Zebu (Bos Zebu)

[422] Obwohl merklich von ihm verschieden und ebenfalls in eine Reihe von Unterrassen zerfallend, müssen wir doch den Zebu- oder Höckerochsen (Bos Zebu) als ein ihm nahe stehendes Rind betrachten. Derselbe ist ungefähr ebenso groß, in der Regel aber verhältnismäßig stärker [422] und kurzbeiniger als der Sanga, das Ohr lang und hängend, das Gehörn auffallend kurz, die Färbung minder gleichmäßig, da das gewöhnlich vorkommende Roth- oder Gelbbraun häufig auch in Fahlgelb oder Weiß übergeht, wie auch gescheckte Zebus keineswegs selten sind.

Die meisten Naturforscher von Linné bis Darwin sehen in diesem Zebu eine eigene Rinderart, andere betrachten ihn wie den Buckelochsen bloß als Spielart des Hausrindes überhaupt. Für beider Artselbständigkeit spricht, daß einzelne Theile des Gerippes wesentlich von denen unseres Hausrindes abweichen, daß der Zebu beispielsweise einen Kreuz-und zwei Schwanzwirbel weniger hat als das gemeine Rind, sowie ferner, daß er, wie Blyth hervorhebt, auch in der Lebensweise nicht unerheblich sich unterscheidet, selten den Schatten sucht und nicht in das Wasser geht, um hier, wie die europäische Art, knietief zu stehen usw. Gleichwohl läßt sich, unserer gegenwärtigen Kenntnis entsprechend, hierüber nicht so leicht urtheilen, und die entgegengesetzte Meinung anderer Forscher, welche in dem Höcker- und in dem höckerlosen Rinde nur eine und dieselbe Art sehen, nicht ohne weiteres verwerfen. Woher aber stammt das afrikanische, wie das indische in so viele Spielarten und Rassen zerfallende Höckerrind? Welcher wilden Art haben wir seine Entstehung zu verdanken?


Zebu (Bos Zebu). 1/28 natürl. Größe.
Zebu (Bos Zebu). 1/28 natürl. Größe.

Auf diese Frage müssen wir zunächst noch die Antwort schuldig bleiben. Wohl wissen wir, daß der Zebu in einigen Theilen von Indien, vollkommen unabhängig von dem Menschen, in den Waldungen lebt und sich selbst in solchen aufhält, welche von Tigern bewohnt werden; man [423] zweifelt jedoch nicht, daß die betreffenden Wildlinge nichts anderes sind als dem Menschen entflohene und wiederum selbständig gewordene Thiere, und sucht bis jetzt wenigstens vergeblich nach einer Stammart, welcher man die meisten Rechte auf Erzeugung der Zeburassen zusprechen könnte. Möglicherweise ist der Gayal oder Gaur an der Stammvaterschaft des Zebu mehr betheiligt als es einstweilen glaublich erscheinen will; denn es läßt sich eigentlich kein Grund erkennen, weshalb in Indien und Südasien überhaupt, wo erwiesenermaßen mehrere Rinder noch wild leben, nun gerade der Stammvater ausgestorben sein sollte. Letzterer kreuzt sich, wie verschiedene Versuche mit aller Bestimmtheit dargethan haben, leicht mit den übrigen Hausthierrassen und erzeugt mit solchen Blendlinge, welche in den verschiedensten Verhältnissen des Blutes fruchtbar sind.

Verhältnismäßig leichter erscheint die Lösung der Frage über die Stammvaterschaft der höckerlosen, also unserer europäischen Rinderrassen zu sein, obgleich auch in diesem Falle von einer Erledigung der Frage nicht gesprochen werden kann. Nach Rütimeyer sollen drei verschiedene Wildstierarten an der Stammvaterschaft der bis jetzt unterschiedenen vierzig bis funfzig Rassen des in Europa lebenden Hausrindes betheiligt sein: erstens der Vorweltstier (Bos primigenius), welcher wahrscheinlich mit dem oben erwähnten Auer als gleichartig angenommen werden muß, zweitens der Langstirnstier (Bos longifrons) und der Breitstirnstier (Bos frontosus), deren Reste man in verschiedenen Theilen Europas gefunden hat. Von letzterem glaubt Nilson, daß er möglicherweise der Stammvater des norwegischen Bergrindes sein könnte; den Langstirnstier betrachtet man als den Urvater des in der ersten neueren Steinzeit in der Schweiz als Hausthier lebenden und später durch die Römer nach England übergeführten Hausrindes, den Vorweltstier oder Auer als Erzeuger der stärkeren Rassen des Festlandes. Daß letzterer die größte Anwartschaft hat, als Stammvater der meisten Rassen unseres Rindes angesehen zu werden, ergiebt die Vergleichung seines Schädels mit dem des Hausrindes.

Nach Rütimeyers Ansicht leben unmittelbare, wenn auch entartete Nachkommen des Vorweltstieres noch heutigen Tages in halbwildem Zustande in größeren Thierparken Nordenglands und Schottlands; wenigstens versichert der eben genannte Forscher nach sorgfältigen Vergleichungen der Schädel des Vorweltstieres und eines ihm vom Lord Tankerville gesandten Schädels des Parkrindes, daß letzteres von dem Vorweltstiere weniger abweicht als irgend eine andere Rasse. Gegen Rütimeyers Ansicht lassen sich, wie wir sehen werden, Einwände erheben; für dieselbe spricht das hohe Alter der Rasse, welche das Parkrind darstellt. Wie Youatt erwähnt, war ein der Beschreibung nach dem Parkrinde ganz ähnliches Thier bereits im zehnten Jahrhunderte in Wales vorhanden. Vierhundert Stück weiße Rinder mit rothen Ohren wurden dem Könige Johann gesandt, hundert Stück eben solche, laut einer alten Urkunde, zur Sühne irgend eines Vergehens gefordert. Nachweislich lebte damals das Thier noch in wildem Zustande in einem Urwalde, welcher sich quer über ganz Nordengland und Schottland von Chillingham bis Hamilton erstreckte und in den beiden Parken gleichen Namens an den Rändern besagten Urwaldes ebenso wie das Rind noch erhalten ist. Schon um das Jahr 1260 wurde auf Veranlassung Williams von Farrarns der Park Chartly in Staffordshire durch eine Umzäunung abgeschlossen, in der Absicht; das wilde Rind auf jener moorigen Waldstrecke zu erhalten. Dieses Beispiel fand um so mehr Nachahmung, je seltener das wilde Rind wurde; auch andere Großgrundbesitzer verfuhren in gleicher Weise, und so sah man das Parkrind bereits vor der Reformation nur noch in geschlossenen Gehegen, von denen fünf bis auf die neuere Zeit erhalten wurden und meines Wissens noch bestehen. Ludwig Beckmann, der geistvolle Beobachter und Maler der Thiere, welcher im Spätherbste des Jahres 1874 eines dieser Gehege besuchte, theilt mir darüber folgendes mit.

»In den prächtigen, meilenweiten Parks, welche die Sommerresidenz des Herzogs von Hamilton in Lanarkshire umgeben, befindet sich ein weites Gehege für gedachte Rinder. Die

[424] Landschaft erinnert sehr an die norddeutschen ›Huden‹: weite Rasenflächen, auf denen zahlreiche, mächtige Eichen unregelmäßig zerstreut sind; hier und dort deckt jüngerer Niederwald und Stockausschlag, über welchen die altersgrauen Strohdächer der Winter- und Fütterungsschuppen der Rinder malerisch hervorragen, weite Flächen. In unmittelbarer Nähe, an dem steil abfallenden Ufer des rauschenden Avon, liegen die Trümmer der alten Cadzonburg, welche dem jetzigen Rinderparke den Namen ›Cadzon-Forest‹ oder ›Cadzon-Wood‹ verliehen. Man behauptet, daß dieser Park mit seinen uralten, halb vermoderten Rieseneichen der letzte Ueberrest des ehemaligen kaledonischen Urwaldes sei, in welchem das Parkrind seit Urzeiten als wildes Thier gehauset haben soll. Ich habe nicht erfahren können, in welche Zeit die erste Einzäunung des Cadzonwaldes und die Umhegung seiner wilden Rinder fällt. Hector Boethius, der wohlbekannte schottische Geschichtschreiber, erwähnt dieses Rinderparkes in seiner im Jahre 1526 zu Paris erschienenen Geschichte Schottlands nicht, schildert aber in etwas abenteuerlicher Weise die unbändige Wildheit der vormals im kaledonischen Walde lebenden weißen Rinder, denen er eine flatternde Löwenmähne beilegt, und fügt hinzu, daß in den bergigen Geländen von Argyleshire und Norshire noch zu seiner Zeit ganze Herden ›ungezähmter Kühe‹ vorhanden waren. Die alte dichterische Auffassung vom weißen Bison mit der flatternden Mähne ist von späteren Schriftstellern festgehalten, unter anderen bekanntlich auch von Walter Scott mit großem Erfolge benutzt worden. Thatsache ist, daß das heutige Parkrind keine Mähne trägt, und in seiner ganzen äußeren Erscheinung auf den unbefangenen Beobachter gewiß eher den Eindruck einer sorgfältig rein gehaltenen, wohlgestalteten Spielart unseres Hausrindes als den eines ›Urrindes‹ macht. Schon die weiße Färbung dürfte für ein in dem milden Inselklima wild lebendes größeres Säugethier als ungewöhnlich betrachtet werden müssen; außerdem deutet das Ebenmaß der einzelnen Körperformen, der wagerechte Rücken, der hohe Ansatz des Schweifes und die Neigung und Entwickelung der faltenreichen Hautwamme alter Stiere, meiner Ansicht nach, auf eine seit langer Zeit bestandene Zähmung oder doch Beeinflussung seitens des Menschen. Das geschichtlich nachweisbar hohe Alter der Rasse gibt der Vermuthung Raum, daß dieselbe bereits in den heidnischen Vorzeiten, gleich den weißen Kühen der Hertha und den heiligen Stieren der Braminen, beim Götterdienste der Druiden eine Rolle spielten, und daß die oft erwähnten wilden weißen Bisons des kaledonischen Waldes möglicherweise nur die verwilderten Nachkommen jener heiligen Druidenrinder darstellen.

Im Parke von Hamilton mußte die altberühmte Zucht der Parkrinder im Jahre 1760 wegen zunehmender Bösartigkeit beseitigt werden; die Thiere sind jedoch später wieder eingeführt worden. Die jetzt lebenden Parkrinder scheinen friedfertiger zu sein als ihre Vorfahren es waren; denn es ist mir von glaubwürdiger Seite mitgetheilt worden, daß man während der Dauer einer vor Jahren in Schottland wüthenden Rinderpest eine Anzahl derselben in den bei Hamilton gelegenen Kohlengruben untergebracht habe, um sie der gefürchteten Ansteckung zu entziehen.«

Bevor ich Beckmann weiter folge, will ich ältere Angaben wiederholen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 422-425.
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