Goldstirngirlitz (Serinus pusillus)

[333] Im Taurus gesellt sich ihm der von hier und dem Kaukasus an über Persien und Turkestan bis Ladak verbreitete, auch in Südosteuropa vorkommende Goldstirngirlitz (Serinus pusillus und aurifrons, Passer pusillus, Fringilla pusilla und rubrifrons, Emberiza aurifrons und auriceps, Oraegithus pusillus, Pyrrhula und Metoponia pusilla), welcher, der etwas längeren Flügel halber, auch wohl als Vertreter einer besonderen Untersippe, der Zeisiggirlitze (Oraegithus), angesehen wird. Seine Länge beträgt etwa elf, die Fittiglänge sieben, die Schwanzlänge fünf Centimeter. Das Gefieder ist auf dem Vorderkopfe dunkel orangeroth, am übrigen Kopfe und Halse sowie auf der Oberbrust düster bräunlichschwarz, auf dem Rücken, den Brust- und Bauchseiten [333] ebenso, jede Feder aber breit hellgelb umrandet, auf dem Bürzel orangegelb, auf dem Bauche gelb, in den Weichen schwarz längs gestrichelt; die Handschwingen sind braungrau, außen schmal citrongelb, die Schulterfedern schwarzbraun, breit gilblichweiß gesäumt und am Ende weißlich umrandet, die Oberflügeldecken goldbräunlich, die größeren am Ende weiß gesäumt, wodurch eine Flügelbinde entsteht, die Schwanzfedern schwarzbraun, außen citron gelb gesäumt und wie die dunkleren Oberschwanzdecken weiß umrandet, die Unterschwanzdecken weiß. Die Iris ist braun, der Schnabel schwarz, der Fuß schwarzbraun. Dem minder lebhaft gefärbten Weibchen fehlt das Schwarz am Kopfe.

Bei uns zu Lande ist der Girlitz ein Wandervogel, welcher regelmäßig im Frühjahre, und zwar in den letzten Tagen des März oder in den ersten Tagen des April erscheint und bis in den Spätherbst verweilt. In ganz Südeuropa streicht er während des Winters höchstens von einem Orte zum anderen, ohne jedoch eine wirkliche Wanderung zu unternehmen. Hier tritt er überall häufiger auf als in Deutschland, bevölkert jede Oertlichkeit und fehlt selbst ziemlich hohen Berggipfeln nicht. Baumgärten, in deren Nähe Gemüsepflanzungen sind, sagen ihm am meisten zu; deshalb findet er sich in Deutschland an einzelnen Stellen sehr häufig, während er an anderen, nahe liegenden nicht vorkommt.

Der Girlitz ist ein schmucker, lebendiger und anmuthiger Vogel, immer munter und gutgelaunt, gesellig und friedliebend, so lange die Liebe nicht trennt, vereinzelt und zum Kampfe treibt. Die ersten Ankömmlinge bei uns sind stets Männchen; die Weibchen folgen später nach. Erstere machen sich sogleich durch ihren Gesang und ihr unruhiges Treiben bemerkbar, setzen sich auf die höchsten Baumspitzen, lassen die Flügel hängen, erheben den Schwanz ein wenig, drehen sich beständig nach allen Seiten und singen dabei sehr eifrig. Nur wenn der Frühling kalt, windig oder regnerisch ist, verändert sich die Sache; »dann macht das Vögelchen«, wie Alexander von Homeyer sagt, »ein ganz anderes Gesicht. Es hält sich niedrig, um Schutz gegen die Witterung zu finden, und lockt nur hier und da leise und verstohlen aus einem Strauche heraus oder trippelt der Nahrung halber auf der Erde neben einem Meldenstrauche, ohne bei seiner schlechten Laune viel Wesens und Lärm zu machen. So kann es bei anhaltend ungünstiger Witterung kommen, daß schon viele Girlitze vorhanden sind, ohne daß man viel von ihnen sieht, während sie dann bei dem ersten Sonnenscheine in Unzahl von allen hohen Bäumen herabsingen.« Je näher die Begattungszeit kommt, um so eifriger trägt der Vogel sein Liedchen vor, und um so sonderbarer geberdet er sich. Nicht genug, daß er mit den zärtlichsten Tönen um Liebe bittet, er legt sich auch wie ein Kukuk platt auf einen Ast, sträubt die Kehlfedern, wie ein balzender Hahn, breitet den Schwanz weit aus, dreht und wendet sich, erhebt sich plötzlich, steigt in die Luft, flattert, ungleichmäßig schwankend, fledermausartig um den Baum, wirft sich bald nach der einen, bald nach der anderen Seite und kehrt dann auf den früheren Sitzplatz zurück, um seinen Gesang fortzusetzen. Andere Männchen in der Nähe wecken die Eifersucht des Sängers; dieser bricht plötzlich ab und stürzt sich erbost auf den Gegner; letzterer entflieht in behendem Fluge: und so jagen sich beide wüthend längere Zeit umher, durch die belaubten Bäume hindurch oder auch sehr nahe über den Boden hinweg, wobei sie ohne Unterbrechung ihren Zorn durch ein helles »Sisisi« bekunden. Erst nach langwierigem Kampfe, und wenn das Weibchen brütet, endet dieser Zank und Streit. Den Gesang vergleicht Hoffmann treffend mit dem Gesange der Heckenbraunelle und deutet an, daß der einzige Unterschied, welcher zwischen beider Liedern bemerkt wird, wohl nur auf den dickeren Finkenschnabel zurückzuführen sei, welcher die Töne selbst verhärtet. Ausgezeichnet kann man das Lied gerade nicht nennen: es ist zu einförmig und enthält zu viel schwirrende Klänge; doch muß ich gestehen, daß es mich immer angesprochen hat. Der Name »Hirngritterl« ist gewissermaßen ein Klangbild desselben.

Das Nest, ein kleiner, dem unseres Edelfinken am meisten ähnelnder Kunstbau, ist ziemlich verschieden zusammengesetzt, zuweilen fast nur aus dünnen Würzelchen, zuweilen aus Halmen, Gras und Heu erbaut, und innen äußerst fein und weich mit Haaren und Federn ausgelegt. Es steht bald höher, bald tiefer, immer aber möglichst verborgen im dichten Gezweige eines Busches [334] oder Baumes. Nach Hoffmann soll der Girlitz eine ganz besondere Vorliebe für den Birnbaum zeigen und auf diesem, wo es nur immer angeht, sein Nest anlegen; er brütet aber auch auf Apfel- und Kirsch- oder auf Nadelbäumen, und nach den neueren Beobachtungen nicht minder auf Schwarzholz, zeigt sich überhaupt in dieser Beziehung nicht wählerisch. In Spanien zieht er Citronen- und Apfelsinenbäume allen übrigen vor, bindet sich jedoch keineswegs an sie allein. Das Gelege enthält vier bis fünf kleine, stumpfbauchige, sechzehn Millimeter lange, zwölf Millimeter dicke Eier, welche auf schmutzigweißem oder grünlichem Grunde überall, am stumpfen Ende jedoch mehr als an der Spitze, mit mattbraunen, rothen, rothgrauen, purpurschwarzen Punkten, Flecken und Schnörkeln gezeichnet sind. In Spanien fand ich vom April bis zum Juli fortwährend frisch gelegte Eier; in Deutschland beginnt die Brutzeit um die Mitte des April. Höchst wahrscheinlich macht ein und dasselbe Paar mindestens zwei Bruten im Jahre. So lange das Weibchen brütet, wird es von dem Männchen aus dem Kropfe gefüttert. »Wenn es nun Hunger hat«, sagt Hoffmann, »so ruft es das Männchen, und zwar mit demselben Tone, welchen dieses bei seinen Minnekämpfen hören läßt, nur etwas leiser.« Es brütet sehr fest und bleibt ruhig sitzen, wenn tagelang Feld- oder Gartenarbeiten unter seinem Neste versehen werden. Nach ungefähr dreizehn Tagen sind die Eier gezeitigt und die Jungen ausgeschlüpft. So lange sie im Neste sitzen, verlangen sie durch ein leises »Zickzick« oder »Sittsitt« nach Nahrung. Gegen das Ende ihres Wachsthums hin werden sie sehr unruhig, und oft fliegen sie früher aus, als sie sollten. Die Eltern füttern sie eine Zeitlang noch eifrig, auch wenn man sie in einen Bauer kerkert und diesen in der Nähe des Nestplatzes aufhängt. Nach der Brutzeit gesellen sich die vereinzelten Paare nebst ihren Jungen den früher ausgeflogenen und gescharten, vereinigen sich auch wohl mit Stieglitzen, Hänflingen, Feldsperlingen und anderen Familienverwandten, treten mit letzteren jedoch nicht in engeren Verband, sondern bewahren sich stets eine gewisse Selbständigkeit. Diese Schwärme streifen fortan im Lande umher und suchen gemeinsam ihre Nahrung, welche fast nur aus feinen Sämereien und Pflanzenschossen besteht, ohne dem Menschen irgendwie lästig zu werden.

Bei uns zu Lande wird der Girlitz, von den kleinen Raubthieren und einzelnen Liebhabern abgesehen, nicht befehdet, in Spanien dagegen auf den sogenannten Sperlingsbäumen zu tausenden gefangen und verspeist. Man überzieht Esparto, ein hartbinsiges Gras, mit Vogelleim, streut dasselbe massenhaft auf einzeln stehende, den Finkenschwärmen zu Ruhesitzen dienende Feldbäume und erzielt oft überraschende Erfolge. Von den zahlreichen Finkenschwärmen, welche sich auf solchem Baume niederlassen, entgeht zuweilen kaum der vierte Theil den verrätherischen Ruthen; und nicht allein der Girlitz, sondern auch andere Finken, ja selbst Adler, fallen dem Fänger zum Opfer. Im Käfige ist unser Vögelchen recht angenehm, dauert jedoch nicht so gut aus, als man von vornherein annehmen möchte.

»Dreihundert Jahre sind verflossen«, sagt Bolle, »seit der Kanarienvogel durch Zähmung über die Grenzen seiner wahren Heimat hinausgeführt und Weltbürger geworden ist. Der gesittete Mensch hat die Hand nach ihm ausgestreckt, ihn verpflanzt, vermehrt, an sein eigenes Schicksal gefesselt und durch Wartung und Pflege zahlreich auf einander folgender Geschlechter so durchgreifende Veränderungen an ihm bewirkt, daß wir jetzt fast geneigt sind, mit Linné und Brisson zu irren, indem wir in dem goldgelben Vögelchen das Urbild der Art erkennen möchten und darüber die wilde, grünliche Stammart, welche unverändert geblieben ist, was sie von Anbeginn her war, beinahe vergessen haben. Das helle Licht, in dem der zahme Kanarienvogel vor uns steht, die genaue und erschöpfende Kenntnis, welche wir von seinen Sitten und Eigenthümlichkeiten besitzen, scheint neben der Entfernung, in welcher der wilde von uns lebt, die Hauptursache der ziemlich geringen Auskunft zu sein, welche wir über letzteren besitzen.«

Es bedurfte eines Bolle, um das Freileben des Kanarienvogels zu schildern. Alle Naturforscher vor ihm, Alexander von Humboldt allein ausgenommen, berichten uns wenig oder, [335] wenn überhaupt etwas, wahres und falsches so verquickt, daß es schwer hält, das eine von dem anderen zu trennen. Erst Bolle's Schilderung, welche ich nachstehend im Auszuge wiedergebe, bietet uns ein ebenso treues als farbenreiches Bild des wichtigen Vogels. Unser Forscher fand diesen auf den fünf Waldinseln der Kanarischen Gruppe, Gran Canaria, Teneriffa, Gomera, Palma und Ferro, glaubt aber, daß derselbe früher noch auf mehreren anderen, jetzt entwaldeten Inseln vorgekommen sein mag, ebenso wie er auf Madeira und den Inseln des Grünen Vorgebirges heimisch ist. Auf den genannten Eilanden lebt er überall, wo dicht wachsende Bäume mit Gestrüpp abwechseln, vorzugsweise längs der mit üppigem Grün umsäumten Wasserbetten jener Inseln, welche während der Regenzeit Bäche sind, während der trockenen Zeit aber versiegen, nicht minder häufig in den Gärten um die Wohnungen des Menschen. Seine Verbreitung erstreckt sich von der Meeresküste bis zu über funfzehnhundert Meter unbedingter Höhe im Gebirge hinauf. Wo die Bedingungen zu seinem Wohlbefinden gegeben, ist er überall häufig, in den Weinbergen der Inseln gemein, auch in Kieferbeständen, welche die Abhänge des Gebirges bekleiden, nicht selten; nur das Innere des schattigen Hochwaldes, dessen Ränder er noch bevölkert, scheint er zu meiden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 333-336.
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