Moorschnepfe (Gallinago gallinula)

[287] Die Moorschnepfe, Halb-, Maus- oder Fledermausschnepfe, auch stumme Schnepfe, Haarpudel, Böckerle oder Filzlaus genannt (Gallinago gallinula und minima, Scolopax, Telmatias, Ascolopax und Lymnocryptas gallinula, Philolimnos gallinula, stagnatilis und minor), ihres schmalrückigen, kurzen, verhältnismäßig hohen, vor der Spitze verbreiterten Schnabels und zwölffederigen Schwanzes halber von meinem Vater zum Vertreter der Sippe der Moorschnepfen (Philolimnos) erhoben, ist die kleinste Schnepfenart: ihre Länge beträgt sechzehn, die Breite neununddreißig, die Fittiglänge elf, die Schwanzlänge vier Centimeter. Zügel, ein Streifen unter den Wangen und Kopf sind braun, zwei Streifen über und unter dem Auge rostgelblich, die Mantelfedern schwarzblau, mit grünem und purpurnem Schiller und vier rostgelben Hauptstreifen, die der Gurgel, des Kropfes und der Seiten grau, bräunlich gewellt und gefleckt, übrigens weiß, die Schwung- und Steuerfedern mattschwarz, letztere rostgelb eingefaßt. Das Frühlingskleid zeigt auf den Flügeln eine mehr rostrothe Färbung als das Herbstkleid; das Jugendkleid ist nicht so strahlend wie das der alten Vögel.

An denselben Orten, welche während des Frühlings- und Herbstzuges die Heerschnepfe beherbergen, findet man auch ihre kleinere Verwandte, niemals jedoch in derselben Anzahl. Einzelne Pärchen brüten hier und da in Deutschland; ihre eigentliche Heimat aber ist Rußland und Westsibirien; in Ostsibirien fand Radde sie nur selten. In Skandinavien trifft man sie hier und da als Brutvogel an; in Livland und Lithauen ist sie gemein. Ihre Wanderung erstreckt sich nicht so weit nach Süden wie die der Bekassine; jedoch kommt sie gleichzeitig mit letzterer in Indien an, vertheilt sich über die ganze Halbinsel und verläßt diese im Frühjahre mit ihrer Verwandten wieder. Dasselbe gilt für Nordafrika. In Spanien und Griechenland überwintern viele, und zwar auf Ackerland. »Diese Felder«, sagt Graf von der Mühle, »werden im Winter durch den oft vierzehn Tage anhaltenden Regen dreißig bis sechzig Centimeter hoch unter Wasser gesetzt, und sind dann der Lieblingsaufenthalt von unzähligen Sumpf- und Moorschnepfen, unter welchen die letzteren zwar die wenigst zahlreichen, jedoch noch immer häufig genug sind. Dort sah ich sie zum erstenmale zu tausenden bei Tage, besonders bei nebeligem und regnerischem Wetter, umherlaufen und ihre Nahrung suchen.« Lindermayer fügt dem hinzu, daß man sie im Sitzen schießen könne, aber noch erfolgtem Schusse in die größte Verlegenheit komme, weil tausende von Moor- und anderen Sumpfschnepfen in wolkenartigen Schwärmen auffliegen und den Schützen verwirren. Im Anfange des März verlassen die Wintergäste den Süden und reisen nun, wie die übrigen Arten des Nachts, der eigentlichen Heimat zu.

Die Halbschnepfe ähnelt in ihrer Stellung den verwandten Arten, läuft auch ungefähr wie diese auf den Boden umher, fliegt aber viel weniger gut, d.h. unsicherer, obgleich sie noch immer schnell genug dahineilt und die verschiedensten Schwenkungen ausführen kann, erhebt sich ungern hoch in die Luft, sondern flattert zuweilen förmlich über dem Sumpfe fort, so daß sie wirklich einer Fledermaus ähnlich wird, und schreit beim Auffliegen noch seltener als die Mittelschnepfe, liegt ungemein fest und läßt einen Störenfried unter allen Umständen bis auf wenige Schritte nahen, bevor sie sich überhaupt zum Fliegen entschließt. Bei heftigen Winde wagt sie kaum aufzustehen, weil sie dann wie ein Spielball fortgeschleudert wird. Ihre Stimme, welche man am häufigsten [287] noch gegen Abend vernimmt, ist ein feiner, scharfer, wie »Kiz« oder, wenn dumpf betont, wie »Aehtsch« klingender Laut; der Balzruf läßt sich wiedergeben durch die Silben »Tettettettettet«, welche zuweilen vier bis sechs Sekunden ununterbrochen ausgestoßen werden. Uebrigens ist auch sie höchst ungesellig, bekümmert sich überhaupt nur gezwungen um andere Thierarten. Ihre Nahrung ist im wesentlichen dieselbe wie bei den anderen Sumpfschnepfen; doch hat man in ihrem Magen öfter als bei den verwandten Arten auch feine Sämereien gefunden.

Wahrscheinlich brütet die Halbschnepfe nicht so selten in Deutschland, wie gewöhnlich angenommen wird. Eugen von Homeyer erhielt in Pommern, Söter in Westfalen, Bolzmann ebenda, und zwar im Niederstifte, gefundene Eier. Skandinavien, Lithauen, Livland und Estland, Mittelrußland und Südsibirien sind ihre eigentlichen Brutländer. Das Nest ist eine mit wenig Grashälmchen belegte Grube auf einem Hügelchen. Die vier Eier sind kleiner und glattschaliger als die Eier der Bekassine, ihnen aber sonst sehr ähnlich. Sie haben auf matt olivengrünem Grunde violettgraue Schalenflecke, gelbliche oder röthlichbraune in der Mitte und schwarzbraune Tüpfel zur Oberzeichnung. Das brütende Weibchen sitzt so fest, daß Wolley eines mit der Hand berühren konnte, bevor es aufflog. Ueber das Jugendleben der Jungen ist mir keine sichere Angabe bekannt.

Dieselben Feinde, welche der Bekassine nachstellen, gefährden auch die Halbschnepfe. Ihre Jagd bietet kaum erhebliche Schwierigkeiten, weil sie sehr fest liegt und dann auch nur verhältnismäßig langsam dahinfliegt. Im Spätherbste, wenn sie sehr feist geworden, zeigt sie sich zuweilen so träge, daß man sie vor dem Vorstehhunde mit der Hand wegnehmen oder mit dem Netze überdecken kann. Das Wildpret ist vorzüglicher als das der Bekassine.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 287-288.
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