Cistensänger (Cisticola cursitans)

[229] Ein kurzer, zarter, leicht gebogener Schnabel, langläufige und großzehige Füße, kurze, gerundete Flügel, in denen die vierte Schwinge die längste, und ein nur wenig gerundeter, kurzer Schwanz sind die Kennzeichen der Cistensänger (Cisticola), welche das gleichnamige Urbild der Sippe (Cisticola cursitans, schoenicola, arquata, terrestris, europaea, tintinnabulans, munipurensis und Ayresii, Sylvia cisticola, Prinia cursitans, cisticola und subhimalachana, Salicaria cisticola und brunniceps, Calamanthella tintinnambulum, Bild S. 218) vertritt. Das Gefieder ist oberseits, die bräunliche Nackengegend und den rostbraunen Bürzel ausgenommen, ölbraun und dunkelbraun gefleckt, die Mitte der Federn schwarzbraun, der Rand aber rostgelbbraun; auf dem Kopfe bilden sich drei schwärzliche und zwei lichtgelbe Längsstreifen; die Nackengegend, Kehle und Unterleib sind reinweiß, die Brust, die Seiten und unteren Deckfedern des Schwanzes rostgelb, die Schwingen grauschwarz, außen rostgelb gesäumt, die mittleren Schwanzfedern rostbraun, die übrigen graubräunlich, am Ende weiß gerandet, vor letzterem mit einem schwärzlichen herzförmigen Fleck gezeichnet. Das Auge ist bräunlich hellgrau, der Schnabel hornfarben, der Fuß röthlich. Die Jungen unterscheiden sich von den Alten bloß durch etwas lichtere Färbung der Oberseite. Die Länge beträgt elf, die Breite sechzehn, die Fittiglänge fünf, die Schwanzlänge vier Centimeter. Das Weibchen ist etwas kleiner.

Mittel- und Südspanien, Süditalien, Sardinien und Griechenland, Nordafrika, Mittel-, Ost- und Südasien, sind die Länder und Landstriche, in denen der Cistensänger gefunden wird. Wo er vorkommt, ist er häufig, an vielen Stellen gemein. Er ist Standvogel, »bis auf die Orte, an denen er geboren wurde und an denen er später brütet«. In Spanien lebt er in allen Tiefebenen, welche nur einigermaßen seinen Anforderungen genügen: auf den mit hohem Schilfe bestandenen Dämmen der Reisfelder, im Riede, in Mais-, Luzern-, Hanffeldern und an ähnlichen Orten; auf Sardinien haust er, nach Hansmann, am Rande des Meeres, wo das Ufer flach und sumpfig ausläuft und nur mit Gräsern, besonders mit der Stachelbinse, bewachsen ist, besucht aber auch dort die Getreidefelder und brütet selbst in ihnen; auf den Balearen beobachtete ihn Alexander von Homeyer ebenfalls in fruchtbarem Getreidelande, jedoch nicht bloß in der Ebene, sondern auch auf den Bergen, wo es nur hier und da eine feuchte Stelle gab, so daß Hansmanns Angabe, »daß ein kleiner, sickernder Quell und ein Streifen Wiese, ein Ar groß, ihm mitunter schon genüge«, sich auch hier bewahrheitet. In Nordostafrika, woselbst er von der Küste des Mittelmeeres an bis Habesch, hier noch in zweitausend Meter Höhe, vorkommt, siedelt er sich außer in [229] Feldern und Rohrbeständen auch in Akazien- und Dattelgebüschen, in Nordwestafrika hauptsächlich auf Wiesen an; in Indien bewohnt er jede Oertlichkeit, falls es nur langes Gras, Korn- oder Reisfelder gibt. Unbegreiflich war es mir, zu erfahren, daß die spanischen Vogelkundigen den Cistensänger bisher übersehen hatten; denn gerade er scheint sich förmlich zu bemühen, die Aufmerksamkeit des Beobachters auf sich zu ziehen. Namentlich während der Brutzeit macht sich das Männchen sehr bemerklich. Es steigt in kurzen Flugabsätzen mit lautem »Zit tit tit« in die Höhe, fliegt dann gewöhnlich lange, fortwährend schreiend, im Bogen hin und her, umschwärmt insbesondere einen Menschen, welcher in seine Nähe kommt, in dieser Weise minutenlang. Im Grase läuft er ungemein behend umher, so daß man ihn eben nur mit einer Maus vergleichen kann; angeschossene Alte wissen sich in wenigen Augenblicken so zu verstecken, daß man nicht im Stande ist, sie aufzufinden. Hansmann hat sehr recht, wenn er sagt, daß der Cistensänger etwas von dem Wesen des Zaunkönigs habe, stets tief in die Gras- oder Binsenbüsche sich verkrieche und in ihnen so beharrlich verweile, daß ihn erst ein Fußstoß gegen den betreffenden Büschel zu vertreiben vermöge. Ganz gegen die Art der Schilf- oder Riedsänger, mit denen er um die Wette an den Halmen auf- und niederklettert, bewegt er sich nur in einem kleinen Umkreise und fliegt auch, wenn er aufgescheucht wurde, niemals weit, sondern höchstens über Strecken von wenigen Metern hinweg. Der erwähnte Ton, welcher dem Cistensänger in Murcia den Namen »Tintin« und in Algerien den Namen »Pinkpink« verschafft hat, ist der Gesang des Männchens; außerdem vernimmt man nur noch ein schwaches, kurzes Schwirren, welches Aengstlichkeit ausdrückt, oder ein leises Gekicher, welches der Laut der Zärtlichkeit ist. Das zornig erregte Männchen läßt auch ein weiches »Wüit« oder ein kürzeres »Witt witt« hören, wenn es sich mit anderen seiner Art herumstreitet.

Allerlei kleine Käfer, Zweiflügler, Räupchen, kleine Schnecken und ähnliche Thiere bilden die Nahrung unseres Vögelchens. Die Hauptmenge liest er von den Blättern des Grases oder Getreides ab, einzelne nimmt er wohl auch vom Grunde auf.

Das Nest, welches wir mehrmals gefunden haben, wurde zuerst von Savi richtig beschrieben. »Eigenthümlich«, sagt dieser Forscher, »ist die Art und Weise, in welcher der Vogel die das Nest umgebenden Blätter zusammenfügt und die Wände seines Gebäudes fest und stark macht. In dem Rande jedes Blattes nämlich sticht er kleine Oeffnungen, welche durch einen oder durch mehrere Fädchen zusammengehalten werden. Diese Fäden sind aus dem Gewebe der Spinnen oder aus Pflanzenwolle gefertigt, ungleich dick und nicht sehr lang (denn sie reichen höchstens zwei oder dreimal von einem Blatte zum anderen), hin und wieder aufgezasert, an anderen Stellen auch in zwei oder drei Abzweigungen getheilt. Beim inneren Theil des Nestes herrscht die Pflanzenwolle vor, und die wenigen Spinnwebfäden, welche sich darunter befinden, dienen lediglich dazu, die anderen Stoffe zusammenzuhalten. An den seitlichen und oberen Theilen des Nestes stoßen die äußere und die innere Wand unmittelbar an einander; aber an dem unteren findet sich zwischen ihnen eine mehr oder weniger dichte Schicht, aus kleinen dürren Blättern oder Blütenkronen bestehend, welche den Boden des Nestes, auf dem die Eier ruhen sollen, dichtet. Im oberen Drittel der Wand ist das runde Eingangsloch angebracht. Der ganze Bau hat die Gestalt eines länglichrunden oder eiförmigen Beutels. Er steht in der Mitte eines Gras-, Seggen- oder Binsenbusches, der Boden höchstens funfzehn Centimeter über der Erde, und ist an die tragenden Blätter genäht und auf andere, welche untergeschoben werden und so gleichsam Federn bilden, gestellt. So gewähren die wankenden Halme dem Neste hinlängliche Festigkeit und ausreichenden Widerstand gegen die heftigsten Stürme.« Alle Nester, welche wir fanden, entsprachen vorstehender Beschreibung; Heuglin dagegen lernte in Egypten auch sehr abweichende, im Dattel- oder Dornengestrüppe stehende, in Blattscheiden, zwischen Dornen, Aestchen und Grashalme verflochtene, undichte, innen mit Wolle, Haaren und Federn ausgekleidete Bauten kennen.

Bisher haben wir geglaubt, daß das Weibchen der eigentliche Baumeister wäre; durch Tristrams Beobachtungen, welche von Jerdon bestätigt werden, erfahren wir aber, daß das [230] Männchen den Haupttheil der Arbeit übernimmt. Sobald der Grund gelegt oder der Boden des Nestes fertig ist, beginnt das Weibchen zu legen, und wenn das Gelege vollzählig ist, zu brüten. Während es nun auf den Eiern sitzt, beschäftigt sich das Männchen noch tagelang damit, die Wandungen aufzurichten und die Grasblätter zusammenzunähen. »Ich hatte« sagt Tristram, »das Glück, ein Nest zu entdecken, als es eben begonnen war, mußte an ihm täglich vorübergehen und konnte so einen Monat lang die Vögel beobachten. Als das erste Ei im Neste lag, war der ganze Bau noch überall durchsichtig und seine filzigen Wandungen nicht über zwei Centimeter hoch; während der ganzen Zeit der Bebrütung aber setzte das Männchen seine Arbeit an dem Neste fort, so daß dasselbe, als die Jungen ausgeschlüpft waren, schon das dreifache an Höhe erreicht und hinlängliche Festigkeit gewonnen hatte.«

Die Eier scheinen außerordentlich abzuändern. Wir haben in Spanien ein Gelege von fünf Stück gefunden, welche einfarbig lichtblau waren; andere Forscher aber erhielten solche, welche auf lebhaft röthlichweißem Grunde zahlreiche, zart rostfarbene Flecke und Punkte, andere solche, welche auf bläulichgrünem Grunde überall oder spärlich größere oder kleinere, braune oder ziegelrothe, schwarzbraune und schwarze Flecke und Punkte oder auf grünlichweißem Grunde schmutzig fleischfarbene und braunrothe, theilweise verwaschene oder auf reinweißem Grunde hellrothe Flecke zeigten. Die Jungen werden von beiden Eltern zärtlich geliebt. Das Männchen scheut, wenn ein Mensch dem Neste sich nahet, keine Gefahr und umfliegt ihn Viertelstunden lang in sehr engen Kreisen unter ängstlichem Geschreie. Wenn die Jungen glücklich ausgeflogen sind, gewährt die Familie ein überaus anziehendes Schauspiel. Die ganze Gesellschaft hüpft und kriecht, flattert und läuft um, auf und über dem Grase oder Getreide umher, und wenn eines der Eltern ein Kerbthier bringt, stürzt die gesammte Kinderschar, das Schwänzchen hoch gehoben, in wahrhaft lächerlicher Weise auf den Nahrungsspender los, da jedes das erste und jedes bevorzugt sein will. Naht sich Gefahr, so verschwindet die Mutter mit ihren Kindern, während das Männchen sofort in die Luft sich erhebt und hier in gewohnter Weise umherfliegt. Aus Savi's Beobachtungen geht hervor, daß der Cistensänger dreimal im Jahre brütet, das erste Mal im April, das zweite Mal im Juni, das dritte Mal im August. Wir fanden Nester im Mai, Juni und Juli; dann trat die Mauser und damit das Ende der Fortpflanzungszeit ein.

Wir haben uns viel Mühe gegeben, einen Cistensänger lebend zu fangen. Das Nachtigallgärnchen erwies sich als unbrauchbar; aber auch Schlingen, welche wir mit größter Sorgfalt um das Eingangsloch des Nestes legten, wurden von den geschickten Vögeln weggenommen, ohne sie zu gefährden.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 229-231.
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