Die Zauberflöte

[111] Oper in 2 Acten.


Diese Oper hat den Kunstrichtern viel zu schaffen ge macht. Einige verwarfen das Gedicht als rein toll und abgeschmackt und sahen Alle (sich selbst mit), die sich darin geachtet zum Schauspiel drängten, als Verführte durch Mozart's Musik. Sie meinten, Mozart habe aus dem Unsinne Schikaneders nur erst Etwas gemacht, aber ein Etwas, das in Schikaneder gar nicht begründet, gar nicht zu ahnen gewesen wäre. Aber Mozart war kein Schikaneder und seine Opern sind nicht aufgesetzte Flicke, sondern die Beseelung der Gedichte im Elemente der[112] Musik. Seine Zauberflöte ist das musikalische Leben der Schikanederschen. Andere hatten auch diese Ansicht und den Glauben an eine innere nothwendige Verknüpfung des Textes und der Musik, und so wenig sie mit jenem an und für sich anzufangen wussten, so galt er ihnen doch nur in seiner musikalischen Belebung. Aber solch ein Schatz von musikalischen Schönheiten, so mannigfache und tiefe Empfindungen, die Mozart dem Gedichte abgewonnen, waren denn doch wohl zu köstlich, um an ein blosses Zauberspiel, über dessen abergläubischen und inepten Inhalt verständige Leute nur lächeln, verschwendet zu werden? Was war denn die Absicht des Dichters gewesen? »Eine Parodie, eine Apotheose des Freymaurer-Ordens.« Symbolisch: der Kampf der Weisheit mit der Thorheit – der Tugend mit dem Laster – des Lichtes mit der Finsterniss.

Ich ziehe vor, mich dem Künstler bey dem Genusse seines Werkes ganz hinzugeben und ohne Kopfbrechen nur das im Kunstwerke für mich gelten zu lassen, was sich daraus offen ergiebt. Versucht es, Euch dem Künstler und seinem Werke ganz hinzugeben, wie das Kind der Mutter. Vielleicht geben die Weisen des Künstlers Euch eine Ahnung, die höher schwebt, als Ihr auf dem Fittige des Textbuches empor flattern könntet. Ruft die Kindheit zurück, wenn Ihr die Zauberflöte verstehen wollt. Zertrümmert mir nicht sogleich die Feenpaläste mit rohem Geschrey, läutert, klärt mir nichts ab mit Greisen-Weisheit, was nur als Unerklärbares die Kinderseele entzückend berauscht. Wahrlich, der[113] Gewinn ist nicht erheblich, zu ergründen, wie und warum die Fabel in dem Kinde entstanden: das Mährchen nur und der Glaube daran kann das Mährchen belohnen. So glaubt zwey kurze Stunden, oder entsagt dem Genusse des holden Wahnes.

Mozart hat es zuversichtlich nicht anders gemeint. Er hat nicht hochmüthig über Schikaneder gelächelt – wie hätte er ihn denn sonst componiren können? – oder in thörigter Weisheit die Tiefe gesucht, wo nur die Oberfläche in gleissender Farbenpracht entzücken und nur die Ahnung der Tiefe im Entzücken uns durchschauern konnte. Er ist mit Schikaneder Eins geworden; allem Vermögen des Kindes gebeut er, keiner Schwäche schämt er sich. Hört nur die Ouvertüre, wie ernst es ihm war, wie dem holden Kinde im Glauben an die Zauberwelt die erste Ahnung eines Göttlichen in feyerlichen und so kindlich süssen Weisen erwacht! Wie löset sich Tamino's verzweifelnde Angst und der Triumphgesang der Damen in die niedlichste Kinder – Koketterie, wie närrisch der Vogel Papageno die Bühne um das Publicum vergisst – und wie verliebt Tamino und wie majestätisch und klagenvoll die Königin thut – erst Tamino, und dann der Tochter gegenüber – und sich, so kinderhaft vergessen, in die zartesten Lerchentriller verirrt! Ueberall holdes Spiel, der köstlichste Selbsttrug mit Herzenskummer und Seelenquaal, und überall führen die Spuren zurück zur Kinderlust und zum herrlichen sorglosen Spiele mit dem ernsten Leben.

Wäre eine Truppe der kindlichsten Wesen zu finden, die sich und die Bühne und das Publicum[114] vergässen, mit Mozart Kinder zu werden; eine musikalische Fee müsste an der Spitze stehen! Dann würde die Zauberflöte zum ersten Male und vollkommen verstanden.

In der Zauberflöte sind alle ästhetischen Aufgaben der Tonkunst gelös't, wenn man nämlich zur innern Schönheit eines dramatischen Tonstückes die Sittlichkeit mit zur Hauptbedingung des Wohlgefallens macht; wenn Harmonie im Gange der Handlung, reines Gefühl, ruhige, innige Freude am Ziele des Gebildeten Sinn erfreut: so ist die Zauberflöte gewiss der vorzüglichste Gegenstand des Wohlgefallens für den mit ächtem Kunstsinne begabten Kenner. In diesem Werke herrscht durchaus ein Hauptgefühl jenes ruhigen, aber ununterbrochenen Hinstrebens an das Ziel, und ruhige Freude bey Erreichung desselben.

Das Hauptgefühl ist durch die Ausdrücke von Ergebung in Widerwärtigkeiten, des ruhigen, aber kraftvollen und unablässigen Kampfes mit Widerwärtigkeiten, unnachahmlich schön colorirt, und mit anderen Gefühlen, wie z.B. dem des Ausbruches wilder Freude und unzweckmässigen Ringens, mit Schilderung unedler Lust und verbotener Wünsche auf's vollkommenste contrastirt. Dabey sind aber alle die verwandten und zur Hebung des Hauptgefühles dienenden Gefühle, bey aller Lebhaftigkeit und Richtigkeit der Darstellung, doch immer so gezeichnet, dass sie gleichsam im Schatten stehen, während sich jenes im vollen Lichte heraushebt, dass sie also nie den Haupteindruck im Zuhörer verlöschen, sondern immer nur auf die Hauptsache, auf[115] die kindliche Sittlichkeit hindeuten und eine Sehnsucht nach dieser vermehren.

Desshalb ist dieses Meisterwerk vollkommen geeigenschaftet, einen Beleg zu den Regeln der Kritik abzugeben. Das Gefühl, dessen Schilderung das Thema des Ganzen ausmacht, ist sittlich im hohen Grade, ja es ist etwas Vollkommenes, und ist auch in einer sehr vollkommenen Darstellung ausgeführt worden. Für Annehmlichkeit und Reiz des Ohres ist durch Abwechselung jeder Art gesorgt. Die äussere Schönheit des Ganzen besteht zum Theil eben darin, worin die Annehmlichkeit liegt, zum Theil wird sie durch die immer wechselnde Theilnahme und die immer bestimmtere und hervorstechendere Zeichnung des Hauptgefühls bezweckt.

Was im Ganzen dem Künstler so wohl gelungen ist, hat er auch im Einzelnen erreicht. Die kleineren Stücke behaupten, so wie die grösseren, eine Einheit der Darstellung, die zur Bewunderung hinreisst. Noch mehr: man kann in Beurtheilung dieser Stücke nie übersehen, dass sie nur Theile eines Ganzen sind; so geschickt deuten sie beständig auf die Hauptsache hin, so richtig ist die Schattirung der einzelnen Partieen in jene des Ganzen verwebt. Man nehme eine Arie, ein Chor etc. heraus, wo man will: es hat einen edlen, ruhigen Charakter, die Farbe, die es trägt, ist eine gemilderte Farbe, und die Freude, die es athmet, ist der stillen, ruhigen Freude des Weisen verwandt. Diess freylich mehr oder weniger, wie es der Zweck erforderte, denn die untergeordneten Personen durften nicht so edel empfinden als die Hauptpersonen; allein der[116] Ausbruch des Gefühls ist selbst bey den Ernsteren gleichsam durch die Verbindung, in welcher sie stehen, geadelt, und der Schauspieler, der den Monostatos oder Papageno spielt, muss ein sehr gewöhnlicher Mensch seyn, wenn er durch sein Spiel der Rolle das Schickliche und Anständige nimmt, welches der Tonkünstler, freylich nur mit einem leisen Hauche, über dieselbe zu verbreiten wusste.

Was die Charaktere betrifft, so sind sie gleich gut gewählt und behandelt. Mozart bewiess sich darin als einen sehr gemüthvollen Zeichner; er hat die Scene gut gewählt, wenn gleich nur Schatten darauf zu spielen scheinen. Diese Schatten zu lebenden Gestalten zu erheben, das lebendige, aber nur zu verworrene Leben, welches diese Oper bezeichnet, zur blühendsten Romantik auszubilden, diese Aufgabe, welche Mozart bey der Bearbeitung dieses Stückes vorfand, hat er sehr glücklich gelös't. Mit ächt künstlerischer Willkürlichkeit hat er die halb verwischten und von Widersprüchen mitunter durchkreuzten Charaktere aufgegriffen und mit festem Sinne behandelt. Von der reizenden Fülle seiner Töne wie von einer goldenen Wolke umgeben, gekräftigt und gediegen, wie von einem Zauberstabe berührt, erscheinen sie jetzt in schöner Frische und üppiger Jugendlichkeit. Wenn die Personen zu reden anfangen, so kömmt es uns nicht anders vor als misslungene Ironie gegen sich selbst, wodurch das Stück indessen eine gar nicht uninteressante Duplicität bekömmt.

Die Ouverture ist die Ouverture aller Ouverturen, sie ist gewiss die erhabenste aller Ouverturen,[117] die je componirt wurden – ja, man kann sagen – sie ist ein Monument, das Mozart dem unsterblichen Ruhme der Kunst und der Verzweiflung seiner Nebenbuhler errichtet hat.

Sarastro, der König und Oberpriester – ein Greis, ehrwürdig und weise, gut und streng, sanft und erhaben; sein Charakter ist sehr bestimmt. Grau geworden in den Lehren der Mystik bleibt er sich immer gleich; kein Ausbruch heftiger Leidenschaft entweiht die Zeichnung des Charakters des stillen, ruhigen, erhabenen Weisen. Mozart hat diesen Charakter äusserst richtig bearbeitet. Die Tonarten, die er ihm anwiess, athmen Ruhe und Sanftheit, wie in der Arie: In diesen heil'gen Hallen etc. Die Tempo's sind feyerlich, erhaben, sanft und voller Würde. Man nehme das Gebet: O Isis und Osiris etc. welche Inbrunst und edle Einfalt in Melodie und Ausdruck! Wie schön hebt sich sein Charakter in dem Terzette: Soll ich dich Theurer nicht mehr sehn? und: Ihr werdet froh euch wiedersehn etc. Wenn gleich die Musik der anderen Sänger Unruhe und Angst ausdrückt, so verräth das Accompagnement doch hier und da einige innere Unruhe des Weisen über den ungewissen Ausgang der bevorstehenden Probe. Sein Trost ist mehr wohlgemeint als gründlich, und soll nur den Augenblick der Trennung erleichtern, was sich auch in der Folge und dem Schlusse entwickelt. – Die besänftigende Arie: In diesen heil'gen Hallen etc. hat so viel edle Einfalt, so viel namenlose Sanftmuth, und ihre Declamation ist so richtig und dem Charakter des erhabenen Weisen so anpassend, dass sie nicht schöner gegeben[118] werden könnte. Die einfache Begleitung, das leidenschaftlose, ruhige Zeitmaass, die heitere Beruhigung einflössende Tonart, alles malt uns den ruhigen Greis durch Weisheit und Erfahrung von allen Leidenschaften geheilt, den väterlich Nachsichtigen, den Bemitleidenden, Lehrenden, Bessernden. Nicht strafen, nur bedauern, ist der Geweihten Pflicht. – Er nimmt an der Wuth des boshaften Weibes, selbst da sie ihrer Tochter den Dolch zu seinem Morde vertraut, keinen Antheil, sieht mit gleichgültigem Bedauern auf ihre machtlose Wuth herab, sein Herz schlägt nur für Menschenliebe – die wahre Weisheit. – Wie schön malt uns diess Mozart in derselben Arie: Den Müden reichen wir den Stab etc. oder: Man reicht sich treulich hier die Hand und hat die Rachsucht nie gekannt etc. Bey dieser Lehre wird das Herz des alten, silberlockigen Greises wärmer – die Melodie steigt aufwärts und verkündigt die wärmeren Pulse für Menschenwerth, die auch im Herzen des Greises nicht erstorben sind. Und seines Charakters eingedenk, schliesst die Arie doch so traulich sanft, als sie begann, als wollte der Weise die Wärme seines Herzens nicht laut werden lassen, und sein halbverhaltnes Feuer lässt uns nur die warmen Gefühle seines Herzens unter dem Priesterrocke – errathen, die er schnell verbirgt, sobald er merkt, dass sie dem Herzen überwallen. Welche ruhige, aber desto innigere, leidenschaftlose Freude webt und lebt in dem Recitativ, am Ende, wo die Königin der Nacht mit ihrem schwarzen Plane und ihrer Rotte unter Getöse in ihr finsteres Reich zurückstürzt, alles Ungemach[119] verschwunden, alle Prüfungen glücklich überstanden sind! – Der Orcan der Instrumente schweigt; die Dissonanzen lösen sich; der wilde Chor verstummt, alles lös't sich in feyerliche Stille. Die Glücklichen sind am Ziele ihrer Prüfungen. – Traulich fasst sie der Weise bey den Händen: Es fliehen die Feinde, nun herrschet in Ruh'. Es geben die Götter den Seegen dazu etc. Und nun der sanfte, innige Chor – die Herzlichkeit der Theilnahme der Eingeweihten! – Hier ist kein wilder Uebergang, kein tändelndes Rondo, kein Gassenhauer, kein kindischer Alltagsschluss. – Nur die ruhige Freude des Weisen, innig liebender, erprobter, tugendhafter, guter Menschen ist am Ziele! Sie sehen die Belohnung ihrer Tugend; der Weise hat seinen schönen Zweck erreicht, der tugendhafte Jüngling seiner Wünsche Gegenstand errungen; die Weisen sehen einen würdigen Nachfolger ihres erhabenen Sarastro's, und Alles ist froh; eine allgemeine Heiterkeit verbreitet sich über alle, und alles Gewühl ist in die höchste Reinheit des Herzens aufgelös't. – Eine Freudenthräne im Auge, ein Druck der Hand und der kurze aber Inhaltschwere, einstimmige Wunsch: Ihr liebt euch – seyd glücklich und froh etc. – öffnet alle Herzen. Die Orcane sind vorüber, der Donner verhallt, zerrissen die finsteren Wolken, und die heitere Abendsonne lächelt am blauen Himmel im Thränen beperlten Hayne! –

An der Hand des grossen Weisen wallt ein schuldloses Mädchen, ihrer Mutter zum Glücke entrissen, Pamina. Wer will hier den Meister in der Zeichnung ihres Charakters verkennen? Welche Sanftheit,[120] welche Unschuld verbreitet sich über das schöne Gebild; und wie wusste der Künstler ihren Charakter durchzuführen, wie nach allen so mannigfaltigen Verhältnissen zu motiviren, ohne dem geliebten Bilde auch nur eine einzige Grazie zu entziehen. Man nehme das Duett: Wer zärtlich liebt, kann nicht betrügen etc. Welche Unschuld und Einfachheit! Welch argloses Anschmiegen der Melodie! Die Schuldlose empfindet, wie sie spricht; Worte und Gefühl haben nur einerley Gang. Schöner noch malt sich die Unschuld, wo sie mit Papageno entfliehen will. Sie fühlt den strafbaren Schritt, den sie gegen Sarastro's Gebot vor hat, aber Liebe treibt sie vorwärts. Furcht, Freude und Hoffnung durchstürmen ihr Herz in der Piece: Schnelle Füsse, rascher Muth etc. und: »nur geschwinde« – Alles deutet auf Angst und Verwirrung eines schuldlosen Mädchens, das diesen Schritt zum ersten Male wagt. In der Folge sieht man deutlich, dass ihr schuldloses Herz mehr vor Uebertretung, als vor der Gewalt des Monostatos zittert; denn auch da, wo Papageno's Glockenspiel die Peiniger verscheucht hatte, verräth sich ihre Angst noch in der Melodie und die schwankende Bewegung zwischen Furcht, Hoffnung, Angst und Freude ist in der Begleitung meisterhaft dargestellt, die ein völlig unbestimmtes Gefühl charakterisirt und einigermaassen dem Texte zu widersprechen scheint in der Stelle: »Könnte jeder brave Mann.« – Pamina möchte sich nämlich freuen über ihre unvermuthete Befreyung durch das magische Glockenspiel; aber der Gesang ihrer Freude ist nicht jener der Beruhigung, er wird in seinem Gange von innerer[121] Furcht unterbrochen. Um dieses ganz zu fühlen, declamire man sich die Stelle nach den Noten und überblicke zu gleicher Zeit die Begleitung der Instrumente. Schön zeichnet sich ihr fester Charakter und der ihr eingeflös'te Wahrheitssinn vor dem ängstlich verlegenen Alltagsmenschen Papageno in der Stelle desselben: »Sarastro kömmt, was werden wir nun sagen?« Die Bewegung in der Musik, das ängstliche Rücken des Pulses in den punctirten Noten, und nun darauf Pamina: »Die Wahrheit« wie mit einemmale die Melodie sanft gleichfliessend wird, und die Begleitung der Instrumente in lang gezogenen Noten fest steht! – Welcher Wahrheitssinn und welche Festigkeit! Wie schön contrastirt hier das gebildete Mädchen mit ihrem Wahrheitssinne gegen den gewöhnlichen Papageno, der, ganz im Charakter seiner Art, seine Zuflucht zum Lügen nehmen und sich mit Pamina auf eine Ausrede besinnen will: »Was werden wir nun sagen?« – welche edle Zurückweisung in Pamina's Worten: »Die Wahrheit!« –

Pamina's Charakter ist mehr leidend behandelt, und eben diese Passivität schöner Weiblichkeit ist es, die uns so sehr für sie interessirt. Mozart wollte uns ein sanftes Mädchen malen und er hat sein Gemälde trefflich vollendet. Einer Menge Klippen, die ihm der Dichter in den Weg stellte, ist er glücklich ausgewichen. Denn was wäre Pamina's Charakter unter den Händen eines minder denkenden, eines oberflächlich fühlenden Componisten geworden? – Ihr Gesang ist sanft fliessend und mehr unter Noten gelegte Declamation. Der fein fühlende Mozart[122] wollte uns ja ein wohlgezogenes Frauenzimmer geben, die ihre Empfindungen nicht durch leidenschaftliche Ausbrüche entweiht, aber eben desto inniger fühlt, je minder Schwatzens von ihren Empfindungen sie macht, und das ist eben das, was uns desto mehr für sie interessirt; diese halbverhaltene und halbverrathene Liebesunruhe, dieser innere Schmerz, die so sanfte Rührung schliesst uns an die Leidende, die wir bewundern und an ihrem Schicksale desto innigern Antheil nehmen, weil sie mit Ergebung duldet. – Was rührt wohl den moralischen Menschen mehr als stummes Dulden? Und was schmelzt die Herzen sicherer, als eine unterdrückte Thräne? – Wer übertreibt, sagt nichts, und alle die lärmenden Bravourarien, mit ihren Windsbräuten, Saussen, Quieken, Braussen und Toben von Instrumental-Begleitung, beleidigen das reinere und zartere Gehör, übertäuben den Text und machen nicht selten die leidende Königin zum tobenden Fischerweibe.

Pamina leidet, freut sich am Ziele, ja sogar Schwermuth und Wahnsinn bemeistert sich ihrer – und Mozart vergisst in keiner der mannigfaltigen Situationen, dass ein gebildetes Mädchen, eine Prinzessin, Alles dieses betrifft, die so gut wie andere Erdgeborne leidet, aber ihren Kummer zu verbergen, wenigstens mit Anstand zu tragen weiss. In der Scene des Wahnsinns, unstreitig der gefährlichsten Klippe für den Tonsetzer, zeigt sich Mozart in seiner ganzen Grösse8. – Hier: »O Dolch, du[123] bist mein Bräutigam!« hätte der Wahnsinn alle Schranken in einer Bravourarie durchbrechen können – wahrscheinlich wollte auch Schikaneder seinem schaulustigen Publicum in dieser Scene ein Spectakel geben, wollte vielleicht eine Rasende sehen lassen, die die Luft mit ihren Affecten zerfetzt – und Mozart gab uns eine süsse Schwärmerin, die wir auch mit ihrem kränkelnden Verstande lieben und bedauern. Kurz, Pamina's Charakter ist das schönste[124] musikalische Bild des reinsten Ideals weiblicher Grazie, sanfter Empfindungen und ungetrübter Unschuld. Sie ist für jeden Componisten das vollkommenste Muster schöner Weiblichkeit.

Tamino, ihr Geliebter, ein Jüngling mit allen Männertugenden und Männerschwächen, der sich durch die Sirenenstimme eines listigen Weibes zu Mord und Entführung bereden lässt, und eben so schnell durch die Weisheit der Priester, die ihm das Ziel seines Ringens immer in einer gewissen Entfernung zeigen, ins rechte Gleis geleitet wird. Thatkraft, fester Wille für das Gute liegt in seiner Seele, aber ohne Plan, ohne Richtung. Erst als er in die Lehre der Priester kömmt, wird sein Charakter entwickelt und erhält seine feste Norm. Welche Sanftheit – doch von jener Pamina's und Sarastro's ganz verschieden – ist über den Jüngling verbreitet! Welche Anmuth mit männlicher Kraft gepaart! Die Arie: »Diess Bildniss ist bezaubernd schön!« wie richtig empfunden, wie aphoristisch der Anfang! Das Bild sehen und in diese Worte ausbrechen ohne Ritornell, bloss einige charakteristische Accorde, die nur dem Sänger den Ton angeben, und die Erschütterung der Seele beym Anblicke des reizenden Bildes ausdrücken und die Worte selbst blosse Noten der Declamation untergelegt – wenn der erste Ausbruch der Bewunderung vorüber ist und die Gefühle der Liebe allmählig in einander verschmelzen – von der Stelle: »Ich fühl's und das Fortarbeiten der Seele durch alle Nüancirungen bis zu der Frage: »Soll die Empfindung Liebe seyn?« Wie schön versteht er nicht die abwechselnden Empfindungen[125] zu malen! Und endlich der Uebergang zur völligen Gewissheit: »Pamina wird auf ewig Dein!« – Der Strom der Empfindungen wird reissender, die Pulse gedrängter, die Musik eilt in gedrängten Noten vor- und aufwärts, man bemerkt den Stufengang der Empfindungen und wie die Seele zu jener schwindelnden Höhe des höchsten Erdenglücks exaltirt wird. Der Uebergang vom Adagio bis zum gedrängten Allegro ist so richtig gedacht; das Schwindeln und Schwärmen in dem erstern so schön durch alle Nüancen durchgeführt, dass der Zuhörer seinen Empfindungen von einer Stufe zur andern folgen kann. Diese Arie ist ein Beweis von der äussersten Delicatesse des Gefühls, von der Richtigkeit und Bestimmtheit seiner Empfindungen. Mozart giebt uns hier, wie immer, reines Gefühl ohne Ueberladung, richtig angelegt und auch richtig ausgeführt. Diese Arie ist ein classisches Modell, woran junge Tonsetzer den motiven Stufengang der Empfindungen studiren können.

Die sternflammende Königin – ein leidenschaftliches, ränkevolles Weib – Rachsucht in ihrer finstern Seele – wie sehr verschieden von dem Charakter ihrer schuldlosen Pamina! – Wer verkennt gleich in der ersten Arie die listige Verführerin, die erst Schrecken, dann Seufzer und Thränen, und endlich die dringendste Aufforderung mit schmeichelnden Versprechungen anwendet, den unerfahrnen Jüngling für ihren Plan zu interessiren. – Das Ritornell mit seinen majestätisch aufsteigenden Noten feyerlich in die Höhe wogend, malt ihr Aufsteigen von dem unterirdischen Reiche und bereitet auf was Grosses vor.[126] Tamino wird gespannt – und nun das Sirenen-Recitativ: »O! zitt're nicht, mein lieber Sohn, Du bist unschuldig, weise, fromm.« Jetzt hat sie ihn gewonnen und fällt in die klagende Melodie ein, begleitet von dem schwermüthigen Fagotte. Wie malerisch beredt ist ihre Erzählung des Raubes ihrer Tochter, wie lebhaft die Unterbrechung: »Ach helft! um dem Zuhörer neue Spannung zu geben. Und nun wieder der Rückfall in die Erzählung unisono mit dem Fagotte: »War Alles, was sie sprach.« – Jetzt hat sie den Prinzen auf dem Puncte, wohin sie ihn haben wollte; jetzt wird sie dringender, sie stürmt mit aller Macht auf ihn ein, verspricht ihm den Besitz der reizenden Pamina und verschwindet unter einem tobenden, prächtigen Orcan aller Instrumente, die, nachdem sie in der Begleitung einzelner Stellen, jedes besonders, ihre Beredsamkeit aufgeboten haben, jetzt mit vereinten Kräften hereinstürmen und den betäubten Jüngling zum festen Entschlusse fortzureissen suchen. Die Arie: »Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen!« ist die grellste Schilderung der höchsten Wuth eines von Mordlust heissen Weibes. Alles kocht, Alles siedet, tobt und schäumt; Alles bläs't und tobt unter einander; die Rednerin selbst scheint sich im Gefühle ihrer Rache zu verwirren, die Wuth lässt ihr keine Zeit, die Worte auszusprechen. Diess giebt der Componist dadurch, dass er die Noten gleich anfangs verkürzt. Dann schöpft sie Odem zu neuen Lavaströmen ihrer Wuth. – Hier steht kein Punct, kein Sechzehntheil vergebens, und selbst die hohen Läufer bezeichnen das Wühlende, Zitternde ihrer[127] Rache bebenden Seele. Die Pralltriller und Doppelschläge thun hier eine allmächtige Wirkung, und dann der schnelle, kurz abgebrochene Schluss, von einem Sturme der Instrumente begleitet. – Sie versinkt, und die Erde scheint unter dem Hörer mit zu versinken. – Hier ist die Bravourarie im eigentlichsten Sinne an ihrem rechten Platze.

Monostatos ist ganz der niedrige, feige Sclav; sein untergeordneter Charakter ist im Geschmacke seiner Nation bearbeitet, was sich in dem Liedchen: »Alles fühlt der Liebe Freuden« etc. auffallend zeigt, da es von der übrigen Musik dieser Oper gänzlich abweicht. Die Melodie und die hohe Begleitung, die fliessende Tonart, Alles charakterisirt den Mohren, der, so feig er im ersten Acte erscheint, in groben, bäuerisch imponirenden, unmelodischen Noten der Königin vorschreibt, die sich seiner Hülfe bedienen muss: »Doch, Fürstin, halte Wort, erfülle! Dein Kind muss meine Gattin seyn.«

Papageno ist ein ganz gewöhnlicher Alltags-Mensch, und Mozart componirte seine Lieder so, dass sie Jedermann nachsingt, tändelnd, leicht, aber nichts desto weniger wahr und gefühlvoll. Er zeichnet uns einen einfachen Natursohn, nicht einen Possenreisser, wie er auf manchen Bühnen gegeben wird. Nirgends findet sich in der Musik eine Spur, die auf Harlekinade hindeutete; sangbare Melodie und der – wie das bey Naturmenschen gewöhnlich ist – sich schärfer markirende Ausbruch der Freude, zeigt eben keinen Hanswurst an; daher muss der Schauspieler ein sehr gewöhnlicher Mensch seyn,[128] wenn er durch sein Spiel der Rolle das Schickliche und Anständige nimmt, welches der Componist, freylich nur mit einem leisen Hauche, über dieselbe verbreitete.

Im Priestermarsche, so wie im Gebete: »O Isis und Osiris!« und demselben Priesterchore herrscht der schönste gereinigte Kirchenstyl, und Glucks und Händels Chöre bleiben weit hinter ihnen an edler Einfalt, Anmuth und Bestimmtheit des Charakters zurück.

Die Feuerprobe mit ihrem Chorale ist unstreitig das non plus ultra dramatischer Darstellung.

Die Zauberflöte, kann man sagen, trägt das Bild einer gereiften Frucht. Mozart musste erst seine vorigen Opern componiren, ehe er im Stande war, uns eine Zauberflöte zu schaffen; alle seine früheren Werke scheinen gleichsam Vorbereitungen zu diesem Meisterwerke, und selbst sein späteres Kind, La Clemenza di Tito, sagt ziemlich laut: mein Vater hat sich bey der Zauberflöte erschöpft. – Das Genie bringt erst seine üppigen Producte mit allen seinen Auswüchsen und Schönheiten, aber nur anhaltendes Studium bringt das Kunstwerk hervor. Mozart's frühere Opern sind gleichsam mehr oder minder Erzeugnisse des Genie's, als der überlegenden Kunst; die Zauberflöte aber ist das Werk gereifter Erfahrung, das Resultat lang vorbereiteten Studiums, ein reines Kunstproduct.

In der Zauberflöte scheint sich Mozart selbst übertroffen zu haben.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 111-129.
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