Heerschnepfe (Gallinago gallinaria)

[284] Die Heerschnepfe oder Bekassine, auch Sumpf-, Moos-, Bruch-, Ried-, Gras-, Haar-, Ketsch-, Herren- oder Fürstenschnepfe genannt (Gallinago gallinaria, scolopacina, scolopacinus, japonicus, Burka, latipennis, niloticus, uniclavata und uniclava, Scolopax gallinago, Brehmii, Sabini, uniclavata, peregrina, pygmaea, Lamottii und saturata, Telmatias gallinago, Petenyi, salicaria, stagnatilis, septentrionalis, lacustris, peregrina, brachypus und faeroensis, Ascolopax gallinago), ist der Mittelschnepfe sehr ähnlich, oberseits auf braunschwarzem Grunde durch einen breiten, rostgelben Streifen, welcher längs der Kopfmitte verläuft, und vier lange, rostgelbe Streifen, welche sich über den Rücken und die Schultern ziehen, gezeichnet, auf der Unterseite dagegen weiß, auf dem Vorderhalfe grau, hier, auf der Oberbrust und an den Seiten braun gefleckt. Der Schwanz wird von vierzehn Steuerfedern gebildet. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel schwarz, der Fuß dunkel hornfarben. Die Länge beträgt neunundzwanzig, die Breite fünfundvierzig, die Fittiglänge dreizehn, die Schwanzlänge sechs Centimeter. – Eine ebenfalls in Deutschland vorkommende Bekassine mit sechzehn Steuerfedern, deren äußerste länger als die zweite und an der Spitze weiß gefleckt ist, hat Kaup meinem Vater zu Ehren (Gallinago Brehmii, Scolopax Brehmii) genannt.

Der Norden Europas und Asiens ist auch die Heimat der Heerschnepfe; sie geht jedoch nicht so hoch hinauf wie die Mittelschnepfe und brütet überall, wo es große Sümpfe gibt, wahrscheinlich noch im Süden Europas und vielleicht sogar im Norden Afrikas. In Norddeutschland, Holland, Dänemark, Skandinavien, Livland, Finnland und Südsibirien ist sie an geeigneten Oertlichkeiten außerordentlich gemein. Während ihres Zuges besucht sie alle größeren und kleineren Sümpfe, Brüche und Moore, welche zwischen ihrer Sommer- und ihrer Winterherberge liegen. Letztere nimmt vielleicht noch einen größeren Raum ein als ihre Heimat selbst; denn die Bekassine kommt von Südchina an bis zum Senegal in allen zwischen dem fünfundvierzigsten und zehnten Grade nördlicher Breite liegenden Ländern als Wandervogel vor. Mit Beginne des Oktober erscheint sie in Egypten oder in Indien in unermeßlicher Anzahl, siedelt sich in allen Brüchen, Sümpfen und überschwemmten Reisfeldern an, setzt sich sogar an Strömen mit sandigen Ufern fest und läuft hier wie ein Strandläufer ungedeckt umher, wandert den Strömen nach, soweit sie es in südlicher Richtung thun kann, und besucht möglicherweise die Quellen des Nils ebenso regelmäßig wie die Mündungen des Ganges. Auch sie gehört, trotz ihres massenhaften Auftretens an einem und demselben Orte, zu den ungeselligen Vögeln. Eine kann dicht neben der anderen liegen, wird sich aber schwerlich um ihren Nachbar bekümmern, und jede einzelne bewegt sich, mit Ausnahme der Brutzeit, stets nach eigenem Belieben. Ihre Reise legt sie ebenfalls in der Nacht zurück; aber auch während des Wanderfluges zieht jede unabhängig von der anderen ihres Weges fort. Unser Vaterland durchreist sie, sobald sich einigermaßen mildes Frühlingswetter einstellt, also unter Umständen bereits von Mitte des Februar an bis zur Mitte des April, im Herbste vom August an bis zum September und Oktober. In milden Wintern verweilen viele schon bei uns zu Lande; man trifft sie sogar in schneereichen Wintern hier und da, wenn auch einzeln, an sogenannten warmen Quellen an. [284] Trockene Gegenden durcheilt sie so schnell wie möglich. Man begegnet ihr nur in feuchten Niederungen, Sümpfen, Morästen, auf schlammigen Wiesen, kurz, auf Oertlichkeiten, welche dem eigentlichen Sumpfe mehr oder weniger ähneln: ein Vorkommen an kahlen Flußufern, wie ich es in Nubien beobachtet habe, gehört zu den seltensten Ausnahmen. Wesentliche Bedingung des Aufenthaltsortes ist, daß der Boden Gräser, Seggen, Ried- und andere Sumpfpflanzen trägt und ihren Bohrarbeiten kein Hindernis bietet. Auf solchen Stellen, welche wir kurzweg Sümpfe nennen wollen, treibt sie, mit Ausnahme der Brutzeit, ihr Wesen so still, daß man von ihrem Vorhandensein nichts wahrnimmt. Auch sie ist vorzugsweise in der Dämmerung thätig, aber doch viel mehr Tagvogel als Wald- und Mittelschnepfe. Wahrscheinlich schläft sie nur in den Mittagsstunden und benutzt die übrige Tageszeit, wenn sie sich ungestört weiß, zur Aufsuchung ihrer Nahrung.

Ihr Gang ist verhältnismäßig gut, zwar nicht so rasch wie der eines Strand- und Wasserläufers, aber doch viel schneller als der einer Waldschnepfe; ihr Flug geschieht überaus schnell und zeichnet sich dadurch aus, daß er anfänglich kurz nach dem Erheben mehrere Zickzacklinien beschreibt, auf welche das gerade Fortstürmen folgt. Fast jede Bekassine erhebt sich jählings in die Luft, streicht mit raschen Flügelschlägen weit weg, beschreibt einen großen Bogen, kehrt bis ziemlich zu derselben Stelle, von welcher sie sich erhob, zurück, zieht plötzlich die Flügel ein und stürzt in schräger Richtung mit größter Schnelligkeit wieder in den Sumpf hernieder. Daß sie trefflich zu schwimmen versteht, und diese Kunst auch ohne Noth ausübt, habe ich oft beobachtet. Bei Gefahr, insbesondere wenn sie von einem Raubvogel verfolgt wird, nimmt sie zum Untertauchen ihre Zuflucht. Der gewöhnliche Ruf, welchen sie beim Auffliegen hören läßt, ist ein heiseres »Kähtsch«, welches unter Umständen mehrmals wiederholt wird. Zur Zugzeit vernimmt man ein heiseres »Grek, geckgäh«, und ebenso zuweilen ein hohes »Zip«. In ihrem Wesen unterscheidet sie sich in vieler Hinsicht von Wald- und Mittelschnepfe. Sie ist ebenso scheu und furchtsam wie jene, aber weit beweglicher und bewegungslustiger als beide Arten, gefällt sich oft in einem Umherfliegen, welches man als unnütz bezeichnen möchte, und zeigt sich nur, wenn sie sehr feist geworden, einigermaßen träge. Ihrem Gatten hängt sie mit warmer Zärtlichkeit an, und die Brut liebt sie ungemein; im übrigen bekümmert sie sich, streng genommen, um kein anderes Thier, welches ihr nicht gefährlich wird.

Kerbthiere, Würmer, kleine Nacktschnecken und dünnschalige Muschelthiere bilden ihre Nahrung. Auch sie sucht diese erst in der Dämmerung und Nacht auf, streicht wenigstens erst zu dieser Zeit von einer Stelle zur anderen umher und fällt gelegentlich auch auf Oertlichkeiten ein, auf denen sie sich übertages nicht sehen läßt. Bei reichlichem Futter wird sie außerordentlich fett.

In entsprechenden Sümpfen brütet ein Pärchen der Sumpfschnepfe nahe bei den anderen. Schon lange vor dem Legen beginnen die in jeder Hinsicht ausgezeichneten Liebesspiele. »Es schwingt sich das Männchen«, schildert Naumann sehr richtig, »von seinem Sitze aus dem grünen Sumpfe meistens blitzschnell, erst in schiefer Richtung aufsteigend, dann in einer großen Schneckenlinie himmelan, bei heiterem Wetter so hoch in die Lüfte, daß es nur ein gutes Auge noch für einen Vogel erkennt. In solcher Höhe treibt es sich nun flatternd im Kreise herum und schießt aus diesem mit ganz ausgebreiteten, stillgehaltenen Flügeln, senkrecht, in einem Bogen, herab und hinauf, und mit einem so besonderen Kraftaufwande, daß in diesem Bogenschusse die Spitzen der großen Schwingen in eine bebende oder schnurrende Bewegung gesetzt werden und dadurch einen zitternden, wiehernden, summenden, knurrenden oder brummenden Ton geben, welcher dem Meckern einer Ziege höchst ähnlich ist, und dem Vogel zu dem Namen Himmelsziege, Haberbock und ähnlichen verholfen hat. Durch einen so kräftigen Bogenschuß ist es nun wieder in die vorige Höhe gekommen, wo es wiederum flatternd einige Male herumkreist, um Kräfte zu einem neuen, senkrechten Bogensturze und dem mit ihm verbundenen Summen, Brummen, Meckern, oder wie man es sonst noch nennen möchte, zu sammeln, welcher sofort erfolgt. Und so wird das Kreisen in einem wagerechten Striche und auf einem kleinen Raume mit den damit abwechselnden senkrechten Bogenstürzen und Meckern oft viertel-, ja halbestundenlang fortgesetzt, wobei noch zu bemerken [285] ist, daß dieses Getön an und für sich wenig über zwei Sekunden anhält und anfänglich in Zwischenräumen von sechs bis acht, später aber, wenn die Kräfte anfangen zu erlahmen, von zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden wiederholt wird. Wenn es mit Silben deutlich gemacht werden soll, kann man es mit ›Dududududududu‹, so schnell wie nur möglich gesprochen, am besten versinnbildlichen. Da das Männchen diese wunderlichen Gaukeleien nicht allein in der Abend- oder Morgendämmerung, sondern auch nicht selten am Tage und stets bei ganz heiterem Himmel und stillem Wetter ausübt, so hält es mit natürlich scharfem Auge durchaus nicht schwer, die wirbelnd schnurrende Bewegung der Schwungfederspitzen bei jenem heftigen Hinauf- und Herabdrängen des Vogels durch die Luft deutlich genug wahrzunehmen und sich zu überzeugen, daß diese Töne allein hierdurch hervorgebracht werden und nicht aus der Kehle des Vogels kommen.« Neuerdings hat man sich dahin geeinigt, daß man nicht die Schwingen, sondern die Schwanzfedern als Erzeuger des meckernden Lautes ansieht. Die Liebesbegeisterung beeinflußt übrigens das Männchen so, daß es sein sonstiges Wesen gänzlich verleugnet, sich z.B. zuweilen auf starke Baumspitzen frei hinstellt und mit zitterndem Fluge auf- und abfliegt; auch bekümmert es sich jetzt um andere seiner Art, wenn auch freilich nicht in freundlicher Absicht. Jedes Männchen spielt allerdings für sich und beschreibt seinen eigenen Kreis in der Luft; aber es geschieht doch gar nicht selten, daß die Eifersucht zwei zusammenbringt und ein ziemlich ernster Kampf ausgefochten wird. Auf das Umhertummeln in der Luft folgt der zweite Akt des Liebesspieles. »Wenn das Männchen mit jener gewiß sehr anstrengenden, sonderbaren Bewegung lange genug sich abgeplagt hat«, fährt Naumann fort, »ertönt aus dichtem, nassem Verstecke am Boden, an weniger unsicheren Orten, wohl auch von einem erhabenen Steine oder Hügelchen, der zärtlich verlangende Liebesruf der Auserwählten zum Geliebten hinauf, und kaum hat dieser die ersehnte Einladung vernommen, als er auch sogleich seine Gaukelei beendet, seine Flügel dicht an den Leib zieht und wie ein fallender Stein, auch mit eben solchem Sausen, fast senkrecht aus der Höhe zu seinem Weibchen herabstürzt. Den dritten und letzten Akt, welcher nun folgt, verbergendem Späher die dichten Umgebungen.« Jener Ausdruck der Liebe ist ein hoher, reiner, pfeifender Laut, welchen man durch die Silben »Tikküp« oder »Diëp« ungefähr wiedergeben kann. An derjenigen Stelle, von welcher sich das Männchen gewöhnlich zu seinem Liebesspiele aufschwingt und zu welcher es wieder zurückkehrt, steht, rings von Sumpf und Wasser umgeben, auf einer Erhöhung, zwischen Schilfgräsern ziemlich verborgen, das Nest, eigentlich nur eine Eindrückung des Grases selbst, welche höchstens mit trockenen Blättchen und Hälmchen belegt, durch das weiter wachsende Gras später aber fast vollständig überdeckt wird. Von der Mitte des April an bis zu Ende des Mai findet man in ihm regelmäßig vier, durchschnittlich achtunddreißig Millimeter lange, achtundzwanzig Millimeter dicke, feinkörnige, glattschalige, glanzlose Eier, welche auf schmutzig oder grünlich olivengelbem, auch schwach graugrünem Grunde mit grauen Schalenflecken und vielen groben Oberflecken und Punkten von grünlicher oder röthlicher und schwarzbrauner Färbung gezeichnet sind. Sie werden vom Weibchen allein innerhalb funfzehn bis siebzehn Tagen ausgebrütet, die Jungen aber von beiden Eltern geführt, weshalb auch der Vater, sobald seine Kinder das Licht der Welt erblickt haben, seine Gaukeleien einstellt. Ihr buntscheckiges Dunenkleid macht schon nach acht bis zehn Tagen dem Jugendkleide Platz; nach ein paar Wochen beginnen sie bereits zu flattern, einige Tage später sind sie selbständig geworden.

Die Heerschnepfe ist, dank ihres Aufenthaltes und ihrer bedeutenden Flugfertigkeit, weniger Gefahren ausgesetzt als die Waldschnepfe; Edelfalken und Habichte fangen aber doch manche, und der Fuchs sucht sie auch im Sumpfe auf. Die Brut mag wohl am meisten vom Rohrweih zu leiden haben. Plötzliches Anschwellen der Gewässer vernichtet manchmal hunderte ihrer Nester zu gleicher Zeit. Der Europäer verfolgt sie ihres schmackhaften Wildpretes, welches dem der Mittelschnepfe an Wohlgeschmack zwar bei weitem nachsteht, das der Waldschnepfe jedoch entschieden übertrifft, allenthalben, wenn auch nicht überall mit besonderem Eifer, weil das Umherwaden im Sumpfe nicht jedermannes Sache und die zur Jagd unbedingt erforderliche Fertigkeit im [286] Flugschießen nicht jedermann eigen ist. Unter den Ungarn und unter den Europäern Egyptens oder Indiens aber hat diese Jagd, nach meinem Dafürhalten eine der angenehmsten, welche es gibt, begeisterte Anhänger, belohnt sich in den gedachten Ländern aber auch so wie nirgend anderswo.

Auch Bekassinen lassen sich in der Gefangenschaft halten; ihre Eingewöhnung verlangt aber einen sehr geschickten Pfleger, welcher sich keine Mühe verdrießen läßt. Die gefangenen werden zutraulich, zeigen sich aber bei Tage träge und schläferig und nur des Nachts munter, können also nicht zu den empfehlenswerthen Stubenvögeln gezählt werden.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 284-287.
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