Prozeßfähigkeit

[409] Prozeßfähigkeit, manchmal auch Prozeßselbständigkeit, heißt die Fähigkeit einer Prozeßpartei, selbständig, ohne einen gesetzlichen Vertreter, einen Rechtsstreit zu führen oder durch einen Bevollmächtigten führen zu lassen. Die P. ist nicht zu verwechseln mit der Parteifähigkeit (s. d.), d. h. der Fähigkeit, in einem Rechtsstreit als Kläger oder Beklagter Partei zu sein. Die letztere Fähigkeit hat z. B. der Minderjährige, während ihm die P. fehlt. Nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 51 -o7) ist die P. lediglich ein Ausfluß der allgemeinen Verfügungsfähigkeit. Soweit sich eine Person durch Verträge verpflichten kann, ist sie prozeßfähig. Die P. einer Frau wird dadurch, daß sie Ehefrau ist, nicht beschränkt. Personen, denen die P. fehlt, bedürfen eines gesetzlichen Vertreters. Der Mangel der P. (wie derjenige der Parteifähigkeit und der gesetzlichen Vertretung) ist nach § 56 von Amts wegen zu berücksichtigen, doch darf die Partei oder deren gesetzlicher Vertreter zur Prozeßführung unter Vorbehalt der Beseitigung des Mangels vorläufig zugelassen werden, wenn mit dem Verzuge Gefahr für die Partei verbunden ist. Im Strafprozeß kommt die P. insbes. hinsichtlich des Privat- und des Nebenklägers in Betracht. Statt ihrer müssen, wenn sie prozeßunfähig sind, ihre gesetzlichen Vertreter auftreten (§ 414, 435 der deutschen Strafprozeßordnung). Nach der österreichischen Zivilprozeßordnung (§ 1, 6) gelten ähnliche Grundsätze; Minderjährige sind dann prozeßfähig, wenn sie über den Prozeßgegenstand das freie Verfügungsrecht haben (§ 2).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 409.
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