Schwarzotter (Pseudechis porphyreus)

[413] Eine der gefährlichsten Schlangen Neuhollands, die berüchtigte Schwarzotter (Pseudechis porphyreus, Coluber, Hurria und Trimeresurus porphyreus, Naja und Duberria porphyrica, Acantophis tortor), Urbild der Trugottern (Pseudechis), mag als australischer Vertreter der Familie an dieser Stelle eingefügt werden. Die Merkmale der Sippe beruhen in dem sehr gestreckten, walzigen und verhältnismäßig lang- und spitzschwänzigen Leibe, dem kleinen, vom Halse wenig abgesetzten, mit großen Schildern bekleideten Kopfe, den glatten, verschoben viereckigen, in siebzehn Reihen geordneten Schuppen und den zuerst doppel-, sodann ein- und schließlich wiederum zweireihig stehenden Schwanzschildern. Die Länge der Schwarzotter schwankt nach Bennett von 1,6 bis 2,5 Meter. Die Färbung der Oberseite ist ein prachtvolles, glänzendes Schwarz, die des Bauches ein ebenso schönes Blaßroth, die der Seiten ein lebhaftes Karminroth, welches jedoch nur die Ränder der Schuppen einnimmt, und durch deren lichte Mitte besonders gehoben wird, ebenso wie der schwarze Hinterrand der Bauchschilder deren Färbung wesentlich verschönert. Die Giftzähne sind verhältnismäßig schwach.

[413] Nach übereinstimmender Ansicht aller Forscher, Beobachter und Jäger gibt es keinen Erdtheil, ja kein Land, welches verhältnismäßig so viele Giftschlangen erzeugt als gerade Neuholland. Mindestens zwei Drittheile aller Schlangen, welche bis jetzt in den verschiedenen Theilen dieses Festlandes gesammelt wurden, sind giftig, und mehrere von ihnen gehören zu den gefährlichsten Arten der ganzen Ordnung. »Mag man sich befinden, wo man will«, versichert der ›alte Buschmann‹, »in dem tiefen Walde oder in dem dichten Heidegestrippe, in den offenen Heiden und Brüchen, an den Ufern der Flüsse, Teiche oder Wasserlöcher: man darf sicher sein, daß man seiner ingrimmig gehaßten Feindin, der Schwarzotter, begegnet. Sie dringt bis in das Zelt oder die Hütte des Jägers; sie ringelt sich unter seinem Bettlaken zusammen: nirgendwo ist man vor ihr sicher, und wundern muß man sich, daß nicht weit mehr Menschen durch sie ihr Leben verlieren, als in der That der Fall.« Nach den Behauptungen desselben Beobachters, welche ungeachtet mancher Unklarheit Glauben verdienen, halten alle Schlangen des Glücklichen Australien Winterschlaf: sie verschwinden gegen Ende März und kommen im September wieder zum Vorscheine. Bald nach dem Erwachen im Frühjahre paaren sie sich und beginnen hierauf ihr Sommerleben, welches insofern etwas eigenthümliches hat, als sie gezwungen werden, mit der zunehmenden Hitze, welche die meisten Gewässer austrocknet, ihrer Beute nachzuwandern und so gewissermaßen von einem Sumpfe, Teiche oder Regenstrome zum anderen zu ziehen. Die Schwarzotter, deren Weibchen wegen ihrer Färbung als »Braunschlange« oder »Braunotter« unterschieden wird, scheint die verbreitetste und häufigste von allen zu sein, mindestens öfter als die übrigen gesehen zu werden, was wahrscheinlich in ihrem Tagleben seinen Grund hat. Ihre Bewegungen sind schneller als die anderer Giftschlangen, da sie, falls die Beobachtungen richtig sind, nicht ganz selten das feste Land verläßt und entweder klettert oder sich in das Wasser begibt. »Im Sommer«, sagt gedachter Gewährsmann, »halten sich fast alle Schlangen Australiens in der Nähe des Wassers auf, und wenn ich auf Enten anstand, habe ich sehr oft hier gesehen, daß sie zum Trinken kamen. Einst schoß ich ein paar Enten, von denen die eine auf der entgegengesetzten Seite des Gewässers niederfiel. Da ich keinen Hund bei mir hatte, entkleidete ich mich und schwamm auf meine Beute zu. Im Schwimmen erblickte ich einen Gegenstand, welchen ich zuerst für einen Stock hielt; beim Näherkommen aber erkannte ich, daß es eine große Schwarzotter war, welche vollständig bewegungslos ihrer vollen Länge nach ausgestreckt auf dem Wasser ruhete. Obgleich ich nur wenige Schritte an ihr vorüberschwamm, rührte sie sich doch nicht im geringsten; mir aber wurde durch diese Entdeckung klar, warum die Enten zuweilen ohne scheinbare Veranlassung so unruhig werden.« Diese Bemerkung hat übrigens keine Beziehung zur Nahrung der Schwarzotter, da letztere, so viel bekannt, nur kleinen Säugethieren, Vögeln, Kriechthieren und Lurchen nachstellt.

Die Giftschlangen Australiens verursachen vielen Schaden und manchen Unglücksfall, werden deshalb auch allgemein gefürchtet und verfolgt. Viele von den Rindern und Schafen, welche man im Sommer sterbend oder verendet auf den Ebenen liegen sieht, mögen an Schlangenbissen zu Grunde gegangen sein, obgleich sie, wenigstens die Schafe, diese gefährlichen Geschöpfe tödten, indem sie mit allen vier Füßen auf sie springen und sie zerstampfen. Die Schwarzen fürchten alle Schlangen ungemein, trotzdem sie selten gebissen werden, aus dem einfachen Grunde, weil sie nur mit äußerster Vorsicht ihres Weges dahingehen, und ihre Adleraugen alles entdecken, was vor ihnen sich regt oder nicht regt. Durch lange Gewohnheit in hohem Grade vorsichtig geworden, durchschreiten sie niemals eine Vertiefung, treten sie niemals in ein Loch, welches sie nicht genau übersehen können. Sie essen Schlangen, welche sie selbst getödtet haben, nach der Versicherung des »alten Buschmann« niemals aber solche, welche im Todeskampfe, wie es oft geschehen soll, sich selbst einen Biß beigebracht haben.

In der Regel nimmt die Schwarzotter eiligst die Flucht, wenn sie einen Menschen zu Gesicht bekommt oder hört; aber in die Enge getrieben und gereizt, ja nur längere Zeit verfolgt, geht sie ihrem Angreifer kühn zu Leibe, hat sich deshalb bei den Ansiedlern auch den Namen »Sprungschlange« [414] erworben. Der »alte Buschmann« versichert übrigens, daß er nur ein einziges Mal eine Schwarzotter springen sah, und zwar in der Absicht, einen Hund zu beißen. Sie lag in halbaufgerichteter Stellung und warf sich mit Blitzesschnelligkeit ihrer ganzen Länge nach vor. Manche Hunde sind ungemein geschickt, Giftschlangen zu fassen und zu tödten, ohne sich selbst zu gefährden; fast alle aber büßen früher oder später ihren Eifer mit dem Leben: sie werden zu kühn und versehen sich doch einmal. Bennett erzählt, daß ein Hund, welcher gewohnt war, Schlangen zu tödten, eines Tages längere Zeit mit einer Schwarzotter kämpfte, welche bis auf den Kopf unter Reisig verborgen war, endlich zusprang, sie packte und auch im Nu abfing, dabei aber doch zwei Bisse von ihr erhielt, einen in die Zunge, den anderen in das Vorderbein. Das Ergebnis war, daß der tapfere Rüde fast unmittelbar darauf in Krämpfe verfiel, daß alle seine Glieder anschwollen, das Maul und die Zunge schwarz wurden, und der Tod nach ungefähr zwanzig Minuten unter fürchterlichen Zuckungen erfolgte. Der Hund, berühmt als Schlangentödter, war bis dahin glücklich jeder Gefahr entronnen, hatte aber freilich bisher auch nur im offenen Felde mit seinen gefährlichen Feinden gekämpft. Alte Waldhunde stellen die Schlangen, bleiben in einer ehrfurchtsvollen, gewissen Entfernung stehen und bellen so lange bis der Jäger zur Stelle kommt.

Die schwarzen Ureinwohner Neuhollands behaupten, daß der Biß unserer Schlange dem Menschen selten tödtlich wird, und in der That erinnert sich Bennett einzelner Fälle, daß Leute, welche von ihr gebissen wurden, ohne Anwendung irgend welcher Heilmittel wieder genasen. Trotzdem steht so viel fest, daß der Biß stets die bedenklichsten Folgen hat. »Ein Ansiedler am Clarencefluß«, so berichtet genannter Forscher, »welcher erfahren hatte, daß eine Schwarzotter sich in seinem Hause befand, machte sich, mit einem Stocke bewaffnet, auf, um sie zu tödten, verfuhr jedoch ungeschickt und wurde in den Fuß gebissen. Die Folgen des Bisses zeigten sich zunächst in einer auffallenden Abspannung und Schläfrigkeit des Verwundeten. Man wandte Salmiakgeist innerlich und äußerlich an, machte Einschnitte an der wunden Stelle, legte einen festen Verband an und ließ den Kranken umhergehen, trotzdem er das größte Verlangen zum Schlafen kund gab, überhaupt sich benahm, als ob er mit Opium vergiftet worden wäre. Stundenlang hielt derselbe Zustand an, bis der Mann nach und nach sich erholte. Die Schwarzen behandeln einen Gebissenen ganz in ähnlicher Weise. Nachdem sie die Wunde ausgesaugt haben, zwingen sie den Leidenden umherzulaufen, um ihn, wie sie sagen, vom Schlafen abzuhalten und den Wirkungen des Giftes dadurch zu begegnen. Nebenbei widmen sie übrigens auch der Wunde besondere Aufmerksamkeit, indem sie dieselbe entweder ausbrennen oder Einschnitte machen und stundenlang Blutung unterhalten.«

Derartige Heilungen sprechen übrigens keineswegs für die geringe Wirksamkeit des Giftes dieser Schlange, da angestellte Versuche das Gegentheil beweisen. Smeathman ließ einen kräftigen Dingo (Bd. I, S. 568), dessen Zählebigkeit sprichwörtlich, fünfundzwanzig Minuten vor zwölf Uhr mittags von einer Schwarzotter beißen. Um zwölf Uhr war das gebissene Glied vollständig gelähmt; zwanzig Minuten später lag das Thier auf der Seite: die Zunge hing ihm aus dem Maule, ein reichlicher Speichelfluß fand statt, Zittern überlief den ganzen Leib, Krämpfe traten ein, Schwäche und Bewußtlosigkeit folgten, und ein Viertel nach ein Uhr, also nach Verlauf von einer Stunde und vierzig Minuten, war der Dingo verendet. Als man am nächsten Morgen das Thier untersuchte, konnte man die Bißstelle nur noch an einigen Blutstropfen erkennen, welche ausgeflossen waren. Der Körper war nicht geschwollen. Anderweitige Versuche, welche angestellt wurden, ergaben ähnliches.

Unter den natürlichen Feinden nimmt der Riesenfischer die erste Stelle ein, wenigstens in den Augen der Jäger und Eingeborenen; auch eine große Echse soll den Schwarzottern mit Erfolg nachstellen und viele vernichten. Merkwürdigerweise erzählt man von ihr dieselben Geschichten wie vom Mungo (Bd. II, S. 41), behauptet, daß sie Heilpflanzen kenne und nach einem Schlangenbisse anwende, will auch durch sie unfehlbare Mittel kennen gelernt haben. Viel erfolgreicher als alle diese Feinde wirkt das Feuer, welches alljährlich auf Weideplätzen angezündet wird, um das [415] verdorrte Gras wegzuräumen und in fruchtbare Asche zu verwandeln: ihm fallen alljährlich tausende von giftigen Schlangen und anderem Ungeziefer zum Opfer, und hofft man allgemein, daß mit der zunehmenden Bevölkerung und einer regelmäßigen Bearbeitung des Landes die ersteren sich rasch vermindern werden.


*


»Cobra de Capello« nannten die Portugiesen eine Schlange, welche sie auf Ceylon fanden, und übertrugen diesen Namen später auf Verwandte derselben, denen sie in Afrika begegneten. Der Name bedeutet »Hutschlange« und ist bezeichnend; die Portugiesen hätten jedoch nicht nöthig gehabt, einen neuen Namen zu bilden, da die eine wie die andere Schlange schon seit uralten Zeiten bekannt und benannt waren, insbesondere die in Nord- und Ostafrika lebende Art schon in der altegyptischen Geschichte hohen Ruhm erlangt hatte. Die Eigenthümlichkeit der Hutschlangen besteht darin, daß sie bei senkrechter Erhebung des vorderen Theiles ihres Leibes den Hals scheibenförmig ausbreiten können, indem sie die vorderen acht Rippen seitlich richten. Bei dieser Stellung halten sie den Kopf unabänderlich wagerecht, und es sieht dann allerdings aus, als ob sie einen großen, runden Hut tragen; jedoch gewinnt man diesen Eindruck nur, wenn man sie von hinten betrachtet, während die Rippenscheibe, von vorne gesehen, zur Vergleichung mit einem Schilde gleichsam herausfordert, und der Name »Schildotter« deshalb als noch schärfer bezeichnend erachtet werden muß denn jener.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 413-416.
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