Zweite Familie: Glattfröschen (Ranidae)

[569] Bei den Glattfröschen (Ranidae) erweitern sich die Zehenspitzen nicht zu Kolben; der Leib ist verhältnismäßig schlank, der Kopf kurz, platt und breitmäulig, das vordere Fußpaar, im Verhältnisse zu dem hinteren, dessen Zehen regelmäßig durch breite Schwimmhäute verbunden werden, sehr kurz, die Haut unten glatt, oben dagegen gewöhnlich mit einzelnen Drüsen besetzt. Alle Arten tragen Zähne im Oberkiefer und am Gaumen.

An Artenzahl ärmer als die Laubfrösche, bewohnen die Mitglieder der zweiten Familie unserer Ordnung in zahlreicher Menge Gewässer gemäßigter und heißer Länder und dementsprechend alle Erdtheile, mit Ausnahme Neuhollands. Ihnen begegnet man, wo es Gewässer gibt; ihren Nachtgesang vernimmt man, wo es ihnen möglich, zu leben; denn sowie in unserem Vaterlande der Wasserfrosch, siedeln sich auch seine Verwandten in der Tiefe wie in der Höhe, an fließenden wie an stehenden Gewässern an, vorausgesetzt, daß diese nicht salzig sind. Aber nicht wenige Arten der Familie gibt es, welche wie die Laubfrösche nur während der Paarungszeit im Wasser sich aufhalten, nach ihr aber auf feuchten Wiesen, in Feldern und Wäldern sich umhertreiben, vielleicht ziellos umherirrend, da ruhend, wo der Tag sie überraschte und mit Beginn der Dämmerung ihren Weg weiter fortsetzend. Wunderbar tönt der Chor dieser Frösche in das Ohr des Fremden, welcher zum ersten Male den Boden eines anderen Erdtheiles betritt; denn zu den von der Heimat her bekannten Lauten gesellen sich fremdartige, in deren Urhebern man zwar sofort Glattfrösche erkennt, welche aber doch durch ihre Eigenthümlichkeit im hohen Grade auffallen und Ursache wurden, daß die ersten Ansiedler sowie auch die Forscher die betreffenden Sänger mit bezeichnenden Namen belegten.

Ueberall ist die Lebensweise der wasserbewohnenden Glattfrösche mehr oder weniger dieselbe: ein munteres, heiteres Frühlings- und Sommerleben, mit vielem Lärme und vielem Behagen, ein minder gefallendes Herbsttreiben und dann ein monatelanger Winterschlaf tief unten in dem Schlamme der gefrierenden oder austrocknenden Gewässer, bis der warme Hauch des Frühlings die Eisschollen sprengt oder der erste Regen die von der Sonne zerklüftete Schlammschicht zusammenfügt und Wärme oder Feuchtigkeit die tief verborgenen Schläfer wiederum zum Leben weckt. Denn sowie bei uns im Frühlinge die Erde neuen Schmuck anlegt, so ruft auch in den Gleicherländern der Beginn der Regenzeit die Vollkraft der Natur hervor. Wenn im Inneren Afrikas die vernichtende Glut der trockenen Jahreszeit den Winter gebracht hat über das Land, das Gras dürrend, die Bäume entlaubend, die Vögel in glücklichere Gegenden treibend, Säugethiere, Kriecher und Lurche an das Winterlager bannend, möchte der Mensch und das Thier, welches [569] gezwungen ist, auszuhalten, verzweifeln, so schwer lastet dieser Winter über dem Lebenden. Da endlich ballen sich in der Ferne dunkle Wolken zusammen und, getragen von rasenden Stürmen, bringen sie den erweckenden Regen über die verschmachtete Erde, mit ihm aber auch den Frühling. Stundenlang rauscht es wolkenbruchartig aus der Höhe hernieder; in den Niederungen bilden sich Bäche und Ströme und Lachen und Seen, von denen wenigstens die letzteren tagelang das sich in ihnen angesammelte Wasser halten: und ehe noch der Himmel wiederum vollständig sich geklärt, ehe noch der Regen von dem Gezweige der Bäume abgetropft, hat der Frühling die Schläfer erweckt. Am Abende des ersten Regentages tönt es tausendstimmig heraus aus jedem Regensee, jeder größeren Lache, jedem regelmäßig überfluteten Regenstrome: »Gonk, gonk, gonk« hallt es einem entgegen, wohin man sich auch wenden mag. Um jedes Gewässer herum sitzen, auf seinem Spiegel schwimmen tausende von kleinen Fröschen, welche, wie man meinen möchte, mit Jubel die Zeit begrüßen, in welcher es ihnen zu leben vergönnt ist, unmittelbar nach ihrem Erwachen zur Fortpflanzung schreiten, so lange ihr Wohngewässer gefüllt ist, sich vergnügt umhertreiben, mit dem letzten Wassertropfen wiederum verschwinden. Livingstone erzählt, er habe durch die Buschmänner die Winterwohnung eines Frosches kennen gelernt und letzteren dann öfters in Höhlungen unter Bäumen, deren Mündungen gleichzeitig von Spinnen bewohnt und theilweise zugewebt waren, gefunden. Der Reisende spricht seine Verwunderung aus, daß ein Frosch in den trockensten Theilen des Landes leben könne, versichert, anfänglich, wenn er den lauten Ruf des Thieres in der Stille der Nacht vernahm, stets gehofft zu haben, Wasser zu finden, oft jedoch getäuscht worden zu sein, und glaubt deshalb annehmen zu dürfen, das Thier verbringe auch einen Theil der trockenen Jahreszeit wachend. Letztere Ansicht ist wohl nur bedingungsweise richtig, da wir annehmen dürfen, daß auch im südlichen Afrika die Dürre den Winter über das Land bringt und ein sich regender Froschlurch nur durch vorher gefallenen Regen ermuntert oder gewissermaßen ins Leben gerufen worden ist. Uebrigens stimmt Livingstone mit meinen Beobachtungen überein, daß auch kleine, bald wieder versiechende Pfützen zuweilen von tausenden von ihnen belebt sind. Aehnlich verhält es sich in allen Ländern, in denen sich die Jahreszeiten scharf von einander trennen, während da, wo jahraus, jahrein unter mildem Himmel annähernd dieselbe Witterung herrscht, das muntere Volk fast ohne Unterbrechung seinen Geschäften obliegt, ohne Unterbrechung fast seine Singstücke zum besten gibt und beinahe in allen Monaten des Jahres sich fortpflanzt. In dem wasserreichen Südamerika hört man den Chor der Frösche allabendlich, nach jedem Regen gewiß; in den feuchten Niederungen Indiens gewahrt oder vernimmt man sie während des ganzen Jahres.

Bei uns zu Lande können die Glattfrösche höchstens durch die Beharrlichkeit ihrer tonkünstlerischen Aufführungen lästig werden; in anderen Erdtheilen stören sie wegen der zum Theil lautschallenden Töne, welche sie von sich geben. Und während die bei uns lebenden Arten mit vollstem Rechte als nützliche Thiere gelten dürfen, welche nur ausnahmsweise unbedeutenden Schaden verursachen, vergreifen sich die riesigen Mitglieder der Familie, welche in Amerika und Indien leben, nicht allzu selten an dem Eigenthume des Menschen, indem sie ihre Räubereien auf Geflügel und andere kleine Hausthiere ausdehnen. Demungeachtet haben sie sich eigentlich nirgends Feinde erworben, werden auch von keinem Volke der Erde mit Widerwillen betrachtet, wie die ihnen verwandten Kröten, weil ihr Wesen und Treiben den meisten Menschen wohl behagt, wie solches beispielsweise in den nachstehenden, nach Tschudi wieder aufgefrischten Worten Rollenhagens sich kundgibt:


»Mit wassertreten, vntersinken,

Mit offnem maul doch nicht vertrinken,

Ein mück in einem sprung erwischen,

Künstlich ein rothes würmlein fischen,

Auf gradem fuß aufrichtig stehen

Und also einen kampff angehen,

Einander mit tanzen und springen

Im großen vortheil überwinnen usw.«


[570] Kurz, der Mensch befreundet sich gern mit ihnen, auch da, wo er sie nicht als jagdgerechtes Wild ansieht und sie verfolgt und befehdet, um ihr wohlschmeckendes Fleisch zu erlangen.

Rücksichtlich der Fortpflanzung kommen die Glattfrösche im wesentlichen mit den Baumfröschen überein, nur mit dem Unterschiede, daß sie sich zum Laichen regelmäßig wirkliche Gewässer aussuchen, sich also nie mit so unbedeutenden Ansammlungen des ihren Nachkommen nöthigen Elementes begnügen. Dies ist denn auch der Grund, weshalb die Verbreitung der einzelnen Arten eine sehr ungleiche ist, weshalb der Thau- oder Grasfrosch z.B. bis zu zweitausend Meter und darüber in Gebirgen emporsteigt, während der verwandte Teichfrosch mehr der Ebene angehört. Auch unter ihnen gibt es einzelne, welche der Nachkommenschaft eine gewisse Fürsorge widmen, insbesondere die Eier sich auf den Leib heften und sie wochenlang mit sich umherschleppen; die Mehrzahl aber legt diese einfach im Wasser ab, ohne sich weiter um sie zu bekümmern. Ueber die Entwickelung der Jungen, welche dem im allgemeinen mitgetheilten vollständig entspricht, braucht vielleicht nur das eine gesagt zu werden, daß die Verwandlung in kalten oder hoch gelegenen Lagen bedeutend verzögert werden, d.h. der Larvenzustand über die doppelte Zeit sich erstrecken kann, welche in günstigen Gegenden zur Zeitigung derselben Art hinreicht. Genau dasselbe findet statt, wenn man Kaulquappen in kleinere Behälter wirft und ihnen nicht genügende Nahrung bietet.

Erst in neuerer Zeit hat sich die Liebhaberei an Thieren in Käfigen auch bis auf die Glattfrösche erstreckt. Bis dahin dienten die bei uns heimischen Mitglieder der Familie nur den Männern der Wissenschaft zu ihren vielfachen Versuchen, und ihre Gefangennahme war fast immer auch ihr Todesurtheil; gegenwärtig hält man sie in eigens hergerichteten Käfigen, welche ihnen möglichste Annehmlichkeiten bieten, gewöhnt sie durch gute Behandlung binnen kurzer Zeit an sich und gewinnt in ihnen ebenso treue Anhänger, als die Baumfrösche es sind.

»Brekeke, – brekeke, brekeke! – koax, tuu! – brekeke, brekeke! – brekeke, quarr, brekeke, tuu! – brekeke, brekeke, brekeke! – brekeke, brekeke, brekeke, brekeke! – koax, koax! tuu, tuu! – brekeke, tuu! – brekeke, brekeke! –«


»Die Kinder der Teiche beginnen ihr Leben –

Seh'n sie den strahlenden Mond sich erheben;«


– und wer wohl könnte ihnen deshalb gram sein?! Oken freilich sagt, daß man sich bei einem Narrenhause zu befinden glaube, wenn man in die Nähe eines von Fröschen belebten Teiches gerathe; ich aber meine, daß ihre Stimme, ihr Gesang ebenso gut zur Frühlingsnacht gehört wie das Lied der Nachtigall. Unbegrenzte Fröhlichkeit spricht sich in den einfachen Klängen aus, ja, wirkliche Einhelligkeit, so rauh die einzelnen auch zu sein scheinen. »Brekeke« läßt sich einer, der Vorsänger der ganzen Gesellschaft, vernehmen, und alle anderen hören schweigend zu, doch nur, um im nächsten Augenblicke mit derselben Strophe oder dem dumpfen »Quarr« einzufallen und in altgewohnter Weise weiter zu quaken. Mit der Kühle der Dämmerung beginnt der allgemeine Gesang; beharrlicher als jedes andere Lied der Nacht währt er fort, und erst gegen Morgen hin wird es stiller in den Teichen, obschon immer noch einer oder der andere, gleichsam in seliger Erinnerung der vorher bekundeten Meisterschaft, noch ein halb unterdrücktes »Quarr« zum besten geben muß.

Ich will nicht in Abrede stellen, daß es schwachnervigen Leuten, welche in der Nähe eines froschbevölkerten Teiches wohnen, schließlich unangenehm werden kann, in jeder lauwarmen Sommernacht immer und immer nur das eine Musikstück zu hören; aber ich vermag es nicht, solchen Unwillen zu theilen, weil ich zu denen gehöre, welche heiter gestimmt werden, wenn sie die begeisterten Sänger vernehmen und meine, daß wenigstens jeder, welcher auf dem Lande seine Jugendzeit verlebt hat, mir beistimmen muß.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 569-571.
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