Gerfalk (Falco gyrfalco)

[535] Der Gerfalk, Gierfalk oder Geierfalk (Falco gyrfalco, gyrofalco und norvegicus, Accipiter und Hierofalco gyrfalco) ist, um es mit zwei Worten auszudrücken, ein Wanderfalk im großen. Seine Oberseite ist dunkel graublau, auf dem Rücken und Mantel schwarz, auf dem licht graublauen Schwanze dunkler gebändert, auf den Schwingen braunschwarz, die grauliche oder gilblichweiße Unterseite mit dunklen Längsflecken gezeichnet, welche sich auf den Seiten und auf den Hosen in Querflecke verwandeln. Beim jungen Vogel ist Dunkelbraun auf der Oberseite die herrschende Färbung, die Unterseite dagegen auf lichtem, graugilblichem Grunde mit dunklen Längsflecken gezeichnet. Nestvögel des Gerfalken sind von gleich alten Wanderfalken kaum zu unterscheiden. Ueber die Bedeutung des Namens belehrt uns Geßner. »Wirt ein Gerfalk genennt, daß er viel mal rund umb den Raub herumb fleugt: und was klein ist, verschmehet er und stosset allein die grossen Vögel als Kränch, Schwanen und dergleichen.«

Die Größenverhältnisse aller Jagdfalken sind fast genau dieselben; der Gerfalk scheint der kleinste zu sein. Nach eigenen Messungen beträgt die Länge des Weibchens sechzig, die Breite einhundertsechsundzwanzig, die Fittiglänge vierzig, die Schwanzlänge vierundzwanzig Centimeter.

Das Verbreitungsgebiet des Gerfalken beschränkt sich, so weit bis jetzt bekannt, auf den Norden Skandinaviens, das nördliche Rußland und, falls Middendorf recht beobachtet hat, das östliche Sibirien. Nach meinen Erfahrungen ist er der einzige Jagdfalk, welcher in Lappland brütet. Ein junger, in Westsibirien erlegter Vogel, welchen ich in einer Sammlung in Tjumen am östlichen Ural sah, war nicht der Gerfalk, sondern der Jagdfalk.

Noch heutigen Tages sind wir über das Freileben der Jagdfalken nicht genügend unterrichtet und noch weniger im Stande zu sagen, ob überhaupt und inwiefern die verschiedenen Arten hierin von einander sich unterscheiden. Es wird deshalb nothwendig sein, das über alle bekannte in gedrängter Kürze zusammenzustellen, um ein Bild ihres Lebens zu gewinnen.

Die Jagdfalken bewohnen in den nördlichen Ländern vorzugsweise steile Seeküsten, auf deren Felswänden sie sich ansiedeln, ohne jedoch den Wald gänzlich zu meiden. Doch kann man sie nicht in dem Grade wie andere Falken als Waldvögel bezeichnen. Am liebsten siedeln sie sich in der Nähe der Vogelberge an, da, wo während des Sommers Millionen von Seevögeln sich vereinigen, um zu brüten. Hier habe ich den Gerfalken niemals vermißt. Die jungen Vögel, das heißt alle diejenigen, welche noch nicht gepaart und fortpflanzungsfähig sind, streifen oft, unter Umständen weit im Inneren des Landes umher und kommen nicht selten auch in den nordischen Alpen vor, wogegen alte Vögel im Gebirge selten gefunden werden. Junge Jagdfalken sind es daher auch, welche zuweilen die Grenzen ihres eigentlichen Verbreitungsgebietes weit überschreiten und unter solchen Umständen im nördlichen Skandinavien, auf den Färinseln, in Großbritannien, Dänemark und Deutschland bemerkt werden, ebenso wie sie vom Norden Rußlands aus nach den südlicheren Theilen des Landes und von Nowaja Semlja aus den Ob entlang bis zum südlichen Ural streichen, wenigstens noch in der Gegend von Tjumen vorkommen. Ob die von Middendorf und Radde in Ostsibirien beobachteten Jagdfalken wirklich Gerfalken waren, will ich dahingestellt sein lassen; glaublicher erscheint es mir, daß der hochnordische Jagdfalk außer Nowaja Semlja auch noch andere Eilande [535] oder Küstentheile Nordasiens bewohnt und von hier aus im Winter südlicher streicht oder wandert, ebenso wie er auch im höchsten Norden Amerikas, von der Baffinsbai bis zur Behringsstraße, Brutvogel sein dürfte. Doch versichert man, den Gerfalken auch aus dem westlichen britischen Nordamerika erhalten zu haben, und somit wäre es möglich, daß sich sein Verbreitungsgebiet vom Norden Skandinaviens aus längs der Seeküsten bis Amerika erstrecken könnte, was dann wiederum darauf hinweisen dürfte, daß auch er als südliche Abart des Jagdfalken angesehen werden muß.

Bemerken will ich noch, daß, nach meinen Erfahrungen, Collett in seinen »Bemerkungen über die Vögel Norwegens« Ger- und Wanderfalk insofern verwechselt, als er von dem einen sagt, was für den anderen Geltung hat.

Jedes Paar hält an dem einmal gewählten Wohnsitze mit zäher Beharrlichkeit fest und wird, wenn es von demselben vertrieben wurde, sehr bald durch ein anderes ersetzt. Gewisse Felswände in Lappland beherbergen Gerfalken seit Menschengedenken: am Warangerfjord z.B. konnte mir der vogelkundige Kaufmann Nordvy mit aller Bestimmtheit eine Stelle angeben, wo ich ein Paar von ihnen finden würde; und doch hatte er diese Stelle seit vielen Jahren nicht besucht und von dem Vorhandensein der Falken neuerdings keine Kunde erhalten.

In ihrem Betragen und Wesen haben die Jagdfalken mit dem Wanderfalken die größte Aehnlichkeit. Man kann höchstens sagen, daß ihr Flug nicht so schnell und ihre Stimme tiefer ist als bei diesem. Ich wenigstens habe an denen, welche ich im Freileben und in der Gefangenschaft beobachtete, einen anderen Unterschied nicht wahrnehmen können. Es wird wahrscheinlich alles, was wir vom Betragen der Wanderfalken kennen gelernt haben, auch auf sie zu beziehen sein.

Seevögel im Sommer und Schneehühner im Winter bilden ihre Nahrung; außerdem sollen sie Hasen anfallen und nach Radde's Versicherung monatelang von Eichhörnchen leben. Sie sind furchtbare Feinde des von ihnen bedrohten Geflügels und der Schrecken aller Bewohner der Vogelberge. Auf den Nyken, zwei Vogelbergen im nordwestlichen Lappland, sah ich während meines dreitägigen Aufenthaltes regelmäßig um zehn Uhr Vormittags und gegen vier Uhr Nachmittags die beiden Gatten eines Gerfalkenpaares erscheinen, um Beute zu gewinnen. Ihre Jagd war stets überraschend kurz. Sie kamen an, umkreisten den Vogelberg ein- oder zweimal und stießen dann unter einen Schwarm der Lummen, Alken oder Lunde, packten regelmäßig einen dieser Vögel und trugen ihn davon. Ich habe sie nie fehlstoßen sehen. Holboell versichert, selbst beobachtet zu haben, wie ein Polarfalk zwei junge dreizehige Möven auf einmal in seine Fänge nahm, eine in jede seiner Klauen, und auf gleiche Weise zwei Meerstrandläufer erbeutete, und Faber fand einen von ihm bestiegenen Horst reichlich mit Lummen, Alken und Lunden und dreizehigen Möven versehen. Außer Seevögeln werden die brütenden Jagdfalken auch den Morasthühnern und Tauben gefährlich; doch sagt Holboell, daß er nur zwei junge Tauben verloren habe, welche der Falk im Sitzen nahm, weil die alten, welche sehr oft von dem Räuber gejagt wurden, von ihm nicht eingeholt werden konnten. Nach der Brutzeit kommen die Jagdfalken oft den menschlichen Wohnungen nahe, zeigen überhaupt wenig Scheu und lassen sich sogar herbeilocken, wenn man ein Schneehuhn oder einen anderen Vogel wiederholt aufwirft. Im Winter verlassen sie die Seeküsten und folgen dem Gange des Schneehuhnes auf den Bergen. Dieses fürchtet den Jagdfalken, seinen furchtbarsten Feind, in so hohem Grade, daß es sich, wie Schrader beobachtete, bei seinem Anblicke mit reißender Schnelligkeit und größter Gewalt auf den Schnee stürzt und so eilig als möglich in ihm vergräbt. Wahrscheinlich versuchen auch die Seevögel, vor dem Falken sich zu retten; bei ihrer ungeheueren Menge aber kann man die Bewegungen des einzelnen, welcher gejagt wird, nicht unterscheiden. Man bemerkt bloß, daß der Schwarm auseinanderstiebt, wie Tauben zu thun pflegen, wenn der Wanderfalk unter sie stößt.

Die Abhängigkeit des Jagdfalken von den Seevögeln erklärt, daß er nicht ebenso regelmäßig wandert wie Wanderfalk und Merlin, welche mit ihm im hohen Norden hausen. Für ihn verliert der hochnordische Winter seine Bedeutung. So weit der Golfstrom sich geltend macht, umbrandet [536] eisfreies Meer die von ihm bewohnten Küsten, und selbst da, wo Eisberge letztere umlagern, bleiben noch offene Stellen, welche seine Opfer sammeln und ihm Unterhalt gewähren, ebenso wie auch die nördlichsten Länder und Eilande jahraus jahrein von dem Morastschneehuhne bevölkert werden und ihm somit selbst das Festland beutereiche Jagd ermöglicht. In der Fremde muß er sich wahrscheinlich viel mehr einschränken und des täglichen Brodes halber mehr mühen als in der Heimat, dort auch zu Jagden entschließen, wie er sie hier wohl niemals betreibt. »In den verwachsenen Dickichten der Wälder des Burejagebirges«, sagt Radde, »wurde es dem Jagdfalken nicht möglich, auf seine gewöhnliche Beute, die Eichhörnchen, zu stoßen. Er lauerte ihr daher hinterlistig auf und war dabei sehr geduldig, jedoch bei alledem so scheu, daß ich nie zum Schusse kommen konnte.« Einen anderen Jagdfalken sah derselbe Beobachter nahe am Stamme einer Kiefer bäumen, unmittelbar neben einem Volke Birkhühner, welches auf den benachbarten Bäumen sich äste. Unzweifelhaft saß auch dieser Vogel auf der Lauer.

Der große, flache Horst des Jagdfalken steht, nach Faber, in der Höhle einer unzugänglichen Felswand, nahe am Meere. Nach Nordvy's Versicherung bemächtigt sich der Gerfalk gewöhnlich eines Kolkrabennestes, welches er vorfindet, oder aus dem er den rechtmäßigen Inhaber mit Gewalt vertreibt. In solchem Falle belegt der Falk den Horst nur mit wenigen dünnen Reisern, welche er in den Fängen herbeiträgt, und polstert die Mulde mit Bruchtheilen grüner Weidenzweige und mit Büscheln Seggengrases aus, welche aber später durch die Ueberreste der den Jungen zugeschleppten reichlichen Mahlzeiten vollständig bedeckt werden. Selbsterrichtete Nester bestehen aus sehr dicken Knüppeln, wie sie weder Raben noch Bussarde verwenden, und etwas trockenem Grase. Mac Farlane versichert, den Gerfalken in der Umgebung des Flusses Anderson und in der Nähe der Festung gleichen Namens so häufig brütend gefunden zu haben, daß er achtzehn Horste besteigen konnte. Mit zwei Ausnahmen standen diese sämmtlich auf der Spitze von Kiefern oder anderen Bäumen, zwischen drei bis acht Meter über dem Grunde. Einige Horste waren in den Wipfeln, andere in den tieferen Zweigen nahe am Stamme errichtet. Alle bestanden aus Aesten und schwachen Zweigen und waren mit Moos, dürrem Grase, Hirschhaaren, Federn und anderen weichen Gegenständen ausgepolstert. Nur ein Horst stand auf Felsen und war dem entsprechend sehr leicht gebaut; ein anderer Horst endlich wurde auf dem Boden an der Seite eines steilen und hohen Hügels gefunden. Nach Holboell legt der Polarfalk in Grönland im Juni seine Eier; Nordvy dagegen sagte mir, daß der Gerfalk bereits im April mit seinem Brutgeschäfte beginne, und schenkte mir die Bälge von vier Jungen, welche er im Juni ausgenommen hatte. Ich fand Anfang Juli ein Paar Gerfalken noch am Horste, konnte aber freilich nicht ergründen, ob in letzterem Junge waren oder nicht. Hiermit stimmen die Angaben Wolley's, welcher in Lappland selbst Gerfalkennester untersuchte, vollkommen überein. Auch er fand frischgelegte Eier Anfang Mai und erhielt Gelege, welche bereits Ende April vollzählig waren. Um diese Zeit liegt die Heimat des Vogels noch unter tiefem Schnee begraben. Für Nowaja Semlja und vielleicht noch andere hochnordische Strecken des Verbreitungsgebietes der Jagdfalken insgemein fällt die Brutzeit wahrscheinlich erst in die späteren Monate des Jahres. Als Graf Wilczek auf Nowaja Semlja am fünfundzwanzigsten August mit Aufnahme von Photographien beschäftigt war, sah er einen weithin sichtbaren schneeweißen Jagdfalken geraden Weges auf sich zukommen und schoß mit seinem Schrote nach demselben. Der Falk schrie laut auf und begann nun die nachdrücklichste Verfolgung des Grafen, indem er vier bis fünf Stunden nach einander ihn umflog und ununterbrochen unter lautem Geschrei auf ihn hinunterstieß. Durch sein erregtes Gebaren verrieth er endlich den Horst, in welchem das Weibchen auf drei Eiern brütend saß. Der Vogel geberdete sich bei seinen Angriffen genau in der Weise wie ein Wanderfalk am Horste, stieß bis auf wenige Meter vom Gesichte meines Gewährsmannes vorüber und setzte ungeachtet der erhaltenen Warnung sein Leben so rücksichtslos aufs Spiel, daß Wilczek ihn schließlich erlegen konnte, nachdem er sich vorher am Horste verborgen aufgestellt hatte. Die vier Eier vergleicht Holboell nicht [537] unpassend mit denen des Schneehuhnes, nur daß sie doppelt so groß und mehr abgestumpft sind; die Färbung ist jedoch bei allen verschieden; auch die Gestalt ändert nicht unwesentlich ab. Ein Ei, welches ich von Nordvy empfing, ist auf gilblichweißem Grunde röthlichroth gemarmelt, gefleckt und gepunktet.

In früheren Jahren sandte die dänische Regierung alljährlich ein besonderes Schiff, welches das Falkenschiff genannt wurde, nach Island, um von dort Edelfalken zu holen. Die stolzen Vögel wurden entweder von mitreisenden Falknern gefangen oder waren von den Isländern bereits ausgehoben und großgefüttert worden. Die Kosten für Ankauf und Unterhalt der Falken, Löhnung der Mannschaft usw. waren nicht unerheblich; da der Fang jedoch geregelt war, kam ein Falk immerhin auf nicht mehr als neun oder zehn Thaler dänisch zu stehen. Von Kopenhagen aus gelangten die edlen Vögel in den Besitz der Falkner oder wurden als kostbare Geschenke an verschiedene Höfe gesandt. In unseren Tagen bekümmert sich die Regierung erklärlicherweise nicht mehr um den Fang; gleichwohl bringt das Sommerschiff, welches nach Island geht, fast alljährlich noch einige lebende Falken mit nach dem Mutterlande hinüber, und sie sind es, welche man dann und wann in unseren Thiergärten sieht. In Lappland oder in Skandinavien überhaupt scheint niemand sich auf den Falkenfang zu legen, wie denn überhaupt der Gerfalk dort, ungeachtet des von ihm angerichteten Wildschadens, nur von dem Naturforscher verfolgt wird. Freilich sind die Vogelberge während des Sommers so massenhaft belebt und die Gebirge so stark mit Schneehühnern bevölkert, daß der Schaden nicht sehr bemerklich wird, und zudem versichern die Norweger, daß einige jagende Engländer, welche aus reiner Mordsucht alljährlich tausende von Schneehühnern erlegen, viel ärger unter diesen aufräumen, als alle Gerfalken zusammengenommen. In Island und Grönland hingegen, wo die Jagdfalken häufiger sind und im Winter regelmäßig den Wohnungen sich nähern, stellt man ihnen ziemlich rücksichtslos nach, und in ganz Nordasien werden sie noch heutigen Tages für die Baize gefangen. So erzählten die Birartungusen, welche den Vogel sehr gut kennen, daß früher besonders die chinesischen Beamten und reichen Kaufleute des Himmlischen Reiches Jagdfalken hielten und sie zur Jagd oder zum Kampfe mit Adlern abrichteten, daß dies jedoch jetzt nicht mehr erlaubt sei. Bei den Wandervölkern Ostsibiriens besteht die Baize nach wie vor, und gerade der Jagdfalk wird von ihnen abgetragen und hoch geschätzt.

Außer dem Menschen hat der Jagdfalk nur im Kolkraben einen Gegner, welcher ihm wenigstens zu schaffen macht. Faber und Holboell erwähnen übereinstimmend, daß man beide Vögel sehr oft sich balgen sieht.

Nach meinen Beobachtungen betragen sich die Jagdfalken im Gebauer ebenso wie gefangene Wanderfalken. Sie verlangen dieselbe Pflege wie diese, erreichen aber nur ausnahmsweise ein höheres Alter im Käfige. Aus der Geschichte der Falknerei wissen wir, daß Jagdfalken zwanzig Jahre lang benutzt werden konnten; die Geschichte unserer Thiergärten hat ähnliches nicht aufzuweisen. Man ist froh, wenn man einen der prächtigen Vögel bis zum Anlegen seines Alterskleides bringt. Freilich ist man hier kaum im Stande, allen Edelfalken eine so ausgezeichnete Pflege angedeihen zu lassen, wie sie solche nach älteren Schriftstellern seitens der Falkner erhalten haben. Die Kunst der letzteren bestand nicht allein darin, die Falken regelrecht abzutragen, sondern auch, sie entsprechend zu füttern und etwaige Krankheiten zu heilen oder zu verhüten. »Ein erfahrener Falckonierer«, sagt Geßner, »wirt gute auffmerckung haben, daß er zu rechter Zeit und in rechter maß den Vogelspeise, wie er sich dann von Natur pflegt zu speisen, da er noch nicht abgericht, sondern frey war und fürnemlich mit gutem, leichtem geringen fleisch, das noch warm sey und von dem leblichen Geist rieche und dämpffe. Er sol auch in rechter mittelmaß gehalten werden, daß er nicht zu feist und nicht zu mager werde: denn von zu viel mägere wirt er blöd und kranck, und verleuret seine künheit, also, daß er ganz kleinmütig wirdt: er schreyet auch ohn underlaß: und so man ihn auffwirfft, setzet er sich auff die Erden bey dem Falc konierer, und schreyet. So er aber zu feist, wirt er davon unlustig, faul und träg: darumb er gantz in der mittelmaß erhalten [538] werden sol, also, daß er nicht kräncker und schwächer werde, doch nicht auß zu viel außleerung hefftigen hunger habe, sondern allein auß natürlicher begierd einen Lust zu der Speiß habe. Solches aber geschicht am besten so man ihn nicht zum andern mal speiset, er habe dann die erste oder vor eingenommen Speiß verdäwet. Weiter der complexion halben solcher Vögeln, solt du gar fleissig warnemen nach mancherley Geschlecht oder Art der Vögeln. Dann die so von farben schwartz sind, die achten wir melancholischer complexion, demselbigen solt du mehrertheils Speiß geben, die warmer und feuchter complexion sind, als Hühner, Tauben und junger Gitzlin fleisch. Die weißgeferbten aber sind phlegmatischer complexion, kalt und mit schädlicher feuchte erfüllet, denen solt du geben trockne und warme Speiß, als fleisch von Böcken, Hunden, Mauleseln, Atzeln, Hirtzen, Spatzen und dergleichen. Die so rote federn haben, die haben viel erhitzigtes geblüts, denen solt du geben, was kalt und feucht ist, darvon solche hitz gekület werde, als Hennenfleisch, Wasservögel und etwan Krebs.« In jedem Falle geht aus vorstehender Beschreibung hervor, daß man sich die Erhaltung der Falken nach besten Kräften angelegen sein ließ und keine Ausgabe scheute, um ihnen so frische und gute Nahrung zu liefern, als erfahrungsmäßig ihnen zusagte. Einen solchen Aufwand vertragen unsere Thiergärten nicht, und dies wird wohl der Grund sein, weshalb wir so ungünstige Ergebnisse erzielen. Wollte man unseren Jagdfalken täglich ein oder zwei Tauben, Hühner, Rebhühner, Enten und andere Vögel wo möglich lebend reichen, so würde man sie unzweifelhaft ebenso lange erhalten können wie früher die Falkner.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 535-539.
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