Spitzkrokodil (Crocodilus acutus)

[102] Der bekannteste amerikanische Vertreter der Sippe ist das Spitzkrokodil (Crocodilus acutus, americanus, amphibius, curassavicus, caudiververa, biscutatus und bisulcatus, Champses acutus und biscutatus, Molinia americana), so genannt wegen seiner ebenfalls noch sehr verlängerten, schmalen und spitzigen, oben mehr oder weniger gewölbten, leicht gerunzelten Schnauze. Anderweitige Kennzeichen liegen in der stark gewölbten, gleichsam geschwollenen Stirne, den vier in einer Reihe befindlichen Nacken-, den sechs in zwei Reihen aufgelagerten, übrigens vielfach abändernden, auf zwei herabsinkenden und bis auf acht, ja selbst zehn ansteigenden und dann in drei oder vier Reihen geordneten Halsschildern und den stets nur in vier Längsreihen stehenden Rückenschildern. Der Hinterschenkel trägt ebenfalls einen Kamm. Die Färbung der Oberseite ist ein unreines Braun, von welchem gelbe Zickzacklinien sich abheben, die der Unterseite ein reineres lichtes Gelb. Erwachsene Stücke erreichen eine Länge von sechs Meter.

Das Spitzkrokodil verbreitet sich über einen nicht unbeträchtlichen Theil des südamerikanischen Festlandes, Mittelamerikas und Westindiens, insbesondere die süßen Gewässer von Ecuador, Neugranada und Venezuela, Yucatan, Guatemala, Südmejiko, Kuba, San Domingo, Jamaika, Martinique und Marguerite, bewohnt also fast alle Länder und größeren Inseln zwischen dem Wendekreise des Krebses und dem fünften Grade südlicher Breite.

Die nachstehende Lebensschilderung ist eine Zusammenfassung der von Alexander von Humboldt an verschiedenen Stellen gegebenen Mittheilungen.

»Von Diamant an«, sagt der ausgezeichnete Forscher, »betritt man ein Gebiet, welches nur von Thieren bewohnt ist und stellenweise als das wahre Reich der Jaguare und Krokodile betrachtet werden kann. Das eine Ufer des Flusses ist meist dürr und sandig, infolge der Ueberschwemmung, das andere höher und mit hochstämmigen Bäumen bewachsen; hin und wie der begrenzen auch Bäume den Fluß zu beiden Seiten. Die großen Vierfüßer des Landes, Tapir, Pekari und Jaguar, haben Gänge in die Uferdickichte gebrochen, durch welche sie, um zu trinken, an den Strom gehen. Da sie sich nicht viel daraus machen, wenn ein Boot vorbei kommt, hat man den Genuß, sie langsam am Ufer dahinstreichen zu sehen, bis sie durch eine der schmalen Lücken verschwinden. Man sieht sich in einer neuen Welt, einer wilden, unbezähmten Natur gegenüber. Bald zeigt sich am Gestade der Jaguar, bald wandelt der Hokko langsam in der Uferhecke hin; Thiere der verschiedensten Klassen lösen einander ab. ›Es ist wie im Paradiese‹, sagte unser Steuermann, ein alter Indianer aus den Missionen. Und wirklich alles erinnert hier an den Urzustand der Welt, dessen Unschuld und Glück uralte, ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen stellen; beobachtet man aber das gegenseitige Verhalten der Thiere genau, so zeigt sich, daß sie einander [102] fürchten und meiden: das goldene Zeitalter ist vorbei, und in diesem Paradiese der amerikanischen Wälder wie allerorten hatte lange traurige Erfahrung allen Geschöpfen gelehrt, daß Sanftmuth und Stärke selten beisammen sind.

Wo das Gestade eine bedeutende Breite hat, bleiben die Gebüschreihen weiter vom Strome weg. Auf diesem Zwischengebiete sieht man Krokodile, oft ihrer acht bis zehn, auf dem Sande liegen. Regungslos, die Kinnladen unter rechtem Winkel aufgesperrt, ruhen sie neben einander, ohne irgend ein Zeichen von Zuneigung, wie man sie sonst bei gesellig lebenden Thieren bemerkt.


Spitzkrokodil (Crocodilus acutus). 1/30 natürl. Größe.
Spitzkrokodil (Crocodilus acutus). 1/30 natürl. Größe.

Der Trupp geht auseinander, sobald er vom Ufer aufbricht, und doch besteht er wahrscheinlich nur aus einem männlichen und vielen weiblichen Thieren; denn die Männchen sind ziemlich selten, weil sie in der Brunst mit einander kämpfen und sich ums Leben bringen. Diese gewaltigen Kriechthiere sind so zahlreich, daß auf dem ganzen Stromlaufe fast jeden Augenblick ihrer fünf bis sechs zu sehen waren, und doch fing der Apure erst kaum merklich an zu steigen, und hunderte von Krokodilen lagen also noch in dem Schlamme der Savanne begraben.«

Auch der Fluß Neveri wimmelt von diesen Ungeheuern, und zwar noch in der Nähe seiner Mündung: sie wagen sich sogar, besonders bei Windstille, bis auf die hohe See hinaus. »Man [103] sieht leicht ein«, fährt Humboldt fort, »daß ein Thier, dessen Körper in einem Panzer steckt, für die Schärfe des Salzwassers nicht sehr empfindlich sein kann. Solche Beobachtungen werden aber für die Geologie von Bedeutung, bezüglich des auffallenden Durcheinanderliegens von versteinerten See- und Süßwasserthieren.

Vier Uhr abends hielten wir an, um ein todtes Krokodil zu messen, welches der Strom ans Ufer geworfen. Es war nur 5,24 Meter lang. Einige Tage später fand Bonpland ein anderes männliches, welches 6,8 Meter maß. Unter allen Zonen, in Amerika wie in Egypten, erreichen die Thiere dieselbe Größe; auch ist die Art, welche im Apure, im Orinoko und im Magdalenenstrome so häufig vorkommt, kein Kaiman oder Alligator, sondern ein wahres Krokodil mit an den äußeren Rändern gezähnelten Füßen, dem Nilkrokodile sehr ähnlich, der Araue der Tamanaken, der Amana der Maypuren, Cuviers Spitzkrokodil.

Das Krokodil im Apure bewegt sich sehr rasch und gewandt, wenn es angreift, schleppt sich dagegen, wenn es durch Zorn und Hunger nicht aufgeregt wurde, langsam wie ein Salamander dahin. Beim Laufen vernimmt man ein Geräusch, welches von der Reibung seiner Hautplatten gegen einander herzurühren scheint. Oft hörten wir am Ufer dieses Rauschen der Platten ganz in der Nähe. Es ist nicht wahr, daß die alten Krokodile, wie die Indianer behaupten, gleich dem Schuppenthiere ihre Schuppen und ihre ganze Rüstung sollen aufrichten können; doch krümmen sie beim Laufen den Rücken und erscheinen hochbeiniger als in der Ruhe. Sie bewegen sich allerdings meistens geradeaus oder vielmehr wie ein Pfeil, welcher von Strecke zu Strecke seine Richtung ändert, wenden aber trotz kleiner Anhängsel von falschen Rippen, welche die Halswirbel verbinden und die seitliche Bewegung zu beschränken scheinen, ganz gut, wenn sie wollen. Ich habe oft Junge sich in den Schwanz beißen sehen; andere beobachteten dasselbe bei erwachsenen Krokodilen. Daß ihre Bewegung fast immer geradlinig erscheint, rührt daher, weil dieselbe, wie bei den Eidechsen, stoßweise erfolgt. Sie schwimmen vortrefflich und überwinden leicht die stärkste Strömung; jedoch schien es mir, als ob sie, wenn sie flußabwärts schwimmen, nicht rasch umwenden können. Eines Tages wurde ein großer Hund, welcher uns auf der Reise von Caracas an begleitete, im Flusse von einem ungeheueren Krokodile verfolgt; letzteres war schon ganz dicht bei ihm, und der Hund entging seinem Feinde nur dadurch, daß er umwendete und noch einmal gegen den Strom schwamm. Das Krokodil führte nun dieselbe Bewegung aus, aber weit langsamer als der Hund, und dieser erreichte glücklich das Ufer.«

Das Wesen der Spitzkrokodile ist übrigens, wie Humboldt an mehreren Orten ausdrücklich hervorhebt, je nach der Oertlichkeit, welche es beherbergt, sehr verschieden. In manchen Flüssen fürchtet man es ungemein, in anderen wenig oder nicht. »Die Sitten der Thiere einer und derselben Art«, so drückt er sich aus, »zeigen Abweichungen von örtlichen Einflüssen, welche sehr schwer aufzuklären sind. Am Rio Burituku warnte man uns, unsere Hunde nicht an dem Flusse saufen zu lassen, weil in ihm auffallend wilde Krokodile hausen, welche gar nicht selten aus dem Wasser gehen und die Hunde auf das Ufer hinauf verfolgen. Solche Keckheit fällt um so mehr auf, als am Rio Tisanao die Krokodile ziemlich schüchtern und unschädlich sind. Auch im Rio Neveri, in welchem große Hechtkrokodile zahlreich vorkommen, zeigen sie sich nicht so bösartig wie im Orinoko. Nach dem Kulturzustande der verschiedenen Länder, nach der mehr oder weniger dichten Bevölkerung in der Nähe der Flüsse ändern sich auch die Sitten dieser großen Echsen, welche auf dem trockenen Lande schüchtern sind und sogar vor dem Menschen fliehen, wenn sie reichliche Nahrung haben und der Angriff mit einiger Gefahr verbunden ist. In Nueva Barcelona sieht man die Indianer das Holz auf sonderbare Weise zu Markte bringen; große Scheite werden in den Fluß geworfen und treiben mit der Strömung fort, und der Eigenthümer mit seinem ältesten Sohne schwimmt bald hier hin, bald dorthin, um die Stücke, welche in den Flußkrümmungen stecken bleiben, wieder flott zu machen. In den meisten Flüssen, in denen Krokodile vorkommen, verbietet sich ein solches Verfahren von selbst.

[104] Im Magen eines 3,6 Meter langen Krokodiles, welches Bonpland und ich zergliederten, fanden wir halbverdaute Fische und acht bis zehn Centimeter starke, runde Granitstücke. Es ist nicht anzunehmen, daß die Krokodile diese Steine zufällig verschlucken; denn wenn sie die Fische auf dem Grunde des Flusses packen, ruht ihre untere Kinnlade nicht auf dem Boden. Die Indianer haben die abgeschmackte Idee ausgeheckt, diese trägen Thiere machten sich gern schwer, um leichter tauchen zu können. Ich glaube, daß sie große Kiesel in ihrem Magen aufnehmen, um dadurch eine reichliche Absonderung des Magensaftes herbeizuführen; Magendie's Versuche sprechen für diese Auffassung. Im Apure finden sie reichliche Nahrung in den Wasserschweinen, welche in Rudeln von funfzig bis sechzig Stück an den Flußufern leben. Diese unglücklichen Thiere besitzen keinerlei Waffen, sich zu wehren; sie schwimmen zwar etwas besser, als sie laufen, aber im Wasser werden sie eine Beute der Krokodile und auf dem Lande von den Jaguaren gefressen. Man begreift kaum, wie sie bei den Nachstellungen zweier so gewaltigen Feinde so zahlreich sein können. Zu unserer Ueberraschung sahen wir ein mächtiges Krokodil mitten unter diesen Nagethieren regungslos daliegen und schlafen; es erwachte, als wir mit unserer Pirogue näher kamen und ging langsam dem Wasser zu, ohne daß die Wasserschweine unruhig wurden. Unsere Indianer sahen den Grund dieser Gleichgültigkeit in der Dummheit der Thiere; wahrscheinlich aber wissen die Wasserschweine aus langer Erfahrung, daß das Krokodil des Apure und Orinoko auf dem Lande nicht angreift: der Gegenstand, den es packen will, müßte ihm denn im Augenblicke, wo es sich ins Wasser wirft, in den Weg kommen.

Weit mehr Menschen, als man in Europa glaubt, werden alljährlich das Opfer ihrer Unvorsichtigkeit und der Gier der Krokodile, besonders in denjenigen Dörfern, deren Umgegend öfters Ueberschwemmungen ausgesetzt ist. Dieselben Krokodile halten sich lange an dem nämlichen Orte auf und werden von Jahr zu Jahr kecker, nach Behauptung der Indianer zumal dann, wenn sie einmal Menschenfleisch gekostet haben. Die Indianer sagten uns, in San Fernando vergehe nicht leicht ein Jahr, in welchem nicht zwei, drei erwachsene Menschen, namentlich Weiber beim Wasserschöpfen am Flusse von diesen fleischfressenden Echsen zerrissen würden. Man erzählte uns die Geschichte eines jungen Mädchens aus Urituku, welches sich durch außerordentliche Unerschrockenheit und Geistesgegenwart aus dem Rachen eines Krokodiles gerettet hatte. Sobald es sich gepackt fühlte, griff es nach dem Auge des Thieres und stieß die Finger mit solcher Gewalt in dasselbe, daß das Krokodil es fahren ließ, nachdem es ihm den linken Vorderarm abgerissen. Trotz des ungeheueren Blutverlustes gelangte die Indianerin, mit der übrig gebliebenen Hand schwimmend, glücklich ans Ufer. Ein Guayqueri-Indianer von der Insel Margarita wollte seine Pirogue in einer Bucht anbinden, welche nicht einen Meter tief war. Ein sehr wildes Krokodil, welches immer in der Gegend umherstrich, packte ihn am Beine und schwamm, auf der Oberfläche bleibend, vom Ufer weg. Das Geschrei des Indianers zog eine Menge Zuschauer herbei. Man sah, wie der Unglückliche mit unerhörter Entschlossenheit zuerst ein Messer in der Tasche seines Beinkleides suchte und hierauf, als er dasselbe nicht gefunden, den Kopf des Krokodiles packte und ihm die Finger in die Augen stieß. Der Guayqueri war aber nicht so glücklich wie das Mädchen von Urituku: das Krokodil öffnete den Rachen nicht, um seine Beute fahren zu lassen. Im Schmerze tauchte es zwar unter und ertränkte den Indianer, erschien aber wieder auf der Wasserfläche und schleppte den Leichnam auf eine Insel dem Hafen gegenüber. Man erzählt rührende Fälle, in denen afrikanische Sklaven sich aufopferten, um ihren Herren, welcher in den Rachen eines Krokodiles gerathen waren, das Leben zu retten. Vor einigen Jahren ergriff in den Llanos von Calabozos ein Neger auf das Geschrei seines Herrn ein langes Messer und sprang in den Fluß, stach dem Thiere die Augen aus und zwang es so, seine Beute fahren zu lassen. Der Sklave trug den sterbenden Herrn ans Ufer, aber alle Versuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, blieben fruchtlos: er war ertrunken.

Für die Anwohner des Orinoko bilden die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, einen Gegenstand der täglichen Unterhaltung. Sie haben die Sitten des Krokodiles beobachtet, wie der Stierfechter [105] die Sitten des Stieres; sie wissen die Bewegungen der Panzerechse, ihre Angriffsmittel, den Grad ihrer Keckheit gleich sam voraus zu berechnen. Sehen sie sich bedroht, so greifen sie mit der Geistesgegenwart und Entschlossenheit, welche den Indianern und Zambos, überhaupt den Farbigen eigen sind, zu allen den Mitteln, welche man sie von Kindheit auf kennen gelehrt. In Ländern, wo die Natur so gewaltig und furchtbar erscheint, ist der Mensch beständig gegen die Gefahr gerüstet. Das junge indianische Mädchen, welches sich selbst aus dem Rachen des Krokodiles befreit hatte, sagte: ›Ich wußte, daß mich der Kaiman fahren ließ, wenn ich ihm die Finger in die Augen drückte‹. Dieses Mädchen gehörte der dürftigen Volksklasse an, in welcher Gewöhnung an leibliche Noth die geistige Kraft steigert. Aber wahrhaft überraschend ist es, wenn man in den von Erdbeben zerrütteten Ländern Frauen aus den höchsten Gesellschaftsklassen in den Augenblicken der Gefahr dieselbe Ueberlegenheit und Entschlossenheit entwickeln sieht.

Da das Krokodil vermöge des Baues seines Kehlkopfes, des Zungenbeines und der Faltung der Zunge die Beute unter Wasser wohl packen, aber nicht verschlingen kann, so verschwindet selten ein Mensch, ohne daß man es nicht ganz nahe der Stelle, wo das Unglück geschehen, nach ein paar Stunden zum Vorscheine kommen und seine Beute verschlingen sieht. Gleichwohl macht man selten Jagd auf diese gefährlichen Raubthiere. Sie sind sehr schlau, daher nicht leicht zu erlegen. Ein Kugelschuß ist nur dann tödtlich, wenn er in den Rachen oder in die Achselhöhle trifft (?). Die Indianer, welche sich selten der Feuerwaffe bedienen, greifen sie mit Lanzen an, sobald sie an starke, spitze, eiserne, mit Fleisch geköderte und mittels einer Kette an Baumstämme befestigte Haken angebissen haben, gehen ihnen aber erst dann zu Leibe, wenn sie sich lange abgemüht haben, um von dem Eisen loszukommen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß man es je dahin bringt, das Land von Krokodilen zu säubern, da in einem Wirrsale zahlloser Flüsse Tag für Tag neue Schwärme vom Ostabhange der Anden über den Meta und den Apure an den Küsten von Spanisch-Guayana herabkommen. Der Fortschritt der Gesittung wird bloß das eine bewirken, daß die Thiere scheuer und leichter zu verscheuchen sein werden.«

Aus den erlegten Krokodilen scheint man in Südamerika wenig Vortheil ziehen zu können; Humboldt erwähnt nur, daß man Kaimansfett für ein vortreffliches Abführmittel hält und das weiße Fleisch wenigstens hier und da gern ißt.

Außer dem Menschen haben die Spitzkrokodile wenig Feinde, welche ihnen gefährlich werden können. Es wird mancherlei erzählt von Kämpfen zwischen ihnen und den großen Wasserschlangen; die Berichte verdienen jedoch, meiner Ansicht nach, nicht den geringsten Glauben. Im allgemeinen bekümmern sich auch diese Krokodile nur um diejenigen Thiere, welche ihnen Beute versprechen, während die übrigen sie vollständig gleichgültig lassen. Humboldt erzählt, daß er kleine, schneeweiße Reiher auf ihrem Rücken, ja sogar auf ihrem Kopfe umherlaufen sah, ohne daß sie denselben Beachtung schenkten, lehrt uns also ein ganz ähnliches Verhältnis kennen, wie es zwischen dem Nilkrokodile und seinem »Wächter« besteht. Lärmende Mitbewohner ihres Gewässers scheinen ihnen dagegen nicht zu behagen: Humboldt sah sie untertauchen, wenn Seedelfine in ihre Nähe kamen. Alte Krokodile sind, wie leicht erklärlich, gegen die Angriffe anderer Thiere hinlänglich geschützt; den Jungen aber stellen verschiedene Sumpfvögel und, wie wir oben gesehen haben, auch die Rabengeier mit Eifer und Geschick nach.

Ueber die Fortpflanzung gibt schon der alte Ulloa Auskunft. »Sie legen«, so erzählter, »binnen zwei Tagen wenigstens hundert Eier in ein Loch im Sande, decken es zu und wälzen sich darüber, um die Spuren zu verbergen. Hierauf entfernen sie sich einige Tage, kommen sodann in Begleitung des Männchens zurück, scharren den Sand auf und zerbrechen die Schalen, die Mutter setzt die Jungen auf den Rücken und trägt sie ins Wasser. Unterwegs holt der Rabengeier einige weg, und auch das Männchen frißt so viele als es kann; ja sogar die Mutter verzehrt diejenigen, welche herunterfallen oder nicht gleich schwimmen können, so daß zuletzt nicht mehr als fünf oder sechs übrig bleiben. Die Rabengeier sind auf die Krokodileier ungemein erpicht und halten sich daher [106] im Sommer wie Schildwachen auf den Bäumen verborgen, beobachten geduldig das Weibchen beim Legen und stürzen sich erst, wenn es weg ist, auf das Nest, scharren dasselbe mit Schnabel und Krallen auf und zanken sich um die Eier.« Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß Ulloa wieder einmal wahres und falsches untereinandermengt. Das wahrscheinliche wird durch Humboldt bestätigt. »Die Krokodile«, sagt er, »legen ihre Eier in abgesonderte Löcher, und das Weibchen erscheint gegen Ende der Brutzeit wieder, ruft den Jungen, welche darauf antworten, und hilft ihnen meist aus dem Boden.« Ob der große Forscher hier aus eigener Anschauung spricht oder nur gehörtes wiedergibt, weiß ich nicht, da ich eine auf die Angelegenheit bezügliche Stelle von ihm, auf welche er hinweist, nicht habe finden können. Die jungen Krokodile ziehen kleinere Lachen und Wassergräben den breiten und tiefen Flüssen vor und sind zuweilen in rohrumstandenen Gräben in solcher Menge zu finden, daß man auch von ihnen sagen kann, sie wimmeln hier wie Würmer durcheinander.

Aus den übrigen Angaben Humboldts geht hervor, daß die Spitzkrokodile Winterschlaf halten. »Unterhalb des Einflusses des Rio Arauka«, so heißt es in der Reisebeschreibung, »zeigten sich mehr Krokodile als bisher, besonders einem großen See gegenüber, welcher mit dem Orinoko in Verbindung steht. Die Indianer sagten uns, diese Krokodile kommen aus dem trockenen Lande, wo sie in dem Schlamme der Savanne begraben gelegen. Sobald sie nach den ersten Regengüssen aus ihrer Erstarrung erwachen, sammeln sie sich in Rudeln und ziehen dem Strome zu, auf welchem sie sich wieder zerstreuen. Hier, unter dem Wendekreise, wachen sie auf, wenn es wieder feuchter wird, in dem gemäßigten Georgien und Florida hingegen werden sie erweckt durch die wieder zunehmende Wärme, welche sie aus ihrer Erstarrung oder einem Zustande von Nerven- und Muskelschwäche erlöst, in dem die Athmung unterbrochen oder doch sehr stark beschränkt wird. Die Zeit der großen Trockenheit, uneigentlich der Sommer des heißen Gürtels genannt, entspricht dem Winter des gemäßigten, und es ist physiologisch sehr merkwürdig, daß in Nordamerika die Alligatoren zur selben Zeit der Kälte wegen im Winterschlafe liegen, während welcher die Krokodile in den Llanos ihren Sommerschlummer halten. Erschiene es als wahrscheinlich, daß diese derselben Familie angehörigen Thiere einmal in dem nördlichen Lande zusammengelebt hätten, so könnte man glauben, sie fühlen auch, näher nach dem Gleicher gesetzt, noch immer, nachdem sie sechs bis sieben Monate ihre Muskeln gebraucht, das Bedürfnis auszuruhen und bleiben auch unter einem neuen Himmelsstriche ihrem Lebensgange treu, welcher aufs innigste mit ihrem Körperbaue zusammenzuhängen scheint. Man zeigte uns eine Hütte, oder vielmehr eine Art Schuppen, in welcher unser Wirt einen höchst merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er schläft mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank; da wird er frühmorgens durch heftige Stöße, lauten Lärm und polternde Erdschollen, welche in die Hütte geschleudert werden, aufgeschreckt. Nicht lange, so kommt ein junges, meterlanges Krokodil unter der Schlafstätte hervor, fährt auf einen Hund los, welcher auf der Thürschwelle liegt, verfehlt ihn im ungestümen Laufe, eilt dem Ufer zu und entkommt in den Fluß. Man untersucht den Boden unter der Lagerstätte und wird über den Hergang des seltsamen Abenteuers bald klar. In dem vertrockneten, jetzt weit hinab aufgewühlten Schlamme hatte das Krokodil im Sommerschlafe gelegen und war durch den Lärm von Menschen und Pferden, vielleicht auch durch den Geruch des Hundes erweckt worden. Die Hütte lag an einem Teiche und stand einen Theil des Jahres unter Wasser; das Krokodil war also ohne Zweifel während der Zeit der Ueberschwemmung der Savanne durch dasselbe Loch hereingekommen, durch welches es Don Miguel herauskommen sah. Wir sehen somit, daß in den Llanos Trockenheit und Hitze auf Thiere und Gewächse gleich dem Froste wirken. Die Kriechthiere, besonders Krokodile und Boas, verlassen die Lachen, in denen sie beim Austritte der Flüsse Wasser gefunden haben, nicht leicht wieder. Je mehr nun diese Gewässer eintrocknen, um so tiefer graben sie sich in den Schlamm ein, der Feuchtigkeit, welche bei ihnen Haut und Decken schmiegsam erhält, nachgehend. In diesem Zustande der Ruhe kommt die Erstarrung über sie; sie werden dabei von der äußeren [107] Luft wohl nicht gänzlich abgesperrt, und so gering auch der Zutritt derselben sein mag, so reicht er doch hin, den Athmungshergang zu unterhalten bei einer Echse, welche ausnehmend große Lungensäcke hat, keine Muskelbewegung vornimmt, und bei welcher fast alle Lebensverrichtungen stocken.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 102-108.
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