weltlichen Gerichten ab- und nach Rom zu berufen. Im französischen Prozeß versteht man unter Évocation die Befugnis des Gerichts zweiter Instanz, das ein Urteil erster Instanz abändert, die Sache an sich zu ziehen, d. h. weiter zu verhandeln, Beweise zu erheben etc.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 200-201.
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