Giftschlangen

[395] Dumeril, welcher der Erforschung der Schlangen sein ganzes Leben gewidmet, ergriff auf einem Spaziergange eine Kreuzotter, in der Meinung, die Vipernnatter vor sich zu sehen, wurde gebissen und schwebte mehrere Tage in Lebensgefahr. Diese Thatsache kann nicht oft genug wiederholt werden, weil sie schlagend beweist, daß die äußerlich wahrnehmbaren Unterschiede zwischen den giftlosen und den giftigen Schlangen höchst geringfügig sein können und in vielen Fällen thatsächlich sind. Es ist unmöglich, durch äußerliche Betrachtung jede Giftschlange unbedingt als solche zu erkennen. Dies gilt allerdings nicht für alle Arten oder Familien, weil ja die Seeschlangen, Grubenottern und Vipern auch äußerlich in einem gewissen Grade sich kenntlich machen: aber gerade die Kreuzotter, welche das geübte Forscherauge eines Dumeril täuschte, zählt zu letzteren.

In einzelnen Naturgeschichten werden Kennzeichen der Giftschlangen in geradezu leichtfertiger Weise aufgestellt. Wahr ist es, daß die nächtlich lebenden Arten gewöhnlich einen kurzen, in der Mitte stark verdickten, im Durchschnitte dreieckigen Leib, einen kurzen, dickkegelförmigen Schwanz, einen dünnen Hals und einen hinten sehr breiten, dreieckigen Kopf haben, wahr, daß sie sich in der Bildung ihrer Schuppen gewöhnlich von den giftlosen unterscheiden, vollkommen richtig, daß ihnen das große Nachtauge mit dem senkrecht geschlitzten Sterne, welches durch die vortretenden Brauenschilder geschützt zu sein pflegt, einen boshaften, tückischen Ausdruck verleiht: alle diese Merkmale aber gelten eben nur für sie, nicht jedoch auch für die giftigen Tagschlangen, nicht für die »Giftnattern«, welche man den hervorragendsten Mitgliedern der Gruppe zu Liebe, eher Brillen- oder Schildschlangen nennen sollte, nicht für die Seeschlangen; denn die meisten Mitglieder dieser beiden Gruppen sehen so unschuldig und harmlos aus wie irgend eine andere Schlange. Und eine zahlreiche Sippschaft der erstgenannten Familie, von deren Giftigkeit man sich jetzt doch überzeugen mußte, hat äußerlich so viel bestechendes und scheint so gutmüthig zu sein, daß die bewährtesten Forscher für sie in die Schranken traten und alte Erzählungen, welche uns diese Schlangen als Spielzeug von Kindern und Frauen erscheinen lassen, unterstützen halfen. Einzig und allein die Untersuchung des Gebisses gibt in allen Fällen untrüglichen Aufschluß über die Giftigkeit oder Ungiftigkeit einer Schlange.

[395] Solche Bemerkungen glaube ich einer Schilderung der Giftschlangen vorausschicken, sie selbst auf die Gefahr hin, der Wiederholung geziehen zu werden, mehr als einmal aussprechen zu müssen, um den Laien oder Anfänger, welcher sich mit Schlangen befassen will, so viel in meinen Kräften steht, vor leichtsinniger Behandlung dieser gefährlichen Geschöpfe eindringlichst zu warnen.

Wenn man weiß, welche erschreckende Anzahl von Menschen alljährlich durch Giftschlangen ihr Leben verlieren, wie viele selbst bei uns zu Lande durch sie mindestens zu jahrelangem Siechthum verurtheilt werden, begreift man das Entsetzen, welches jeden Nichtkundigen beim Anblicke einer Schlange erfaßt, versteht man auch die Erzählungen, Sagen und Dichtungen älterer und neuerer Völker, in denen von Schlangen die Rede ist. Sie, beziehentlich die giftigen unter ihnen, vermögen zwar nicht, ein Land unbewohnbar zu machen, gefährden und bedrängen den Bewohner einer von ihnen in ungewöhnlicher Anzahl heimgesuchten Gegend aber doch in einem Grade, von welchem wir in dem an Giftschlangen armen Norden keine Vorstellung haben. Fayrer, ein englischer Arzt, hat sich jahrelang mit Untersuchung der Wirkungen des Schlangengiftes beschäftigt und während seines Aufenthaltes in Indien die Anzahl der von Giftschlangen alljährlich gebissenen, beziehentlich der an der Vergiftung gestorbenen Menschen zu erforschen gesucht. Das mit Hülfe der Regierung gewonnene Ergebnis ist entsetzlich. Es waren nur acht Präsidentschaften, an deren Behörden Fayrer um Auskunft sich wendete, und die Antworten liefen nicht aus allen Theilen ein oder waren nicht danach angethan, ein klares Bild der Sachlage zu geben: immerhin aber muß die durch diese Nachforschungen gewonnene Erkenntnis als schaudererregend betrachtet werden. Am genauesten, jedoch noch bei weitem nicht vollständig, waren die Nachrichten aus der Präsidentschaft Bengalen, welche in neun Abtheilungen und achtundvierzig Kreisen des betreffenden Gebietes gesammelt werden konnten. Hier starben in dem einzigen Jahre 1869 nicht weniger als sechstausendzweihundertundneunzehn Menschen an Schlangenbissen und zwar zweitausenddreihundertvierundsiebzig männliche und zweitausendfünfhundertsechsundsiebzig weibliche Personen über zwölf Jahre alt, sechshundertdreiundsechzig Knaben und sechshundertundsechs Mädchen unter diesem Alter, also dreitausendsiebenunddreißig Männer und dreitausendeinhundertzweiundachtzig Frauen jeden Alters. Am meisten wurden ältere Frauen, am mindesten Mädchen gebissen. Unter den Verstorbenen befanden sich Leute von hundert Jahren und Kinder von drei Monaten. Als die gefährlichste Schlange erscheint die Brillenschlange, welcher erwiesenermaßen neunhundertneunundfunfzig Morde zur Last fallen, während die zweitgefährlichste, der Krait, deren hundertundsechzig verübte und die übrigen auf Rechnung der entweder nicht erkennbaren oder nicht gesehenen Verwandten kommen. Aus der Präsidentschaft Orissa erhielt Fayrer nur die Nachrichten, welche in drei Kreisen gesammelt worden waren. Hier betrug die Anzahl der Unglücksfälle in demselben Jahre dreihundertundfunfzig, und zwar betrafen dieselben hundertsiebenunddreißig Männer, hundertachtunddreißig Frauen, vierundvierzig Knaben und einunddreißig Mädchen. Der Brillenschlange wurden hundertachtundzwanzig, dem Krait zwei, anderen Schlangen zweiundfunfzig, unerkannten hundertachtundsechzig zugeschrieben. Aus Assam trafen von sieben Kreisen Nachrichten ein. Hier verursachten die Schlangen sechsundsiebzig Todesfälle, von denen funfzig erwachsene Männer, vierzehn Frauen, neun Knaben und drei Mädchen betrafen, und zwölf der Brillenschlange oder dem Krait, vierundsechzig unerkannten Schlangen zur Last fielen. In zwölf Kreisen Oudas kamen zwölftausendundfünf Schlangenbisse vor, an denen dreihundertvierundsechzig Männer, fünfhundertachtundfunfzig Frauen, hundertsiebenunddreißig Knaben und hundertsechsundvierzig Mädchen erlagen. Der Brillenschlange wurden sechshundertundsieben, dem Krait einhundertundfünf, anderen Schlangen zwanzig, unerkannten vierhundertdreiundsiebzig Bisse zugesprochen. Unter den Verunglückten befanden sich Kinder, welche noch nicht das Alter von einem Monate erreicht hatten. In einem einzigen Kreise erlagen zweihundertundsechs Personen. Aus vierzehn Kreisen Mittelindiens konnten nur neunzig Todesfälle verzeichnet werden. Von ihnen betrafen achtunddreißig Männer, sechsunddreißig Frauen, acht Knaben und acht Mädchen, und [396] wurden wegen einundzwanzig die Brillenschlange, wegen siebenunddreißig andere Giftschlangen, wegen zweiunddreißig unerkannte beschuldigt. Aus den inneren Provinzen erhielt Fayrer nur die Erhebung, daß sechshundertundsechs Leute den Giftschlangen zum Opfer gefallen waren. Aus den Nordwestprovinzen gingen von achtunddreißig Kreisen Nachrichten ein. Die Anzahl der Todesfälle betrug eintausendneunhundertfünfundneunzig, von denen sechshundertvierundfunfzig Männer, neunhundertzweiundfunfzig Frauen, einhundertneunundneunzig Knaben und einhundertundneunzig Mädchen betrafen, achthundertvierundfunfzig von der Brillenschlange, zweiundneunzig vom Krait, dreiundsechzig von verwandten und neunhundertsechsundachtzig von unerkannten Schlangen verursacht waren. Aus Burma liefen die in Arracan, Pegu und Tenassarim gesammelten Erhebungen ein. Hier zählte man nur hundertundzwanzig Todesfälle, von denen fünfundneunzig Männer, zweiundzwanzig Frauen und drei Knaben betrafen, fünfundvierzig auf Rechnung der Brillenschlange, alle übrigen aber auf die Daboja kamen, einer auch von einer Seeschlange verursacht wurde. In zweiunddreißig Kreisen des Punjab zählte man siebenhundertfünfundfunfzig Schlangenbisse, von denen vierhundertvierunddreißig Männer, einhundertvierundachtzig Frauen, siebenundsiebzig Knaben und zweiunddreißig Mädchen betrafen, während achtundzwanzig Leute nach dem Geschlechte nicht bezeichnet wurden. Unter den Gebissenen befand sich ein Kind, welches erst einen Tag alt war. Die Gesammtsumme aller derart bekannt gewordenen Schlangenbisse eines Jahres betrug nicht weniger als elftausendvierhundertundsechzehn; sie aber entspricht nach Fayrers bestimmter Ansicht bei weitem noch nicht der Thatsächlichkeit. Viele Schlangenbisse kamen überhaupt nicht zur Anzeige: die eingeborenen Regierungsbeamten bekümmern sich um solche tagtägliche Vorkommnisse nur in Ausnahmsfällen, und die Eingeborenen fügen sich mit einer so ausgesprochenen Ergebung in das unvermeidliche, daß sie es nicht der Mühe werth halten, viel davon zu sprechen. So glaubt Fayrer annehmen zu müssen, daß in dem einen Jahre mindestens zwanzigtausend Menschen durch Schlangen ihr Leben verloren haben. Wenn nun auch die Bevölkerung eine sehr zahlreiche ist und in den oben angegebenen Provinzen auf annähernd einhundertundzwanzig Millionen geschätzt wird, so verliert diese Thatsache doch nicht im geringsten an Bedeutung und beweist die schon zu Zeiten der Römer ausgesprochene Behauptung, daß die Giftschlangen in Indien zu den furchtbarsten Plagen zählen, daß ihnen gegenüber, wie ich hinzufügen will, Tiger, Panther und Wölfe zu harm- oder doch bedeutungslosen Wesen herabsinken. Wollte oder könnte man in anderen, von vielen Giftschlangen heimgesuchten Ländern ähnliche Nachforschungen anstellen, man würde, wenn auch nicht zu gleichen, so doch annähernden Ergebnissen gelangen. Daß z.B. in Brasilien die Verhältnisse ähnliche sind, versichern alle Reisenden, neuerdings insbesondere Tschudi. »Aus dem von mir über Giftschlangen mitgetheilten«, sagt er, »darf nicht die Folgerung gezogen werden, daß man bei jedem Spaziergange Gefahr läuft, von einer solchen verwundet zu werden, und daß ein Ausflug in die Urwälder ein steter Kampf mit Surukukus und Schararakas sei. Die lebhafte Phantasie einiger Reisenden hat den Pinsel in viel zu grelle Farben eingetaucht; aber es ist doch immerhin ganz richtig, daß in Brasilien Schlangen sehr häufig vorkommen und alljährlich durch ganz Brasilien ihnen hunderte von Menschen zum Opfer fallen. Einer meiner Bekannten hat in Rio de Janeiro in seinem Gartenhause im Verlaufe von ein paar Jahren neun verschiedene Arten in mehr als dreißig Stücken gefangen und in Weingeist aufbewahrt. Ein jeder Grundbesitzer in Brasilien weiß, daß sein Garten oder Park eine Anzahl solcher Kriechthiere beherbergt. Dem reisenden Naturforscher, welcher in die Wälder eindringt, Gebüsche durchsucht, Steine umwälzt, ist angelegentlichst anzurathen, auf seinen Ausflügen immer einige Meter schmales Band und ein Fläschchen mit Salmiakgeist bei sich zu führen.«

Bei aller Verschiedenheit in der äußeren Gestalt und im Bau wie in der Lebensweise besitzen die Giftschlangen in ihren Giftwerkzeugen ein Merkmal, welches sie mit Sicherheit und für den einigermaßen Geübten auch mit einer gewissen Leichtigkeit von den giftlosen Schlangen unterscheiden läßt. Sie bilden daher eine durchaus natürliche Unterordnung (Toxicophidia), zu deren Kennzeichnung [397] man nichts weiter anzuführen braucht, als daß sie im Oberkiefer neben massigen durchbohrte Zähne haben.

Ihr Oberkiefer ist, wie bereits bemerkt, verhältnismäßig kurz, der aller nächtlich lebenden Arten bis auf ein kleines Knöchelchen verkümmert, bei diesen wie bei jenen ungemein beweglich, da er sich nach hinten auf einen dünnen Stiel, das Flügelbein, stützt und vermittels des letzteren, welches durch eigene Muskeln bewegt wird, vor- oder zurückgeschoben werden kann. Bei den Taggiftschlangen ist der Zahn inniger mit dem Oberkiefer befestigt als bei den nächtlich lebenden Giftschlangen; bei diesen wie bei jenen aber wird derselbe nicht durch Einwurzelung, sondern nur durch Bänder mit dem Kiefer zusammengehalten. Eigentlich beweglich ist er nicht; wenn er sich zurücklegt, so geschieht dies nur, weil sich der Oberkiefer von vorn nach hinten zurückzieht. Letzterer hat auf der unteren Fläche jederseits zwei dicht neben einander stehende seichte Gruben, welche die Wurzeln der Zähne aufnehmen. In der Regel ist nur ein Zahn auf jeder Seite ausgebildet; da aber in jedem Kiefer stets mehrere (einer bis sechs) in der Entwickelung begriffene Ersatzzähne vorhanden sind, kann es geschehen, daß auch zwei von ihnen, in jeder Grube einer, sich ausgebildet haben und gleichzeitig in Wirksamkeit treten. Unter den Ersatzzähnen, welche lose auf dem Knochen stehen, ist der dem Giftzahne nächste auch stets der am meisten entwickelte. Jederseits vom Zahne bemerkt man eine häutige Wucherung des Zahnfleisches, so daß also eine Scheide gebildet wird, welche die Giftzähne aufnimmt, wenn der Oberkiefer sich zurückzieht. Die Giftzähne zeichnen sich vor den übrigen stets durch bedeutendere Größe und ausgesprochen pfriemenförmige Gestalt aus und sind, laut Strauch, nach einem und demselben Grundplane gebildet. Außer einer an den Wurzeln befindlichen Höhlung, welche zur Ernährung des Zahnes bestimmt ist und allen Schlangen ohne Ausnahme zukommt, besitzt jeder Giftzahn noch eine der Länge nach verlaufende Röhre, welche immer an der vorderen, gewölbten Seite des Zahnes liegt und mit zwei Oeffnungen nach außen mündet. Die eine dieser Oeffnungen, welche stets einen mehr oder weniger rundlichen Durchschnitt zeigt, befindet sich nahe der Zahnwurzel und vermittelt, indem sie sich beim Oeffnen des Rachens und der dadurch bedingten Lageveränderung des Zahnes über den Ausführungsgang der Giftdrüse erhebt, den Eintritt des Giftes in den Zahn; die untere Oeffnung dagegen, welche an der Spitze des Zahnes liegt und zum Austritte des Giftes dient, ist mehr spaltförmig. Bei der Mehrzahl der Giftschlangen nun sind diese beide Oeffnungen der Giftzähne durch einen feinen, oft schwer wahrnehmbaren Spalt mit einander verbunden, und die Giftröhre ist folglich vorn nicht gänzlich geschlossen; bei der Minderzahl dagegen erscheint letztere vollkommen abgeschlossen, und es findet sich an Stelle der Spalte höchstens eine feine Linie. Hiernach unterscheidet man gefurchte und glatte Giftzähne, solche, deren Röhre vorne eine Spalte zeigt, und solche, deren Kanal rings abgeschlossen ist. Die Spalte an den gefurchten Giftzähnen hat jedoch schwerlich irgend eine physiologische Bedeutung, da sie stets so eng ist, daß das Schlangengift unmöglich durch sie nach außen treten kann, und es muß daher ihre Anwesenheit einen anderen Grund haben. Dieser ist dann auch nicht schwer zu finden, indem sich nachweisen läßt, daß die Furche als nichts anderes als ein Ueberbleibsel aus einer früheren Keimlingszeit aufgefaßt werden muß. Alle Forscher, welche über die Bildung und das Wachsthum der Giftzähne Untersuchungen angestellt haben, stimmen darin überein, daß der Entstehung der Röhre stets die Bildung einer Furche vorausgeht und daß jene durch Aneinandertreten oder auch Verwachsen der Ränder dieser Furche entsteht. Nach Schlegels Untersuchungen besteht jeder Schlangenzahn in der ersten Entwickelungsstufe aus einer breiten Fläche mit einwärts gerollten Rändern und zeigt folglich auf seiner vorderen Fläche eine breite Furche. Diese verschwindet bei den massigen Zähnen schon sehr frühe, an den hinteren Furchenzähnen der giftlosen Schlangen jedoch gar nicht, wogegen sie bei den glatten Giftzähnen zwar etwas länger offen bleibt, sich aber, sobald der Zahn ausgewachsen ist, größtentheils gleichfalls schließt und nur bei den gefurchten Giftzähnen die Form einer meist äußerst feinen Spalte zeitlebens beibehält. Je nach der Größe des Thieres haben die Gifthaken verschiedene Länge; [398] dieselbe steht jedoch nicht im genauen Verhältnisse zu jener des Thieres selbst: so besitzen namentlich alle Taggiftschlangen verhältnismäßig kleine, alle Nachtgiftschlangen verhältnismäßig große Zähne. Bei unserer Kreuzotter erreichen die Gifthaken eine Länge von drei bis vier, höchstens fünf Millimeter, bei der Lanzenschlange werden sie fünfundzwanzig Millimeter lang. Sie sind glasartig hart und spröde, aber außerordentlich spitzig und durchdringen deshalb mit der Leichtigkeit einer scharfen Nadel weiche Gegenstände, sogar weiches Leder, während sie von harten oft abgleiten oder selbst zerspringen, wenn der Schlag, welchen die Schlange ausführte, heftig war. Ist einer von ihnen verloren gegangen, so tritt der nächstfolgende Ersatzzahn an seine Stelle; ein solcher Wechsel scheint jedoch auch ohne äußerliche Ursache mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattzufinden, alljährlich einmal, vielleicht öfter. Ihre Entwickelung und Ausbildung gehen ungemein rasch vor sich; Lenz fand, daß junge Kreuzottern, welche er, seiner Berechnung nach, vier oder höchstens sechs Tage vor der Geburt dem Leibe hochträchtiger Weibchen entnahm, noch keine Giftzähne hatten, während solche, welche seiner Muthmaßung nach in den nächsten Tagen geboren werden mußten, schon ganz ausgebildete Gifthaken besaßen. Nicht minder rasch als die Neubildung geht der Ersatz verloren gegangener oder gewaltsam ausgerissener Gifthaken vor sich. Werden solche einfach ausgebrochen, so tritt oft schon nach drei Tagen, spätestens aber nach sechs Wochen ein Ersatzzahn an ihre Stelle, und nur wenn man, wie Schlangenbeschwörer zu thun pflegen, auch die Schleimhautfalte, in welcher die Gifthaken eingebettet liegen, ausschneidet oder einen Theil der Kinnlade verletzt, also alle Zahnkeime zerstört, ersetzen sich jene nicht wieder.

Jede Drüse sondert eine verhältnismäßig geringe Menge Gift ab: die einer fast zwei Meter langen, gesunden Klapperschlange höchstens vier bis sechs Tropfen; aber ein kleiner Bruchtheil eines solchen Tropfens genügt freilich auch, um das Blut eines großen Säugethieres binnen wenigen Minuten zu verändern. Die Giftdrüse strotzt von Gift, wenn die Schlange längere Zeit nicht gebissen hat, und das Gift selbst ist dann wirksamer, als wenn das Gegentheil der Fall: der Ersatz der verbrauchten Absonderung geht jedoch sehr rasch vor sich, und auch das frischerzeugte ist im höchsten Grade wirksam.

Das Gift selbst, dem Speichel vergleichbar oder als solcher zu bezeichnen, ist eine wasserhelle, dünne, durchsichtige, gelblich oder grünlich gefärbte Flüssigkeit, welche im Wasser zu Boden fällt, sich jedoch auch unter leichter Trübung mit demselben vermischt, Lackmuspapier röthet und sich sonach als Säure verhält. Es besteht, nach Mitchelles Untersuchungen, aus einem eiweißartigen Stoffe, dem wirksamen Bestandtheile, welcher in reinem Alkohol, nicht aber bei höherer Wärme gerinnt, einem ähnlichen, aber zusammengesetzten Stoffe, welcher keine Wirkung äußert und in der Wärme ebensowohl als im Alkohol gerinnt, einem gelben Farbestoffe und einer unbestimmbaren Masse, beide in Alkohol löslich, in Fett und freier Säure und endlich in Salzen, Chlor und Phosphor, trocknet leicht auf Gegenständen fest und erscheint dann glänzend wie Firnis, behält auch, nach Mangili's Versuchen, seine Eigenschaften jahrelang. Nach Armstrong und Brunten, denen Fayrer das Gift der Brillenschlange zur Untersuchung übermittelte, bildet das letztere eine bräunliche Flüssigkeit von syrupähnlicher Beschaffenheit, welche dreiundvierzig bis fünfundvierzig Hunderttheile Kohlenstoff und dreizehn bis vierzehn Hunderttheile Stickstoff enthält. Auf Zusatz von Salpetersäure, Weingeist, sowie bei Anwendung von Hitze gerinnt das Gift. Einen festen krystallisirbaren Stoff aus demselben darzustellen gelang auf keine Weise. Die Gegenwart von eiweißhaltigen Stoffen ließ sich durch verschiedene Mittel nachweisen. Das versandte Gift wie die aus demselben dargestellten Mischkörper ergaben bei Versuchen, daß dasselbe unter allen Um ständen die ihm eigenthümliche Eigenschaft unverändert und ungeschwächt, nach Versuchen von Taylor, Pavy und Christison, sogar zwölf bis funfzehn Jahre lang bewahrt. Nach Shott bildet das Gift der Brillenschlange eine etwas ölige, klare, hellgelb gefärbte, dem Eiweiß ähnliche Flüssigkeit von eintausendsechsundvierzig Eigengewicht, verhält sich wie eine Säure, enthält keinen Schleim, wohl aber Eiweißstoffe und erregt, auf die Zunge gebracht, Brennen, Blasenbildung und ein Gefühl von Taubheit an der Berührungsstelle. Eine Vermischung des Giftes mit Kalilösung macht [399] dasselbe stets unwirksam, wogegen sich die innere und äußere Anwendung von Kalilösung bei Bißwunden wirkungslos zeigt. Untersuchung des Giftes unter stark vergrößernden Gläsern läßt in einer eiweißartigen Flüssigkeit schwimmende Zellen erkennen. Halford stellte den Lehrsatz auf, daß mit dem Gifte der Schlangen Gährungskeime in den Körper des gebissenen Thieres gelangen und hier, rasch sich entwickelnd, Zellen bilden, welche mit ungeheuerer Schnelligkeit sich vermehren, dem Blute allen Sauerstoff entnehmen und ein dem Erstickungstode ähnliches Ende des Lebens herbeiführen. Die Annahme konnte von Fayrer nicht bestätigt werden, weil nach seinen Untersuchungen die Veränderungen der Blutmasse nach der Vergiftung durch Schlangenbiß hauptsächlich darin bestehen, daß das Blut bei einzelnen Arten schnell gerinnt, wobei freilich zu bemerken, daß bei anderen Giftschlangen das gerade Gegentheil beobachtet wurde. Das Blut eines durch Schlangenbiß vergifteten Thieres wirkt, wenn es anderen Thieren eingespritzt wird, auf diese vergiftend, und es läßt sich nach Fayrers Untersuchungen diese Wirkung drei- bis viermal weiter erzielen. Genau dasselbe findet statt hinsichtlich der Milch: Säuglinge, deren Mütter gebissen wurden, starben unter denselben Erscheinungen wie ihre Ernährerinnen. Dagegen darf das Fleisch von vergifteten Thieren genossen werden; die von Fayrer zu den Versuchen benutzten Hühner und andere eßbare Thiere wurden wenigstens stets von seinen Gehülfen und Wärtern in Anspruch genommen und ohne jeglichen Schaden verspeist.

Welcher blutzersetzende Stoff eigentlich in diesem Schlangenspeichel enthalten sei, weiß man noch nicht, so viele Untersuchungen auch bisher hierüber angestellt worden sind; wir kennen also das Gift nur seinem Aussehen und seiner Wirkung nach. Hinsichtlich der letzteren scheint so viel festzustehen, daß sie um so heftiger ist, je größer die Schlange und je heißer die Witterung, daß sie sich aber bezüglich der verschiedenartigen Giftschlangen nicht unterscheidet. Früher hat man angenommen, daß das Gift ohne Nachtheil verschluckt werden könnte, während man durch neuerliche Versuche gefunden hat, daß dasselbe, selbst bei bedeutender Verdünnung mit Wasser, in den Magen gebracht, noch auffallende Wirkungen äußert, beim Verschlucken Schmerzen hervorruft und die Gehirnthätigkeit stört, überhaupt von den Schleimhäuten aufgesogen wird und immerhin gefährliche Zufälle hervorrufen kann. Nach Fayrers Untersuchungen führt es den Tod herbei, wenn es in genügender Menge in den Magen, in das Auge oder auf das Bauchfell gebracht wird. Demungeachtet bleibt der alte Erfahrungssatz immer noch wahr: daß das Schlangengift, nur wenn es unmittelbar ins Blut übergeführt wird, das Leben ernstlich gefährdet. Je rascher und vollkommener der Blutumlauf, um so verheerender zeigt sich die Wirkung des Giftes: warmblütige Thiere sterben nach einem Schlangenbisse viel schneller und sicherer als Kriechthiere, Lurche oder Fische; sogenannte weißblütige, d.h. wirbellose Thiere, scheinen weniger zu leiden. Zwei Giftschlangen einer und derselben Art können sich gegenseitig Bisse beibringen, ohne daß ersichtliche Folgen eintreten: die alte Fabel von der berühmten Schlange in Afrika, »welche jedes Thier ohne Ursach' biß«, und die Bösartigkeit ihres Wesens an sich selbst bethätigte, ist eben nichts mehr als eine Fabel, und eine recht abgeschmackte dazu. In Wuth gesetzte Schlangen beißen sich sehr oft wirklich in den Hintertheil ihres Leibes, ohne darunter zu leiden. Anders verhält sich die Sache, wenn eine größere Giftschlange eine kleinere, ja vielleicht wenn irgend eine die andere artlich verschiedene beißt; denn in einem solchen Falle äußern sich die Wirkungen des Giftes an den betreffenden Opfern ebenso gut wie an anderen Thieren: sie sterben unter Zeichen der Vergiftung. Von der Uräusschlange behauptet man, daß sie die gefürchtete Puffotter abfängt und verschlingt, von der Klapperschlange wird erzählt, daß sie gleiches an der giftigen Mokassinschlange thut; und diese letztere wiederum verzehrt, nach Effeldts Erfahrungen, ohne Bedenken kleinere Giftschlangen, namentlich Sandvipern, welche mit ihr denselben Käfig theilen, nachdem sie dieselben gebissen und durch Vergiftung getödtet oder wenigstens vollständig gelähmt hat. Auch ich habe beobachtet, daß größere Giftschlangen kleinere, Mokassinschlangen beispielsweise Kreuzottern, durch Bisse tödteten, muß jedoch hinzufügen, daß man nicht selten in Zweifel bleiben kann, ob der Tod einer Giftschlange [400] wirklich infolge des Bisses einer anderen eintritt oder nicht. In gleicher Weise spricht sich Fayrer aus. Er bekennt, nach vielfachen Versuchen nicht ganz ins klare gekommen zu sein, ob Giftschlangen gegen Bisse ihresgleichen, d.h. derselben Art, unbedingt unempfindlich sind, meint aber, daß letzteres nicht wohl der Fall sei. »Ich habe«, sagt er, »Brillenschlangen und Dabojavipern sich gegenseitig beißen lassen, ohne daß ihnen deshalb Schaden erwachsen wäre. Doch muß ich glauben, das Gift stärkerer Arten werde den minder kräftigen verderblich. Denn obwohl ich wiederholt beobachtet habe, daß ein Bungar glücklich davonkam, nachdem er von einer Brillenschlange gebissen worden war, habe ich doch auch den Tod nach solchen Bissen und zwar, wie ich annehmen mußte, infolge der Vergiftung eintreten sehen.« Einzelne Säugethiere und Vögel scheinen der Wirkung des Schlangengiftes in einer für uns unbegreiflichen Weise zu trotzen, so namentlich Iltis und Igel (Bd. II, S. 72 ff. und S. 249 ff.); es fragt sich jedoch sehr, ob die Folgerungen, welche wir von den umfassenden, in jeder Hinsicht ausgezeichneten Versuchen unseres schlangenkundigen Lenz herleiten, als wirklich berechtigte angesehen werden dürfen, da wir doch kaum annehmen können, daß sich das Blut verschiedener Säugethiere und Vögel hinsichtlich seiner Beschaffenheit wesentlich unterscheidet, ein solcher Unterschied aber naturgemäß vorhanden sein müßte, wenn es bei dem einen Thiere durch dasselbe Mittel zersetzt, bei dem anderen nicht verändert werden sollte.

Im allgemeinen zeigt sich die Wirkung der von Schlangen herrührenden Vergiftung bei allen Thieren mehr oder weniger in derselben Weise, obschon die auf den Biß folgenden Zufälle verschiedener Art sein können oder doch zu sein scheinen. Nach Ansicht der Alten war die Wirkung des Bisses jeder Giftschlangenart eine verschiedene. Dies geht am deutlichsten aus einem Berichte von Lucanus hervor, welcher Cato's Zug nach der Schlacht bei Pharsalus durch die afrikanischen Wüsten zum Gegenstande hat. Nachdem Lucanus zuerst der Fabel von der Entstehung der Giftschlangen gedacht und in lebendiger Weise geschildert hat, wie aus den Blutstropfen, welche aus dem abgeschlagenen Haupte der Medusa auf die Erde fielen, die gräßlichen Giftthiere erwuchsen, kommt er auf einzelne Fälle von Schlangenbissen und durch sie herbeigeführte Unglücksfälle zu sprechen, und sagt wörtlich folgendes: »Mitten durch diese scheußlichen Unthiere führte Cato sein abgehärtetes Heer, und viele der Seinen sah er an kleinen Wunden elendiglich dahinsterben. Der Fahnenträger Aulus trat auf eine Dipsas: sie bog den Kopf zurück und biß ihn. Kaum fühlte er den Stich des Thieres, und die Wunde selbst schien gänzlich unbedeutend zu sein. Bald aber durchdrang das Elend seinen ganzen Leib bis ins Mark der Knochen; der Gaumen begann dürr, die Zunge trocken zu werden; kein Schweiß brach aus der Haut, keine Thräne fiel aus den Augen. Der Unglückliche warf die Fahne von sich und suchte wahnsinnig, vom gräßlichsten Durste gepeinigt, nach Wasser. Er trank und trank und wurde immer durstiger, schnitt endlich seine Adern auf, trank sein eigenes Blut, vermochte aber auch so den Durst nicht zu löschen. Voller Entsetzen befahl Cato dem Heere, eilig weiter zu ziehen; bald aber sollte sich ihm der Tod in noch furchtbarerer Gestalt zeigen. Das Bein des Sabellus ward von einem kleinen Seps gebissen. Er riß das Thierchen mit der Hand los und zerstach es mit der Lanze. Es war nur klein, aber rings um die Wunde fiel sogleich die Haut in Fetzen ab, so daß man die bloßen Knochen sah. Immer weiter emporsteigend verbreitete sich das Uebel; in faulige Jauche löste sich das Fleisch auf, und als es auch vom Kopfe verschwunden war, da faulten und zerfielen selbst die Knochen, so daß nicht einmal die Leiche des Mannes mehr, sondern anstatt ihrer nur ein von gräßlicher Jauche gefärbter Fleck zu sehen war. Der marsische Krieger Nasidius ward von einem Prester gestochen. Feurige Röthe brannte in seinem Gesichte und spannte die Haut; die Geschwulst des ganzen Körpers ging bald so weit, daß man die Gestalt nicht mehr erkennen konnte, so daß sich den staunenden Blicken des Heeres nur noch ein ungeheurer Klumpen darbot. Niemand wagte eine solche Leiche, welche sich immer noch vergrößerte, auf einen Scheiterhaufen zu legen, und jeder suchte sein Heil in der Flucht. Von einer Hämorrhoïs ward Tullus ver wundet. Aus der ganzen Haut floß sogleich eine röthliche, giftige Jauche, und mit ihr waren Augen, Mund und Nase gefüllt. Der unglückliche Levus starb von [401] einer Schlange verwundet, indem ihm augenblicklich die Sinne schwanden. Von einem Baumstamme herab schoß die Schlange, welche von den Afrikanern Jaculus genannt wird, schneller als ein zischender Pfeil und streckte den Paullus nieder, indem sie ihm mitten durch den Kopf sauste. Murrus durchbohrte mit dem Speere einen Basilisken. Das Gift drang durch den Speer in die Hand; er aber hieb sie sich selbst mit dem Schwerte ab.« Es bedarf gewiß nicht besonderer Versicherung, daß diese Geschichten unmöglich so vorgekommen sind, wie Lucanus sie erzählt; wohl aber geht aus ihnen klar hervor, daß sie auf Beobachtung der thatsächlich eintretenden Zufälle beruhen, aber in derselben Weise übertrieben sind, in welcher Dichter noch heutigen Tages unglaubliche Geschehnisse als glaublich uns vorzutäuschen wissen. Da leider noch heutigen Tages und nur zu häufig Menschen von Schlangen vergiftet werden, kennen wir nicht bloß die ersichtlichen Zufälle, sondern auch die Gefühle und Empfindungen der Vergifteten genau. Unmittelbar nach dem Bisse, welcher zwei nebeneinander stehende kleine Stichwunden, wenn nur ein Gifthaken traf, auch bloß eine solche, hinterläßt und oft nicht einmal blutet, fühlt das Opfer gewöhnlich einen heftigen, mit nichts zu vergleichenden Schmerz, welcher wie ein elektrischer Schlag durch den Körper geht; in vielen Fällen aber findet auch das Gegentheil insofern statt, als der Gebissene glaubt, eben nur von einem Dorn geritzt worden zu sein, den Schmerz also durchaus nicht für erheblich achtet. Unmittelbar darauf folgende Ermüdung des ganzen Körpers, überaus rasches Sinken aller Kräfte, Schwindelanfälle und wiederholte Ohnmachten sind die ersten untrüglichen Zeichen von der beginnenden Veränderung des Blutes; sehr häufig stellt sich Erbrechen, oft auch Blutbrechen ein, fast ebenso oft Durchfall, zuweilen Blutungen aus Mund, Nase und Ohren. Die Entkräftung bekundet sich ferner in kaum zu bewältigender Schläfrigkeit und ersichtlicher Abnahme der Gehirnthätigkeit; namentlich wird die Wirksamkeit der Sinne im höchsten Grade beeinträchtigt, so daß z.B. vollständige Blindheit oder Taubheit eintreten kann. Mit zunehmende Schwäche nimmt das Gefühl des Schmerzes ab, und wenn das Ende des Vergifteten herannaht, scheint derselbe keine Schmerzen mehr zu fühlen, sondern in dumpfer Bewußtlosigkeit allmählich zu verenden. Bei raschem Verlaufe der Blutzersetzung schwillt das gebissene Glied gewöhnlich nicht bedeutend an, bei langsamer im Gegentheile zu einer unförmlichen Masse, und die Geschwulst theilt sich dann auch in der Regel anderen Theilen mit. Bei vielen Vergifteten hat man nicht bloß leichenartiges Aussehen, sondern auch eigenthümliche Kälte des Leibes wahrgenommen: natürliche Folge des gestörten Blutumlaufes, da die Vergiftung Blutzersetzung herbeiführt. Nicht immer aber leidet der Erkrankte in dieser Weise: oft wird er stundenlang von den fürchterlichsten Schmerzen gequält und sein Nervensystem in dem Grade aufgeregt, daß ihm jede Bewegung, jedes Geräusch um ihn her auf das qualvollste peinigt. Gebissene Menschen jammern zum Erbarmen, gebissene Hunde heulen kläglich stundenlang, bis endlich der Zustand der Bewußtlosigkeit eintritt und ein verhältnismäßig sanfter Tod erfolgt. Je größer, kräftiger und giftreicher die Schlange, je länger sie nicht gebissen, je heißer das Wetter und je wüthender sie ist, um so jäher und fürchterlicher sind die Wirkungen ihres Giftes. Die wichtigsten Krankheitserscheinungen ähneln allerdings auch den vorstehend beschriebenen; der Verlauf aber ist ein viel rascherer, und es treten daher unter Umständen auch andere Zufälle ein. Fast unmittelbar auf den Biß folgen Betäubung und äußerste Unruhe, unfreiwillige Harn- und Kothentleerungen, Erweiterung oder Verengerung des Augensterns, langsames und unregelmäßiges Athmen, Krämpfe, Muskelzittern, Gefühllosigkeit der Haut, während Bewußtsein und Sinnesthätigkeit bis zum letzten Augenblicke erhalten bleiben, zuletzt Lähmung mit oder ohne Krämpfe und Zuckungen. Der Tod wird in der Regel durch Erstickung herbeigeführt, da die Herzthätigkeit die Athmung überdauert; auch wurde durch Versuche festgestellt, daß Thiere, denen man Schlangengift eingeimpft hatte, durch künstliche Athmung noch längere Zeit am Leben erhalten und die Zuckungen dadurch zeitweilig zum Stillstande gebracht werden konnten. Der Tod kann schon zwanzig Minuten nach dem Bisse, wenn aber das Gift in eine Hohlader gelangt, fast plötzlich eintreten. Nach Jones erhöht sich die Körperwärme kurz nach der Vergiftung um ein weniges, sinkt jedoch später bedeutend herab. [402] Die Herzthätigkeit ist beschleunigt, aber schwach, Blutflüsse im Verdauungsschlauche und Ausfließen der Galle kommen öfters vor. Nicht selten beobachtet man auch unter den ersten Erscheinungen Unvermögen zu sprechen, und dieses währt zuweilen nach Schwinden der übrigen Zufälle noch fort. Bei der Leichenöffnung bemerkt man keine Leichenstarre und findet im rechten Herzen theerartiges, locker geronnenes Blut, während das linke Herz leer zu sein pflegt. Die Gefäße des Gehirns und der Hirnhäute sind mit dunklem Blute strotzend gefüllt, die Leber wie die Lunge erscheinen sehr blutreich, erstere geschwellt und dunkel gefärbt.

Wendet sich der Verlauf der Krankheit, sei es infolge der angewandten Mittel, oder weil die Menge des in die Wunde gebrachten Giftes zu gering war, so folgt diesen ersten allgemeinen Erscheinungen längeres Siechthum, bevor vollständige Heilung eintritt; leider nur zu häufig aber geschieht es, daß ein mit dem Leben davongekommener Mensch mehrere Wochen, Monate, ja selbst Jahre an den Folgen eines Schlangenbisses zu leiden hat, daß ihm mit dem einzigen Tröpflein der fürchterlichen Flüssigkeit im buchstäblichen Sinne des Wortes sein ganzes Leben vergiftet wird.

Unzählig sind die Heilmittel, welche man von altersher gegen den Schlangenbiß angewendet hat und noch heutigentages anwendet. Der Aberglaube spielt dabei leider noch immer eine sehr bedeutsame Rolle. Ebenso wie man früher zu den Göttern aufschrie, glaubt man in unserer Zeit durch Hersagen einiger Dutzend »Vaterunser« oder »Ave Maria« Aufhebung einer so gewaltig wirkenden Vergiftung erzielen zu können. Neben derartigen Ausbrüchen einer sonst unschädlichen, hier aber verwerflichen Gefühlsseligkeit, welche im allerhöchsten Grade gefährdete Kranke blindem und haltlosem Wahne opfert, wendet man allerdings auch noch andere Mittel an: Ausschneiden und Brennen der Wunde, Auflegen von Schlangensteinen, zerstoßenen Wurzeln und Blättern, Eingeben von Pflanzensäften, Salmiakgeist, Chlor, Arsen und anderen Giften usw., hat aber trotzdem bis jetzt noch kein einziges unbedingt vertrauenswürdiges Mittel kennen gelernt. Das wirksamste von allen scheint Weingeist zu sein, in reichlicher Gabe genossen oder eingegeben, gleichviel in welcher Form, ob als Alkohol, Rum, Arak, Cognac, Branntwein oder starker und schwerer Wein. Dies ist kein neu entdecktes, vielmehr ein schon seit den ältesten Zeiten bekanntes und von Nichtärzten viel früher als von Aerzten in den verschiedensten Theilen der Erde angewendetes Mittel. Schon Marcus Porcius Cato Censorius räth, einem von einer Schlange gebissenen Menschen oder Hausthiere zerriebenen Schwarzkümmel in Wein einzugeben; Celsus empfiehlt mit Pfeffer und Knoblauchsaft gewürzten Wein. Die Dalmatiner, welche von einer Viper gebissen werden, trinken Wein bis zur Berauschung und werden gesund. Die Viperfänger wenden nur Wein gegen den Biß der von ihnen gesammelten Schlangen an. Die Nordamerikaner achten einen Klapperschlangenbiß verhältnismäßig wenig, wenn sie Branntwein in genügender Menge zur Verfügung haben, trinken davon so viel sie vermögen, schlafen ihren Rausch aus und verspüren weiter keine nachtheilige Folgen des Schlangengiftes. Die Einwohner Indiens kennen, so viele sie deren auch anwenden, kein anderes wirksames Mittel als einen Aufguß von Branntwein auf wilden Hanf oder Tabak. Die Malaien auf Borneo erachten den von einer Giftschlange gebissenen Menschen für gerettet, sobald derselbe Branntwein bis zur Berauschung trinkt. Schwer Betrunkene sind wiederholt von Schlangen gebissen worden, ohne daß ihnen dies geschadet. In der Neuzeit wenden auch Aerzte Weingeist in irgend welcher Form mit dem besten Erfolge an. Daß der Alkohol nicht als Gegengift wirkt, beziehentlich das Schlangengift nicht zerstört, ist durch Versuche nachgewiesen; er erhöht aber die Nerventhätigkeit, welche infolge des Schlangenbisses gelähmt wird, mehr und schneller als jedes andere Erregungsmittel und leistet dadurch vortreffliche Dienste, verdient auch ganz besonders aus dem Grunde zuerst angewendet zu werden, weil er als Branntwein auf jedem Dorfe sofort zu haben ist. In jedem Falle ist es für den gebissenen Menschen vortheilhafter, ihn erst Schnaps trinken zu lassen und dann eine beliebige Anzahl von »Ave Maria« über ihn zu beten, als umgekehrt zu verfahren. Bei Behandlung eines durch Schlangenbiß Vergifteten ist alle Gefühlsschwärmerei vom Uebel und einzig und allein kräftiges Handeln am Platze. Fayrer gibt nach seinen zahllosen [403] Versuchen in kurzem folgende Anleitung zur Behandlung und Herstellung eines von einer Giftschlange gebissenen Menschen: Man nehme sogleich nach dem Bisse irgend ein Band, wickele dasselbe oberhalb der gebissenen Stelle um das verwundete Glied und schnüre es, nöthigenfalls mit Hülfe eines Knebels, so fest zu, als man vermag. Man lege in einem gewissen Abstande ein zweites, drittes und viertes derartiges Band oberhalb des ersteren um das Glied und verfahre mit ihm wie vorher. Sodann führe man einen raschen Schnitt über die Wunde und lasse sie bluten, auch durch einen Willfährigen aussaugen oder nehme eine brennende Kohle, glühendes Eisen oder, wenn man ihn besitzt, Höllenstein oder ein sonstiges Aetzmittel, um sie auszubrennen. Hat eine als gefährlich bekannte Schlange einen Finger oder eine Zehe verwundet, so hacke oder schneide man das vergiftete Glied ab; läßt sich das Glied nicht abnehmen, so schneide man wenigstens die Wunde aus, so tief, als man darf, ohne Schaden zu thun. Den Leidenden lasse man in Ruhe und quäle ihn nicht durch allerlei Uebungen, wie man sie wohl anzuwenden pflegt. Treten die ersten Zeichen der Vergiftung ein, so reiche man ihm Lucienwasser, Salmiakgeist oder, besser als dies, erwärmten Weingeist, Branntwein, Glühwein usw. in Wasser, am zweckmäßigsten nicht allzuviel mit einemmale, sondern kleinere Gaben möglichst rasch nach einander. Tritt Entkräftung ein, so lege man Senfpflaster oder heiße Tücher auf den Leib, richte auch wohl einen galvanischen oder elektrischen Strom auf Herz und Zwerchfell; ebenso mögen kalte Sturzbäder angebracht sein. Will der Leidende Gegenmittel nehmen, an welche er glaubt, so gebe man sie ihm; wichtiger aber ist, ihm Muth einzusprechen, so viel als immer nur möglich.

Die Buddisten, deren Glaubenssatzungen Todtschlag eines Thieres unbedingt verbieten, setzen eine gefangene Giftschlange in ein aus Palmenblättern geflochtenes Körbchen und geben dieses den Wellen eines Stromes preis. Auch unter uns gibt es närrische Leute, und ich selbst bin durch ihre Auslassungen heimgesucht worden, welche infolge unverständiger Gefühlsüberschwenglichkeit Schonung der durch Mäusefraß nützenden Kreuzotter fordern, mindestens die Tödtung der Schlangen insgemein als unnütze Grausamkeit zu rügen sich erdreisten: mit ihnen ist aus dem Grunde nicht zu rechten, weil sie nicht wissen, was sie thun. »Nur frisch zu Steinen und Knütteln gegriffen und wacker losgeschlagen auf das Gezücht, wie es auch drohend sich hebe und mit schwellendem Halse zische«, räth schon Virgil, und wir schließen uns ihm an. Wir schlagen die Giftschlangen todt und thun recht, indem wir so verfahren. Ihnen gegenüber dürfen vernünftige Menschen von Schonung nicht reden; denn nur ein unerbittlicher Vernichtungskrieg fördert unser Wohl. Glücklicherweise denken nicht alle Hindu ebenso wie die frömmelnden Narren ihres Volkes; auch in Indien gibt es viele, den niederen Klassen angehörige Leute, welche, angespornt durch regierungsseitig ausgesetzte Belohnungen, der Ausrottung der Giftschlangen sich widmen. Im Norden und Süden Amerikas übt man diesen gegenüber keine Gnade, keine Schonung. Wer in Nordamerika eine Giftschlange sieht, läßt es sich nicht verdrießen, vom Pferde, vom Wagen zu steigen, um sie zu tödten; wer in Brasilien einer habhaft werden kann, erlegt sie mit ebensoviel Ingrimm als tödtlichem Hasse, wenn auch nicht ohne Furcht. Dem einen wie dem anderen Gefühle fällt auch manche ungiftige Schlange zum Opfer: wer aber wollte dies Leuten, welche alljährlich die Folgen des Schlangenbisses kennen lernen, zur Schmach anrechnen? Noch darf sich der Mensch nirgends rühmen, den Sieg erstritten zu haben gegen die Giftschlangen, und solange der Vernichtungskrieg gegen diese fortdauert, ist es verfrüht, Schonung der unschädlichen Schlangen zu verlangen. Ausrotten wird der Mensch die Giftschlangen nie; ihre Zahl zu beschränken vermag er wohl. Dies beweisen alle Länder, in denen der Ackerbauer festen Fuß gefaßt hat, namentlich die Vereinigten Staaten und Brasilien. Durch den fortschreitenden Anbau des Landes nimmt die Anzahl der Schlangen insgemein und der Giftschlangen insbesondere erheblich ab, und so wird sich auch in den verrufensten Gegenden mit der Zeit wenigstens ein Verhältnis, welches dem Menschen furchtlos zu leben gestattet, anbahnen lassen. Bis dahin halten wir und alle Vernünftigen es mit Vir gil.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 395-404.
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