Durhamrind (Bos taurus dunelmensis)

[430] Als wahrhaft abscheuliches Erzeugnis fortgesetzter planmäßiger Züchtung mag endlich noch das Durham- oder Kurzhornrind, »Shorthorn« der Engländer (Bos taurus dunelmensis) erwähnt sein: ein geradezu ungestaltetes Thier mit kleinem Kopfe und sehr schwachem Gehörn, geradem Rücken und kurzen Beinen, dickem Halse und unförmlichem Leibe, vorzugsweise bestimmt, als Mastvieh größtmöglichen Fleischertrag zu liefern. Die Färbung des glatten Haarkleides wechselt vielfach.

Ursprünglich wurde das Durhamrind fast ausschließlich in den Grafschaften der Ostküste von England gezüchtet; gegenwärtig sieht man es in allen Grafschaften Englands und Irlands, hier und da, obschon immer noch selten, auch wohl in Deutschland, Holland und Frankreich.


Holländerrind (Bos taurus hollandicus). 1/25 natürl. Größe.
Holländerrind (Bos taurus hollandicus). 1/25 natürl. Größe.

An Milchertrag steht es hinter vielen Schlägen merklich zurück, an Fleischertrag übertrifft es sämmtliche Rassen, da einzelne Stiere bis dreitausend Kilogramm schwer werden sollen.

Obgleich auch die wieder verwilderten Rinder kaum dazu beitragen, das Dunkel des Ursprungs unseres wichtigen Hausthieres aufzuhellen, verdienen sie doch ebenfalls in Betracht gezogen zu werden. Ebenso leicht als ein wild lebendes Rind sich zähmen und in den Hausstand überführen läßt, nimmt es, der Obhut und Pflege des Menschen entronnen, wiederum die Sitten und Gewohnheiten der Urarten an. Verwilderte Rinder, d.h. solche, welche aus dem zahmen Zustande wieder in einen ganz oder halbwilden übergegangen sind, finden sich hauptsächlich da, wo die Spanier herrschten oder noch herrschen; es kann jedoch auch in Mitteleuropa geschehen, daß ein Rind der Knechtschaft sich entzieht und monatelang wie ein wildes Thier im Walde lebt. Hierfür theilt mir Forstmeister Henschel in Wildalpen einen Beleg mit. Von der Einöde Heuda entlief im Mai ein etwa vierwöchentliches Kalb, schwamm über einen langgestreckten Teich und [431] zog den Lupper Waldungen zu, in denen es sich fortan aufhielt. Mehrmalige Versuche, es zu fangen, scheiterten und machten es überaus scheu und vorsichtig. Bald darauf bemerkte man es in Gesellschaft des Hochwildes, dem es sich angeschlossen hatte und mit welchem es auch gemeinschaftlich auf Aesung trat. Auf besonderen Befehl des Jagdherrn ließ man es bis zum Herbste unbehelligt. Es verblieb in Gesellschaft des Wildes, nahm dessen Sitten und Gewohnheiten an und würde unzweifelhaft auch den Winter überstanden haben, hätte man es nicht im Oktober erlegt. Schon viel früher war es zu einem Thiere mit allen Eigenschaften des Wildes geworden.

Der in Spanien hoch angesehene, weil zu den Gefechten unentbehrliche Stier stammt ebenfalls von zahm gewesenen Rindern ab.


Durhamrind (Bos taurus dunelmensis). 1/30 natürl. Größe.
Durhamrind (Bos taurus dunelmensis). 1/30 natürl. Größe.

Er lebt ganz wie Wildrinder, kommt jahraus jahrein in keinen Stall und wird eigentlich auch nicht gehütet; denn nur ab und zustellt sich einer der Beauftragten ein, um die Herde zu besichtigen. Nicht besonders groß, aber schön und ungemein kräftig, zeichnet er sich aus durch ziemlich lange, auswärts gebogene und sehr spitzige Hörner; die Färbung ist in der Regel, aber nicht immer, dunkelkastanien- bis schwarzbraun. Mit dem zweiten Lebensjahre bringt man die Stierkälber in die großen Herden, welche nur aus Stieren bestehen, weil die Bullen der gemischten Herden einander während der Paarungszeit tödten würden. Jeder einzelne Stier bekommt seinen Namen, und es werden über alle genaue Listen geführt, um zu erfahren, welche von ihnen am besten zu den Gefechten sich eignen werden. Viel erzählt man von der Rachsucht dieser Stiere. Ein guter »Toro«, sagt man, dürfe niemals geschlagen werden, weil er solches niemals vergessen und dann den Hirten unfehlbar umbringen würde. Obgleich dieser mit Rindern vortrefflich umzugehen und mit wunderbarer Geschicklichkeit die Schleuder zu handhaben weiß, nähert er sich doch niemals allein, vielmehr stets in Gesellschaft eines ebenso bewanderten Genossen und im Geleite starker Hunde einer Herde der ungemein reizbaren Thiere.

[432] In den Hochgebirgen Südspaniens und in den größeren Waldungen Kastiliens begegnet man nicht selten solchen Stierherden, thut aber unter allen Umständen wohl, ihnen aus dem Wege zu gehen. Noch im November traf ich eine Herde in einer Höhe zwischen zwei- und dreitausend Meter über dem Meere, in der Nähe des Picacho de la Veleta, ohne jegliche Aufsicht weidend. Kein Wolf wagt es, solcher Gesellschaft sich zu nahen, kein Bär greift sie an; denn in geschlossener Reihe stürmen die muthigen Geschöpfe auf das Raubthier los, und fast niemals kommt es vor, daß eines dem Feinde erliegt. Mit Vergnügen beobachtete ich, wie sämmtliche Mitglieder einer solchen Herde dem Kampfe zwischen zwei jugendlich kräftigen Stieren mit größter Aufmerksamkeit folgen. Wir gingen einmal an einer Herde vorüber, welche so von einem Kampfspiele in Anspruch genommen wurde, daß sie uns gar keine Beachtung schenkte. Während des Sommers ziehen sich die Stiere mehr nach den Höhen empor, und erst der dort frühzeitiger als unten fallende Schnee treibt sie wieder zur Tiefe zurück. Den Dörfern weichen sie vorsichtig aus. Auf Vorübergehende stürzen sie sich oft ohne die geringste Veranlassung. Nur mit Hülfe gezähmter Ochsen ist es möglich, sie nach den für die Gefechte bestimmten Plätzen zu treiben. Keiner dieser verwilderten Stiere verträgt eine Fessel, keiner eine Mißhandlung. Die Fortschaffung der für das Gefecht erwählten ist für die Betheiligten immer ein Spielen mit Tod und Leben.

In Südamerika waren die Verhältnisse von jeher einer Verwilderung des Rindes günstig. Colum bus brachte das nützliche Hausthier auf seiner zweiten Reise zuerst nach San Domingo. Hier vermehrte es sich mit solcher Schnelligkeit, daß man bereits wenige Jahre später Kälber beiderlei Geschlechts über die ganze Insel verbreiten konnte. Siebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung Domingos waren Herden von viertausend Stück schon eine gewöhnliche Erscheinung. Im Jahr 1587 wurden von der Insel allein fünfunddreißigtausend Rinderhäute ausgeführt; denn zu dieser Zeit gab es bereits verwilderte Herden.

Um das Jahr 1540 verpflanzte man Stiere aus Spanien nach den südlichen Ländern Amerikas. Sie fanden auch hier das Klima der Neuen Welt für ihr Gedeihen so ersprießlich, daß sie in kurzer Zeit von dem Menschen, welcher sie ohnehin nur lässig überwachte, gänzlich sich befreiten. Hundert Jahre später bevölkerten sie bereits in solch ungeheurer Anzahl die Pampas, daß man bei den Jagden, welche auf sie angestellt wurden, gerade so verfuhr, wie die Inder noch heute mit den Bisons verfahren, indem man sie einzig und allein deshalb erlegte, um ihre Haut zu benutzen. Ehe der Bürgerkrieg die Platastaaten zerstörte, wurden jährlich fast eine Million Ochsenhäute allein von Buenos Ayres nach Europa ausgeführt. Eine eigene Genossenschaft, die der »Vaqueros«, bildete sich aus den Gauchos heraus, Leute, welche ohnehin gewöhnt waren, für wenige Groschen ihr Leben in die Schanze zu schlagen, trotzigkühne, tolldreiste Männer, welche den Stieren mit der Wurfschlinge entgegentraten und sie mit diesem verhältnismäßig so schwachen Gewehre zu bändigen wußten. Manche Landwirte hielten auf ihren ungeheuren Gütern an acht- bis zehntausend Stück Rinder, welche man fast gar nicht beaufsichtigte, gegen die Schlachtzeit hin aber in Pferche oder Umpfählungen trieb und hier entweder mit Feuergewehren massenhaft niederschoß, oder einzeln herausjagte, von den Hirten verfolgen und mit den Wurfschlingen niederreißen, in jedem Falle aber tödten ließ. Das Fleisch und Fett verblieb den zahmen und wilden Hunden und den Geiern. Solcherart betriebene Metzeleien lichteten selbst diese ungeheuren Herden, und erst die neuzeitliche bessere Verwerthung der Stücke führte zu einer Aenderung des früheren Verfahrens.

Auf den Falklandsinseln ist das Rind gänzlich verwildert und wird höchstens manchmal von Schiffern gejagt, deren Fleischvorräthe zusammengeschmolzen sind. In Kolumbien wie in den meisten übrigen Ländern Südamerikas lebt es in gleicher Freiheit, nicht aber in der Tiefe, sondern auf den Höhen der Kordilleren. Als die Jesuiten in der Provinz St. Martin ihrem Bekehrungswerke entsagen mußten, blieben ihre Rinder sich selbst überlassen und zogen sich bald bis zum Grasgürtel empor, wo sie gegenwärtig in kleinen Herden leben. Manchmal jagen sie die Bauern der am Fuße der Kordilleren liegenden Dörfer, weniger des Nutzens als des Vergnügens wegen; denn es ist den[433] Leuten unmöglich, ihre Beute vom Gebirge herabzuschaffen. Nicht einmal gefangene Thiere lassen sich nach unten treiben, stellen sich vielmehr erst nach Kräften zur Wehre und gerathen, wenn sie die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen einsehen, oft in so gewaltige Aufregung, daß sie am ganzen Körper zu zittern beginnen, zusammenstürzen und sterben.

Nur in Amerika hat sich das Hausrind wieder von der Herrschaft des Menschen befreit; in allen übrigen Erdtheilen ist es dessen Sklave und zwar, wie schon bemerkt, seit uralter und vorgeschichtlicher Zeit. Im allgemeinen wurde und wird das Rind außerordentlich hoch geehrt. Die alten Egypter beteten den Gott Apis in Gestalt eines Ochsen an und erwiesen diesem unter vielen Feierlichkeiten die größten Ehren. Die Göttin Isis und später die Jo der Griechen wurden mit Kuhhörnern auf dem Haupte dargestellt; beiden opferte man Ochsen, weil diese besonders heilig waren. In Libyen wurden die Rinder gezähmt, aber niemals geschlachtet; nur die Milch genoß man. In Cyrene galt es, wie heutzutage in Indien noch, als Verbrechen, eine Kuh zu schlagen. Die Kelten sahen die Kuh als ein ihnen unmittelbar von der Gottheit gegebenes Geschenk an, und die heutigen Inder stehen den alten Egyptern noch durchaus nicht nach. Ich habe schon weiter oben erwähnt, daß die verschiedenen indischen Stämme verschiedene Rinder für heilig erklären; im wesentlichen ist die Verehrung aber überall dieselbe. Bei den Brahminen Kaschmirs ist nach Hügels Erfahrungen die Kuh unverletzlich, so daß jeder mit dem Tode bestraft wird, welcher eine tödtet. Görtz nennt die Ochsen ein allgemeines Uebel aller Hindustädte. Irgend jemand hat einzelnen seiner Rinder, um ein verdienstliches Werk zu thun, das Zeichen Schiwas aufgebrannt, und diese Thiere laufen nun mit Pfaffen und Bettlern in den Straßen umher, gehen niemand aus dem Wege und drängen, schlagen und stoßen, was ihnen vorkommt. Die Bakhara-Araber, ein Volksstamm, welcher sich zwischen dem Weißen Flusse und Kordofân umhertreibt, haben ihren Namen vom Rinde selbst entlehnt; denn das Wort »Bakhara« bedeutet soviel als Rinderer. Eine ähnliche Verehrung wie die Inder erweisen die Dinka, ein am Weißen Flusse lebender Negerstamm, unserem Hausthiere. »Alles, was vom Rinde kommt«, sagt Schweinfurth, »gilt für rein und edel; der Mist, zu Asche gebrannt, um darauf zu schlafen oder um sich weiß anzutünchen, der Harn, als Waschwasser und als Ersatz für das in diesen Theilen Afrikas den Negern fehlende Kochsalz, sind ihre täglichen Bedürfnisse. Der letzterwähnte Umstand entschuldigt den in unseren Augen mit dem Begriffe von Reinlichkeit schwer zusammenzureimenden Volksgebrauch. Nie wird ein Rind geschlachtet; kranke pflegt man mit Sorgfalt in eigens dazu errichteten großen Hütten; bloß die gefallenen und verunglückten Thiere werden verspeist. Jedoch scheinen die Dinka keineswegs abgeneigt, theilzunehmen an irgend welchem statthabenden Schmause von Rinderfleisch; das Rind, welches geschlachtet wird, darf nur nicht das ihrige sein. Es ist also mehr die Freude am Besitz, welche ihnen das Rind zum Gegenstande ihrer Huldigungen gestaltet. Unbeschreiblich aber ist der Gram und das tiefe Leid, welches derjenige empfindet, den der Tod oder hartherzige Fremdlinge seiner Rinder beraubten; in solcher Lage ist der Dinka bereit, den Wiederersatz der verlorenen mit den schwersten Opfern zu erkaufen, denn die Kühe sind ihm theuerer als Weib und Kind. Das gefallene Rind wird indeß nicht nutzlos vergraben, dazu ist der Neger nicht gefühlvoll genug; von den Unbetheiligten wird ein solcher Vorfall als freudiges Ereignis begrüßt, und die Nachbarn veranstalten einen Schmaus, aber nur die Nachbarn, der Betroffene selbst ist durch den Verlust zu sehr erschüttert, um es über das Herz bringen zu können, Hand anzulegen an die theuere Hülle des verschiedenen. Nicht selten gewahrt man solche Leute schweigsam und verstört in ihrem Grame viele Tage zubringen: ein solches Unglück erscheint ihnen kaum zu ertragen.« So finden wir das Rind überall als ein beliebtes, geehrtes und geachtetes Thier. Und nicht auf Erden allein erweist man ihm Ehrerbietung, selbst in den Himmel hat man es versetzt. Nach den altindischen Sagen ist die Kuh das erstgeschaffene aller Wesen, und der Ochse »Nanda« vertritt nach den Anschauungen dieses Volkes ganz die Stelle des heiligen Petrus: er ist Wächter eines der beiden Himmelsthore. Die Benennung des Sternbildes »Stier« mag wohl hiermit im Zusammenhange stehen. [434] Selbst bei den heiligsten Glaubensgenossenschaften, welche in allem möglichen unreines erblicken, gilt das Rind als reines Thier, dessen Umgang dem Seelenheile der Gläubigen nur förderlich sein kann. Die Sudâner hören es gern, wenn man ihnen den Ehrentitel »Ochse« gibt, und vergleichen die Kraft ihrer Söhne ruhmrednerisch mit der des Stieres. Mehr als irgend ein Thier hat das Rind zur Versittlichung des Menschen beigetragen. Otto von Kotzebue bemerkt sehr treffend, daß mit dem Erscheinen Vancouvers für die Sandwichinseln ein neues Zeitalter, weil erst mit der damals geschehenen Einführung des Rindes die Gesittung der Inselbewohner begonnen habe.

Ein Blick auf das Leben des Hausrindes in den verschiedenen Ländern ist ebenso lehrreich als fesselnd. Wenden wir, gewissermaßen um geschichtlich zu beginnen, unsere Aufmerksamkeit zunächst jenen Herden zu, welche sich noch in denselben Verhältnissen befinden wie unter der Herrschaft der alten Erzväter. In den Nomaden des Ostsudân sehen wir Herdenzüchter, welche ihre Geschäfte noch heute genau ebenso betreiben, wie ihre Ururväter vor Jahrtausenden sie betrieben. Die Viehherden, welche sie besitzen, sind ihr einziger Reichthum. Man schätzt sie nach der Anzahl der Schafe und der Rinder, wie man den Lappen nach der Menge seiner Renthiere schätzt. Ihr ganzes Leben hängt mit der Viehzucht aufs innigste zusammen. Nur durch Räuberthaten erwerben sie sich noch außerdem manches, was sie zu ihrem Leben bedürfen; im allgemeinen aber muß ihr zahmes Vieh sie ausschließlich erhalten. Viele Stämme der Araber, welche die nahrungsreicheren Steppen südlich des 18. Grades nördlicher Breite durchwandern, liegen, ihrer Herden wegen, in beständigem Kriege mit einander und sind aus dem gleichen Grunde ohne Unterlaß auf der Wanderung. Es versteht sich von selbst, daß es in jenen Gegenden nur freie Zucht gibt, daß niemand daran denkt, für seine Hausthiere einen Stall zu erbauen. Bloß da, wo der Löwe häufiger auftritt, versucht man nachts Rinder, Schafe und Ziegen durch einen dicken Hag aus Mimosendornen, welcher einen Lagerplatz kreisförmig umgibt, zu schützen. Da, wo man dem Könige der Wildnis keinen Zoll entrichten muß, läßt man die Herde dort übernachten, wo sie weidesatt sich lagert.

Auch die größten unserer Rittergutsbesitzer und Viehzüchter, die Holländer und Schweizer inbegriffen, bilden sich wohl schwerlich eine Vorstellung von der Anzahl der Herden jener Nomaden. Nahe dem Dorfe Melbeß, dessen ich schon einmal Erwähnung gethan habe, tieft sich die Steppe zu einem weiten Kessel ein, in dessen Grunde man Brunnen an Brunnen angelegt hat, einzig und allein zu dem Zwecke, die täglich hier während der Mittagsstunden zusammenströmenden Herden zu tränken. In diesem Kessel kann man vom frühen Morgen an bis zum späten Abend und während der ganzen Nacht ein kaum zu beschreibendes Gewühl von Menschen und Herdenthieren bemerken. Neben jeden Brunnen hat man sechs bis acht flache Tränkteiche aufgebaut, große natürliche Tröge, welche mit thoniger Erde eingedämmt sind. Diese Tröge werden alltäglich gefüllt und von den zur Tränke kommenden Herden vollständig wieder geleert. Vom Nachmittage an, die ganze Nacht hindurch, bis gegen Mittag hin, sind fast hundert Menschen eifrig beschäftigt, aus der Tiefe der Brunnen Wasser heraufzuheben und in diese Teiche zu schütten, woselbst man der Tränke noch etwas salzhaltige Erde zuzusetzen pflegt. Gewöhnlich sind die Teiche noch nicht völlig gefüllt, wenn die Herden an kommen. Von allen Seiten ziehen unzählbare Scharen von Schafen, Ziegen und Rindern herbei, zuerst das Kleinvieh, später die Rinder. In wenigen Minuten hat sich der ganze große Kessel vollständig gefüllt. Man sieht nichts als eine ununterbrochene Herde von eifrig sich hin- und herdrängenden Thieren, zwischen denen hier und da eine dunkle Mannesgestalt hervorragt. Tausende von Schafen und Ziegen strömen ohne Unterbrechung zu, und ebenso viele ziehen getränkt von dannen. Sobald der Kessel einigermaßen sich geleert hat, stürmen die Rinder, welche bis jetzt kaum zurückgehalten werden konnten, heran, und nun gewahrt man nur eine braune, wogende Masse, über welche ein Wald von Spitzen sich erhebt. Das Braun wird zur einzigen hervortretenden Farbe; von den dazwischen hin- und hergehenden Männern ist keine Spur mehr zu entdecken. Der ganze Tränkplatz gleicht einem Stall, in welchem seit Monaten kein Reinigungswerkzeug in Bewegung gesetzt wurde. Ungeachtet der dörrenden Sonne liegt der Koth überall mehr als knietief auf dem Boden; [435] nur die Tränkteiche werden sorgfältig rein gehalten. Gegen Abend verlieren sich endlich die letzten durstigen Seelen, und nun beginnt augenblicklich das Schöpfen von neuem, um die für den folgenden Tag nöthige Wassermenge rechtzeitig beschaffen zu können. An manchen Tagen kommen auch langbeinige Kamele daher gestelzt, ebenfalls fünfhundert bis tausend Stück auf einmal, trinken sich satt und ziehen wieder von dannen. Ich halte es unmöglich, die Menge der Rinder zu berechnen; denn in dem dichten Gewirr hört das Zählen gar bald auf; dennoch glaube ich nicht zu viel zu sagen, wenn ich die Anzahl der täglich hierher kommenden Herdenthiere auf mindestens sechzigtausend Stück anschlage, wovon etwa vierzigtausend auf die Rinder kommen mögen. Angesehene Leute des Ostsudân, welche mit Eintreibung der Steuern unter jenen Nomadenstämmen beauftragt waren, versicherten mich, daß es ganz unmöglich wäre, auch nur annähernd einen Maßstab für die Größe der Besitzthümer jener Leute zu erlangen. Als Mahammed-Aali auf den Gedanken kam, seinen Bedarf an Rindern durch Zufuhren aus dem Sudân zu decken, legten die Regierungsbehörden den Eingeborenen willkürliche Steuern an Rindern auf, welche nach und nach, aber in sehr kurzer Frist, den Herdenbesitzern nicht nur hunderttausende, sondern Millionen von Rindern entzogen. In Egypten hatten Seuchen in schrecklicher Weise unter dem dortigen Rinderstande gewüthet, die Heere, welche der stolze und unternehmende Pascha gegen die Pforte führte, außerdem auffallend viel verbraucht: und alle die entstandenen Lücken wurden nicht nur aus dem Sudân vollkommen gedeckt, sondern es zeigte sich sogar bald eine solche Ueberfüllung von Rindern, daß man den Befehl rückgängig machte. Dabei muß man nun bedenken, daß auf dem Wege von dreihundert Meilen Länge, von welchem etwa die Hälfte auf Wüsten oder wenigstens unfruchtbares Land gerechnet wird, tausende und andere tausende erlagen, ehe sie an den Ort ihrer Bestimmung gelangten. Noch heutigen Tages ist man im Stande, den Weg, welchen jene Rinderherden nahmen, ohne alle Mühe zu verfolgen: er ist durch hunderttausende von Rindergerippen, die Ueberbleibsel der erliegenden Thiere, so deutlich bezeichnet, daß man nicht irren kann. Jene Herden aber, von denen ich redete, sah ich nur wenige Jahre nach der beispiellosen Plünderung, welche die Besitzer erlitten hatten: wie groß mag erst der Bestand etwa zehn Jahre früher gewesen sein!

Auch die erwähnten Dinka besitzen zahlreiche Herden und pflegen dieselben ebenso sorgfältig wie die genannten Araber, treiben sie auf die Weide und beherbergen sie des Nachts in freien, von ihnen »Murach« genannten Stallungen. »Bei Anlage einer solchen Stallung unter freiem Himmelsdache«, sagt Heuglin, »wählt der Neger vor allem einen möglichst erhabenen und trockenen Platz, Bedingungen, welche sich am Weißen Nile überhaupt selten finden. Dieser Platz wird mit rohem Pfahlwerke umfriedigt und, wenn das Vieh des Abends eingetrieben worden, der Zugang mit Stämmen oder Dornbüschen geschlossen. Den Tag über hat man den sorgfältig gesammelten Koth der Kühe ausgebreitet und an der Sonne getrocknet, so daß davon immer ein größerer Vorrath vorhanden ist, von dem dann gleiche Haufen gemacht und gleichförmig im Innern der Umpfählung vertheilt werden. Kommen die Herden an, so wird unter jeden dieser Haufen etwas Feuer gelegt und es entwickelt sich über dem Murach bald eine ziemlich dichte Rauchwolke, wie an einem großen Meiler. Es hat dies den Zweck, die vielen Stechfliegen abzuhalten und dem Vieh, welches ohnedem nur wenig Milch gibt, die nöthige Nachtruhe zu verschaffen. Diese sonderbare Art von Räucherung währt die ganze Nacht durch, und die eingepferchten Thiere scheinen sich recht wohl dabei zu befinden. Gleichzeitig bildet sich durch diese Verbrennung eine feine Asche, welche den Tag über ebenfalls in Haufen gesammelt und abends glatt über den ganzen Platz ausgebreitet wird, um als Streu und weiteres Schutzmittel gegen die Fliegen zu dienen. Die Rinder tragen somit Räucherwerk und Streu selbst ein, und die Masse vermehrt sich nach und nach derart, daß eine merkliche Erhöhung des Bodens eintritt und die Kühe, wie ihre Herren, tief im feinsten weichen Aschenbette sich begraben können. Beim Austreiben ist man nicht minder vorsichtig: es geschieht dies erst, nachdem gemolken worden und man sich überzeugt hat, daß der gewöhnlich in Menge sich niederschlagende Thau abgetrocknet ist.« Schweinfurth, welcher den Murach in ähnlicher Weise [436] schildert, bemerkt, daß ein solcher Viehstall selten unter zweitausend, meist bis dreitausend Stück Rinder enthält, und daß man auf jeden Kopf der Bevölkerung dieses Negerstammes mindestens drei Rinder rechnen müsse, obgleich es unter den Dinka ebenso gut wie überall Arme und Unbemittelte gibt.

In den Gebirgen von Habesch müssen die Rinder als Last- und Zugthiere Dienste leisten, in Sudân und in Kordofân hält man sie hauptsächlich zur Zucht, benutzt jedoch ihre Milch, um aus derselben Butter zu bereiten. Die Dinka betrachten sie als Augenweide. »Es ist wohl begreiflich«, sagt Schweinfurth, wie Menschen bloß am Besitze eines wohlgediehenen Viehstandes ihre Freude haben können; unverständlich aber muß uns das Zwecklose der von den Dinka geübten Verschneidung bleiben, wenn wir sehen, wie diese Hirten Bullen und Böcke bloß in der Absicht verschneiden, um ihre Augen an einer Fettentwickelung zu weiden, welche für den Magen stets unverwerthet bleiben soll. Wenn ich Dinka befragte: »Was nützen euch Ochsen, was sollen sie bezwecken?« erhielt ich stets zur Antwort: »Es geschieht, damit sie recht fett werden und schön aussehen. So äußert sich ihr Stolz und ihre Freude am Besitze.«

In Südrußland, in der Tatarei und wahrscheinlich auch in einem großen Theile des inneren Asien hält man ebenfalls bedeutende Rinderherden. Die ganze südrussische Steppe ist überall mit Pferde-, Schaf-und Rindviehherden bedeckt. Im Sommer leben alle diese Hausthiere Tag für Tag im Freien, im harten, langen Winter finden sie hinter einem Erdwall einigen Schutz gegen die Stürme. Wenn besagter Wall an der einen Seite ein elendes Stück Dach hat, gilt er als vorzüglicher Stall. Unter den genannten Thieren stehen die Rinder ihrer Anzahl nach obenan und haben auch in vieler Hinsicht große Vorzüge vor jenen: denn sie verunglücken nicht so leicht während der Schafen und Pferden so gefährlichen Schneestürme, weil sie die Besinnung nicht verlieren, sondern, falls die Stürme nicht allzu heftig sind, geraden Weges nach Hause eilen. In den meisten Gegenden bleiben die Herden sich selbst überlassen und werden nur insofern von den Hirten bewacht, als diese sich bemühen, sie einigermaßen zusammenzuhalten und die herangewachsenen Stierkälber von den Müttern zu trennen. Die Rinder selbst sind unglaublich genügsam, fast unempfindlich gegen die Witterung und auch bei schlechter Nahrung noch sehr ausdauernd. Bei den Kirgisen und Kalmücken, von denen sie auch zum Lasttragen verwendet werden, führen sie ein echtes Wanderleben. Im Sommer gibt die Steppe überall reiche Weide, im Winter wählt man sich Gegenden aus, welche reich an Schilf sind, mit dessen dürr gewordenen Blättern die Rinder sich begnügen müssen. In den südrussischen Steppen treibt man das Rindvieh, nachdem es am Morgen getränkt wurde, in die Einöde hinaus; gegen Abend kommt die Herde von selbst zurück, und die Mütter vereinigen sich jetzt mit den Kälbern, welche am Morgen von ihnen getrennt wurden. Die Milchkühe und Kälber werden im Winter zu Hause gefüttert, die Ochsen jedoch nur dann, wenn viel Schnee liegt. Gewöhnlich sind die jungen, frei auf der Steppe aufgewachsenen Ochsen unbändig wild, widerspenstig und dabei so faul, daß man ihrer acht bis zehn an einen Pflug spannen muß, wenn man wirklich etwas leisten will. Um sie an das Joch zu gewöhnen, treibt man ein Paar in einen Hof, wirft ihnen eine Schlinge um die Hörner und zieht sie nunmehr bis an einen Pfahl, wo man ihnen dann das Joch auf den Nacken legt. Sobald dasselbe gehörig befestigt ist, treibt man sie wieder zur großen Herde auf die Steppe und läßt sie weiden. Alles Streben, des Joches sich zu entledigen, hilft ihnen nichts; sie gewöhnen sich endlich daran und werden, wie Schlatter versichert, schließlich so anhänglich aneinander, daß sie, auch wenn sie frei vom Joche sind und unter den anderen weiden, immer sich zusammenhalten und einander in allen Nöthen beistehen. Einige Tage, nachdem man sie zum erstenmal unter das Joch legte, fängt man sie wieder ein und spannt sie vor einen Wagen. Ein Tatar besteigt den Bock, nimmt eine gewaltige Hetzpeitsche zur Hand und jagt nun, so schnell die Thiere laufen wollen, mit seinem Gespann in die Steppe hinaus, läßt ihm die vollste Freiheit und erlaubt ihm, dahin zu laufen, wohin sein Sinn es führt. Nach einigen Stunden wüthenden Dahinjagens nehmen die gedemüthigten Stiere Knechtssinn an und lassen sich nunmehr ohne sonderliche Beschwerde lenken.

[437] In Ungarn verfuhr man früher mit den dort gezüchteten Rindern in ähnlicher Weise. Noch heute müssen sie sich selbst ernähren und genießen weder Schutz noch Pflege. Manche sind so wild, daß sie keinem Menschen gestatten, ihnen sich zu nähern. Die Kälber saugen so lange, als sie Bedürfnis dazu fühlen, und die Hirten denken gewöhnlich erst im zweiten Jahre ihres Lebens daran, sie von den Müttern zu trennen. Dies verursacht Schwierigkeiten, weil die Kühe sich wüthend auf die Hirten zu stürzen pflegen und diese unter Umständen schwer verletzen oder sogar tödten. Noch heutzutage ist die Rindviehzucht in ganz Ungarn sehr bedeutend, obgleich der lohnenden Schafzucht wegen im Abnehmen begriffen.

Selbst in Italien lebt noch ein großer Theil der Rinder im halbwilden Zustande. In der Maremma, jenem beinahe vollkommen flachen, hier und da fruchtbaren, sonst aber sumpfigen Küstenstrich zwischen Genua und Gaëta, welcher wegen seines ungesunden Klimas sehr verrufen und dünn bevölkert ist, treiben sich zahlreiche Herden des italienischen Rindes umher, welche jahraus jahrein unter freiem Himmel leben, weite Wanderungen ausführen und nur von den rohesten, abgehärtetsten Menschen beaufsichtigt werden. In der Wallachei, in Serbien, Bosnien, Bulgarien und Syrien finden wir das Rind unter ähnlichen Verhältnissen.

Eine ganz andere Pflege genießt das geschätzte Hausthier in den Gebirgsländern Mitteleuropas, namentlich in den Alpen, obgleich auch hier noch manches zu wünschen übrig bleibt. Nach Tschudi's Angaben hält die Schweiz gegenwärtig etwa 850,000 Stück Rindvieh, und zwar nimmt sonderbarerweise in den ebenen Gegenden, wo der Weidegang nach den Alpen aufgehoben wurde, die Viehzucht zu, in den Alpen dagegen ab, »weil man«, wie Tschudi sagt, »leider wenig tröstliches von dem Zustande der Rinderherden auf den Alpen erzählen kann. Meistens fehlt eine zweckmäßige, mitunter sogar jede Stallung. Die Kühe treiben sich auf ihren Alpen umher und weiden das kurze, würzige Gras ab, welches weder hoch noch breit wächst. Fällt im Früh- oder Spätjahre plötzlich Schnee, so sammeln sich die brüllenden Herden vor den Hütten, wo sie kaum Obdach finden, wo ihnen der Senn oft nicht einmal eine Hand voll Heu zu bieten hat. Bei andauerndem kalten Regen suchen sie Schutz unter Felsen oder in Wäldern. Hochträchtige Kühe müssen oft weit entfernt vom menschlichen Beistande kalben und bringen am Abende dem überraschten Sennen ein volles Euter und ein munteres Kalb vor die Hütte. Nicht selten aber geht es auch schlimmer ab. Und doch ist selbst dem schlecht geschützten Vieh die schöne, ruhige Zeit des Alpenaufenthaltes eine überaus liebe. Man bringe nur jene große Vorschelle, welche bei der Fahrt auf die Alp und bei der Rückkehr ihre weithin tönende Stimme erschallen läßt, im Frühlinge unter die Viehherde im Thal, so erregt dies gleich die allgemeine Aufmerksamkeit. Die Kühe sammeln sich brüllend in freudigen Sprüngen und meinen das Zeichen zur Alpfahrt zu vernehmen, und wenn diese wirklich begonnen, wenn die schönste Kuh mit der größten Glocke am bunten Bande behangen und wohl mit einem Strauß zwischen den Hörnern geschmückt wird, wenn das Saumroß mit Käsekesseln und Vorrath bepackt ist, die Melkstühle den Rindern zwischen den Hörnern sitzen, die sauberen Sennen ihre Alpenlieder anstimmen, und der jauchzende Jodel weit durchs Thal schallt, dann soll man den trefflichen Humor beobachten, in dem die gut- und oft übermüthigen Thiere sich in den Zug reihen und brüllend den Bergen zu marschiren. Im Thale zurückgehaltene Kühe folgen oft unversehens auf eigene Faust den Gefährten auf entfernte Alpen.

Freilich ist es bei schönem Wetter für eine Kuh auch gar herrlich hoch in den Gebirgen. Frauenmäntelchen, Mutterkraut und Alpenwegerich bieten dem schnoppernden Thiere die trefflichste und würzigste Nahrung. Die Sonne brennt nicht so heiß wie im Thale, die lästigen Bremsen quälen das Rind während des Mittagsschläfchens nicht, und leidet es vielleicht noch von einem Ungeziefer, so sind die zwischen den Thieren ruhig herumlaufenden Staare und gelben Bachstelzen stets bereit, ihnen Liebesdienste zu erweisen: das Vieh ist munterer, frischer und gesünder als das im Thale und pflanzt sich regelmäßiger und naturgetreuer fort; das naturgemäße Leben bildet den natürlichen Verstand besser aus. Das Rind, welches ganz für sich lebte, ist aufmerksamer, sorgfältiger, [438] hat mehr Gedächtnis als das stets verpflegte. Die Alpkuh weiß jede Staude, jede Pfütze, kennt genau die besseren Grasplätze, weiß die Zeit des Melkens, kennt von fern die Lockstimme des Hüters und naht ihm zutraulich, weiß, wann sie Salz bekommt, wann sie zur Hütte oder zur Tränke muß, spürt das Nahen des Unwetters, unterscheidet genau die Pflanzen, welche ihr nicht zusagen, bewacht und beschützt ihr Junges und meidet achtsam gefährliche Stellen. Letzteres aber geht bei aller Vorsicht doch nicht immer gut ab. Der Hunger drängt oft zu den noch unberührten, aber fetten Nasenstellen, und indem sich die Kuh über die Geröllhalde bewegt, weicht der lockere Grund, und sie beginnt bergab zu gleiten. Sowie sie bemerkt, daß sie selber sich nicht mehr helfen kann, läßt sie sich auf den Bauch nieder, schließt die Augen und ergibt sich ruhig in ihr Schicksal, indem sie langsam fortgleitet, bis sie in den Abgrund stürzt oder von einer Baumwurzel aufgehalten wird, an der sie gelassen die hülfreiche Dazwischenkunft des Sennen abwartet.

Sehr ausgebildet ist namentlich bei dem schweizerischen Alprindvieh jener Ehrgeiz, welcher das Recht des Stärkeren mit unerbittlicher Strenge handhabt und danach eine Rangordnung aufstellt, der alle sich fügen. Die Heerkuh, welche die große Schelle trägt, ist nicht nur die schönste, sondern auch die stärkste der Herde und nimmt bei jenem Umgange unabänderlich den ersten Platz ein, indem keine andere Kuh es wagt, ihr voranzugehen. Ihr folgen die stärksten Häupter, gleichsam die Standespersonen der Herde. Wird ein neues Stück hinzugekauft, so hat es unfehlbar mit jedem Gliede der Genossenschaft einen Hörnerkampf zu bestehen und nach dessen Erfolgen seine Stelle im Zuge einzunehmen. Bei gleicher Stärke setzt es oft böse, hartnäckige Zwiegefechte ab, da die Thiere stundenlang nicht von der Stelle weichen. Die Heerkuh, im Vollgefühle ihrer Würde, leitet die wandernde Herde, geht zur Hütte voran, und man hat oft bemerkt, daß sie, wenn sie ihres Ranges entsetzt und der Vorschelle beraubt wurde, in eine nicht zu besänftigende Traurigkeit fiel und ganz krank wurde.

Bei jeder großen Alpenviehherde befindet sich ein Zuchtstier, welcher sein Vorrecht mit sultanischer Ausschließlichkeit und ausgesprochenster Unduldsamkeit bewacht; es ist selbst für den Sennen nicht rathsam, vor seinen Augen eine rindernde Kuh von der Sente zu entfernen. In den öfters besuchten tieferen Weiden dürfen nur zahme und gutartige Stiere gehalten werden; in den höheren Alpen trifft man aber oft sehr wilde und gefährliche Thiere. Da stehen sie mit ihrem gedrungenen, markigen Körperbau, ihrem breiten Kopf mit krausem Stirnhaare am Wege und messen alles fremdartige mit stolzen, jähzornigen Blicken. Besucht ein Fremder, namentlich in Begleitung eines Hundes, die Alp, so bemerkt ihn der Herdenstier schon von weitem und kommt langsam mit dumpfem Gebrüll heran. Er beobachtet den Menschen mit Mißtrauen und Zeichen großen Unbehagens, und reizt ihn an der Erscheinung desselben zufällig etwas, vielleicht ein rothes Tuch oder ein Stock, so rennt er geradeaus mit tief gehaltenem Kopfe, den Schwanz in die Höhe geworfen, in Zwischenräumen, wobei er öfters mit den Hörnern Erde aufwirft und dumpf brüllt, auf den vermeintlichen Feind los. Für diesen ist es nun hohe Zeit, sich zur Hütte, hinter Bäume oder Mauern zu retten; denn das gereizte Thier verfolgt ihn mit der hartnäckigsten Leidenschaftlichkeit und bewacht den Ort, wo es den Gegner vermuthet, oft stundenlang. Es wäre in solchem Falle thöricht, sich vertheidigen zu wollen. Mit Stößen und Schlägen ist wenig auszurichten, und der Stier läßt sich eher in Stücke hauen, ehe er sich vom Kampfe zurückzieht.

Die festlichste Zeit für das Alpenrindvieh ist ohne Zweifel der Tag der Alpfahrt, welche gewöhnlich im Mai stattfindet. Jede der ins Gebirge ziehenden Herden hat ihr Geläute. Die stattlichsten Kühe erhalten, wie bemerkt, die ungeheuren Schellen, welche oft über einen Fuß im Durchmesser halten und vierzig bis funfzig Gulden kosten. Es sind die Prunkstücke des Sennen; mit drei oder vier solchen in harmonischem Verhältnis zu einander stehenden läutet er von Dorf zu Dorfe seine Abfahrt ein. Zwischen hineintönen die kleinen Erzglocken. Trauriger als die Alpfahrt ist für Vieh und Hirt die Thalfahrt, welche in ähnlicher Ordnung vor sich geht. Gewöhnlich ist sie das Zeichen der Auflösung des familienartigen Herdenverbandes.«

[439] Solches Herdentreiben ist sozusagen die Dichtung im Rinderleben. In den meisten übrigen Ländern hat das gute Hausthier kein so schönes Loos. In Deutschland genießt es bloß in den Gebirgen und in den nördlichen Marschgegenden während des Sommers eine mehr oder weniger beschränkte Freiheit. Die Herden im Thüringer Walde erinnern noch lebhaft an jene, welche auf den Alpenweiden. In keiner größeren Waldung dieses lieblichen Gebirges wird man die Rinder vermissen. Jede Herde besitzt ihr eigenes vollstimmiges Geläute, und gerade in ihm suchen die Hirten ihren größten Stolz. Es gibt gewisse Tonkünstler, die Schellenrichter, welche im Frühjahre von Dorf zu Dorfe ziehen, um das Geläute zu stimmen. Jede Herde muß wenigstens acht verschiedene Glocken haben, welche großer, mittler und kleiner Baß, Halbstampf, Auchschell, Beischlag, Lammschlag und Gitzer genannt werden. Man hat beobachtet, daß die Rinder das Geläute ihrer Herde genau kennen und verirrte Kühe durch dasselbe sich zurückfinden. Die Thiere weiden während des ganzen Sommers im Walde; erst im Späthherbste stallt man sie ein.

In dem Alpenlande Norwegen lebt das Rindvieh in ähnlichen Verhältnissen wie in der Schweiz. Das norwegische Rind ist abgehärtet, wie alle Hausthiere dort es sind, und treibt sich sehr viel im Freien umher; immer aber kehrt es abends in seinen warmen Stall zurück. Das Leben auf dem Hochgebirge in den Sennerwirtschaften hat sicherlich für Menschen und Thiere dieselben Reize wie das Hirten- und Herdenleben in den eigentlichen Alpen; aber nicht alle Kühe genießen die liebevolle Pflege der schmucken und reinlichen Sennerinnen, welche das Gebirge des Nordens anmuthigerweise beleben. In den Waldgegenden z.B. läßt man die Thiere ohne Aufsicht umherstreifen, und da kommt es oft genug vor, daß ein Stück tagelang verirrt in den Wäldern umherstreift, mühselig durch Sumpf und Moor sich arbeitet und nur im günstigsten Falle wieder zu den Menschen kommt, abgemattet, mager, halb verhungert. Auch die bösen Mücken schaffen dem Vieh während der Hochsommermonate arge Plage und zwingen den Besitzer zu denselben Maßregeln, wie die Dinka sie ergreifen. Auf den nördlichen Weiden Norwegens zündet man allnächtlich Torffeuer an, um den zur Vertreibung der Mücken dienenden Rauch zu erzeugen und den an diese Art von Räucherung gewöhnten Rindern zu der nöthigen Ruhe zu verhelfen. Im höchsten Norden ist namentlich der Winter eine schlimme Zeit für das Rindvieh. Der kurze Sommer Norlands und Lapplands kann nicht genug Winterfutter erzeugen; deshalb füttert man im Winter nicht bloß Heu und Stroh, Laub und Birkenzweige, Renthiermoos und Pferdemist, Meerespflanzen, Algen und dergleichen, sondern auch Fische und namentlich die Köpfe der Dorsche, welche man gerade zur Zeit des Futtermangels in großen Mengen fängt. Diese Fischköpfe, nebst Tangen aller Art und Moosen, werden in einem Kessel so lange gekocht, bis die Knochen weich oder zur Gallerte werden; dann schüttelt man die breiige Masse den Kühen vor, und diese fressen die ihnen so unnatürliche Nahrung mit Begierde. Die Bewohner der Lofodden haben mich versichert, daß man die Gerüste, auf denen die Dorsche getrocknet werden, vor den Kühen bewahren müsse, weil diese ohne Umstände an den halbtrockenen Fischen sich satt zu fressen pflegen.

In den meisten übrigen Ländern Europas ist das Rindvieh ein trauriger Sklave des Menschen; in Spanien dagegen kommt zwar nicht das Rind, wohl aber der Ochse zur Geltung. Er genießt hier eine Achtung, wie sie einem indischen Zebu zu theil werden mag; er kann sich zum Helden des Tages emporschwingen und unter Umständen weit mehr Theilnahme erregen als alles übrige, was den Spanier näher angeht. Dieser hat für die Schönheiten eines Stieres ein besonderes Auge; er prüft und schätzt ihn wie bei uns ein Kundiger ein edles Pferd oder einen guten Hund. Nicht einmal an einem frommen Zugstiere geht er gleichgültig vorüber; gegen ein viel versprechendes Kalb zeigt er sich sogar zärtlich. Dies hat seinen Grund darin, daß ebensowohl die Spanier, welche ihr ursprüngliches Vaterland, als diejenigen, welche die Neue Welt bewohnen, leidenschaftliche Freunde von Schauspielen sind, wie sie wohl die alten Römer aufführten, nicht aber gebildete und gesittete Völker leiden mögen, und daß man jeden vor das Auge kommenden Stier darauf hin ansieht, ob und wie viel er wohl bei einer Stierhatze oder einem Stiergefechte zu leisten vermöge.

[440] Die Stierhatzen sind Vergnügungen, welche einen Sonntagsnachmittag in erwünschter Weise ausfüllen und der Menge erlauben, thätig mit einzugreifen; bei den Stiergefechten kämpfen geübte Leute, die Toreros, falls nicht junge vornehme Nichtsthuer als besonderen Beweis ihrer Gesittung ein solches Schauspiel veranstalten, d.h. das Amt der Stierkämpfer übernehmen.

Die Stierhatzen werden auf den Märkten der Städte abgehalten. Alle nach dem Platze führenden Straßen sind durch ziemlich feste Holzplanken abgesperrt. Einer dieser Abschlüsse dient als Eingang, und hier entrichtet jeder Eintretende eine gewisse Summe. Ein Kaufmann in Játiva de San Felipe hatte uns gelegentlich einer Stierhatze zu sich eingeladen, weil wir von seinem Hause aus den ganzen Marktplatz übersehen konnten. Wir genossen ein sehr eigenthümliches Schauspiel. Die Hausthüren waren geschlossen, alle Erker aber geöffnet und gedrängt voll Menschen; insbesondere die Frauen nahmen den lebhaftesten Antheil. In der Mitte des Marktes erhob sich ein Gerüst für die Musik, welche um so lauter spielte, je toller der Lärm wurde. Der ganze Markt war voll von Menschen. Ich konnte mir gar nicht erklären, wo sie hergekommen und wohin sie sich zurückziehen wollten, wenn der Held des Tages auf dem Platze erscheinen würde. Man sah wohl einige Gerüste aufgeschlagen; aber diese konnten doch unmöglich die Menschenmenge fassen, welche jetzt auf dem Markte umherwogte. Und doch war es nicht anders. Einige Schläge an die Thüre des Gehöftes, in welchem sich die Stiere befanden, benachrichtigten von dem baldigen Erscheinen des vierfüßigen Schauspielers. Augenblicklich stob die Masse auseinander. Alle Gerüste, oder vielmehr die Pfahl- und Breterverbindungen waren im Nu bis oben hinauf mit Menschen besetzt. Wie Affen hockten die Leute übereinander. Unten auf der Erde, unter den Gerüsten, lag die liebe Jugend auf dem Bauche. An manchen Häusern waren andere Vorrichtungen getroffen worden, um geschützte Plätze gegen den herannahenden Ochsen zu erhalten. Man hatte drei bis fünf starke Stäbe oder Bohlen in Seile eingebunden und letztere an den Erkern befestigt. Die Bohlen waren so schmal, daß eben nur ein Fuß darauf Platz fand, genügten aber, wie ich bald sah, vollständig zum Ausweichen. Von oben herab hingen so viele Leinen, als möglicherweise Leute auf diesen Schieferdeckergerüsten Platz finden konnten. Die Leinen waren von Fuß zu Fuß Entfernung in Knoten geschlungen und dienten zum rascheren und sicheren Erklettern des Gerüstes sowie zum Sichfesthalten da oben. Andere Zuschauer hatten auf den Bänken, welche man hier und da in den Hausthüren sieht, Platz genommen, andere standen in den Thüren, immer bereit, dieselben augenblicks zu schließen, wieder andere hatten die Thore mittels schwerer Tafeln befestigt. An dem Gerüste, auf welchem die Musikbande thronte, hingen noch außerdem über hundert Menschen, und es brach deshalb später auch glücklich zusammen.

Jetzt öffneten sich die Flügelthüren des Gehöftes. Der Gegenstand der allgemeinen Verehrung und Unterhaltung, ein zünftiger Ochse, stürmte heraus. Augenblicklich saßen alle Menschen auf ihren schwebenden Gerüsten. Die achtbare Versammlung begrüßte den herausgetretenen Stier mit endlosem Gebrüll. Verwundert sah der Ochse sich um. Die bunte Menschenmenge, der ungewohnte Lärm machten ihn stutzig. Er stampfte mit dem Fuße und schüttelte das Haupt, die gewaltigen Hörner zu zeigen, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Das verdroß die Leute natürlich. Die Frauen schimpften und schwenkten ihre Tücher, nannten entrüstet den Ochsen ein erbärmliches Weib, eine elende Kuh; die Männer gebrauchten noch ganz andere Kraftworte und beschlossen endlich, den faulen Gesellen in Trab zu setzen. Zuerst sollten Mißklänge aller Art ihn aus seiner Ruhe schrecken. Man war erfindungsreich im Hervorbringen eines wahrhaft entsetzlichen Lärmes, pfiff auf wenigstens zwanzigfach verschiedene Weise, schrie, kreischte, klatschte in die Hände, schlug mit Stöcken auf den Boden, an die Wände, an die Thüren, zischte, als ob Schwärmer in Brand gesetzt würden; man schwenkte Tücher, schwenkte von neuem: der Ochse war viel zu sehr verwundert und stand nach wie vor unbeweglich. Ich fand dies ganz natürlich. Sein Fassungsvermögen war eben schwach, und wenn es auch sonst bei derartigen Geistern gewöhnlich nicht lange dauert, um zu begreifen, daß man selbst als Ochse der Held des Tages sein kann, schien unser Stier doch noch [441] nicht in die ihm gewidmeten Ehrenbezeigungen sich finden zu können. Zudem war die Lage des guten Thieres wirklich ungemüthlich. Ueberall Menschen, von denen man nicht wissen konnte, ob sie verrückt oder bei Verstande waren, und aus diesem allgemeinen Irrenhause keinen Ausweg: das mußte selbst einen Ochsen zum Nachdenken bringen.

Aber solches Nachdenken sollte gestört werden. Spaniens edles Volk wollte mit dem Ochsen sich unterhalten, verbrüdern. Man griff deshalb zu anderen Mitteln, um den erstaunten Stier zu stören. Langsam öffnete sich eine Thür; ein langes, am vorderen Ende mit spitzigen Stacheln bewehrtes Rohr wurde sichtbar; weit schob es sich heraus, endlich erschien auch der Mann, welcher es am anderen Ende festhielt. Bedächtig richtete und lenkte er besagtes Rohr: ein furchtbarer Stoß nach dem Hintertheile des Ochsen wurde vorbereitet und ausgeführt, gelang auch, doch ohne die gehoffte Wirkung. »Toro« hatte den Stoß für einen Mückenstich gehalten. Er schlug zwar wüthend nach hinten aus, das stechlustige Kerbthier zu vertreiben, blieb aber stehen. Neue Mittel ersann man; sogar das Parallelogramm der Kräfte wurde in Anwendung gebracht: von zwei Seiten zielte und stieß man zu gleicher Zeit nach dem Hintertheile des Stieres. Das trieb ihn endlich einige Schritte vorwärts. Jetzt brachten Stachelbolzen, welche man aus Blasröhren nach seinem Felle sandte, ihm zugeworfene Hüte, vorgehaltene Tücher und das bis zum äußersten gesteigerte Brüllen die gewünschte Wirkung hervor. Todesmuthig, zitternd vor Wuth, stürmte das Thier an einer Seite des Marktplatzes hinauf und fegte dieselbe gründlich rein, – aber nur für einen Augenblick; denn kaum war der Stier vorüber, so war auch die Menge wieder von ihren schwebenden Sitzen herunter und rannte ihrem Lieblinge nach.

Man benahm sich nicht bloß dreist, sondern wirklich frech. Wenn der Stier längs der Häuser dahintobte, faßten ihn einige der verwegensten Gesellen auf Augenblicke an den Hörnern, traten ihn andere von oben herab mit Füßen, stellten sich andere auf kaum mehr als zehn Schritte vor ihn hin und reizten ihn auf alle denkbare Weise, waren aber, wenn der Stier auf sie losstürzte, immer noch geschwind genug, eines der Gerüste zu erklettern. Die meisten bewiesen Muth, einige aber waren doch recht feig. Sie stachen durch kleine Löcher in den Hausthüren hindurch oder machten nur Lärm, wie ein Mann, welcher unsere Verachtung im reichsten Maße auf sich zog, weil er bloß die Thüre öffnete, mit der Hand oder dem Stocke daranschlug, sie aber, sowie der Stier die geringste Bewegung machte, schleunigst wieder verschloß. Während der Hatzen lernte ich einsehen, wie genau die Spanier ihren guten Freund kannten. So waren die untersten Planken, auf denen die Leute standen, kaum mehr als anderthalb Meter über den Boden erhöht, der Stier konnte sie also ganz bequem mit seinen Hörnern leer machen: er kam aber nie dazu; denn kurz vor seiner Ankunft faßten die auf solchen Planken Stehenden mit ihren Händen höhere Theile des Gerüstes, zogen die Beine an und erhielten sich so lange in der Schwebe, bis das wüthende Thier vorübergestürmt war.

Um zum Schlusse zu kommen: Sechs Stiere wurden durch Menschen und Hunde so lange auf dem Markte herumgehetzt, bis sie wüthend und später müde wurden. Dann war es für sie stets eine Erlösung aus allem Uebel, wenn der zahme Leitochse erschien, dem die Pflicht oblag, sie in ihre Ställe zurück zu bringen. Dieses Mal ging die Hatze ohne Unfall vor über, obgleich man wiederholt solchen fürchten mußte, namentlich als das erwähnte Gerüst zusammenbrach. Im ungünstigen Augenblick darf nur ein einziges Bret an den Gerüsten brechen, und ein Unglück ist vollendet. Bei einer der letzten Hatzen hatten zwei Menschen das Leben verloren. So etwas aber stört die Spanier keineswegs; selbst die Polizei thut nichts, um so ein trauriges Zwischenspiel – denn die Stierhatze wird nicht unterbrochen, wenn ein Paar Menschen dabei umkommen – zu verhüten. Hier begnügte sie sich, die auf wirklich unverantwortlich tollkühne Weise aufgestellten Leute weniger gefahrvollen Plätzen zuzutreiben; im übrigen wirkte sie selbst thätig mit.

Solche Hatzen sind einfache Sonntagsvergnügungen der Spanier, die Stiergefechte dagegen außerordentliche Feste, man darf wohl sagen, die größten des Jahres. In Madrid und in Sevilla [442] werden während der heißen Sommermonate bei gutem Wetter jeden Sonntag Stiergefechte aufgeführt, in den übrigen Städten des Landes nur einmal im Jahre, dann aber gewöhnlich drei Tage lang nach einander. Der Reisende, welcher sich längere Zeit in Spanien aufhält, kann solchem Schauspiele nicht entgehen. Ich beschreibe ein Stiergefecht, welchem ich in Murcia beiwohnte.

Schon in den ersten Nachmittagsstunden des festlichen Sonntags drängten sich die Menschen in den dahinführenden Straßen. Ueberfüllte Wagen aller Art kreuzten sich mit leeren, welche vom Platze zurückkehrten, um neue Schaulustige herbeizuführen. Am Eingange des Schauplatzes wogte die bunte Menge unter Fluchen und Toben durcheinander, obgleich die Thüren bereits seit mehreren Stunden geöffnet waren und die ärmeren Stadtbewohner sowie die hier wie überall geizigen Landleute schon seit Mittag ihre Plätze gewählt und besetzt hatten. Fünf Stunden lang mußten diese Erstlinge die furchtbare Sonnenglut aushalten, um dann während der Vorstellung Schatten zu haben, ertrugen jedoch alles gern, um nur das erhabene Schauspiel in Ruhe genießen zu können. Der Anblick des Amphitheaters war überraschend. Die Menschenmenge verschmolz zu einem bunten Ganzen, aus welchem nur die rothen Binden der Männer der Fruchtebene und die lebhaft gefärbten Halstücher der Frauen hervorstachen. Einige junge Leute schwenkten rothe Fahnen mit darauf gestickten Ochsenköpfen und anderen passenden, d.h. auf das Rindvieh bezüglichen Sinnbildern des Festes; viele waren mit Sprachröhren versehen, um den wüsten Lärm, welcher herrschte, noch vermehren, das Gekreisch und Gebrüll vervollständigen zu können.

Unsere anfangs noch den Sonnenstrahlen ausgesetzten Plätze befanden sich hart an der zum Stier zwinger führenden Thüre. Links vor uns hatten wir die Pforte, durch welche die Kämpfer hereintreten und die getödteten Thiere hinausgeschafft werden, rechts über uns war der Schausitz der Obrigkeit, dicht vor uns, bloß durch eine Planke getrennt, der Kampfplatz. Dieser mochte ungefähr sechzig oder achtzig Schritte im Durchmesser halten und war ziemlich geebnet, jetzt aber voller Pfirsichkerne und anderer Fruchtreste, welche man von oben herabgeworfen hatte und beständig noch herabwarf. Die Planke, welche anderthalb Meter hoch sein mochte, hatte an der inneren Seite in einer Höhe von einen halben Meter ziemlich breite Leisten, dazu bestimmt, den vor dem Stier fliehenden Kämpfern beim Ueberspringen Unterstützung zu gewähren. Zwischen dieser Umhegung und den Schauplätzen war ein schmaler Gang für die Toreros leer gelassen worden; hierauf folgten »in weiten, stets geschweiften Bogen« die für die Menge bestimmten Bänke, etwa zwanzig oder dreißig an der Zahl, auf diese Sitzreihen die gesperrten Plätze und auf sie endlich die Logenreihen, in denen man die Frauen der Stadt im höchsten Putze sehen konnte, und auf deren Dächern noch hunderte von Menschen, den Regenschirm gegen die Sonnenstrahlen ausgespannt, erwartend standen, wahrscheinlich, weil sie unten keine Sitze gefunden hatten. Erst beim Anblick dieser Menschenmenge wurde es glaublich, daß eine Arena zwölf- bis zwanzigtausend Menschen fassen kann.

Jeder Zuschauer that, was er von seinem Platze aus thun konnte, und die Bedeutung des Sprichwortes: »Er beträgt sich, wie auf dem Platze der Stiere« wurde uns einleuchtend. Nicht ein einziger saß ruhig, sondern bewegte wenigstens Arme, Regenschirm, Fächer, oft nach allen Richtungen hin, schrie aus vollem Halse, warf mit Früchten um sich, kurz, bemühte sich so viel als möglich, dem Viehe gleichzukommen.

Mit dem Schlage der bestimmten Stunde erschien der Alcalde in seiner reich verzierten, mit dem Wappen der Stadt geschmückten Loge. Die großen Thore öffneten sich, und die Toreros traten herein. Vor ihnen her ritt ein Alguazil in seiner uralten Amtstracht; auf ihn folgten die Espadas, Bandarilleros und Cacheteros, hierauf die Picadores und zuletzt ein Gespann mit drei reichgeschmückten Maulthieren. Die Fechter trugen enge, überreich gestickte Kleider und darüber rothe, mit Goldschmuck überladene Sammetmäntel; die kurze Jacke war förmlich mit Gold und Silber überdeckt, weil man nicht allein die Schultergegend mit dicken Goldtroddeln verziert, sondern auch dicke Silberplatten, welche Edelsteine umfaßten, darauf geheftet hatte. Die schwarzen Käppchen, welche aller[443] Köpfe bedeckten, waren aus dickem Wollzeuge eigenthümlich gewebt; die Bekleidung der Füße bestand aus leichten Schuhen mit silbernen Schnallen. Die Bandarilleros trugen anstatt der Mäntel buntfarbige, wollene Tücher über dem Arme. Ganz abweichend waren die Picadores gekleidet. Nur die Jacken waren ebenso kostbar gestickt wie bei den übrigen; die Beinkleider aber bestanden aus dickem Leder und waren über schwere, eiserne Schienen gezogen, welche die Unterschenkel und die Füße sowie den rechten Oberschenkel umhüllten; auf dem Haupte saßen breitkrempige, mit buntfarbigen Bandrosen verzierte Filzhüte. Diese Leute ritten erbärmliche Klepper, alterschwache Pferde, welche sie mit einem wirklich furchtbaren Sporn am linken Fuße antrieben, und saßen in Sätteln mit hohen Rückenlehnen und überaus schweren, wie grobe Holzschuhe gestalteten eisernen Steigbügeln. Alle Fechter trugen dünne Haarzöpfe von größerer oder geringerer Länge.

Der Zug der hereingetretenen Männer bewegte sich nach der Loge des Alcalden, verbeugte sich vor diesem und grüßte sodann die schauende Menge. Hierauf rief der Alguazil einige Worte, welche aber von ungeheurem Gebrüll der Zuschauer vollkommen verschlungen wurden, zum Manne des Gesetzes hinauf, um sich dessen Genehmigung zu Beginn der Vorstellung zu erbitten. Der Alcalde erhob sich und warf dem Alguazil den Schlüssel zum Stierzwinger zu. Dieser fing denselben auf, ritt zu der Thüre des Zwingers und gab ihn einem dort stehenden Diener, welcher die Thüre aufschloß, aber nicht öffnete. Die Espadas warfen ihre Mäntel ab, hingen sie an der Umplankung auf, ordneten ihre Degen und nahmen, wie die Bandarilleros, bunte Tücher zur Hand; die Picadores ritten zu einem besonderen Beamten, welcher Quäl- und Schlachtwerkzeuge bewahrte, und erbaten sich von diesem Lanzen, drei bis vier Meter lange, runde, etwa vier Centimeter im Durchmesser haltende Stangen, an deren einem Ende eine kurze, dreischneidige, sehr scharfe Spitze befestigt ist, aber nur soweit hervortritt, als sie in das Fleisch des Stieres eindringen soll. Nachdem sie ihre Waffen empfangen hatten, waren alle zum Beginn des Gefechtes nöthigen Vorbereitungen beendet.

Es läßt sich nicht verkennen, daß bis jetzt das Schauspiel etwas großartiges und theilweise auch anziehendes hatte; von jetzt aber sollte es anders kommen. Bisher hatte man es noch mit Menschen zu thun gehabt; von nun an aber trat das Vieh in seine Rechte.

Man öffnete die Thüre des Stalles, um dem eingepferchten Stiere einen Ausweg zu verschaffen. Der Stier war vorher regelrecht in Wuth versetzt worden. Der Stierzwinger ist ein breiter Gang mit mehreren kleinen, gemauerten oder aus Holz bestehenden Kämmerchen, in welche je ein Stier getrieben wird, oft mit großer Gefahr und Mühe, hauptsächlich durch Hülfe der zahmen Ochsen, welche gegen ihre wilden Brüder ähnlich verfahren wie die zahmen Elefanten gegen die frischgefangenen. In seinem Kämmerchen nun wird der zum Kampfe bestimmte Stier erst stundenlang mit einem Stachelstock gepeinigt oder, wie der Spanier sagt, »gestraft«. Die Spitzen sind nadelfein, so daß sie wohl durch die Haut dringen und Qualen verursachen, aber kaum Blutverlust hervorrufen. Man kann sich denken, wie sehr sich die Wuth des gefangenen Thieres, welches sich nicht einmal in seinem Kämmerchen umdrehen kann, steigert und mit welchem Grimm es ins Freie stürzt, sobald ihm dazu Gelegenheit sich bietet.

Sofort nach dem Oeffnen des Zwingers erschien der erste der Verdammten:


»Ein Sohn der Hölle schwarz und wild,

Unbänd'ger Kraft ein schaurig Bild;

Dumpf drang aus seiner Brust die Stimme,

Er schnaubte wild im Rachegrimme«.


Um ihn noch mehr in Wuth zu versetzen, hatte man ihm eine Minute vorher die sogenannte »Devise«, eine große buntfarbige Bandrose, mittels einer eisernen Nadel mit Widerhaken durch Haut und Fleisch gestochen und damit die vorhergehenden Qualen würdig beschlossen. Beim Heraustreten stutzte er einen Augenblick, nahm sodann sofort einen der Bandarille ros an und stürzte gesenkten Hauptes auf diesen los. Der Fechter empfing ihn mit der größten Ruhe, hielt ihm das Bunttuch [444] vor und zog sich sodann gewandt zurück, um ihn einem der Picadores zuzuführen. Diese saßen mit vorgehaltenen Lanzen unbeweglich auf ihren Pferden, denen sie, weil sie die wüthenden Stiere immer von der rechten Seite auflaufen ließen, das rechte Auge verbunden hatten, oder ritten den Stieren höchstens einige Schritte entgegen, um sie dadurch zum Angriffe zu reizen. Ihre Aufgabe war es, den Stier von den Pferden abzuhalten; allein die armen, altersschwachen, dem Tode geweihten Mähren besaßen selten genug Widerstandsfähigkeit, um dem Stoße des Picador den erforderlichen Nachdruck zu verleihen, und wurden deshalb regelmäßig das Opfer des anstürmenden Feindes. Wenn der Stier vor einem Reiter angekommen war, blieb er eine Zeitlang unbeweglich stehen, stampfte mit den Vorderfüßen den Boden und schleuderte den Sand hinter sich, schlug mit dem Schweife, rollte die Augen, senkte plötzlich den Kopf und rannte auf das Pferd los, dabei aber mit seiner vollen Kraft in die vorgehaltene Lanze, welche der Picador nach seinem Nacken gerichtet hatte. Pferd und Reiter wurden durch den Stoß des Stieres zurückgeschleudert, beide aber blieben diesmal unversehrt. Brüllend vor Schmerz und Wuth zog sich der Angreifer zurück und schüttelte den blutigen, von der Pike weit aufgerissenen Nacken. Dann stürzte er sich von neuem auf die vor ihm hergaukelnden Fußfechter, deren Mäntel ihn in immer größere Wuth versetzten, oder auf einen anderen Picador. Beim zweiten Anlaufe gelang es ihm fast immer, bis zu dem Pferde vorzudringen, und dann bohrte er im selben Augenblicke die spitzigen Hörner tief in den Leib des letzteren. Glücklich für das gefolterte Thier, wenn der erste Stoß in die Brust gedrungen und tödtlich war; wehe ihm, wenn es nur eine klaffende Wunde in das Bein oder in den Unterleib erhalten hatte! Wenn auch ein Stier dem Pferde den Unterleib aufgeschlitzt hatte und die Gedärme herausquollen oder selbst auf der Erde nachschleppten, so daß das gepeinigte edle Geschöpf mit seinen eigenen Hufen auf ihnen herumtrat: seine Marter war dann noch nicht beendigt. Die Picadores zerstießen mit ihren Lanzen die nachschleppenden Eingeweide, damit deren Inhalt ausfließen sollte, oder die Pferde traten jene selbst ab, und von neuem trieben die Reiter sie dem Stiere entgegen. Am ganzen Leibe zitternd, die Lippen krampfhaft bewegend, standen die Pferde und erwarteten einen zweiten, dritten Angriff des wüthenden Stieres, bis der herannahende Tod ihrer Qual ein Ende machte. Hingemartert brachen sie zusammen; die Picadores schleppten sich schwerfällig bis zur Umplankung und erschienen nach einiger Zeit auf einem neuen Pferde wiederum auf dem Kampfplatze. Wenn die gefallenen Pferde noch etwas Leben zeigten, wurden sie geschlagen und gemartert, in der Absicht, sie nach dem gemeinschaftlichen Todtenbette zu schaffen. Dort wurden ihnen, während die Bandarilleros den Stier auf einer anderen Seite beschäftigten, die Sättel abgerissen, und wenn es anging, schlug, stieß, schob und zog man sie von neuem, um sie von dem Platze zu bringen; denn nur ein todt zusammengestürztes oder wenigstens schon mehr als halbtodtes Pferd ließ man ruhig auf der Walstatt liegen.

Bei jedem gut abgewiesenen Anlaufe des Stieres spendeten die Zuschauer dem Picador, bei jeder Verwundung, welche ein Pferd erhielt, dem Stiere Beifall. Stimmen der empörendsten Gefühllosigkeit wurden laut: »Geh', Pferd, nach dem Krankenhause und laß dich dort heilen! Sieh, Pferdchen, welch einen Stier du vor dir hast! Weißt du jetzt, mit wem du es zu thun hattest?« Solche und ähnliche Worte vernahm man, und rohes Gelächter begleitete solche Ausrufe. Je tiefer die Verwundung eines Pferdes war, um so stürmischer erbrauste der Beifall des Volkes; mit wahrer Begeisterung aber begrüßte man die Niederlage eines Picador. Während des ganzen Gefechtes geschah es mehrere Male, daß einer dieser Leute sammt seinem Pferde von dem Stiere zu Boden geworfen wurde. Einer derselben stürzte mit dem Hinterkopfe gegen die Holzwand, daß er für todt vom Platze getragen wurde, kam aber mit einer Ohnmacht und einer leichten Schramme über dem Auge davon. Ein zweiter erhielt eine bedeutende Verrenkung des Armes und wurde dadurch für die nächste Zeit kampfesunfähig. Den ersteren würde der Stier ebenso wie sein Pferd getödtet haben, hätten die Fußfechter nicht die Aufmerksamkeit des gereizten Thieres durch ihre Tücher auf sich gelenkt und es dadurch von jenem abgezogen.

[445] So dauerte der erste Gang des Gefechtes ungefähr funfzehn Minuten oder länger, je nach der Güte, d.h. je nach der Wuth des Stieres. Je mehr Pferde er tödtete oder tödtlich verwundete, umsomehr achtete man ihn. Die Picadores kamen oft in Gefahr, wurden aber immer durch die Fußfechter von dem Stiere befreit; diese selbst entflohen im Nothfalle durch rasches Ueberspringen der Umplankung. Ihre Gewandtheit war bewunderungswürdig, ihre Tollkühnheit überstieg allen Glauben. Der eine Fechter faßte den Stier beim Schwanze und drehte sich mit ihm mehrere Male herum, ohne daß das hierdurch in Raserei versetzte Thier ihm etwas anhaben konnte. Andere warfen, wenn der Stier sie schon fast mit den Hörnern erreicht hatte, ihnen noch geschwind das Tuch über die Augen und gewannen so immer noch Zeit zum Entfliehen.

Nachdem der Stier genug Pikenstöße empfangen hatte, gab ein Trompetenstoß das Zeichen zum Beginne des zweiten Ganges. Jetzt nahmen einige Fußfechter die Bandarillas zur Hand. Die Picadores verließen den Kampfplatz, die übrigen behielten ihre Tücher bei. Die Bandarilla ist ein starker, ungefähr 75 Centimeter langer, mit Netzen bekleideter Holzstock, welcher vorn eine eiserne Spitze mit Widerhaken hat. Jeder Bandarillero ergriff zwei dieser Quälwerkzeuge, reizte den Stier und stieß ihm, sowie derselbe auf ihn losstürzte, beide Bandarillas gekreuzt in den durch die Pikenstöße zerfleischten Nacken. Vergeblich versuchte der Stier sie abzuschütteln, und immer höher steigerte sich seine Wuth. Im grimmigsten Zorne nahm er den zweiten und den dritten Bandarillero auf. Jedesmal erhielt er neue Bandarillas, ohne jemals den Mann erreichen zu können, welcher sofort nach dem Stoße gewandt zur Seite sprang. Binnen fünf Minuten war ihm der Nacken mit mehr als einem halben Dutzend Bandarillas gespickt. Beim Schütteln schlugen dieselben klappernd an einander und bogen sich allgemach zu beiden Seiten herab, blieben aber stecken.

Ein neuer Trompetenstoß eröffnete den dritten Gang. Der erste Espada, ein echtes Bravogesicht, schritt auf den Alcalden zu, verneigte sich und brachte ihm und der Stadt ein Hoch. Dann nahm er ein rothes Tuch in die linke, die Espada in die rechte Hand, ordnete Tuch und Waffe und trat dem Stiere entgegen. Den langen, spitzigen und starken zweischneidigen Degen, welcher ein Kreuz und einen sehr kleinen Handgriff hat, faßte er so, daß die drei hinteren Finger in dem Bügel staken, der Zeigefinger auf der Breitseite des Degens und der Daumen auf dem Handgriffe lag. Das Tuch breitete er über einen Holzstock aus, an dessen Ende es durch eine Stahlspitze festgehalten wurde. Mit dem Tuche reizte er den Stier, bis dieser auf ihn losstürzte; aber nur dann, wenn das Thier in günstiger Weise anlief, versuchte er, ihm einen Stoß in den Nacken zu geben. Gewöhnlich ließ er den Stier mehrere Male anlaufen, ehe er überhaupt zustieß. Bei einem Stiere gelang es ihm erst mit dem dritten Stoße, die geeignete Stelle hart am Rückgrate zwischen den Rippen zu treffen; die früheren Stöße waren durch die Wirbelkörper aufgehalten worden. Nach jedem Fehlstoße ließ der Mann die Espada stecken und bewaffnete sich mit einer anderen, während der Stier die erstere durch Schütteln abwarf. Wenn der Stoß gut gerichtet war, senkte sich der Degen bis zum Hefte in die Brusthöhle und kam gewöhnlich unten wieder zum Vorscheine. Sofort nach dem tödtlichen Stoße blieb der Stier regungslos stehen; ein Blutstrom quoll ihm aus Maul und Nase; er ging einige Schritte vorwärts und brach zusammen. Nunmehr näherte sich der Cachetero oder Matador, stieß dem sterbenden Thiere einen breiten Abfänger ins Genick und zog die Bandrose aus dem Nacken.

Beifallsgebrüll der Zuschauer vermischte sich mit rauschender Musik. Die breite Pforte öffnete sich, um das Gespann der Maulthiere einzulassen, welche den Stier mittels eines zwischen und um die Hörner gewundenen, am Zugholze befestigten Strickes in vollem Rennen zum Thore hinausschleiften. Hierauf wurden die gefallenen Pferde in eben derselben Weise fortgeschafft, die Blutlachen mit Sand bestreut, sonstige Vorkehrungen für das zweite Gefecht getroffen.

Ein zweiter, dritter, sechster Stier erschien auf dem Kampfplatze. Der Gang des Gefechtes war bei allen derselbe, nur mit dem Unterschiede, daß der eine mehr, der andere weniger Pferde tödtete, daß dieser erst mit dem zehnten, jener mit dem ersten Degenstoße zu Boden fiel. Bei solchem [446] Heldenstück wollte das Brüllen der Zuschauer kein Ende nehmen. Der Espada selbst schnitt sich stolz ein Stück Haut des Thieres ab und warf es laut jubelnd in die Luft. In den Zwischenpausen spielte die Musik oder brüllten die Zuschauer. Nach sechs Uhr war das Schauspiel beendet. Auf blutgetränktem Bette lagen zwanzig getödtete Pferde und der letzte der Stiere; die übrigen hatte man bereits fortgeschafft. Zehn oder zwölf mit Ochsen bespannte Karren hielten auf dem Platze, um die Mähren abzuräumen. Einzelne Pferde lebten noch, ohne daß eine mitleidige Hand sich gefunden hätte, ihrem Dasein ein Ende zu machen. Man schnitt ihnen, unbekümmert um ihr Röcheln und ihre Zuckungen, Mähnen und Schwänze ab; man lud sie endlich auf und überließ es ihnen, zu sterben, wo und wann sie könnten.

Es ist leicht erklärlich, daß solche öffentlich aufgeführte, von der Obrigkeit geduldete, ja geleitete Thierquälerei alle Leidenschaften aufstachelt. Die Stiergefechte sind ein deutlicher Beweis der geringen Bildung und Gesittung, welche gegenwärtig noch in Spanien herrschen. Die Pfaffen haben sich, nachdem die Autodafés nicht mehr ausgeführt werden dürfen, stets bemüht, wenigstens die Stiergefechte zu erhalten, weil sie wissen, daß sie, so lange jene abgehalten werden, ihre Herrschaft behaupten können oder, was dasselbe, weil die Menschen so lange roh und ungesittet bleiben werden. So lange die Spanier den gebildeten Völkern Europas nicht gleichstehen, wird man diese Tummelplätze der scheuslichsten Barbarei, der abscheulichsten und nichtswürdigsten Verhöhnung des Menschlichen im Menschen bestehen lassen.

Die Leidenschaft, mit welcher die Spanier den Stiergefechten beiwohnen, ist unglaublich groß. Nicht nur Männer schwärmen für diese fluchwürdigen Spiele, auch Frauen versäumen, wenn sie können, kein einziges, nehmen selbst ihre säugenden Kinder mit sich auf den Kampfplatz. Stierfechter erwerben sich gewöhnlich ein bedeutendes Vermögen und werden zu Helden des Tages, obgleich sie sonst in sehr geringer Achtung stehen; der reiche und vornehme Pöbel befreundet sich mit ihnen, obgleich sie der Hefe des Volkes angehören. Mehr noch als sie selbst bewundert man die Stiere; einzelne, welche viele Pferde tödteten, genießen jahrelangen Nachruf, und von ihnen her schreibt sich die Achtung, mit welcher die Spanier das Rindvieh überhaupt behandeln.

Nach dem vorhergegangenen brauche ich über das geistige Wesen des Hausrindes nicht viel zu sagen. Das Thier steht unzweifelhaft auf niederer Stufe, denn es ist neben dem Schafe das dümmste unserer Hausthiere. Seinen Pfleger lernt es kennen und in gewissem Grade lieben, gehorcht dem Rufe und folgt der Lockung, beweist auch eine gewisse Theilnahme gegen den, welcher sich viel mit ihm beschäftigt; Gewohnheit scheint aber mehr zu wirken als eigentliche Erkenntnis. »Alles geistige«, sagt Scheitlin, »tritt in den Rindern, welche mehr im Freien als im Stalle leben, schöner auf. Die Alpenkühe lernen ihren Fütterer schneller kennen, sind munter, freuen sich lebendiger, werden frischer vom Schellenklang, erschrecken weniger, kämpfen mit einander ritterlicher im Ernst und Scherz. Ihr Ehrgefühl ist aber schwach. Hat die eine die andere zurückgedrängt, so macht dies der überwundenen gar nichts: sie schämt und ärgert sich nicht, sondern trollt sich auf die Seite, senkt den Kopf und frißt wieder. Die Siegerin zeigt nicht den mindesten Stolz, nicht die Spur von Freude; auch sie fängt sogleich wieder zu grasen an. Die Heerkuh fühlt sich freilich größer als jede andere. Man erkennt dies aus ihrem feierlichen Schritt; auch gestattet sie nicht, daß irgend eine andere Kuh ihr vorausgehe. Der Stier ist viel vorzüglicher als die geistigste Kuh, hat weit mehr Körperkräfte, schärfere Sinne, mehr Kraftgefühl, Muth, Gewandtheit, Raschheit, schaut viel frischer in die Welt und sieht mit Verstand um sich, fühlt sich als gewaltiger Beschützer seiner Herde, geht auf den Feind los und kämpft wacker mit ihm. Einen fremden Bullen duldet er nicht bei seiner Herde, sondern streitet mit ihm auf Leben und Tod.«

Das Rind ist im zweiten Jahre seines Lebens zeugungsfähig. Paarungstrieb verräth die Kuh durch Unlust am Fressen und Saufen, durch Unruhe und vieles Brüllen. Die Brunst hält nur einen halben Tag an, kehrt aber, wenn die Lust nicht befriedigt wurde, oft wieder. Die Tragzeit währt in der Regel 285 Tage, kann jedoch erheblich länger oder kürzer sein. Das Kalb erhebt sich [447] bald nach seiner Geburt auf die Füße und saugt schon am ersten Tage seines Lebens. Die Ruh bemuttert es, bis sie wieder brünstig wird. Bei der Geburt bringt das junge Rind acht Schneidezähne mit auf die Welt, nach Vollendung des ersten Jahres wechselt es die beiden mittelsten, ein Jahr später die beiden diesen zunächststehenden, nach Verlauf des zweiten Jahres das dritte Paar und ein Jahr später endlich die beiden letzten. Mit dem fünften Lebensjahre gilben sich die anfänglich milchweißen Zähne, zwischen dem sechzehnten und achtzehnten beginnen sie auszufallen oder abzubrechen. Von dieser Zeit an gibt die Kuh keine Milch mehr, und der Stier ist zur Paarung kaum noch geeignet. Die Lebensdauer scheint fünfundzwanzig, höchstens dreißig Jahre nicht zu übersteigen.

Verschiedene Pflanzen im frischen und getrockneten Zustande, Wicken, Erbsen, junges Getreide und saftiges Gras sind die Lieblingsnahrung des Rindes. Schädlich werden ihm Flachs, Eibe, Wasserschierling, Läusekraut, Binsen, Froschlauch, Zeitlose, Wolfsmilch, Eisenhut, junges Eichenlaub und Wallnußblätter, nasser Klee und dergleichen. Petersilie, Sellerie, Lauch und Zwiebeln wirken der Milcherzeugung entgegen. Thymian, Saalbreit, Hahnfuß, Wegerich werden im Nothfalle, Früchte aller Art, Kartoffeln, Obst und Möhren leidenschaftlich gern gefressen; Salz ist Bedürfnis. Eine erwachsene Kuh bedarf etwa täglich zehn bis zwölf, ein Ochse funfzehn bis achtzehn Kilogramm Futter. Erstere verursacht dem, welcher alles Futter kauft, einen Kostenaufwand von etwa 200 Mark, bringt aber dafür etwa 250 Mark ein. Noch besser verwerthet der Landwirt das Rind, wenn er es mästet, und zumal in der Neuzeit erzielt man durch geeignete Fütterung außerordentliche Erfolge. Das Rind gilt mit Recht als das einträglichste aller Hausthiere.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 430-448.
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