Baumotter (Bothrops erythrurus)

[523] Die Baumotter oder Budru-Pam der Malaien (Bothrops erythrurus, Trigonocephalus erythrurus und viridis, Trimeresurus erythrurus und albolabris), eine nur mittelgroße Art der Gruppe, erreicht eine Länge von fünfundachtzig Centimeter und ist auf der Oberseite grasgrün, seitlich etwas lichter, unterseits grünlichweiß gefärbt. Von der weißen Oberlippe über dem Auge weg und an der Kopfseite fortlaufend, zieht sich zuweilen eine rein gleichgefärbte Linie nach dem Hinterkopfe, und ebenso bemerkt man gewöhnlich eine aus weißen oder gelben Punkten gebildete Trennungslinie zwischen den in einundzwanzig bis dreiunddreißig Reihen geordneten Rückenschuppen und den Bauchschildern. Alte Weibchen tragen, nach Günther, diese Abzeichen nicht.

Das Verbreitungsgebiet der Baumotter erstreckt sich von der Indischen Halbinsel bis nach China. Man kennt die Schlange aus dem Gangesdelta, der Gegend von Mulmein, aus Siam, China, von Java und Pinang, und Fayrer vermuthet, daß sie auch auf den Nikobaren vorkommen dürfte. Nach Stoliczka's Beobachtungen lebt sie in sehr namhafter Anzahl auf hügeligem Lande in der Nähe Mulmeins und zwar fast ausschließlich auf Bäumen. Ihre Färbung ähnelt der des Blattwerkes verschiedener Bäume in so hohem Grade, daß man sie kaum wahrzunehmen im Stande ist. Stoliczka sah jüngere Schlangen dieser Art oft auch auf niederen Pflanzen, und Cantor begegnete ihnen ebenso dann und wann auf dem Boden. Das Gezweige der Bäume beherrschen sie vollständig; denn sie klettern nicht allein vorzüglich, sondern verstehen ebenso möglichst bequeme Lagen und Stellungen anzunehmen. Der Greifschwanz wird um einen Ast oder den Obertheil des Stengels eines Doldengewächses geschlungen, um dem Leibe den nöthigen Halt zu gewähren, und dieser ruht dann entweder gerade ausgestreckt oder in mehrere Windungen gelegt oder auch theilweise zusammengeringelt regungslos auf breiten Blättern oder Aesten und Zweigen, als wäre er ein Theil der Pflanze selbst. Eine derartig ihrer Ruhe sich hingebende oder schlafende Baumschlange bekümmert sich nur dann um die Außenwelt, wenn ihr dies unbedingt nothwendig erscheint. Ohne sich zu rühren, läßt sie Menschen an sich herantreten, ohne heftige Bewegungen zu machen, [523] sich sogar wegnehmen, und nur dann, wenn man sie mit dem Stocke drückt oder einer Zange kneipt, versucht sie zu beißen. Einmal erregt aber, bekundet auch sie den Jähzorn aller Giftschlangen, reißt, wie Martens hervorhebt, den Rachen so weit auf, daß Ober- und Unterkiefer fast in einer Ebene stehen, und bietet dann mit den spitzigen, aus dem rosenrothen Zahnfleische vorstehenden Giftzähnen einen geradezu erschreckenden Anblick. In den vorgehaltenen Stock beißt sie in der Wuth so heftig, daß sie sich selbst die Gifthaken ausbricht.

Ebenso munter als bei Tage schläfrig dürfte die Baumotter des Nachts sein. Denn um diese Zeit erst beginnt sie ihre Jagden auf allerlei kleinere Vögel, Säugethiere, Baum- und andere Frösche und auch auf Kerbthiere, welche nach Stoliczka's Ansicht sogar den Haupttheil ihrer Nahrung bilden sollen.


Baumotter (Bothrops erythrurus). 1/2 natürl. Größe.
Baumotter (Bothrops erythrurus). 1/2 natürl. Größe.

Genannter Forscher fand niemals die Reste von Wirbelthieren in den Magen der von ihm untersuchten Baumschlangen, wagt jedoch nicht, daran zu zweifeln, daß sie kleinere Thiere höherer Klassen ebenfalls umbringe, wenn dies ohne besondere Schwierigkeiten geschehen kann.

Das Gift der Baumottern wird allgemein als nicht besonders wirksam bezeichnet; gleichwohl unterliegt es keinem Zweifel, daß auch sie sehr gefährlich verwunden können. Der Mensch leidet aus dem einfachen Grunde weniger durch sie als durch andere Giftschlangen, weil sie durch ihr Baumleben seltener mit ihm in Berührung kommen als letztere. Daß auch sie ihn aufs ernsteste gefährden können, ist leider durch mehrere Fälle verbürgt worden. »Ihr Biß«, schreibt der Missionär Hänsel, freilich, wie die meisten seines Standes, ein wenig zuverlässiger Gewährsmann, »ist so giftig, daß ich eine durch sie verwundete Frau binnen einer halben Stunde habe sterben sehen. Um Früchte zu pflücken, hatte diese Frau einen Baum bestiegen, war dabei einer von ihr nicht gesehenen[524] Schlange zu nahe gekommen und sofort in den Arm gebissen worden. Wohl vertraut mit der Gefahr eines solchen Bisses, stieg sie augenblicklich vom Baume herab, wurde aber kurze Zeit, nachdem sie den Boden erreicht hatte, schwindelig, gleichsam als ob sie berauscht wäre. Man brachte sie unmittelbar nach dem Bisse zu mir, und während ich ihr Schröpfköpfe aufsetzte, starb sie in meinen Händen.« Der mitgetheilte Fall ist übrigens der einzige nachgewiesene, welcher tödtlich verlief, und stellt, was wohl zu beachten, die Art der Schlange durchaus nicht fest. Alle übrigen Berichte stimmen darin überein, daß die von Baumot tern gebissenen Menschen zwar sehr leiden, aber doch nur höchst selten der Vergiftung erliegen.

Ueber die Wirkung ihres Bisses hat Russell Versuche angestellt. Ein Huhn, welches in den Schenkel gebissen wurde, zog diesen sogleich in die Höhe, legte sich nach zwei Minuten nieder, versuchte aufzustehen, konnte sich aber nicht mehr halten, bewegte fünf Minuten später Kopf und Hals sehr heftig und starb acht Minuten nach dem Bisse. Ein Schwein, welches an demselben Tage von derselben Schlange in das Vorderbein gebissen wurde, zeigte schon sieben Minuten später große Mattigkeit und verfiel im Verlaufe einer Viertelstunde in Betäubung. Dieser Zustand währte bis gegen Ende der zweiten Stunde; das Thier konnte sich nicht in die Höhe heben und schrie kläglich, wenn man es aufrichtete, schien im Verlaufe der dritten Stunde noch mehr zu leiden, quiekte von Zeit zu Zeit und fiel dann wieder in Betäubung: zwei Stunden später wurde es besser und versuchte zu gehen, und sieben Stunden nach dem Bisse war es wieder genesen. Ein Huhn, welches eine halbe Stunde nach dem Schweine von derselben Schlange einen Biß erhalten hatte, starb nach Verlauf von dreiunddreißig Minuten. Sechs Tage später ließ man den Budru einen Hund in den Schenkel beißen. Nach sechzehn Minuten trat Zittern des Kopfes und der Vorderfüße ein, nach fünfundzwanzig Minuten war das Zittern allgemein; der Hund streckte den Hals vor, wandte das Maul nach oben und bewegte sich gähnend, ohne jedoch zu winseln. Während der zweiten Stunde lag er auf einer Seite in einem Zustande von Schlaffheit, drehte aber von Zeit zu Zeit seine Glieder und hatte mitunter Flechsenspringen; nach der dritten Stunde aber verringerten sich die Zufälle, und die Genesung trat ein. Zwei Tage später ließ man denselben Hund an beiden Schenkeln und von derselben Schlange, welche in der Zwischenzeit drei Hühner vergiftet hatte, wiederum beißen. Er erlitt etwa drei Stunden lang dieselben Zufälle.

Cantor zählt eine ähnliche Reihe von Versuchen auf, welche angestellt wurden, um die Wirkung des Giftes ihrer und verwandter Arten zu erproben und ist dabei zu verschiedenen Ergebnissen gekommen. Eine Baumotter biß, nachdem sie eben gefressen hatte, ein Huhn, welches nur leichten Schmerz, im übrigen aber kein anderes Zeichen der Vergiftung bekundete. Ein anderes Huhn, welches von einer zweiten Schlange derselben Art gebissen worden war, zog unmittelbar nach der Verwundung das Bein an, fiel um, entleerte sich drei Minuten nach dem Bisse, bekundete nach wiederum drei Minuten leichte Lähmung des Kopfes und Nackens, welche ungefähr fünf Minuten anhielt, versuchte sodann ohne Erfolg, sich zu erheben, führte dies einundzwanzig Minuten nach dem Bisse wirklich aus, schüttelte die Flügel und war dem Anscheine nach vollkommen genesen. Ein ganz ähnliches Ergebnis hatte ein weiterer mit derselben Schlange bei einem anderen Huhne angestellter Versuch. Andere Hühner wiederum, welche von verwandten Arten gebissen wurden, starben, Hunde dagegen kamen, allerdings unter Hülfeleistung von Seiten ihrer Herren, mit dem Leben davon.


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Die neuweltlichen Vertreter der Baumottern sind die in Süd- und Mittelamerika einschließlich der Antillen lebenden und nicht kletternden Lanzenschlangen (Bothrops).

»Auf den beiden Inseln Martinique und St. Luzie«, sagt Dr. Rufz, »herrscht die Lanzenschlange noch unbeschränkt in Busch und Wald, und selbst da, wo der Mensch seine Wohnung hat und das Land bebaut, kann niemand ohne Sorgen sich im Schatten eines Baumes kühlen, niemand [525] ohne Begleitung von Sklaven die Gefilde durchwandern, niemand im Gebüsche lustwandeln, niemand zum Vergnügen auf die Jagd gehen. Des Nachts hat man gräßliche Träume von Schlangen, weil man bei Tage von entsetzlichen Schlangengeschichten hört.«

Die Lanzenschlange ist häufig auf den beiden Inseln und allgemein verbreitet; denn sie bewohnt, laut Moreau de Jonnès, das bebaute Feld, die Moräste, die Wälder, die Flußufer, kurz, die ganze Insel vom Meeresspiegel an bis zu den wolkenumlagerten Bergen. Man sieht sie in Flüssen schwimmen, sich an Baumästen schaukeln und selbst am Rande des Schlundes feuerspeiender Berge noch umhertreiben; sie naht den Städten und dringt auf dem Lande nicht selten in das Innere der Häuser, wenn diese mit Gebüsch und hohem Grase umgeben sind. Nach Rufz gelten als ihre bevorzugten Wohnsitze die Berge des heiligen Petrus. Dieselben steigen bis zu funfzehnhundert Meter empor und zerklüften sich in Abgründe von vielen hundert Meter Tiefe, sind dicht bewachsen, die Büsche und Bäume hundertfach von Schlingpflanzen durchzogen und wie durch Seile mit einander verbunden; der ursprüngliche Erdboden liegt tief unter lockerem Moder verborgen, welcher sich hier seit der Urzeit aus verwesenden Pflanzenstämmen gebildet hat und mit halb verwesten und noch frisch und freudig lebenden, in den prachtvollsten Formen und Farben prangenden Pflanzen so dicht bedeckt ist, daß unter ihnen überall ein düsterer Schatten liegt, in welchem man mehr den Moderduft des Todes als den frischen Hauch des Lebens athmet. Todesstille herrscht in dem Walde und wird nur selten durch die einfachen Töne eines Vogels, den man den Bergpfeifer nennt, unter brochen; andere Vögel sind selten. Menschen haben nie in diese düstere Wildnis eindringen können; aber sie wird von zahllosen Lanzenschlangen bewohnt, denen kein lebendes Wesen die Herrschaft streitig macht.

In dem bebauten Lande bilden die dichten Pflanzungen des Zuckerrohres den beliebtesten Aufenthalt der fürchterlichen Schlange; sie ist aber auch häufig in Gebüschen aller Art, welche ihr Versteckplätze gewähren. Eine Felsenhöhle, ein hohler Baum, ein von Ratten oder Krabben gegrabenes Loch werden zu ihrer Wohnung; allein sie kommt auch oft in die Ställe und Häuser der Landbewohner: denn bei Nacht wandert sie weit umher, oft auch auf den Wegen, welche übertages von den Menschen wimmeln.

Während der Ruhe, in den Tagesstunden also, liegt sie im Teller zusammengeringelt, den Kopf in der Mitte, schnellt sich aber, wenn sie gestört wird, blitzschnell gegen den Feind vor, halb soweit etwa als sie lang ist, worauf sie sich augenblicklich wieder in einen Kreis zusammenzieht. Geht man, wenn sie so auf dem Boden ruht, in einiger Entfernung um sie herum, so dreht sie sich, ohne daß man recht sieht wie, immer nach, so daß sie einem stets die Stirn zeigt. Beim Gehen trägt sie den Kopf hoch und erhält dadurch ein zierliches und stolzes Ansehen. Sie bewegt sich mit solcher Leichtigkeit am Boden fort, als ob sie dahin schwebe; man hört nicht das geringste Geräusch, sieht auch nicht den geringsten Eindruck. Daß sie mit leichter Mühe schwimmt, ist allgemein bekannt auf der Insel. »Ich selbst«, sagt Rufz, dem ich das vor- und nachstehende im Wortlaute der von Lenz gegebenen Uebersetzung entnehme, »habe einmal eine anderthalb Meter lange Lanzenschlange im Angesicht der Stadt St. Pierre auf einen Flintenschuß Entfernung vom Ufer aus einem Boote in das Meer geworfen. Sie schwamm rasch und mit unbeschreiblicher Anmuth dem Ufer zu; so oft wir sie aber einholten, hielt sie augenblicklich an, ringelte sich inmitten der Flut ebenso leicht zusammen, als ob sie auf ebenem, festen Boden gelegen hätte, und hob drohend den Kopf gegen uns. Wunderbar ist, daß sie diese Fertigkeit nicht benutzt, um nach benachbarten, zum Theil sehr nahe liegenden Inseln auszuwandern.«

Die Paarungszeit fällt in den Januar, die Zeit des Eierlegens in den Juli. Die Jungen kriechen aus den Schalen der Eier in dem Augenblicke, in welchem letztere gelegt werden. Viele, ja, wohl die meisten derselben, kommen in ihrer Jugend um, da sie von den Alten nicht geschützt und selbst von schwachen Thieren, beispielsweise Haushühnern, getödtet werden; die Vermehrung der Lanzenschlange ist aber so ungeheuerlich, daß alle Verluste reichlich gedeckt werden. Nach der Versicherung Moreau's befinden sich in dem Leibe trächtiger Weibchen funfzig bis sechzig Eier; [526] Bonodet hat ebenfalls zwanzig bis sechzig Stück gefunden, je nach der Größe der Mutter, Huc deren sogar siebenundsechzig, Rufz selbst sechsunddreißig bis siebenundvierzig. Die Jungen sind beim Auskriechen zwanzig bis fünfundzwanzig Centimeter lang, sehr beweglich und bissig.

In der frühesten Jugend nährt sich die Lanzenschlange von Eidechsen, später von kleinen Vögeln, zuletzt hauptsächlich von Ratten, welche, durch die europäischen Schiffe auf der Insel eingeschleppt, sich in erschreckender Menge vermehrt haben; sie geht aber auch dem Hausgeflügel nach und kann, wenn sie erwachsen ist, Haus- und selbst kleine Truthühner oder Beutelratten verschlingen. Durch Verminderung der Ratten mag sie sich verdient machen; niemand aber wird ihr deshalb das Wort reden wollen: denn die Verluste an Menschenleben, welche einzig und allein auf ihre Rechnung kommen, sind geradezu schauerlich. »Daß sie«, fährt Rufz fort, »beißt, wenn man ihr zu nahe kommt, ist gewiß; daß sie sich aber auf den Menschen von weitem zustürzt und Fliehende verfolgt, geschieht wohl nie oder doch nur höchst selten; sonst wären auch die Inseln, auf denen sie haust, für Menschen geradezu unbewohnbar. Ich habe bei den Pfarrern und Ortsvorstehern Erkundigungen über die Todesfälle eingezogen, welche jetzt (1843) alljährlich durch die Lanzenschlange verursacht werden und erfahren, daß jede Gemeinde der Insel in der Regel jährlich einen bis drei Menschen durch sie verliert. Die Anzahl der Gebissenen, welche mit dem Leben davonkommen, ist freilich zehnmal größer, und da dann, im günstigsten Falle also, langwierige Krankheit, oft auch Verstümmelung der Glieder die Folge des Bisses ist, so muß man den für die Ansiedelung entstehenden Verlust sehr hoch anschlagen. Es gibt übrigens Jahre, welche viel schlimmer sind als die gewöhnlichen, so z.B. das gegenwärtige, in welchem die Bisse tödtlicher sind als sonst, so daß mir z.B. der Ortsvorsteher Venancourt berichtet hat, in seiner Gemeinde seien in weniger als sieben Monaten schon achtzehn Leute an Schlangenbissen gestorben. Ebenso zeigt Dr. Clerville an, daß zu Vauclin dieses Jahr fast jeder Gebissene stirbt. Und doch ist die Verwüstung, welche die Ratten gerade in dem gegenwärtigen Jahre anrichten, wirklich fürchterlich, so daß man leider sieht, daß die Hülfe, welche man von der Lanzenschlange gegen die Ratten erwarten konnte, eben nicht von großer Bedeutung ist.

Wenn das Zuckerrohr geerntet wird, läßt man die Neger stets in einer Reihe arbeiten und stellt womöglich die Männer und Weiber abwechselnd; die Stimme des Aufsehers ermahnt von Zeit zu Zeit, damit sich jeder vor der Schlange hüte. Wurde eine bemerkt, so flieht, unter jämmerlichem Geschrei der Weiber, die ganze Reihe; der muthigste Neger rückt hierauf wieder vor und erschlägt das Ungethüm, welches bei dem entstandenen Lärm liegen geblieben oder nur wenig zurückgewichen sein kann.«

Beim Beißen öffnet die Lanzenschlange den Rachen entsetzlich weit, haut kräftig vor, ringelt sich nach dem Bisse schnell wieder zusammen und macht sich zu neuem Angriffe bereit. Ist sie recht boshaft, so beißt sie zu wiederholten Malen. Rufz versichert, mehrmals gesehen zu haben, namentlich, wenn sie mit Hunden zu schaffen hatte, daß sie das Opfer ihrer Wuth auch umschlingt. Die Folgen des Bisses sind entsetzlich: Geschwulst des verwundeten Theiles, welcher bald bläulich und brandig wird, Erbrechen, Zuckungen, Herzweh, unbesiegbare Schlafsucht und Tod nach wenigen Stunden oder Tagen, im günstigsten Falle aber jahrelanges Leiden aller Art, Schwindel, Brustweh, Lähmung, Geschwüre usw. Unzählbare Mittel werden gegen den Biß angewendet, meist solche, welche man dem Pflanzenreiche entnommen hat. Eine Zeitlang erregte der Huako (Mikania Guaco) große Erwartungen und wurde deshalb von Neugranada, Venezuela und Trinidad in Menge nach Martinique übergeführt und hier angepflanzt; längere Erfahrung aber belehrte, daß dieses Mittel eben keines war und aufgegeben werden mußte. »Traurig ist es«, sagt Graf von Görtz, »daß man nicht leicht dahin kommen wird, ein sicheres Mittel gegen den Biß zu finden, und daß jeder, welcher verwundet ist, nur bei alten Negern, welche man ›Panseurs‹ nennt, Hülfe sucht. Es ist mir ein Fall mitgetheilt worden, in welchem ein junger, an zwei Stellen gebissener Europäer für jede Wunde einen solchen Neger kommen ließ, jedoch nach schweren Leiden sterben[527] mußte. Einmal hat man den glücklichen Gedanken gehabt, den afrikanischen Sekretär nach Martinique zu versetzen; die Leute hier aber haben sich den Spaß gemacht, ihn wegzuschießen.« Der Graf beklagt, daß man der Vermehrung der Lanzenschlange nicht kräftig genug entgegentritt, und Lenz räth an, schlangenvertilgende Raubsäugethiere, namentlich Iltisse, Dachse und Igel auf der Insel einzubürgern, um dem Gezücht entgegenzutreten, zumal sie auch gleichzeitig einen wirksamen Krieg gegen die Ratten eröffnen und den Schlangen dadurch ihre hauptsächlichste Nahrung schmälern würden. Beide haben Recht, obwohl sich nicht verkennen läßt, daß sich die Einwohner gegen das Ueberhandnehmen der Schlangen wehren. »Mein Freund Hayot«, sagt Rufz, »tödtet jährlich drei bis vier auf jedem Zuckerfelde, und mein Freund Duchatel hat in einer Woche auf einem Felde dreiundzwanzig umgebracht.«


Lanzenschlange (Bothrops lanceolatus). 1/6 natürl. Größe.
Lanzenschlange (Bothrops lanceolatus). 1/6 natürl. Größe.

Nach Dr. Guyon, welcher genaue Rechnung über die bei Fort Bourbon und den dazu gehörigen Ländereien vernichteten Lanzenschlangen geführt hat, betrug die Zahl der erwachsenen Schlangen, welche eingeliefert worden, in den drei Jahren von 1818 bis 1821 dreihundertundsiebzig, von 1822 bis 1825, alte und junge zusammen, zweitausendsechsundzwanzig, in acht Jahren also zweitausenddreihundertsechsundneunzig Stück, obgleich das betreffende Gebiet sehr klein ist. Ungefähr um dieselbe Zeit wurde unter Donzelots Verwaltung ein Preis für jeden Lan zenschlangenkopf ausgesetzt, und Vianès, welcher den Preis für die Umgebung des Fort Royal zahlte, theilte mir mit, daß allein aus der Umgebung dieser Festung in jedem Vierteljahr siebzig Stück eingeliefert worden sind. Nach der Angabe Lalaurette's wurden auf der zum Landhaus Pecoul gehörigen Pflanzung in einem Jahre sechshundert, im folgenden Jahre dreihundert Lanzenschlangen todtgeschlagen. Solchen Zahlen gegenüber erscheint der von Lenz gegebene Rath [528] beachtenswerth; denn die angegebenen Thiere wirken unzweifelhaft mehr, als die Menschen leisten können.

Rufz behauptet, daß die Lanzenschlange in der Gefangenschaft keine Nahrung zu sich nehme, jedoch mehrere Monate aushalte. Ich habe in Erfahrung gebracht, daß man Gefangene in Europa mehrere Jahre lang am Leben erhalten hat. Bei dem Leiter des Pflanzengartens zu St. Pierre, Barillet, sah Görtz vier schöne Schlangen dieser Art in einem Drahtkäfige, war auch beim Fange zweier anderer, eines äußerst boshaften Männchens von zwei Meter und eines Weibchens von 1,6 Meter Länge, zugegen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 523-529.
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