Karmingimpel (Carpodacus erythrinus)

[342] Der Karmingimpel, Karminhänfling oder Brandfink, »Tuti« der Hindu (Carpodacus erythrinus, Pyrrhula erythrina, Fringilla erythrina und incerta, Loxia cardinalis, rosea [342] und erythraea, Coccothraustes erythrina und rosea, Linaria erythrina, Erythrothorax crythrina, rubrifrons und ruber, Erythrospiza erythrina und rosea, Chlorospiza incerta, Haemorrhous roseus, Pyrrhulinota rosaecolor und roseata, Propasser sordidus), ist vorherrschend karminroth, auf dem Hinterhalse und Rücken braungrau, durch dunklere, karminroth überhauchte Flecke gezeichnet, auf dem Bauche, den Schenkeln und unteren Schwanzdeckfedern schmutzigweiß; die dunkelbraunen Schwingen sind außen rostgelblichweiß gesäumt, die Schulterfedern hellbräunlich umrandet und karminroth überflogen, die Steuerfedern graubraun und etwas lichter, die Oberschwanzdecken karminroth gesäumt.


Karmingimpel (Carpodacus erythrinus) und Meisengimpel (Uragus sibiricus). 1/2 natürl. Größe.
Karmingimpel (Carpodacus erythrinus) und Meisengimpel (Uragus sibiricus). 1/2 natürl. Größe.

Beim Weibchen ist anstatt des Karminroth Fahlgraubraun vorherrschend und die Zeichnung aus dunkleren Längsflecken hergestellt. Das Auge ist braun, der Schnabel licht-, der Fuß dunkel hornfarben. Die Länge beträgt sechzehn, die Breite sechsundzwanzig, die Fittiglänge acht, die Schwanzlänge sechs Centimeter.

In Europa bewohnt der Karmingimpel ständig nur den Osten, insbesondere Galizien, Polen, die Ostseeprovinzen, Mittel- und Südrußland, außerdem aber ganz Mittelasien vom Ural an bis Kamtschatka. Von hier auswandert er regelmäßig nach Süden hinab, durch China bis Indien und durch Turkestan bis Persien, erscheint ebenso nicht allzuselten in Ostdeutschland, hat in Schlesien und Schleswig gebrütet und ist wiederholt in Mittel-, West- und Süddeutschland, Holland, Belgien, Frankreich, England und Italien beobachtet worden. Auf seinen Brutplätzen trifft er um die Mitte des Mai, frühestens zu Ende des April, ein und verläßt sie im September wieder. Zu seinem Aufenthalte wählt er sich mit Vorliebe dichte Gebüsche in der Nähe eines Gewässers, auch wohl mit Rohr und Gebüsch bestandene Brüche, beschränkt denselben jedoch nicht auf Niederungen, sondern kommt auch im Hügellande und selbst im Gebirge bis über zweitausend Meter unbedingter Höhe [343] vor. Häufig ist er nirgends, wird vielmehr überall einzeln beobachtet und bildet während des Sommers niemals zahlreiche Schwärme.

Unmittelbar nach seiner Ankunft vernimmt man seinen ungemein anziehenden, wechselreichen und klangvollen Gesang, welcher zwar an den Schlag des Stieglitzes, Hänflings und Kanarienvogels erinnert, aber doch so eigenartig ist, daß man ihn mit dem keines anderen Finken verwechseln kann. Dieser Gesang ist ebenso reichhaltig als wohllautend, ebenso sanft als lieblich, zählt überhaupt zu den besten, welche dem Schnabel eines Finken entklingen. In Kamtschatka hat man, wie Kittlitz uns mittheilt, diesem Liede sinnreich einen russischen Text untergelegt: »Tschewitscha widäl«. (Ich habe die Tschewitscha gesehen!) »Tschewitscha heißt aber die größte der dortigen Lachsarten, der geschätzteste von allen Fischen des Landes und somit das vornehmste Nahrungsmittel der Einwohner; sie kommt ungefähr mit dem Vogel zugleich in Kamtschatka an. Jener Gesang wird nun so gedeutet, als ob er die Ankunft des Lachses verkünde, und der Karmingimpel ist sonach in einem Lande, dessen Bewohner sich hauptsächlich von Fischen ernähren, nicht nur der Verkündiger der schönen Jahreszeit, sondern auch des sie begleitenden Erntesegens.« In der That hört man den russischen Worten ähnelnde Laute mit besonderer Betonung oft in den Strophen des Gesanges. Während des Vortrages zeigt sich das Männchen gewöhnlich frei auf der Spitze des Busches, in welchem oder in dessen Nähe das Nest steht, sträubt die Federn des Scheitels und der Brust, als wolle es die volle Pracht seines Gefieders entfalten, verschwindet sodann und trägt noch einige Strophen in gleichsam gemurmelter Weise im Inneren des Busches vor, erscheint aber nach kurzer Frist wiederum, um seinen Gesang von neuem zu erheben. Seine Bewegungen erinnern an die des Hänflings, welchem er auch hinsichtlich seiner Rastlosigkeit ähnelt.

Die Nahrung besteht in Gesäme aller Art, welche der Karmingimpel ebensowohl von höheren Pflanzen wie vom Boden aufliest, auch wohl in Blätterknospen und zarten Schößlingen. Nebenbei nimmt er, mindestens im Gebauer, Ameisenpuppen und andere thierische Stoffe zu sich. In der Winterherberge ernährt er sich von den Samen der Bambusen und des Röhrichtes, hält sich daher fast ausschließlich da auf, wo diese Pflanzen wachsen und wird in Indien geradezu »Rohrspatz« genannt. Hier wie in der Heimat fliegt er auch in die Felder, fügt jedoch den Nutzpflanzen nirgends erheblichen Schaden zu.

Das Nest, welches gewöhnlich in Schwarzdorn-, überhaupt aber in dichten und stacheligen Büschen, höchstens zwei Meter über dem Grunde, errichtet wird, ähnelt, laut Taczanowski, dem der Dorngrasmücke, ist aus feinen, schmiegsamen Halmen, Stengeln und Würzelchen zusammengesetzt und innen mit noch zarteren Stoffen derselben Art, Blütenrispen und einzelnen Haaren ausgelegt, im ganzen aber sehr lose und locker gebaut. Fünf, seltener sechs, durchschnittlich zwanzig Millimeter lange, funfzehn Millimeter dicke, sehr zartschalige, auf prachtvoll blaugrünem Grunde spärlich, nur gegen das stumpfe Ende hin dichter, braungelb, schwarzbraun oder röthlich gefleckte und gestrichelte Eier bilden das Gelege, welches in den letzten Maitagen vollzählig zu sein pflegt. Während das Weibchen brütet, singt das Männchen noch so feurig als je zuvor, oft aber ziemlich weit entfernt vom Neste, zu welchem es jedoch oft zurückkehrt. Bei Gefahr warnt es das Weibchen mit einem Tone, welcher dem Warnungsrufe des Kanarienvogels ähnelt und beiden Geschlechtern gemeinsam ist. Mit dem Flüggewerden der Jungen verstummt sein Gesang, und damit ändert sich auch sein Betragen. Stumm und verborgen, vorsichtig dem nahenden Menschen ausweichend, treibt sich fortan alt und jung im dichten Gebüsche umher, bis die Zeit der Abreise herankommt und eine Familie nach der anderen unbemerkt die Heimat verläßt.

Gefangene Karmingimpel sind höchst angenehme Vögel, ihre Färbung aber so hinfällig wie die keines anderen in ähnlicher Farbenschönheit prangenden Finken. Sie verlieren Glanz und Tiefe der Färbung schon, wenn sie mit der Hand berührt werden, und erhalten durch die nächste Mauser ein geradezu mißfarbiges Kleid, dauern auch selten mehrere Jahre im Käfige aus.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 342-344.
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