Gitterschlange (Python reticulatus)

[325] Letztere, die Gitter- oder Netzschlange, Ularsawa, zu deutsch »Reisfelderschlange«, der Malaien (Python reticulatus, Boa reticulata, Python Schneideri und javanicus, Coluber und Constrictor Schneideri), dürfte die Tigerschlange an Länge nicht übertreffen, wird aber, wie jene auch, oft über- und bis auf zehn Meter Länge geschätzt. Ihre Grundfärbung ist licht gelblich- bis nuß- oder olivenbraun; die Zeichnung wird hervorgerufen durch eine schmale, schwarze Längslinie, welche auf dem Stirnschilde beginnt und in gerader Richtung bis zum Genick verläuft, und eine zweite, welche am hinteren Augenrande ihren Ursprung nimmt, sich schief über die Oberlippe herab, und sodann in ziemlich gerader Richtung längs der Halsmitte weiter zieht, bald aber, wie jene auch, in eine Reihe unregelmäßig gestalteter, bald rundlicher, bald verschoben viereckiger Hohlflecken übergeht, welche die Rückenmitte einnehmen und scharf hervortreten, weil die Schuppen neben ihren schwarzen Umgrenzungen viel lichter, selbst weißlich gefärbt sind. Jederseits eines solchen Fleckens steht ein kleinerer, ebenfalls unregelmäßig gestalteter, weißlicher, schwarz umrandeter Augen-oder Netzflecken und vermehrt die Gitterung der ganzen Zeichnung. Die gelbliche Unterseite ist seitlich mit unregelmäßigen schwarzen, die Schwanzunterseite mit gemarmelten braunen Flecken gezeichnet. Zwischen dem hinteren Stirnschilderpaare und dem Scheitelschilde stehen ein oder zwei Paare kleiner Schilder; vier obere und sechs untere Lippenschilder sind grubig ausgetieft; die kleineren Schuppen ordnen sich in vierundsiebzig Reihen.

Die Gitterschlange bewohnt außer der Malaiischen Halbinsel alle Eilande des Indischen Inselmeeres und ist auch auf solche verschleppt worden, auf denen sie früher nicht einheimisch war, so durch die Chinesen nach Amboina.

Beide Riesenschlangen werden zwar nicht von Naturforschern, wohl aber von den Reisenden wie von den Eingeborenen oft verwechselt, und es läßt sich daher nicht immer entscheiden, auf welche Art die Berichte sich beziehen. Findet man doch, ganz abgesehen von Uebertreibungen, welche sich leicht berichtigen lassen, selbst in naturgeschichtlichen Werken fehlerhafte oder irrthümliche Angaben über diese seit Jahrhunderten bekannten Thiere.

Unter den Indiern laufen noch heutigentages Erzählungen über diese Schlange um, welche an die Märchen der Alten erinnern oder den Aufschneidereien der Südamerikaner gleichkommen. Aus den noch immer dürftigen Berichten der Naturforscher und Reisenden, welche sich bemühten, wirklich thatsächliches zu geben, geht zur Genüge hervor, daß die südasiatischen Drachen in keiner Weise gefährlicher sind als ihre neuweltlichen Verwandten, daß sie diesen auch ganz ähnlich leben, mit entschiedener Vorliebe in sumpfigen Gegenden, auf überschwemmten Reisfeldern, überhaupt in der Nähe vom Wasser sich aufhalten, trockene Gegenden jedoch ebensowenig meiden und hier wie dort ihre Jagd auf kleinere Wirbelthiere der beiden ersten Klassen betreiben. Sehr große Stücke sollen sich zuweilen selbst an junge Muntjake und Schweinshirsche wagen, und daher mögen wohl die Erzählungen rühren, welche glauben machen wollen, daß unsere Schlangen Thiere bis zu Hirschgröße hinabwürgen. Zur Hirschfamilie zählen die genannten Wiederkäuer allerdings, in der Größe aber kommen sie bekanntlich noch nicht einmal unserem Rehe gleich, und zudem ist bei ihrer Erwähnung immer noch zu bedenken, daß in Südasien auch die kleinen Moschusthierchen leben, welche nicht bloß von den Eingeborenen, sondern ebenso von den dortigen Europäern gemeiniglich als Hirsche bezeichnet werden. Daß man in Indien noch heutigentages von den Angriffen auf Menschen zu fabeln weiß, daß berühmte Maler schauerliche Kämpfe zwischen Schlangen und Laskaren nach »verbürgten Thatsachen« dargestellt haben und ihre Abbildung sogar von gläubigen »Forschern« in ihre Werke aufgenommen worden sind, trotzdem ein Blick auf das Bild sie von der Unwahrheit desselben belehren mußte: dies alles wird denjenigen, welcher gewohnt ist, das glaubliche von dem unglaublichen zu sondern, nicht beirren können. Und selbst [325] wenn man in einem so tüchtigen Werke, wie es die »Reise der Novara« ist, verzeichnet findet, daß unsere österreichischen Landsleute in Manila eine Boa constrictor von achtundvierzig Fuß, das ist etwa funfzehn Meter, Länge und sieben Zoll oder achtzehn Centimeter Dicke lebend gesehen haben, wird man diese Angabe ohne weiteres berichtigen, indem man sich sagt, daß die genannte Schlange als einheimisches Thier überhaupt nicht in Manila vorkommt und sicherlich keiner von den die Reisegesellschaft begleitenden Naturforschern die verfänglichen Zeilen des Berichtes vor dem Drucke gelesen haben kann.

Aus wirklich verbürgten Thatsachen geht das Gegentheil aller derartigen Schilderungen unwiderleglich hervor. Schlegel, welcher in seiner begünstigten Stellung, als früherer Mitarbeiter und späterer Leiter eines der größten Museen der Erde, vollkommen in der Lage war, ein zutreffendes Urtheil zu fällen, bemerkt ausdrücklich, daß indische Pythonschlangen von mehr als sechs Meter zu den allergrößten Seltenheiten zählen, und daß sein Freund Boje, welcher als naturwissenschaftlicher Reisender mehrere Jahre seines Lebens in den Heimatländern der beiden Pythonarten verlebt und den Kriechthieren ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, trotz der eifrigsten Nachforschungen niemals im Stande war, eine einzige Tiger- oder Gitterschlange von vorstehend an gegebener Größe zu erlangen. Kleine Säugethiere bilden die bevorzugte Nahrung beider Schlangen und nur alte, ausgewachsene Stücke vergreifen sich dann und wann an Ferkeln oder an den Kälbern der kleineren Hirscharten, insbesondere des Muntjak. Große Säugethiere und Menschen kommen niemals in Gefahr, durch sie verschlungen zu werden, und selbst die Eingeborenen versichern, daß unsere Schlangen nicht einmal Kinder angreifen. Nach derartigen ernsten Forschungen wird man sich wohl selbst sagen können, was von nachstehenden Angaben Cleyers zu halten ist. »Im Königreiche Arracom, an der Grenze von Bengalen«, sagt der brave Holländer, »sah man eine Schlange von ungeheuerer Größe neben einem Flusse über einen Büffel herfallen. Ihr Kampf war ein schreckliches Schauspiel. In der Entfernung eines guten Kanonenschusses hörte man die Knochen des Büffels krachen, als sie durch die Uebermacht seines Feindes zerbrochen wurden. Ich kaufte eine solche Schlange von einem Jäger und fand bei der Zergliederung einen ganzen Hirsch von Mittelgröße, mit Haut und Haaren in derselben, in einer anderen einen ganzen wilden Bock, trotz seiner langen Hörner, und in dem Magen einer dritten ein ganzes Stachelschwein mit seinen Stacheln. Auf der Insel Amboina wurde sogar eine schwangere Frau von einem Thiere dieser Art verschlungen.« In ähnlicher Weise fabeln auch andere ältere Reisende, und ein Nachhall dieser Erzählungen mag es gewesen sein, welcher Wallace bestimmte, dem bereits mitgetheilten Anfalle einer der beiden Pythonschlangen auf einen Menschen größeres Gewicht beizulegen, als derselbe wahrscheinlich verdient. Meiner Meinung nach geschehen etwaige Angriffe der Pythonen auf Menschen niemals absichtlich, sondern höchstens irrthümlich. Einen so zu erklärenden Angriff hat der Wärter Cop im Thiergarten zu London zu erfahren gehabt. Er hielt einer seiner hungerigen Pythonschlangen ein Huhn vor, wie er es beim Füttern zu thun gewohnt war; die Schlange stürzte sich auf dasselbe, fehlte es, wahrscheinlich weil sie sich kurz vor der Häutung befand und ihr Auge, wie es unter solchen Umständen gewöhnlich, getrübt war, packte seinen linken Daumen und hatte sich im nächsten Augenblicke um seinen Arm und Hals gewunden. Cop war allein, verlor jedoch die Geistesgegenwart nicht, sondern suchte mit der andern Hand den Kopf der Schlange zu packen, um sich von ihr zu befreien; leider aber hatte sich das Thier so um seinen eigenen Kopf gewickelt, daß der Wärter diesen gar nicht fassen konnte und genöthigt war, sich mit ihr auf den Boden des Käfigs zu legen, in der Hoffnung, so kräftiger mit ihr ringen zu können. Zwei Wärter kamen dem Manne glücklicherweise rechtzeitig zur Hülfe und befreiten ihn nicht ohne Anstrengungen von seinem Gegner, welcher ihm sonst möglicherweise das Schicksal Laokoons bereitet haben würde. Derartige Mißverständnisse können, wie eigene Erfahrungen mich belehrt haben, vorkommen; im Freien aber wird auch eine Pythonschlange immer nur dann zu einem Angriffe auf Menschen schreiten, wenn sie meint, ihrer Haut sich wehren zu müssen. Ein Verschlingen des [326] Herrn der Erde beabsichtigt die Schlange ebensowenig wie das eines großen Thieres oder aber, wie man ihr ebenfalls nachgesagt, einen Kampf mit dem gewaltigen Königstiger. Erfuhr doch Hutton, welcher während seines Aufenthaltes in Indien an Schlangen dieser Art Beobachtungen anstellte, daß eine seiner Gefangenen es für gut befand, eine gepackte und umschlungene Katze wieder loszulassen, weil sich diese so nachdrücklich wehrte, daß der Feind mit ihr nichts auszurichten glaubte!

Der oben mitgetheilte Bericht über das Fortpflanzungsgeschäft frei lebender südasiatischer Pythonschlangen hat durch Wahrnehmungen an Gefangenen vollste Bestätigung erfahren. Am ersten Januar 1841 beobachtete man, wie Valenciennes und Dumeril ausführlich berichten, zum erstenmale die Begattung zweier im Pflanzengarten zu Paris lebender Tigerschlangen. Bis Ende Januar paarten sich die Thiere wiederholt. Vom zweiten Februar anfraß das Weibchen, welches an gedachtem Tage ein Kaninchen und vier Kilogramm rohes Rindfleisch verschlungen hatte, nicht mehr, nahm aber gleichwohl an Körperumfang merklich zu. Am sechsten Mai legte es im Zeitraume von vierthalb Stunden funfzehn Eier, eines nach dem andern, vereinigte sie zu einem Haufen und rollte sich derartig über ihnen zusammen, daß die einzelnen Ringe seines Leibes ein flaches Gewölbe bildeten, dessen höchste Stelle der Kopf einnahm. In dieser Lage verblieb die Schlange fast zwei Monate, vom fünften Mai bis zum dritten Juli, an welchem Tage die Jungen ausschlüpften. Während dieser Zeit wurde wiederholt die Wärme gemessen, welche sich zwischen den Falten entwickelt hatte und man fand, daß dieselbe zuweilen um acht bis zehn Grad Réaumur die der Umgebung übertraf. Der Raum, in welchem sich die über den Eiern liegende Schlange befand, war ein großer Kasten, welcher von unten her durch Wärmflaschen geheizt und bis auf zwanzig oder fünfundzwanzig Grad gebracht werden konnte. Diese Wärme wurde während der ganzen Zeit sorgfältig erhalten und mag wesentlich zu dem günstigen Ergebnisse beigetragen haben. Aus den funfzehn Eiern schlüpften an gedachtem Tage acht junge Schlangen von ungefähr einem halben Meter Länge; sie wuchsen jedoch, ohne Nahrung zu nehmen, während der ersten sechzehn Tage bis zu achtzig Centimeter Länge heran, häuteten sich zum erstenmale zwischen dem dreizehnten und achtzehnten Juli, bis zum December desselben Jahres überhaupt fünfmal und begannen nach der ersten Häutung zu fressen. Anfänglich reichte man ihnen Sperlinge, welche sie nach Art ihrer Eltern erwürgten; später erhielten sie rohes Fleisch und kleine Kaninchen. Da ihnen so viel Nahrung gewährt wurde, als sie fressen wollten, gediehen sie vortrefflich und hatten bereits im December ihres Geburtsjahres eine Länge von 1,5 bis 1,55, ja selbst zwei Meter erlangt. Nach Verlauf von zwanzig Monaten, am fünften März 1843, betrug die Länge der meisten von ihnen mehr als zwei Meter oder viermal so viel, als sie bei der Geburt gezeigt hatten; eine von ihnen war bereits bis auf 2,34 Meter herangewachsen. Letztere hatte in den ersten sechs Monaten ihres Lebens 13,17, im zweiten Jahre zweiundzwanzig Kilogramm an Nahrung zu sich genommen. Aus dieser Feststellung folgert Günther, daß eine Tiger- oder Netzschlange von reichlich drei Meter Länge ungefähr vier Jahre alt sein muß, und durch Beobachtungen, welche im Garten zu Regents-Park gewonnen wurden, erfahren wir, daß in den nächsten zehn Jahren des Lebens die Länge bis auf sieben Meter ansteigen kann.

Beide Pythonarten werden oft gefangen und schon in Südasien, hier jedoch nicht von allen Völkerschaften, mit Vorliebe gepflegt. Laut Martens wird eine oder die andere Riesenschlange von den Chinesen in ihren Dschunken gern gesehen und als ein Pfand des Glückes betrachtet, wenn sie etwas frißt, als Unglück, wenn sie die Dschunke verläßt. Auf den Fahrzeugen wie in den Häusern, in denen man sie pflegt, liegt sie mit Eifer dem Rattenfange ob. Der alte Valentyn erzählt, wie geschickt sie hierbei zu Werke geht, indem sie die Ratten, ohne sich zu rühren, über ihren Leib weglaufen läßt, dann aber, sobald sie in Fangweite kommen, plötzlich zuschnappt und das dreiste Wild in der üblichen Weise erwürgt und verzehrt. In Anerkennung ihrer Nützlichkeit läßt man sie in Nebengebäuden der Wohnungen, insbesondere in Speichern, gern gewähren, und vielleicht infolge [327] dessen wie in Erinnerung der guten Mahlzeiten, welche sie auf chinesischen Fahrzeugen gehalten, besucht sie nicht allzu selten auch Schiffe und Häuser, in denen man sie nicht willkommen heißt. So fand man im Jahre 1840 eine Gitterschlange auf dem Hintertheile eines Regierungsschiffes, welches zwischen drei und vier Seemeilen von der Küste entfernt in der Nähe Singapores vor Anker gelegen hatte, und wußte nichts besseres zu thun, als den Gastfreundschaft heischenden Eindringling durch einen Schuß zu tödten. So wurde auch Wallace eines schönen Abends durch den Besuch einer anderen in seinem Hause auf Amboina erschreckt. »Abends«, sagt unser Berichterstatter, »saß ich gewöhnlich lesend in der Veranda, bereit die Kerbthiere zu fangen, welche von dem Lichte angezogen wurden. Eines Abends, etwa um neun Uhr, hörte ich ein seltsames Geräusch und ein Rascheln über mir, als ob ein schweres Thier langsam über das Dach kröche. Das Geräusch hörte bald auf, ich dachte weiter nicht daran und ging zu Bette. Am nächsten Nachmittage, gerade vor dem Essen, als ich ermüdet von meinem Tagewerke auf der Lagerstätte lag und las, sah ich, nach oben blickend, eine große Masse von irgend etwas über mir, welche ich vorher nicht bemerkt hatte. Bei genauerem Hinsehen konnte ich gelbe und schwarze Flecke unterscheiden und hielt das Ding zunächst für eine Schildkrötenschale, welche dorthin zwischen Giebelbalken und Dach gelegt worden sei, um sie aus dem Wege zu räumen. Als ich jedoch fortfuhr zu beobachten, entpuppte sich der Gegenstand als große, vollständig in einen Knäuel aufgerollte Schlange, und ich konnte jetzt deren Kopf und die glänzenden Augen gerade in der Mitte der Falten entdecken. Das Geräusch vom vorigen Abend war nun erklärt. Eine Pythonschlange hatte einen Pfosten des Hauses erklommen, ihren Weg einen Meter über meinem Kopfe weg unter das Dach gefunden und dort sich behaglich hingestreckt, ich aber die ganze Nacht unmittelbar unter ihr gesund geschlafen. Ich rief meine beiden Knaben, welche Vögel abbalgten, und sagte: es ist eine dicke Schlange in dem Dache. Beide aber stürzten, sobald ich ihnen das Thier gezeigt hatte, aus dem Hause und baten mich ebenfalls, dasselbe zu verlassen. Da ich sah, daß sie zu furchtsam waren, um irgend etwas zu thun, bot ich einige Arbeiter aus der Pflanzung auf und hatte bald ein halbes Dutzend Männer zusammengebracht, welche Berathung hielten. Einer von ihnen, ein Eingeborener aus Buru, wo es sehr viele Schlangen gibt, sagte, daß er sie wohl herausholen wolle, ging auch gleich geschäftsmäßig an das Werk. Aus Rotang verfertigte er eine lange Schlinge, nahm sie in die eine, einen langen Pfahl in die andere Hand und stieß nun mit diesem nach der Schlange, bis sie langsam sich abzuwickeln begann. Nunmehr arbeitete er so, bis die Schlinge über ihren Kopf kam, zog jene sorgsam über dem Körper herab, schnürte sie zusammen und zerrte das Thier hinunter. Es gab ein großes Getümmel, als die Schlange sich um den Dachstuhl und Pfosten wand in der Absicht, ihrem Feinde Widerstand zu leisten; zuletzt aber packte sie der Mann am Schwanze, stürzte aus dem Hause, rannte so schnell, daß die Schlange verdutzt zu sein schien und versuchte ihren Kopf gegen einen Baum zu schlagen, fehlte jedoch und mußte sie fahren lassen, worauf das geängstigte Thier unter einem abgestorbenen Stamme dicht daneben Zuflucht suchte. Sie wurde wieder herausgestoßen, nochmals am Schwanze gepackt und nunmehr glücklich mit dem Kopfe im Schwunge gegen einen Baum geschleudert, worauf sie leicht mit einem Beile getödtet werden konnte. Sie war etwa vier Meter lang, sehr dick und wäre im Stande gewesen, viel Unheil anzurichten, da sie einen Hund oder ein Kind verschlingen konnte.« Weshalb Wallace eine so kleine Schlange so schwerer Unthat bezüchtigt, weiß ich nicht, da er, so viel ich habe ergründen können, in seinem ganzen Werke keine einzige Beobachtung mittheilt, welche ihn zu einem derartigen Urtheil hätte berechtigen können. Ich habe die Stelle ausgezogen, um zu zeigen, wie sehr man in Indien Riesenschlangen fürchtet. Noch deutlicher geht dies aus einem Berichte hervor, welchen Dobson über den Fang der verwandten Tigerschlange gibt. Eine solche war in unmittelbarer Nähe der Stadt Kalkutta in einen Garten der Vorstadt gekommen und hatte sich hier auf einem Mangobaume niedergelassen, welcher ein kleines Gewässer überschattete. Man versuchte, sie zu verscheuchen, und ein Mann erstieg deshalb den Baum, um sie von dem Aste zu schütteln, auf welchem sie sich zusammengerollt hatte. [328] Plötzlich aber ließ die Schlange los und stürzte sich in den unter ihr befindlichen Teich. Ihr Angreifer, welcher fürchtete, daß sie ihn umringeln möchte, that dasselbe, fiel auf der andern Seite zur Erde herab und hätte sich dabei beinahe den Hals gebrochen. Die Schlange war unter dem Wasser ver schwunden und kam in der nächsten halben Stunde nicht wieder zum Vorscheine, wurde von jetzt an überhaupt fast einen ganzen Monat nicht mehr erblickt, bis man sie endlich auf einem anderen Mangobaume am Rande desselben Wassers wieder auffand. Als Dobson zur Stelle kam, fand er, daß sie ihren Platz wiederum verändert, nach wie vor aber einen Mangobaum gewählt und in beträchtlicher Höhe auf einem Gabelzweige sich aufgerollt hatte. Die Eingeborenen erklärten ihre Vorliebe für Bäume, indem sie sagten, daß die Riesenschlange solche besteige, wenn sie hungrig sei, um hier Vögel zu fangen, welche sich bei Anbruch der Nacht auf dem Baume zur Ruhe niederließen. Unser Beobachter nahm nun zunächst die Schlange photographisch auf, und da die Arbeit sich nur mit Schwierigkeit bewerkstelligen ließ, war es an diesem Tage zu spät geworden, um noch einen Versuch zu machen, sie einzufangen. Man mußte sich einstweilen damit begnügen, den eingeborenen Gärtner durch ein Trinkgeld zu vermögen, daß er sie bis zum nächsten Morgen im Auge behalte. Inzwischen mochte sich an jenem Abende die Nachricht von ihrem Vorhandensein doch weiter verbreitet haben; denn am nächsten Morgen erschienen einige Leute in dem Garten, um ihrerseits auf das Unthier zu fahnden, versicherten sich auch bald der Hülfe des Gärtners durch ein anderweitiges Trinkgeld. Hierauf waren sie bemüht, durch Versprechen einer reichen Belohnung Eingeborene zu bereden, die Schlange zu fangen, fanden jedoch keine Freiwilligen, welche die gefährliche Arbeit ausführen wollten. Um Hülfe zu suchen, kehrten sie nach der Stadt zurück, und ihre Abwesenheit benutzte der nach einem dritten Trinkgelde begierige Gärtner, um einigen Nachbarn, deren Dienste für Dobson gewonnen worden waren, Nachricht von dem vorgefallenen zu geben. Diese ließen einen Schlangenbeschwörer, einige Netze und mehrere Dienstleute kommen und beeiferten sich, der anderen Plane zu vereiteln. Der Beschwörer erkletterte den Baum und versuchte, die Schlange zu überreden, ihren Platz zu verlassen. Diese aber ging nicht auf die Wünsche des Mannes ein, sondern biß ihn heftig in die Hand, rollte sich sodann schnell auf und bestrebte sich, wie früher zu entkommen. Diesmal aber war der Teich zu weit entfernt, und sie fiel auf festen Boden. In demselben Augenblicke verwickelten die Kulis sie in die Netze und trugen sie im Triumphe davon, zur größten Enttäuschung der anderen Gesellschaft, welche ungefähr gleichzeitig wieder auf dem Schauplatze erschien und auch ihrerseits einen Schlangenbeschwörer und eine große Anzahl von Kulis mitgebracht hatte. Dobson mußte die Pythonschlange beinahe einen Monat lang im Käfige halten, bevor er sie wegsenden konnte. Ein Kapitän, welchen er zu bereden suchte, dieselbe nach England überzuführen, versicherte, lieber alles andere als Schlangen an Bord haben zu wollen, weigerte sich daher, das in einer Kiste wohl verwahrte Thier mitzunehmen, und erst ein anderer war vernünftig genug, in besagter Kiste ein Gepäckstück zu sehen, welches keine Furcht einflößen konnte.

Noch ist mit Sicherheit nicht festgestellt worden, ob die afrikanischen Pythonschlangen eine einzige Art bilden oder nur Spielarten einer und derselben Art darstellen. Erfahrene Schlangenkenner unterscheiden drei, andere nur zwei Arten, wieder andere scheinen geneigt zu sein, auch diese zu vereinigen. Indem ich die eingehenden Beschreibungen von Dumeril und Bibron zu Grunde lege, will ich versuchen, die wichtigsten Merkmale der beiden gewöhnlichsten Arten oder Spielarten in Kürze wiederzugeben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 325-329.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon