Unterbewußtsein

[934] Unterbewußtsein, im Sinn einer (durch Dessoir aufgestellten) psychologischen Hypothese einzweites neben dem normalen des gewöhnlichen Lebens bestehendes Bewußtsein oder inneres Selbst, das wie jenes zu allen möglichen geistigen Leistungen (Vorstellen, Erinnern, Intelligenzhandlungen) befähigt, aber von ihm im allgemeinen derart getrennt ist, daß das eine von den Erlebnissen und Leistungen des andern nichts weiß. Das U. soll sich z. B. darin bekunden, daß wir, in Gedanken von irgendeinem Gegenstande ganz in Anspruch genommen, daneben doch noch verwickelte und eine gewisse Überlegung voraussetzende Handlungen (Ankleiden, Vorlesen, ja [bei Übung] Additionen von Zahlen) ausführen können, ohne uns der einzelnen dazu erforderlichen Akte bewußt zu sein; ferner in Träumen, wo bisweilen der spätere Traum da einsetzt, wo der frühere endete, sodaß die Traumerlebnisse einen eignen fortlaufenden Zusammenhang bekommen; endlich in der Somnambulie und Hypnose (s. Hypnotismus). Als schlagendsten Beweis für die Existenz eines Unterbewußtseins betrachtet man jene pathologischen Fälle, wo Hysterische einen periodischen Wechsel von zweierlei Zuständen durchmachen, in denen sie ganz verschiedene intellektuelle und moralische Fähigkeiten zeigen, und wobei sie jeweilig sich nur an das erinnern, was sie früher in demselben, nicht aber an das, was sie in dem andern Zustand erlebten, so daß der Eindruck eines vollständigen Wechsels der geistigen Persönlichkeit entsteht. Vgl. Dessoir, Das Doppel-Ich (2. Aufl., Leipz. 1896); Pierre Janet, L'automatisme psychologique (Par. 4889); Ribot, Les maladies de la personnalité (3. Aufl., das. 1904; deutsch von Pabst, Berl. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 934.
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