Schneehuhn (Lagopus mutus)

[71] Das Schneehuhn, Alpen-, Felsen- oder Bergschneehuhn (Lagopus mutus, alpinus, vulgaris, montanus, rupestris, cinereus, islandicus, Reinhardi, groenlandicus, hyperboreus und hemileucurus, Tetrao alpinus, montanus, rupestris, islandicus und Islandorum, Attagen montanus) tritt, je nach der Lage und Beschaffenheit seines Wohngebietes, in mehr oder weniger abweichenden, ständigen Ab- oder Unterarten auf und wird daher von einzelnen Forschern in mehrere Arten getrennt, von anderen wiederum als gleichartig betrachtet. Schon in einem und demselben Gebiete ändert es, zumal im Sommerkleide, vielfach ab. Auf den Schweizer Alpen ist es, laut Schinz, nach der Jahreszeit so verschieden, daß man sagen kann, im Sommer sei seine Färbung in jedem Monate verändert. Zu allen Jahreszeiten sind beim Männchen der Bauch, die unteren Deckfedern des Schwanzes, die vorderen Deckfedern der Flügel, die Schwungfedern und die Läufe weiß; die Schwungfedern haben schwärzliche Schäfte, und der Schwanz ist schwarz. Im Sommer aber sehen die übrigen Theile sehr verschieden aus. Die Frühlingsmauser, welche in der [71] Mitte des April beginnt, bringt hin und wieder schwärzliche Federn zum Vorscheine, und der Vogel ist weißlich und bunt gescheckt; zu Anfang des Mai sind Kopf, Hals, Rücken, die oberen Deckfedern der Flügel und die Brust schwarz, rostfarben und weißbunt, die Federn nämlich entweder ganz schwarz mit ganz undeutlichen rostfarbenen Querstreifen, oder schwarz, hellrostgelb und weißlich gebändert; an Kehle und den Seiten des Halses tritt das Weiße am meisten hervor. Die Federn selbst stehen bunt unter einander, nicht selten mit einigen ganz weißen gemischt; alle aber bleichen nach und nach so ab, daß zu Ende des August oder des September besonders der Rücken schön hell aschgrau und schwärzlich punktirt erscheint, die rostfarbenen Bänder an Hals und Kopf fast ganz weiß geworden sind, meist aber noch einige ganz unregelmäßige rostgelb und schwarz gebänderte unter den anderen sich finden.


Schneehuhn (Lagopus mutus), Sommer. 1/3 natürl. Göße.
Schneehuhn (Lagopus mutus), Sommer. 1/3 natürl. Göße.

Beim Weibchen sind alle diese Theile schwarz und rostgelb gewellt, die Bänder viel breiter und deutlicher. Im Winter werden, mit Ausnahme der schwarzen, jetzt licht gesäumten Steuerfedern, beim Männchen auch derjenigen, welche den Zügel bilden, alle Federn blendend weiß; doch kommt es vor, daß einzelne bunte Federn stehen bleiben. Während der Herbstmauser, welche im Oktober beginnt, sehen die Schneehühner ganz bunt aus; schon im November aber sind sie schneeweiß geworden. Die mittleren Oberdeckfedern des Schwanzes verlängern sich so, daß sie bis zum Ende des Schwanzes reichen, und es scheint, als ob die Mitte des Schwanzes weiß sei. Ueber den Augen steht eine rothe, warzige, am oberen Rande ausgezackte Haut, welche aber beim Männchen viel stärker ist. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel schwarz. Die Länge beträgt fünfunddreißig, die Breite sechzig, die Fittiglänge achtzehn, die Schwanzlänge zehn Centimeter.

Von dieser Form weichen die nordischen Schneehühner mehr oder weniger erheblich ab, und zwar ebenso hinsichtlich ihrer Größe wie der Färbung ihres Sommerkleides; da dieses aber immer dem Felsgesteine, auf welchem sie leben, entspricht, die Größe auch bei anderen Rauchfußhühnern [72] abändert, die Lebensweise aller Schneehühner dagegen dieselbe zu sein scheint, läßt sich die Artverschiedenheit aller Formen nicht erweisen.

Das Schneehuhn bewohnt die Alpenkette in ihrer ganzen Ausdehnung, die Pyrenäen, die schottischen Hochgebirge, alle höheren Berggipfel Skandinaviens, Island, die Gebirge Nordsibiriens oder Nordasiens überhaupt, den Norden des festländischen Amerika und Grönland. Von den Alpen verfliegt es sich bis auf den Schwarzwald, von den Pyrenäen aus nach den Bergketten Asturiens und Galiziens und von dem Festlande Asiens aus vermuthlich bis nach Nordjapan, falls ein von den dortigen Eingeborenen herrührendes Gemälde wirklich nach einem im Lande erbeuteten Alpenschneehuhne gefertigt wurde. Nach Norden hin hat man es überall gefunden, wo man das Festland oder eine größere Insel betrat. Im Gegensatze zum Moorhuhne lebt es nur auf kahlen, nicht mit Gebüschen bekleideten Stellen, deshalb auf den Alpen immer über dem Gürtel des Holzwuchses, nahe an Schnee und Eis, in Norwegen auf den nackten, mit Gerölle bedeckten Berggipfeln und nur in Island und Grönland während der Brutzeit in tieferen Gegenden, in den Niederungen selbst in unmittelbarer Nähe des Meeres. Aber das isländische und das grönländische Schneehuhn, welches jenen entsprechend lebt, bringt wenigstens noch einen großen Theil des Jahres auf den Bergen zu. Aus Radde's Berichte geht hervor, daß es in Ostsibirien ebenfalls nur im Hochgebirge und zwar über der Grenze der Alpenrosen, zwei- bis dreitausend Meter über dem Meere, sich ansiedelt.

Das Alpenschneehuhn unterscheidet sich in seiner Lebensweise auffallend von seinen Verwandten. Sein Wesen ist ruhiger, seine geistige Begabung offenbar geringer als bei diesen. Im Laufen und im Fliegen kommt es mit letzteren so ziemlich überein, ja diese Bewegungen sind vielleicht noch leichter als beim Moorhuhne. Aber nur selten, da, wo es noch nicht verfolgt wurde, niemals, fliegt es weit in einem Zuge. Schinz und daher auch Tschudi haben gefunden, daß der Flug Aehnlichkeit mit dem Taubenfluge habe; ich meines Theiles bin durch die von mir beobachteten niemals an Tauben erinnert worden und habe sie nur mit dem Moorhuhne vergleichen können. In einer Fertigkeit scheint unser Huhn seine Verwandten entschieden zu übertreffen. »Ich habe mehrmals bemerkt«, sagt Holboell, »daß das Schneehuhn nicht allein im Nothfalle schwimmen kann, sondern dies zuweilen selbst ohne solchen Grund thut. Im September 1825 lag ich mit einer Galeasse auf der sogenannten Südostbucht bei Grönland; wir hatten einige Tage Nebel, und mehrere Schneehühner kamen auf das Schiff. Eines von ihnen flog so gegen das Segel, daß es ins Wasser fiel. Ich ließ, da es fast stilles Wetter war, ein Boot aussetzen, in der Meinung, es werde mir zur Beute werden; aber es erhob sich mit größter Leichtigkeit vom Wasser und flog davon. Im nächsten Winter sah ich bei zehn Grad Kälte zwei Schneehühner von den Udkigsfelsen bei Godhavn herabfliegen und sich ohne Bedenken auf das Wasser setzen. Gleichfalls habe ich Schneehühner in einem kleinen Gebirgswasser sich baden und auf selbigem herumschwimmen sehen.« Die Stimme ist von der des Moorhuhnes auffallend verschieden und höchst eigenthümlich. »Bei starkem Nebelwetter«, sagt Schinz, »oder wenn Schnee oder Regen fallen will, schreien die Alpenschneehühner unaufhörlich ›Krögögögöögrö‹ oder auch ›Oenö-göö, önö, göö‹. Dagegen wenn sie ihre Jungen locken oder einen Raubvogel erblicken, so schreien die Alten mehr ›Gä-gä, gagää‹ und die Jungen ›Zip, zip, zip‹«. Solche Laute habe ich nie vernommen, vielmehr, ebenso wie andere Beobachter, nur ein merkwürdig dumpfes, röchelndes, tief aus der Kehle kommendes »Aah«, mit dem sich übrigens noch ein Schnarren verbindet, welches sich mit Buchstaben wohl kaum ausdrücken läßt. Faber, Holboell und Krüper übersetzen diesen Laut durch »Arrr« oder »Orrr«; ich meine aber, daß man den R-Laut nicht so deutlich vernimmt, wie dadurch angedeutet werden soll. Den Lockruf des Weibchens ahmte mein norwegischer Jäger durch einen Laut nach, welcher an das Miauen junger Katzen erinnert und ungefähr »Miu«, aber so eigenthümlich klingt, daß auch mir Buchstaben mangeln, um ihn treu wiederzugeben. Gelegentlich der Schilderung seiner ersten Jagd auf Alpenschneehühner bemerkt Boje: »Sie erwarteten auf dem mit Alpenpflanzen sparsam bewachsenen Felsen wie versteinert die Herankunft des Jägers und entflohen dann ohne [73] Geschrei mit geräuschvollem Flügelschlage«; später sagt er: »Die unbeschreibliche Trägheit dieser Vögel sticht sonderbar gegen die Moorhühner ab. Die Männchen scheinen den ganzen Tag lang in der Nähe ihrer brütenden Weibchen still zu sitzen, und zwar stets auf den höchsten, abhängigsten Plätzen, als erfreuten sie sich neben dem Abgrunde der fernsten Aussicht«. Faber bezeichnet das isländische Alpenschneehuhn als »außerordentlich sicher und dumm«, Holboell das grönländische als »sehr einfältig«. Ich habe bei Niederschrift meiner Beobachtungen fast dieselben Worte gebraucht wie Boje: »Die beiden ersten Männchen, welche ich erlegte, waren merkwürdig unvorsichtig, zeigten nicht die geringste Scheu, sondern erwarteten den Jäger scheinbar mit dem höchsten Erstaunen, ohne wegzufliegen.« Auf den Alpen betragen sich die Schneehühner nicht anders: »Bei Nebelwetter«, bemerkt Schinz, »laufen sie am meisten auf dem Boden umher und glauben sich vor allen Nachstellungen am sichersten; aber auch bei warmem Sonnenscheine sind sie sehr zahm« und lassen dann, wie Tschudi hinzufügt, »auf offenen Gipfeln den Menschen oft bis auf zehn Schritt nahe kommen«. Bei kaltem Wetter sollen sie scheuer sein, wahrscheinlich schon deshalb mit, weil sie im Winter zu größeren Scharen sich vereinigen.

Die Nahrung besteht vorzugsweise in Pflanzenstoffen. Auf den Alpen findet man ihren Kropf mit Blättern der Alpenweide und des Heidekrautes, mit Knospen der Tannen, der Alpenrosen, mit Preißel-, Heidel-und Brombeeren, verschiedenen Blumen und dergleichen angefüllt; auf den Landstraßen sieht man sie beschäftigt, Haferkörner aus dem Miste der Pferde und Maulthiere aufzusuchen, und im Sommer stellen sie allerhand Kerbthieren nach. Im Norden bilden die Knospen und Blätter der Zwergweiden und Birkenarten, die Blätter- und Blütenknospen der verschiedensten Alpenpflanzen wie der auf jenen Höhen noch wachsenden Beerengesträuche und die Beeren selbst, im Nothfalle auch Flechtentheile, welche sie von den Steinen abklauben, ihre Aesung. Falls Faber richtig beobachtet hat, tragen sie sich Nahrungsvorräthe für den Winter ein.

Im Mai sieht man Schneehühner gepaart, und beide Gatten halten sich, so lange die Bebrütung der Eier währt, zusammen. Wenn aber die Jungen ausgeschlüpft sind, entfernt sich der Hahn zeitweilig von der Familie und zieht den höheren Gebirgen zu, um hier die wärmste Zeit des Sommers zu verbringen. Während er früher still und traurig war, wird er lebhaft, läßt oft seine Stimme vernehmen, erhält vom Weibchen Antwort, fliegt sehr geschwind, mit kaum bewegten Flügeln zum Vergnügen in die Luft, indem er schräg emporsteigt, einen Augenblick mit zitternden Schwingen still steht und sich dann plötzlich wieder niederwirft, gefällt sich zuweilen auch in Stellungen, welche einigermaßen an die Balztänze anderer Rauchfußhühner erinnern, ohne ihnen jedoch zu gleichen. Er nimmt weder an dem Brutgeschäfte noch an der Führung der Jungen theil. Die Henne sucht sich um die Mitte oder zu Ende des Juni unter einem niedrigen Gesträuche, oder auch wohl einem schützenden Steine, eine passende Stelle zum Neste aus, scharrt hier eine seichte Vertiefung, kleidet sie kunstlos mit welken Blättern aus, legt ihre neun bis vierzehn, auch wohl sechzehn, Eier, welche etwa fünfundvierzig Millimeter lang, dreißig Millimeter dick und auf rothgelbem Grunde mit dunkelbraunen Flecken getüpfelt sind, und beginnt mit Hingebung zu brüten. Nach Verlaufe von ungefähr drei Wochen entschlüpfen die Jungen. Sobald sie einigermaßen abgetrocknet sind, führt sie die Henne vom Neste weg auf Nahrung versprechende Plätze. Droht Gefahr, so erhebt sie sich, um durch ihr Wegfliegen die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich zu lenken; die Jungen zerstreuen sich auf dieses Zeichen hin augenblicklich und haben sich im Nu zwischen den Steinen verborgen, während jene dem Jäger fast unter die Füße läuft. Steinmüller störte einst ein Gehecke auf und fing ein Küchlein ein, welches jämmerlich piepte; die Mutter schoß in wilder Verzweiflung auf ihn zu und wurde von ihm erlegt. Eine Henne mit neun Küchlein, welche Welden überraschte, war, obgleich sie in der größten Gefahr schwebte, nicht zum Auffliegen zu bringen, sondern lief rasch weiter, mit den ausgebreiteten Flügeln die Jungen deckend. Von diesen huschte während der Flucht eines nach dem anderen unbemerkt ins Gestein, und erst, als die Henne alle geborgen sah, flog sie, auf die eigene Rettung bedacht, auf und davon. Von den verstecken [74] Thierchen war trotz aller Aufmerksamkeit nicht eines aufzufinden. Kaum aber hatte sich Welden in ein Versteck gelegt und ein Weilchen gewartet, so kam die Schneehenne eifrig wieder herbei gelaufen, gluckste leise, und in wenigen Augenblicken schlüpften alle neun Küchlein wieder unter ihre Flügel. »Wenn man im Herbste nur darauf Acht hat«, sagt Faber, »daß man die Alte schont, so kann man leicht den ganzen Trupp, eines nach dem anderen, wegschießen; denn die Mutter fliegt, von dem Schusse erschreckt, zwar auf, wirft sich aber aus Besorgnis für die Jungen gleich wieder zur Erde, und diese, welche auch öfters bei dem Schusse aufstehen, fallen einen Augenblick später, der Mutter folgend, wieder zum Boden herab.«

Das Flaumkleid der Küchlein ist zwar sehr bunt, aber doch in demselben Grade wie das anderer jungen Hühner mit dem Boden gleichfarbig. Ueber den bräunlichen Rücken verlaufen unregelmäßig schwarze Streifen, und ein hellbräunlicher Fleck auf dem Hinterkopfe wird von einem solchen eingeschlossen. Stirn, Kehle, Hals und Bauch sind weißlich, die Brust und die Seiten röthlich überflogen, die Läufe mit graulichen Dunen bekleidet.

Auf Island und Grönland, woselbst die Schneehühner oft auch in den Thälern brüten, sieht man, laut Faber und Holboell, die Familien zu Ende des August noch in der Tiefe; zu Anfang des Oktober aber geht die Alte mit ihren nunmehr vollständig ausgewachsenen Jungen auf die hohen Berge, und fortan vereinigen sich die einzelnen Völker, oft zu sehr zahlreichen Scharen. Diese verweilen hier gewöhnlich während des ganzen Winters und führen ein ziemlich regelmäßiges Leben. Man sieht sie bereits bei Tagesanbruche mit Futtersuchen beschäftigt, aber bis nach Mittag selten fliegen. Dann erheben sie sich, streichen, zu kleinen Trupps vereinigt, zu Thale, an die Seeküste usw. und kehren wieder zu den Bergen zurück. Sind jedoch die Thäler schneefrei, so verweilen sie hier längere Zeit, und ebenso flüchten sie sich zur Tiefe herab, wenn oben in der Höhe sogenannter Eisschlag fällt und sie im Aufsuchen ihrer Nahrung gehindert werden. Unter solchen Umständen müssen sie oft weit umherstreifen und kümmerlich ihr Leben fristen. Faber versichert, daß sie, ausgehungert, sogar in die Wohnungen der Menschen kommen oder über meilenbreite Meeresarme hinweg nach kleinen, schneearmen Inseln fliegen, welche ihnen ein ergiebiges Weidefeld versprechen. In Norwegen findet genau dasselbe, in der Schweiz etwas ähnliches statt. »Wenn der Spätherbst«, sagt Tschudi, »die Kuppen der Berge mit Schnee bedeckt, ziehen sie sich gegen die milderen Flühen und Weiden, ja mit Vorliebe auch bis zu den Paßstraßen herab und überwintern da bis in den Frühling hinein.« Doch muß es schon hart kommen, wenn sie sich zu derartigen Streifereien entschließen; denn bei regelmäßigem Verlaufe der Dinge wissen sie sich auf ihren Höhen vortrefflich zu bergen. Die dicke Schneedecke, welche ihnen ihre Aesung überschüttet, ficht sie wenig an; sie graben sich mit Leichtigkeit tiefe Gänge im Schnee, bis sie zu der gesuchten Aesung gelangen, kümmern sich überhaupt wenig um die Unbill des Wetters. Dieselbe Schneedecke dient ihnen auch als Schutz gegen rauhe Winde und dergleichen: sie lassen sich, wenn es arg stürmt und weht, mit Behagen einschneien, so daß bloß die Köpfe hervorschauen und der geübte Jäger ihr Vorhandensein dann nur an den schwarzen Zügelstreifen bemerken kann. Wahrscheinlich errichten sie sich Winterwohnungen, tiefe Löcher im Schnee, in der Nähe ihrer Vorrathshaufen. Ein solches mit Grasblättern förmlich ausgelegtes Loch fand Krüper auf einem großen Schneefelde Islands.

Abgesehen von jenen unregelmäßigen Streifzügen treten die Schneehühner im Winter, namentlich im Norden Amerikas, auch weitere Wanderungen an. Obgleich viele der grönländischen Schneehühner auch dann noch auf ihren Standorten verweilen, wenn die lange Winternacht dort eingetreten ist, treffen doch in jedem Spätherbste, und zwar gegen anderer Vögel Art, nicht bei reiseförderndem Gegen-, sondern bei Nordwinde, zahlreiche Massen im Süden der Halbinsel ein und siedeln sich hier auf den Bergen an. Auf Labrador kommen, wie Audubon erzählt wurde, allwinterlich tausende von Alpenschneehühnern an und bedecken alle Berge und Gehänge. Aber auch in Skandinavien hat man ähnliche Fälle beobachtet, auf den Lofoten erzählte man Boje, in Tromsö Liljenborg, daß einmal bei starkem Ostwinde viele hunderte erschienen wären.

[75] Ueber den Federwechsel der Alpenschneehühner ist man noch nicht im klaren. Während die Schweizer Forscher der Meinung sind, daß dieser Wechsel zweimal im Jahre vor sich geht, im Herbste auf alle, im Frühjahre nur auf kleinere Federn sich erstreckend, glaubt Holboell, daß wenigstens eine dreimalige und Macgillivray, daß sogar eine viermalige Mauserung des Gefieders stattfindet. Faber dagegen meint beobachtet zu haben, daß »die weißen Federn des Winters keine Folge einer neuen Mauser im Spätjahre, sondern des Abblassens der Sommerfedern sind«, da er in der Blutfeder stets die bunte Sommerfeder, nie die weiße Winterfeder fand und oft Gelegenheit hatte, zu beobachten, daß jene Winterfeder nach und nach von der Wurzel zur Spitze weiß wurde. Radde berichtet die ihm auffallende Thatsache, daß einige von ihm erlegte Alpenschneehühner im östlichen Sajangebirge schon am zwölften Juni Federn der Unterseite, des Bauches und der Brust erneuerten und bereits die Wintertracht anlegten. »Man sah besonders auf der Brust und am Halse die weißen frischen, meistens noch blutspuligen Federn das bunte Sommerkleid durchsetzen; dagegen schoben sich auf dem Rücken immer noch viel blutspulige Federn vor.« Ich glaube, daß die scheinbar widersprechenden Beobachtungen sich vereinigen lassen; denn ich habe neuerdings erfahren, daß gleichzeitig mit der Mauser auch Verfärbung der Federn stattfinden kann, und wage es, diese Erfahrungen auf das Schneehuhn zu beziehen. Somit nehme ich an, daß die Hauptmauser des Schneehuhnes in den Herbst fällt, daß jedoch wahrscheinlich nicht alle Federn neu gebildet, sondern die im Laufe des Sommers hervorgesproßten wenigstens theilweise umgefärbt werden. Im Frühlinge erneuert sich dann das Kleingefieder, und zwar geschieht dies bei den Weibchen früher als bei den Männchen. Die Färbung dieser jetzt neu gebildeten Federn ist jedoch keine bleibende, sondern im Gegentheile einem mehrfachen Wechsel unterworfene. Uebrigens scheint so viel festzustehen, daß die Heimat des Schneehuhnes allerdings einen Einfluß auf die Mauser ausübt, da das Winterkleid mit Beginne des Winters, das Sommerkleid mit Beginne des Sommers, das eine wie das andere also je nach der Oertlichkeit früher oder später angelegt wird. Kurz vor der Herbstmauser wechseln die Schneehühner auch ihre Krallen.

Die Armut und Unwirtlichkeit der Wohnplätze des Alpenschneehuhnes wird diesem nicht selten verderblich. So anspruchslos es auch sein mag, so geschickt es Sturm und Wetter zu begegnen weiß: aller Unbill der Witterung ist es doch nicht gewachsen. Wenn im Winter bei ruhiger Luft tagelang Schnee herunterfällt, wird unser Huhn kaum gefährdet; wenn aber Lawinen von den Bergen herabrollen, wird manches von den Schneemassen erdrückt, und wenn sich eine harte Eiskruste über die Schneedecke legt, muß manches verkümmern und dem Hunger erliegen. Aber nicht bloß die Natur tritt den harmlosen Vögeln hart, ja fast feindlich entgegen, sondern auch, und in viel höherem Grade, der Mensch und das gesammte Raubgezücht. Tausende und hunderttausende werden alljährlich gefangen; nicht wenige fallen dem mit dem Gewehre ausgerüsteten Jäger zur Beute, und ebenso viele, wie die Menschen für sich beanspruchen mögen, müssen unter dem Zahne der Füchse und des Vielfraßes oder in der Klaue des Jagdfalken und der Schneeeule verbluten.

Alt eingefangene Schneehühner lassen sich zähmen, das heißt an ein Ersatzfutter und an den Käfig gewöhnen, halten auch längere Zeit in der Gefangenschaft aus; junge hingegen sollen eine so sorgfältige Pflege beanspruchen, daß ihre Aufzucht selten gelingt. Mehr weiß ich hierüber nicht mitzutheilen; denn ich selbst habe niemals ein lebendes Alpenschneehuhn im Käfige gesehen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 71-76.
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