Eciton hamatum, drepanophorum

[267] Die Ecitons bewohnen Brasilien, einige bis Mejiko reichend, und sind bisher fast nur im Arbeiterstande bekannt geworden. Sie unterscheiden sich von den übrigen Knotenameisen durch zweigliederige Kiefer-, und dreigliederige Lippentaster, durch eine Grube für die zwölfgliederigen Fühler, welche nach innen von den Stirnleisten, nach außen von einem Kiele begrenzt wird, durch sehr kleine, einfache Augen an Stelle der Netzaugen, oder gänzlichen Mangel derselben, und endlich durch die meist zweizähnigen Fußklauen. Bates gibt in seinem »Naturforscher am Amazonenstrome« höchst interessante Einzelheiten über das Leben dieser von den Eingeborenen »Touóca« genannten Thiere, welche wir den folgenden Mittheilungen zu Grunde legen. Die Ecitons ziehen alle in Scharen auf Raub aus und werden dabei von einer Fliege (Stylogaster) begleitet, welche in zitternder Flügelbewegung einen Fuß hoch, oder niederiger über ihren Scharen schwebt, sich plötzlich herabläßt, wahrscheinlich um mittels ihrer langen Legröhe ein Ei bei den von den Ameisen fortgeschleppten Larven unterzubringen. Beinahe jede Art hat ihre Eigenthümlichkeiten, wie und wo sie in geordneten Heerscharen aufmarschirt, und auch diejenigen, welche diese zusammensetzen, sind nicht gleich. Man unterscheidet sehr wohl zwischen großköpfigen und kleinköpfigen Arbeitern, welche aber nur bei einigen Arten (Eciton hamatum, erraticum, vastator) durch andere Bildung der Kinnbacken beweisen, daß beide nicht zu gleicher Arbeit befähigt sind; in den meisten anderen Fällen finden sich Uebergänge in der Körpergröße, und Bates konnte keinen Unterschied in den Verrichtungen der Groß- und Kleinköpfigen wahrnehmen. Eciton rapax, der Riese der Gattung, insofern bis dreizehn Millimeter große Arbeiter vorkommen, durchzieht in nur schwachen Kolonnen den Wald und scheint hauptsächlich die Nester einer Formica-Art zu plündern, wenigstens fanden sich häufig verstümmelte Körper derselben auf ihren Wegen. – Auch bei einer zweiten Art, Eciton legionis, welche bedeutend kleiner ist und sich in dieser Beziehung wie in Farbe wenig von unserer europäischen rothen Knotenameise (Myrmica rubra) unterscheidet, theilen sich die beiden Arbeiterformen nicht in die Geschäfte, wenigstens betragen sie sich auf den Zügen ganz gleich. Diese wurden von Bates auf den sandigen Campos von Santarem selten gesehen, aber um so besser beobachtet, weil das Dickicht die Aussicht nicht versperrte. Die Heere bestehen aus vielen Tausenden, welche sich in breiten Kolonnen vorwärts bewegen; werden sie dabei gestört, so greifen sie den eindringenden Gegenstand mit derselben Wuth an, wie die anderen Arten. Bei einer Gelegenheit gruben sie am Hange eines Hügels in die lockere Erde Minen bis zu 26,2 Centimeter Tiefe, um dicke Ameisen (Formica) herauszuholen. Die vereinten Kräfte verdoppelten und verdreifachten den Eifer, mit welchem sie die Beute vorzogen und in Stücke zerrissen. Der Beobachter wünschte einige der angefallenen Ameisen zu sammeln und grub danach; das war jenen aber gerade recht, in ihrem Eifer nahmen sie ihm dieselben unter den Händen fort, und es kostete Bates wahre Mühe, einige unverletzte Stücke in Sicherheit zu bringen. Beim Anlegen der Minen, welche den Räubern den Weg zum Raube bahnen sollten, schienen die kleinen Arbeiter in verschiedene Abtheilungen getheilt zu sein, indem die einen gruben, [267] die anderen die Erdtheilchen entfernten. Als sie tiefer eingedrungen waren und die Schwierigkeiten der Arbeit zunahmen, wurde der Handlangerdienst eingerichtet: den von unten Heraufkommenden nahmen die Kameraden, welche sie schon oben am Rande erwarteten, die Bürde ab und trugen sie weiter. Auch vertauschten sie bisweilen ihre Rollen, die Schachtarbeiter blieben draußen und jene fuhren ein, um die Erde bis zum Rande zu fördern. Sobald aber erst die Beute sichtbar wurde, griff alles zu, zaußte und zerrte nach allen Richtungen, alles schleppte fort, so viel die Kräfte erlaubten und marschirte damit den Abhang hinunter. Nach zwei Stunden waren die Nester so ziemlich ausgenommen, und in einzelnen Zügen bewegten sich die Sieger den Hügel hinab, trafen aber alle unten wieder in geschlossener Kolonne zusammen, welche sich sechzig bis siebzig Schritte weit erstreckte und an einem steinharten Hügelchen ihr Ende erreichte. An diesem ging der Strom hinauf. Viele, die bis dahin leer mitgelaufen waren, halfen nun ihren Kameraden die schwere Bürde hinaufschaffen, und allmählich verschwand die Gesellschaft durch einen oberen Eingang in die Tiefe des Baues.

Zwei andere sehr gemeine Arten (Eciton hamatum und drepanophorum) sind sich so ähnlich, daß eine genaue Untersuchung nöthig wird, um sie unterscheiden zu können; aber nie untermischt, stets getrennt ziehen die gedrängten Scharen zu Tausenden in den Uferwäldern des Amazonenstromes einher. Die Größe der Ameisen ein und derselben Gesellschaft ist ungemein schwankend, man kann Zwerge von einfünftel Zoll neben einen halben Zoll langen großköpfigen mit ungeheueren Kiefern hinwandeln sehen. Ehe ein Fußgänger auf einen Zug solcher Ameisen trifft, wird er durch das Zwitschern und das unruhige Umherflattern eines kleines Schwarmes einfarbiger Vögel, der Ameisendrossel, im Dickicht aufmerksam gemacht. Geht er ungeachtet dieser Warnung noch einige Schritte vorwärts, so fühlt er sich mit einem Male von diesen kleinen Räubern angefallen, welche scharenweise mit unglaublicher Schnelligkeit an seinen Beinen in die Höhe kriechen, ihre Zangen in die Haut einschlagen, auf diese Weise Anhalt gewinnend, die Hinterleibsspitze nach vorn biegen und mit aller Kraft stechen. Es bleibt dann nichts anderes übrig, als schleunigst nach dem anderen Ende der Kolonne zu entfliehen. Die Bestien haben sich so verbissen, daß man sie beim Abnehmen zerreißt und der Kopf an der Wunde sitzen bleibt. Auf den unglücklichen Wanderer war es ursprünglich nicht abgesehen, er kam den im Dickicht ihr Unwesen treibenden Ameisen nur zu nahe, die überall Schrecken und Aufregung verbreiten, wo sie ihre Straße ziehen. Vorzüglich haben die ungeflügelten Kerfe, Spinnen, andere Ameisen, Maden, Raupen, Asseln und andere alle Ursache, sich vor ihnen zu fürchten. Die Ecitons steigen nicht hoch an den Bäumen hinauf und belästigen die Vogelnester daher wenig. Bates meint folgende Angriffsweise verbürgen zu können: Die Hauptkolonne, vier bis sechs neben einander, rückt in einer gegebenen Richtung vor, den Boden von allen thierischen Stoffen reinigend, gleichviel ob lebendig oder todt, wobei sie hier und da eine kleine Seitenkolonne absenden, welche an den Flanken der Hauptarmee fourragirt und dann wieder in den Hauptzug eintritt. Wenn irgendwo in der Nähe der Marschlinie eine besonders günstige Stelle entdeckt wird, wie etwa ein Haufe verwesenden Holzes, in dem sich viele Insektenlarven aufhalten, so wird Halt gemacht, und ein starkes Heer sammelt sich an dieser Stelle. Die wüthenden Geschöpfe durchsuchen nun jede Spalte und reißen alle großen Larven, welche sie an das Tageslicht bringen, in Stücken. Interessant ist es, wie sie die Wespennester ausplündern, welche sie manchmal an niederigen Sträuchern antreffen. Sie nagen die papiernen Deckel von den Zellen, um zu Larven, Puppen oder schon entwickelten Wespen zu gelangen, und reißen alles in Fetzen, ohne Rücksicht zu nehmen auf die beleidigten Inhaber und natürlichen Wächter des Baues. Die Heere marschiren nie weit auf einem betretenen Wege, trotzdem ist ihnen Bates manchmal halbe Meilen weit nachgegangen, hat aber nie ein Nest aufgefunden. Einst beobachtete er einen Zug, welcher eine schmale offene Stelle überschritt und etwa eine Länge von sechzig bis siebzig Schritte hatte, ohne daß man weder Vortrab, noch Nachhut sehen konnte. Alle bewegten sich in einer Richtung bis auf einige an der Außenseite des [268] Zuges, welche eine kleine Strecke rückwärts gingen, dann aber wieder vorwärts mit dem Strome; diese Bewegung nach hinten setzte sich aber in gleicher Weise an der ganzen Außenseite fort, und dies schien eine Vorsichtsmaßregel zu sein, um den Zug zusammenzuhalten; denn die Flankenläufer blieben häufig einen Augenblick stehen und berührten einen und den anderen ihrer Kameraden in der Kolonne mit den Fühlern, um irgend eine Mittheilung zu machen. Wenn Bates den Zug störte, so wurde diese Störung bis zur Entfernung von mehreren Schritten den übrigen mitgetheilt, und der Zug fing an, sich bis zu diesem Punkte rückwärts zu bewegen. Alle kleinen Arbeiter trugen ein Bündel weißer Maden zwischen ihren Kinnbacken, welche anfangs für ihre Brut gehalten wurden, sich aber nach späteren Erfahrungen als Raub auswiesen. Besonders merkwürdig nahmen sich in diesem Zuge die großköpfigen Arbeiter aus, von denen etwa einer auf ein Dutzend der kleinen kam, und deren keiner etwas trug, sondern alle liefen leer und außerhalb des Zuges in ziemlich regelmäßigen Zwischenräumen von einander. Diese Beobachtung wurde dadurch besonders erleichtert, daß ihre großen, weitglänzenden Köpfe beim Marsche über kleine Unebenheiten vor den anderen auf- und abwogend hervorsahen. Daß sie die Vertheidigung der anderen übernommen hätten, wie man nach der ihnen gegebenen Benennung »Soldaten« erwarten müßte, konnte nicht bemerkt werden; der Bau ihrer Kinnbacken verbietet ihnen übrigens auch, sich in einen Feind einzubeißen. Bates sah die Ecitons sich im Sonnenscheine auch tummeln, gegenseitig belecken und putzen und auf diese Weise von der Arbeit ausruhen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 267-269.
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