Labaria genannt (Bothrops atrox)

[530] Die zweite Art, Labaria genannt (Bothrops atrox, Coluber, Vipera, Cophias und Trigonocephalus atrox, Bothrops dirus), soll, laut Wuche rer, stets nur sieben Oberlippenschilder besitzen und nicht, wie Dumeril und Bibron angegeben, neunundzwanzig bis zweiunddreißig, sondern nur fünf- bis siebenundzwanzig Schuppenlängsreihen zeigen. Nach Untersuchung des Prinzen von Wied hat diese Schlange die Gestalt und deren Verhältnisse, die Bildung der Schuppen, ja selbst die Vertheilung der Farben mit der Schararaka gemein; der Bauch aber ist nicht weißlich, sondern dunkler gefärbt und jederseits durch ein paar Reihen weißer Fleckchen geziert; auch läuft vom Auge nach dem Mundwinkel hin ein breiter, dunkelbrauner Streifen.

Die Lebensweise beider Arten oder Spielarten unterscheidet sich in keiner Weise, so daß wir das über diese und jene bekannte unbedenklich auf jede von ihnen beziehen dürfen. Die Schararaka ist nach Angabe des Prinzen von Wied die gemeinste Giftschlange in Brasilien, auch überall verbreitet, da sie gleich gern in den trockenen, erhitzten Gebüschen und in den hohen, feuchten, dunklen Urwäldern lebt; die Labaria kommt, laut Schomburgk, ebenfalls in ganz Guayana vor, ist auch ebenso häufig an der Küste wie im Innern, hier und da auch in der freien Savanne, obwohl sie die dichten Waldungen der Steppe vorzuziehen scheint. Uebertages sieht man sie, der Ruhe pflegend, zusammengerollt auf dem Boden liegen und sich nur dann zum Angriffe bereiten, wenn man ihr zu nahe tritt. Ihre Bewegungen sind während dieser Zeit langsam und träge; beim Beißen aber wirft auch sie den Vordertheil ihres Leibes mit der allen Giftschlangen eigenen, blitzartigen Schnelligkeit vor. Weder der Prinz noch Schomburgk haben sie jemals klettern sehen; dagegen beobachtete sie der letztgenannte Forscher zu seiner nicht geringen Verwunderung auf einem seiner Ausflüge am Flusse Haiama im Wasser, fischend, wie eine alte jagdkundige Indianerin ihm versicherte. »Anfangs wollte es mir nicht gelingen, die Schlange im Wasser zu unterscheiden; später aber sah ich wirklich eine solche, welche auf Raub ausging; denn bald tauchte sie mit Gedankenschnelle auf den Boden hinab, bald erschien sie wieder mehr an der Oberfläche und schwamm, erst langsam, jetzt schneller, kreuz und quer im Flußbette herum; endlich kroch sie am Ufer ans Land, wo ich sie erlegte. Es war wirklich die Labaria, und die Aussage meiner Begleiterin bestätigte sich, da ich beim Aufschneiden ihres Leibes zwei kleine, fingerlange Fische im Magen fand. Daß fast alle Schlangen sehr gut schwimmen, ist bekannt, daß aber auch die Giftschlangen im Wasser ihre Beute suchen, war mir neu.« Für gewöhnlich freilich werden Schararaka und Labaria auf dem Lande ihrer Nahrung nachgehen und wie die Verwandten wohl hauptsächlich kleinen Säugethieren nachstellen; hierüber aber sind mir keine bestimmten Angaben bekannt, und ebenso wenig vermag ich über die Fortpflanzung mehr zu sagen, als daß auch diese Lochottern ausgetragene Eier legen oder lebendige Junge zur Welt bringen.

Beide Giftschlangen werden in ihrer bezüglichen Heimat im höchsten Grade gefürchtet, sind auch in der That äußerst gefährliche Thiere. »Die Indianer und selbst die portugiesischen Jäger«, sagt der Prinz, »gehen beständig mit bloßen Füßen auf die Jagd; Schuhe und Strümpfe sind hier für den Landmann eine seltene, theuere Sache, deren man sich bloß an Festtagen bedient. Die Leute sind eben dadurch dem Bisse der Schlangen, welche oft im dürren Laube verborgen liegen, weit mehr ausgesetzt; dennoch trifft ein solcher Fall seltener zu, als man denken sollte. Ich hatte einst einen Tapir angeschossen und war mit einem indianischen Jäger ans Land gestiegen, um die blutigen Spuren des Thieres zu verfolgen, als plötzlich mein Indianer um Hülfe rief. Er war [530] zufällig den furchtbaren Zähnen einer anderthalb Meter langen Schararaka höchst nahe gekommen und konnte nun in dem verworrenen Dickicht nicht geschwind genug entfliehen. Glücklicherweise für ihn fiel mein erster Blick auf das drohend sich erhebende Thier, welches den Rachen weit geöffnet, die Giftzähne vorwärts gerichtet hatte und eben auf den kaum zwei Schritte weit entfernten Jäger losspringen wollte, aber auch in dem selben Augenblicke von meinem Schusse todt zu Boden gestreckt wurde. Der Indianer war so sehr von dem Schrecken gelähmt, daß er sich erst nach einiger Zeit wieder erholen konnte, und dies gab mir einen Beweis, wie sehr der durch die unerwartete Nähe eines so gefährlichen Thieres verursachte Schrecken auf kleinere Thiere wirken müsse, daß man also keine anziehende oder betäubende Kraft bei den Giftschlangen anzunehmen brauche. Die in das Kanoe gelegte todte Schlange erregte bei unserer Rückkehr unter den versammelten Indianern allgemeinen Abscheu, und sie begriffen nicht, wozu ich dieses Thier in die Hand nahm, genau untersuchte, beschrieb und ausmaß. Gute, starke Stiefel und sehr weite Beinkleider sind dem Jäger in heißen Ländern besonders anzurathen, da sie vor der Gefahr, von giftigen Schlangen gebissen zu werden, ziemlich schützen.«

Der Biß der beiden Schlangen endet zwar nicht in allen Fällen mit dem Tode, ruft aber unter allen Umständen, falls nicht sofort die geeigneten Gegenmittel angewendet werden, die ernstesten Zufälle hervor. Tschudi nimmt an, daß etwa zwei Drittheile aller Gebissenen, welche nicht augenblicklich die betreffenden Mittel in Anwendung brachten, ihr Leben verlieren, fügt dem aber hinzu, daß der Biß demungeachtet ärztlichem Einschreiten etwas mehr Zeit lasse und zu mehr Hoffnung auf Genesung berechtige. In Südamerika wird eine sehr bissige Natter häufig mit der Schararaka verwechselt und dieser nicht selten Bisse zugeschrieben, welche von jener herrühren. »Alle Fälle nun«, meint Hensel, dessen Bericht ich vorstehende Angabe entnehme, »in denen der Biß der Schararaka durch Sympathie oder andere Mittel vollkommen wirkungslos geblieben sein soll, lassen sich ausnahmslos durch die Verwechselung der bissigen Natter mit der Lochotter erklären.« Welche üblen Folgen auch ein Biß, welcher nicht mit dem Tode endete, zur Folge hat, erfahren wir durch Schomburgk. »Ein früherer Begleiter meines Bruders, welcher von einer Labaria am Fuße gebissen worden, war noch unmittelbar vor unserer Ankunft in der Ansiedlung, also nach sieben Jahren den Folgen des Bisses unterlegen. Er litt bei der geringsten Veränderung der Witterung die heftigsten Schmerzen, und die Wunde brach dann jedesmal wieder auf, wobei sich dann stets eine übelriechende Flüssigkeit entleerte.«

Während seiner eigenen Reise erlebte Schomburgk selbst einen ungemein traurigen Fall. »Nachdem wir den Murre durchschritten«, erzählt er, »wandten wir uns weiter nordwestlich über eine wellenförmige Savanne, wo uns bald ein anderes Flüßchen von etwa drei Meter Breite entgegentrat und unseren Pfad durchkreuzte. In der Mitte des Bettes lag ein großer Sandsteinblock, welcher den vorderen in der Indianerreihe bereits als Uebergangsbrücke gedient, indem sie von dem diesseitigen Ufer auf ihn, und von da auf das jenseitige Ufer gesprungen waren. Ich war der sechzehnte in der Reihe; mir unmittelbar folgte die junge Indianerin Kate, welche wegen ihrer Heiterkeit, ihres freundlichen, neckischen Wesens die Erlaubnis erhalten hatte, ihrem Manne folgen zu dürfen. Sie war der Liebling der ganzen Gesellschaft.

Als ich an dem Flüßchen angekommen, fesselten einige Schultesien, welche das Ufer besäumten, meine Aufmerksamkeit, und um mich erst zu überzeugen, ob ich sie bereits gesammelt, blieb ich einen Augenblick stehen, bis ich den Sprung that, zu dem mich Kate ungeduldig und lachend mit der Bemerkung aufforderte: ich möchte doch nicht wegen jeder kleinen Blume stehen bleiben und dadurch alle mir nachfolgenden aufhalten. Lachend nahm ich einen Ansatz und sprang auf den Stein. Eben wollte ich den zweiten Sprung thun, als mich ein markdurchdringender Schrei Kate's festbannt, und der ihr unmittelbar folgende Indianer den ganzen Fluß mit dem Schreckensrufe: ›Akuy!‹ (Giftschlange) überspringt. Dies war in dem Augenblicke meines Herumdrehens nach Kate geschehen, welche todtenbleich neben mir auf dem Blocke stand, und nach dem eben [531] verlassenen Ufer mit demselben Ausrufe: ›Akuy!‹ zeigte. Als ich bestürzt frug, ob sie gebissen sei, fing sie an bitterlich zu weinen, und in demselben Augenblicke bemerkte ich auch an ihrem rechten Beine, in der Gegend des Knies, mehrere Blutstropfen. Nur eine giftige Schlange konnte solche Wunden beigebracht haben, nur die schleunigste Hülfe das Leben unseres Lieblings retten. Das Unglück wollte, daß Herr Fryer mit meinem Bruder die letzten und der Indianer mit dem Arzneikasten, in dem sich auch die Lanzetten befanden, einer der ersten in der langen Reihe waren. In Ermangelung jedes anderen Bandes schnallte ich ohne Zögerung meinen Hosenträger ab, überband die Wunden so fest als möglich und ließ sie augenblicklich von den Indianern aussaugen. Ich glaube, die arme Frau wußte im ersten Augenblicke gar nicht, daß sie gebissen worden, obschon die Schlange zweimal nach ihr gefahren war, und sie einmal über den handbreiten Perlenschnüren, mit denen sie das Bein unter dem Knie umbunden, das andere Mal unter demselben gebissen hatte.

Das Laufen und Rennen hatte die uns nachfolgenden und unter ihnen auch den Mann Kate's aufmerksam gemacht, weshalb sie eilend herbeikamen. So tief den letzteren auch der Anblick seines geliebten Weibes erschütterte, so wußte er doch seine Gemüthsbewegung in sein Inneres zu verschließen. Todtenbleich stürzte er sich neben ihr nieder und sog das Blut aus. Währenddem waren auch mein Bruder, Herr Fryer und der Indianer mit dem Arzeneikasten angekommen. Herr Fryer schnitt die Wunde aus; die übrigen Indianer schauten äußerlich theilnahmlos zu und lösten sich im Aussaugen des Blutes ab. Der Kreis dieser scheinbar gleichgültigen Gesichter mit den blutigen Lippen hatte etwas schauerliches.

Obwohl wir augenblicklich äußerlich und innerlich Ammoniakgeist anwandten, so war all unser Bemühen doch vergeblich. Nach Verlauf von drei Minuten stellten sich die untrüglichen Zeichen der Vergiftung ein: heftiges Zittern ergriff den ganzen Körper, das Gesicht wurde immer bleicher und leichenähnlicher, der Leib bedeckte sich mit kaltem Schweiße, wobei die arme Frau über heftige Schmerzen der ganzen Seite des gelähmten Fußes, der Herzgegend und des Rückens, weniger an der verwundeten Stelle klagte. Die freie Bewegung des Fußes war gelähmt, krampfhaftes Erbrechen folgte und ging schnell in Blutbrechen über; die Augen unterliefen ebenfalls mit Blut, welches bald auch aus Nase und Ohren drang; der Puls gab in der Minute wohl einhundertundzwanzig bis einhundertunddreißig Schläge. Nach acht Minuten war unser Liebling in der Leidensgestalt nicht mehr zu erkennen; die Sprache hatte die Arme schon bei Eintritt des Blutbrechens verloren.

Während dieser Zeit war die Schlange von den Indianern, welche dieselbe einige Centimeter vom Wege liegend gefunden, getödtet worden. Wahrscheinlich hatte ich das Thier, als ich vom Ufer nach dem Steine sprang, berührt, und sie war nun nach der mir folgenden Kate gefahren, falls diese sie nicht selbst gestört hatte. Als sie die Indianer aufgefunden, hatte sie sich bereits wieder in einen Teller zusammengerollt und den Kopf lauernd emporgerichtet, um so zum erneuten Sprunge gerüstet zu sein. Vierzehn Indianer und Herr Goodall waren schon an ihr vorübergegangen, ohne sie zu bemerken, ohne auf sie zu treten. Kate wurde das Opfer.

Die Unglückliche wurde in ihrer Hängematte bereits in bewußtlosem Zustande nach unserem Dorfe zurückgetragen, welches sie so fröhlich und heiter verlassen. Begleitet von Herrn Fryer und ihrem Manne, der auch jetzt noch alle Seelenstärke anwendete, um seinen Schmerz vor uns zu verbergen, bewegte sich der Zug der Ortschaft zu. Der Blick, den wir noch auf die Bewußtlose hatten fallen lassen, war der letzte. Dies wußte jeder von uns nur zu gut!«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883..
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