1. Sippe: Meloinen

[122] Die sich der vorigen unmittelbar anschließende Familie hat den Namen der Pflasterkäfer (Vesicantia oder Cantharidae) erhalten, weil einige Arten einen eigenthümlichen Stoff, das Cantharidin, entwickeln, welcher Blasen zieht, sobald man ihn auf die Haut bringt; er wird deshalb in der Heilkunde äußerlich als Zugpflaster und unter Umständen auch innerlich verwerthet. Schon den Alten war diese Eigenschaft bekannt, aber aus den Namen, welche den betreffenden Thieren beigelegt werden, und aus deren Beschreibungen läßt sich das Wahre schwer herausfinden. Moufet aber trägt durch seine Abhandlung über die »Bupreste« und die »Cantharide« eher dazu bei, die Sache zu verwirren, als sie aufzuklären, da er entschieden neben der Spanischen Fliege auch einige Karaben und andere nicht zu deutende Käfer abbildet.

Abgesehen von der eben erwähnten physiologischen Eigenschaft, welche, wie erwähnt, nicht allen Familiengliedern zukommt, stimmen sie in folgenden Merkmalen überein: der Kopf durch einen hochgewölbten Scheitel ausgezeichnet, steht senkrecht, ist hinten halsartig verengt und in seiner ganzen Ausdehnung sichtbar; auf der Stirn oder vor den Augen trägt er die neun- bis elfgliederigen Fühler, welche fadenförmig, nach der Spitze auch verdickt oder unregelmäßig gebildet sein können. Das Halsschild ist am Vorderrande schmäler als der Kopf, am Hinterrande weit schmäler als die biegsamen Flügeldecken. Alle Hüften stehen zapfenartig hervor und nahe beisammen, die vier vorderen Füße tragen fünf, die hintersten nur vier Glieder mit in ungleich dicke Hälften gespaltenen Klauen. – Die mehr als achthundert Arten gehören vorherrschend den wärmeren Erdstrichen an.

Die Maiwürmer, Oelkäfer (Meloë), bilden die erste, sehr artenreiche Gattung der Familie und leben mit Ausnahme einiger amerikanischen Arten nur in der Alten Welt. Zu ihrer Erkennung wird uns eine ausführlichere Beschreibung erspart durch die S. 125 gegebene Abbildung und die Eigenthümlichkeit der Flügeldecken. Dieselben stoßen nämlich nicht in einer geraden Naht, wie bei fast allen anderen Käfern, aneinander, sondern die eine legt sich an der Wurzel über die andere, wie dies bei den Kaukerfen Regel ist; decken sie den unförmlichen, sackähnlichen Hinterleib [122] eines Weibchens, so klaffen sie sehr bald und stellen ein paar kleine Läppchen dar, wie unser erstes Bild zeigt; bei dem oft viel kleineren Männchen, dessen Hinterleib, von Eiern nicht aufgetrieben, mit allen übrigen Theilen im Ebenmaße verbleibt, klaffen die Deckschilde nicht und verbergen zwar den Hinterleib vollkommen, jedoch keine Flügel, da solche beiden Geschlechtern gänzlich fehlen. Den lateinischen Namen Proscarabaeus, welchen Moufet auf diese Gattung anwendet, rechtfertigt er damit, daß sie vor den Skarabäen ein männliches und ein weibliches Geschlecht voraus hätte.

Die Oelkäfer (»Oelmütter«) erscheinen früh im Jahre – ich habe die gemeine Art schon am 11. März angetroffen – kriechen im Grase, an dessen Stengeln und auf Wegen umher, im Monat Mai am zahlreichsten, nehmen dann allmählich wieder ab, so daß Ende Juni auch der letzte verschwunden sein dürfte. Ihre Nahrung besteht aus niederen Pflanzen, vorzüglich jungen, weichen Gräsern, Löwenzahn, Veilchen und anderen, die sie des Morgens und gegen Abend mit großer Gefräßigkeit verzehren. Dabei umklammern sie die Futterpflanze mit den langen Beinen, bringen die zu verzehrenden Theile mit einem der Vorderbeine heran, halten dann und wann bei ihrem Mahle inne, um sich mit den Vorderbeinen zu »putzen« und zeigen in jeder Beziehung ein gewisses Behagen. Wenn die Mittagssonne zu heiß brennt, suchen sie den Schatten auf und kommen trotz ihres plumpen Körperbaues doch leidlich schnell von der Stelle. Wenn man sie anfaßt, ziehen sie Beine und Fühler ein und lassen aus allen Kniegelenken das Cantharidin als ölartige, gelbe Tropfen austreten. Wahrscheinlich bezieht sich die Bemerkung Nicanders: »das Rindvieh schwillt auf, wenn es das Thier gefressen hat, welches die Hirten Buprestis nennen«, auf unseren Käfer. In der Thierarzneikunde finden die Maiwürmer mehrfache Anwendung, besonders bei gewissen Krankheiten der Pferde, spielten jedoch in früheren Zeiten eine weit bedeutendere Rolle; denn es wird berichtet, daß sie von den Dithmarschen getrocknet, zerrieben und mit Bier getrunken worden seien. Dieser »Anticantharinen- oder Kaddentrank« – Kadde bezeichnete die Oelkäfer – sollte gegen Schwäche jeglicher Art helfen. Haben sich nach dem Erscheinen der Käfer die Geschlechter zusammengefunden, so erfolgt die Paarung. Das abgemattete Männchen stirbt sogleich, das Weibchen erst nach Vollendung des Brutgeschäftes. Zu diesem Zwecke beginnt es mit seinen Vorderbeinen in nicht zu lockerer Erde ein Loch zu graben, während die übrigen Beine zur Fortschaffung der Erde verwendet werden. Bei der Arbeit dreht es sich öfters, so daß das Loch eine ziemlich kreisförmige Gestalt bekommt. Ist es ungefähr 26 Millimeter tief vorgedrungen, so sind die Vorarbeiten beendet, es kommt hervorgekrochen und setzt sich nun mit dem von Eiern strotzenden Hinterleibe auf den Boden der Grube, indem es sich mit den Vorderbeinen am Rande derselben festhält. Unter verschiedenen Kraftanstrengungen legt es einen Haufen walzenförmiger, dottergelber Eier und beginnt schon gegen Ende dieser Arbeit mit kleinen Unterbrechungen, welche dem Sammeln frischer Kräfte gelten, so viele Erde wieder herunter zu schaffen, als es mit seinen Vorderbeinen eben erreichen kann. Der halb und halb mit verschüttete Hinterleib wird zuletzt hervorgezogen und durch weiteres Auffüllen der Erde jede Spur davon möglichst vertilgt, daß ihr hier ein Schatz anvertraut ward. Hierauf läuft es – nach seiner Weise – schnell von dannen und stärkt sich durch eine gehörige Mahlzeit. Noch ist die Mutter zu sterben nicht bereit, ihr Vorrath an Eiern hat sich noch nicht erschöpft, an zwei bis drei anderen Stellen wiederholt sie die eben beschriebene Arbeit und vertraut so der Erde die ungeheuer zahlreichen Keime ihrer Brut an. Ueber tausend Eier werden von ihr abgelegt, es sei denn, daß eine anhaltend ungünstige Witterung ihr die Lust dazu benimmt und sie allmählich verkommen läßt.

Nach achtundzwanzig bis zweiundvierzig Tagen kriechen die Larven hervor und suchen sich die nächsten Kinder Floras auf, die weißen und gelben Anemonen, die saftreichen, immer dürstenden Dotterblumen mit ihren glänzenden Blättern, die mancherlei Ranunkeln, kurz alle, welche, bei uns wenigstens, die Volkssprache unter dem Namen »Butter- oder Kuhblumen« zusammenfaßt, Lippen-, Kreuzblümler und andere, wohl wissend, daß hier des Honigs wegen auch die Bienen [123] sich einstellen werden. In dichten schwarzen Knäueln kann man sie dort sitzen sehen. In einem Falle, bei künstliche Zucht, stand der diesem Zwecke dienende Blumentopf lose mit einem Glasscherben bedeckt am Fenster des Zimmers. Gar bald liefen die kleinen Larven zu Hunderten auf der Fensterbrüstung umher, gruppirten sich in größeren oder kleineren Haufen und verhielten sich dann ziemlich ruhig. Auch währte es nicht lange, so schleppten sich Stubenfliegen an derselben Stelle mühsam einher oder lagen unbeweglich auf dem Rücken. Bei näherer Untersuchung fanden sie sich über und über mit Meloëlarven bedeckt. Dies beweist ihren Drang, ein anderes Insekt zu besteigen, und sollte es in Ermangelung des wahren ein falsches sein. Nicht nach Nahrung suchen diese kleinen Wesen, wie andere dem Eie entschlüpfte Larven, sondern ihr einziges Bestreben geht dahin, auf den Rücken einer honigsammelnden Biene zu gelangen. Doch lernen wir sie erst kennen, um sie an Blumen oder auf dem Körper einer Biene wiederzufinden. Die Meloëlarve ist in ihrer Gestalt der später vorgeführten Larve der spanischen Fliege sehr ähnlich: lang gestreckt und mit Chitin überzogen. Am dreieckigen Kopfe stehen jederseits ein Auge und ein dreigliederiger, in eine lange Endborste auslaufender Fühler, die sechs gespreizten Beine endigen in je drei Klauen und der Hinterleib in vier Borsten. Zwischen den Haaren der Biene krabbelt das Thierchen umher, thut in der Regel derselben nichts zu leide, sondern betrachtet sie als Mittel zu seinem weiteren Fortkommen. Die Biene ihrerseits, besorgt um ihre Nachkommenschaft, wie jedes rechtschaffene Insektenweibchen, baut ihre Zelle, trägt sie voll süßer Flüssigkeit und legt ihr Ei darauf. Diesen Augenblick hatte aber die vermeintliche »Bienenlaus« mit Schmerzen erwartet. Sie gleitet herunter von ihrer Wohlthäterin und setzt sich auf das Ei. Jene schließt die Zelle und hat alles gethan, was ihr die zärtliche Muttersorge eingab. Für unser Lärvchen beginnt nun eigentlich erst das Leben. Es verzehrt das Ei, seine erste Nahrung, legt die Maske ab, welche es bisher trug und wird zu einer weichhäutigen, wesentlich anders aussehenden Larve, welche nun den Honig vertragen kann, ihn unter sichtlichem Gedeihen zu sich nimmt und zu ihrer völligen Größe gelangt. Das engerlingähnliche Wesen (Fig. 2) unserer Abbildung stellt diese zweite Larvenform vor; sie ist zwölfringelig am Mittelbrustringe und an den acht ersten Gliedern des Hinterleibes mit Luftlöchern ausgerüstet. Am hornigen Kopfe fehlen die Augen, die Oberlippe tritt trapezförmig hervor, die kurzen, kräftigen Kinnbacken biegen sich nur schwach und tragen innen je einen Zahn; Fühler, Kiefer- und Lippentasten sind dreigliederig, die kurzen Füße einklauig.

Wie nun, wird man mit Recht fragen, wenn eine solche »Bienenlaus« sich versieht, eine männliche Biene besteigt, oder eine haarige Fliege und so niemals ihren Zweck erreichen kann? Es sind einzelne Fälle beobachtet worden, sie kommen also vor, wo sie im Irrthume war und wahrscheinlich zu Grunde gehen mußte. Weil die weitere Entwickelung hier von mehreren Vorbedingungen abhängig ist als bei anderen, darum hat die Natur zum Schutze der Art den weiblichen Eierstock auch vorzugsweise gesegnet. Anderseits aber hat sie auch jenen Lärvchen den Trieb eingepflanzt und sie unter solchen Bedingungen geboren werden lassen, daß sie die ihrem Fortkommen nöthigen Bienen (besonders der Gattung Antophora, Macrocera angehörig, auch Apis und andere) herausfinden.

Man sollte meinen, daß nun wenigstens, nachdem die Larve den Honig verzehrt hat und vollkommen erwachsen ist, der gewöhnliche Entwickelungsgang eintreten und sie sich verpuppen werde. Dem ist aber nicht so. Es hebt sich vielmehr ihre Haut ab, ohne zu bersten, und innerhalb derselben zeigt sich eine hornige Puppenform, dem Umrisse der vorigen Larve sehr ähnlich, die Scheinpuppe oder Pseudochrysalide (Fig. 3), welche keine Nahrung mehr zu sich nimmt. Ihr Bauch ist plattgedrückt, der Rücken stark gewölbt, der Kopf eine Maske, an welcher einige unbewegliche Erhabenheiten eine gewisse Uebereinstimmung mit den zukünftigen Kopftheilen andeuten, statt der Beine bemerkt man warzige Auftreibungen. Gerstäcker behauptet, daß diese Scheinpuppe bei Meloë erythrocnemus nicht entstände. Innerhalb dieser Puppe, deren Hornhaut sich abermals löst, tritt von neuem eine weichhäutige, wurmähnliche Larve auf, welche in kürzester Zeit zu der [124] wahren Puppe (Fig. 4) wird. Dies der Hergang der Verwandlung, welcher bei einigen vollständig, bei anderen in einzelnen Unterbrechungen beobachtet worden ist. Newport und Fabre verdanken wir in erster Linie diese so überaus interessanten Wahrnehmungen, zu denen Meloë cicatricosus den Beweis lieferte.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 122-125.
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