Zug- oder Visitenameise (Oecodoma cephalotes)

[270] Die Zug- oder Visitenameise, Mandioc-Ameise (Oecodoma cephalotes), in ganz Südamerika unter dem Namen Sauba bekannt und gefürchtet, weil sie meist die werthvollsten angepflanzten Bäume ihres Laubes beraubt und in Gegenden, wo sie in ungeheueren Massen vorkommt, den Ackerbau beinahe unmöglich macht. Den Indianern gelten übrigens die mit Eiern angefüllten Leiber der Weibchen als größter Leckerbissen; man beißt sie ab und ißt Salz dazwischen. Gibt es eine reiche Ernte, so werden sie mit Salz geröstet und sollen in dieser Form auch den Europäern munden.

Die Sitten dieser Ameisen stimmen in vieler Beziehung mit den oben geschilderten der europäischen überein. Sie bauen, wenn nicht sehr hohe, doch sehr umfangreiche Hügel in den Pflanzungen und Gehölzen. Bates gibt vierzig Schritte im Umfange und 62,8 Centimeter Höhe an, andere Reisende sprechen von hundertachtundachtzig und zweihunderteinundfunfzig Centimeter. Diese Dome bilden nur die äußere Bedeckung eines tief und weit im Boden verbreiteten Gangnetzes mit vielen Oeffnungen nach außen, welche für gewöhnlich geschlossen sind. Bei den mancherlei [270] Versuchen, die Sauba aus den botanischen Gärten von Para zu vertreiben, wurde über einigen Haupteingängen zu ihrer Kolonie Feuer angezündet und durch Blasebälge Schwefeldämpfe eingeführt. Bates sah aus einer Menge von Oeffnungen die Dämpfe ausströmen, unter denen eine siebzig Schritte von der Einführungsstelle entfernt war. Die Hügel bestehen aus lockerer Erde, welche aus der Tiefe herausgeschafft wird und darum wohl etwas anders gefärbt erscheint, als die Umgebung. Ferner schwärmen die Kolonien genau in derselben Weise wie die unserigen gegen Abend, und zwar zu Beginn der Regenzeit im Januar und Februar. Die Sorge für die Brut bleibt den Arbeitern überlassen, welche in der Größe zwischen 4,5 und 15 Millimeter schwanken und von dreierlei Formen sein sollen: die eigentlichen Arbeiter sind die kleinsten, mit kleinen Köpfen, und die großköpfigen zerfallen wieder in solche mit glänzenden kahlen Köpfen und in die unterirdischen Arbeiter, bei denen dieselben vorn behaart sind und auf dem Scheitel Nebenaugen tragen, welche jenen fehlen. Bates äußert sich über ihren Körperbau nicht völlig klar und sagt von ihnen dann weiter: »Wenn man die Spitze eines kleinen, frisch aufgeworfenen Ameisenhaufens, in welchem eben der Proceß des Deckens vor sich geht, abnimmt, so kommt ein breiter, cylinderischer Schacht zum Vorscheine, bis zur Tiefe von 62,8 Centimeter von der Oberfläche. Untersucht man diesen mit einem Stocke, was bis zur Tiefe von etwa vierundneunzig bis hunderfünfundzwanzig Centimeter geschehen kann, ohne daß man auf den Grund stößt, so beginnt eine kleine Anzahl dieser derben Burschen langsam an den glatten Seiten der Mine empor zu klettern. – – Sie waren nicht sehr kampflustig, wie ich fürchtete, und ich sah sie nie unter anderen Umständen, als den eben erzählten, kann daher auch nicht errathen, worin ihre specielle Beschäftigung bestehen mag«.

Die kleinen Arbeiter und die großen mit den glatten und glänzenden Köpfen, welche wir hier dargestellt sehen, die Soldaten, wie sie gewöhnlich genannt werden, obschon auch sie die Vertheidigung der kleinen nicht übernehmen, zeigen sich außerhalb des Baues und werden in doppelter Hinsicht für die Bewohner jener Gegenden höchst unangenehm. Der eine Punkt wurde bereits erwähnt und betrifft vorzugsweise die angepflanzten Kaffee- und Orangenbäume. In großen Scharen kommen sie gezogen, die kleinen erklettern einen Baum, jede setzt sich auf ein Blatt und schneidet mit ihren gezähnten Kinnbacken eine Scheibe von der Größe eines Groschenstückes aus der Fläche aus, faßt das Stück mit ihren Zangen, reißt es gewaltsam ab und verläßt damit den Baum. Manchmal fällt dieses herunter und wird dann von einer anderen Ameise ergriffen. Sie marschiren damit, das Stück senkrecht nach oben an seinem unteren Rande zwischen den Zangen haltend, nach Hause und gewähren dabei einen sehr eigenthümlichen Anblick, der ihnen auch den Namen Sonnenschirmameisen eingetragen hat. Die Straße, welche sie fortwährend ziehen, bekommt bald das Ansehen eines Wagengeleises im Laube. Nur selten wählen die Thiere die Blätter einheimischer Waldbäume. Wozu dienen ihnen aber Blattstücke? Untermischt mit Erdkrümchen aus der Tiefe überwölben sie mit ihnen die 10,5 bis 13 Centimeter im Durchmesser haltenden Tunnel ihrer Wohnungen und vorzugsweise deren Eingänge.

Eine zweite Untugend dieser Ameisen besteht in den nächtlichen Besuchen, welche sie den Häusern abstatten, um alles zu plündern, was sie an süßen Stoffen für sich verwerthen können. Wenn von ihnen erzählt wird, daß sie die menschlichen Wohnungen von lästigen Kerfen befreiten und sie somit mehr als Wohlthäter erscheinen, so dürfte dies auf einem Irrthume beruhen. Daß sie, ohne eigentliche Raubameisen zu sein, auch Insekten fressen und besonders deren Saft lecken, unterliegt wohl keinem Zweifel, aber der Vortheil, welchen sie dadurch den menschlichen Wohnungen angedeihen lassen, wird gewiß sehr überwogen durch andere Nachtheile in ihrem Gefolge. Sie sind nächtliche Thiere, als solche während der Nacht thätiger als am Tage und fühlen sich zu jener Zeit in der Nähe der Menschen überdies sicherer. Bates, welcher anfangs den Behauptungen der dortigen Einwohner keinen Glauben schenken mochte, daß die in Rede stehenden Ameisen bei Nacht in die Häuser kämen, um die Körnchen des Farinha- oder Mandioca-Mehles, das Brod der niederen Klassen in Brasilien, fortzuschleppen, konnte sich bei seinem späteren Aufenthalte in [271] einem Dorfe selbst von der Wahrheit dieser Aussagen überzeugen. Eines Nachts wird er von seinem Diener geweckt und benachrichtigt, daß Ratten an den Farinhakörben nagten. Bei näherer Untersuchung fand sich eine Kolonne von vielen tausenden unserer Ameisen. Die Körbe mit dem genannten Mehle standen auf einem hohen Tische und waren über und über von ihnen bedeckt, das Zernagen der sie ausfütternden trockenen Blätter hatte das Geräusch hervorgebracht, und von den Abziehenden hatte jede sich mit einem Körnchen beladen, welches zuweilen größer und schwerer als das ganze Thier war. Der Versuch, mit vier Holzschuhen dazwischen zu schlagen und dadurch die Eindringlinge zu tödten, erwies sich vollständig nutzlos; denn die unmittelbar nachdringenden Scharen ersetzten sofort die vernichteten. Die nächsten Nächte, in denen sie wieder erschienen, wurde Schießpulver auf ihrer Bahn angezündet, wodurch sie nach und nach doch eingeschüchtert sein mochten, denn sie blieben zuletzt weg. Bates bemerkt dabei, daß er sich nicht erklären könne, wozu sie die Mandiocakörner, welche viel Faserstoff und keinen Kleber enthalten, also als Cement nicht verwerthet werden könnten, wohl brauchen möchten.

Die Visitenameisen sehen roth aus, die Arbeiter haben einen herzförmigen Kopf, an demselben hinten je einen Seitendorn, je einen der Stirnleisten etwas über den Fühlern; diese sind elfgliederig, die dreieckigen Kinnbacken gezähnt, die Kiefertaster bestehen aus vier, die Lippentaster aus zwei Gliedern. Am Vorderrücken stehen zwei nach hinten gerichtete Seitendornen, am Hinterrücken desgleichen, dazwischen wenigstens Andeutungen davon. Der zweiknotige Stiel ist gekielt. Bei den sehr großen Weibchen ist der Kopf auf dem Scheitel schwächer ausgeschnitten, hinten über den Backen kürzer bedornt, die Stirnleisten, Fühler und ihre Gruben wie bei den Arbeitern gebildet, auch der Hinterrücken bedornt, aber etwas kürzer. Die Männchen endlich haben dreizehngliederige Fühler, einen viel kleineren Kopf, welcher tief unten sitzt im Vergleiche zu dem buckelig erhobenen, anliegend gelb behaarten Mittelrücken, außerdem findet sich hier, wie beim anderen Geschlechte und den Arbeitern, über den Vorderhüften ein Zahn. Die Flügel der geschlechtlichen Ameisen haben eine geschlossene Randzelle, eine Unterrand- und eine Mittelzelle und färben sich nach dem Vorderrande hin gelblich. Die Körperformen sind aus den Abbildungen ersichtlich.

Andere Arten der Gattung Oecodoma, welche von Atta abgetrennt worden ist, unterscheiden sich durch mehr Dornen an Kopf, Mittelleib und Stielchen. Ich habe übrigens triftige Gründe, anzunehmen, daß unter der Sauba der Brasilier mehrere, zum Theil sehr ähnliche Arten der europäischen Kerfkenner begriffen sind.

Die Ameisen, von denen bis jetzt ungefähr eintausendzweihundertundfunfzig Arten beschrieben sind, welche sich jährlich noch mehren, seitdem die oben erwähnten Forscher und einige andere sich ihnen mit Vorliebe zugewendet haben, spielen entschieden eine wichtige Rolle im Haushalte der Natur. In den Gleicherländern, wo Moder und Verwesung einer üppigen Pflanzenwelt schneller auf dem Fuße nachfolgen als in den gemäßigten Erdstrichen, sind sie es hauptsächlich, welche das Zersetzungswerk beschleunigen und dem thierischen Körper nachtheilige Gase nicht aufkommen lassen. Sie sind es, welche unter dem anderen Geziefer mächtig aufräumen und für natürliches Gleichgewicht Sorge tragen, was in unseren Gegenden mehr den Schlupfwespen überlassen zu sein scheint. Sie sind es, die wieder von vielen Vögeln, den Ameisenfressern, Gürtel- und anderen Thieren vorzugsweise als Nahrungsmittel aufgesucht werden, um nicht ihre Vernichtungen über gewisse Grenzen hinaus ausdehnen zu können. Wie lästig, ja wie schädlich sie dem Menschen werden, geht aus einzelnen Mittheilungen zur Genüge hervor, die von ihnen gegeben wurden und die leicht noch hätten vermehrt werden können; denn es gibt wohl keinen unter den in jenen Gegenden gereisten Naturforschern, welcher nicht über Ameisen zu klagen hätte, welcher nicht alle erdenklichen Kunstgriffe anwenden mußte, um seine Lebensmittel und seine erbeuteten Naturalien gegen die scharfen Zähne dieser zwar kleinen, aber durch Ausdauer und Menge sehr mächtigen Thiere zu schützen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 270-272.
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