Fischadler (Pandion haliaëtus)

[668] Das letzte Mitglied der Adlergruppe, welches wir hier erwähnen wollen, ist der durch Gestalt und Lebensweise gleich auffallende Fluß- oder Fischadler, Weißfuß oder Weißbauch, Moos- oder Fischweih, Fischraal, »Balbusard« der Franzosen, »Osprey« der Engländer, »Flodörn« der Dänen, »Fiskljese« der Schweden, »Skopa« der Russen, »Tschiftscha« der Lappen usw. (Pandion haliaëtus, fluvialis, americanus, carolinensis, indicus, ichtyaëtus, alticeps, planiceps, albigularis, minor, fasciatus, leucocephalus und Gouldii, Falco haliaëtus, arundinaceus, carolinensis und cayanensis, Aquila haliaëtus, marina, piscatrix, balbusardus, Accipiter haliaëtus, Triorches fluvialis, Balbusardus haliaëtus). Er wird noch allgemein zu den Adlern gezählt, unterscheidet sich aber doch in vieler Hinsicht wesentlich von ihnen, und darf vielleicht, wie vorgeschlagen, als Vertreter einer besonderen Unterfamilie (Pandioninae), im gewissen Sinne auch als Verbindungsglied der Adler und Weihen betrachtet werden. Seine Kennzeichen bestehen in folgendem: der Leib ist verhältnismäßig klein, aber kräftig gebaut, der Kopf mittelgroß, der ziemlich kurze Schnabel schon auf der Wachshaut gekrümmt, mit sehr langen Haken übergebogen, das Bein stark, kaum über die Ferse herab befiedert, der Fuß äußerst kräftig, mit dicken, aber kleinen Netzschuppen bekleidet; die verhältnismäßig kurzen Zehen tragen scharfe, runde, stark gekrümmte Nägel, und die äußerste Zehe kann vor- und rückwärts gewendet werden; die Flügel, unter deren Schwingen die dritte die längste, sind so lang, daß sie den keineswegs kurzen Schwanz weit überragen. Bezeichnend für den Flußadler ist außerdem sein glatt anliegendes fettiges Gefieder. Kopf und Nacken sind auf gelblichweißem Grunde schwarzbraun in die Länge gestreift und alle Federn hier scharf zugespitzt, die übrigen Obertheile braun, alle Federn lichter gerandet, die Schwanzfedern braun und schwarz gebändert, die Untertheile dagegen weiß oder gilblichweiß. Auf der Brust bilden braune Federn ein Schild oder Halsband, welches zuweilen sehr deutlich hervortritt, zuweilen auch wiederum kaum merklich ist; vom Auge zur Halsmitte herabläuft ein [668] dunkles Band. Das Auge ist hochgelb, die Wachs- und Fußhaut sind bleigrau, der Schnabel und die Krallen glänzend schwarz. Die Länge beträgt dreiundfunfzig bis sechsundfunfzig, die Breite einhundertsechsundfunfzig bis einhundertvierundsechzig, die Fittiglänge funfzig bis zweiundfunfzig, die Schwanzlänge achtzehn bis neunzehn Centimeter.

Der Fischadler ist einer der wenigen Vögel, welche buchstäblich auf der ganzen Erde gefunden werden. Allerdings hat man versucht, die amerikanischen, asiatischen und australischen Flußadler von dem unserigen zu trennen; bei Vergleichung einer zahlreichen Reihe von Bälgen ergibt sich jedoch, daß eine solche Trennung nach unserer heutigen Auffassung als ungerechtfertigt erscheinen muß. Die den verschiedenen Ländern entstammenden Fischadler zeigen alle Uebergänge, und die Arteinheit wird nicht minder bestätigt durch ihre unter allen Verhältnissen gleiche Lebensweise. In Europa bewohnt der Fischadler als Brutvogel während des Sommers alle Länder von Lappland, Finnland und Nordrußland an bis zum äußersten Süden, einzeln auch Inseln und selbst kleine Eilande des Meeres. In Asien lebt er an allen größeren Strömen und Seen des Nordens wie des Südens, hier wie in einzelnen Theilen Afrikas jahraus, jahrein. Im letzteren Erdtheile zeigt er sich mindestens zeitweise an geeigneten Orten überall, so weit das Land bis jetzt durchforscht wurde. In Amerika hat man ihn so weit nördlich beobachtet, als die süßen Gewässer genügend lange Zeit offen bleiben, und von hier aus bis Südbrasilien nirgends vermißt. In Australien endlich findet er sich geeigneten Ortes ebenfalls im ganzen Lande. Im Norden ist unser Fischadler Sommervogel, im Süden, wie es scheint, Strichvogel. Seine einseitige Jagdweise bestimmt sein Leben. Er nährt sich fast ausschließlich von Fischen, nur im äußersten Nothfalle von Lurchen, und verschmäht jede andere Beute.

In unserem Vaterlande siedelt sich der mit Recht gehaßte und eifrig verfolgte Raubvogel selbstverständlich nur in wasserreichen Gegenden bleibend an, erscheint während seines Zuges aber überall und findet selbst den kleinsten Teich noch immer seiner Beachtung werth. Unmittelbar nach seiner Ankunft, welche erst ziemlich spät im Frühjahre, das heißt nicht vor Ende März, erfolgt, beginnt er sein Sommerleben und gleichzeitig die Ausbesserung seines alten, beziehentlich den Aufbau eines neuen Horstes, welcher fortan förmlich zu seiner Behausung wird. Zur Anlage desselben wählt er regelmäßig Bäume, welche ihre Umgebung überragen, womöglich solche, welche freie Umschau auf ein Gewässer, mindestens auf freies Feld, nahe gelegene Waldblößen und Wiesen gestatten. Dem entsprechend steht der Horst fast immer in bedeutender Höhe, funfzehn bis zwanzig Meter über dem Boden, und ebenso regelmäßig in den obersten Wipfelzweigen, nicht auf einem Seitenaste. Da er selbst baut und den größten Theil der Baustoffe aus dem Wasser fischt, unterscheidet sich der Horst schon durch letztere von denen aller übrigen Adler. Zum Unterbaue nämlich verwendet er stets dicke, morsche Prügel von drei bis vier Centimeter Durchmesser, zum Oberbaue schwächere Zweige, zur Ausfütterung der flachen Mulde Riedgras, Stroh, Moos und Baumflechten. Die Prügel pflegt er im Wasser aufzufischen; das Moos reißt er in großen Klumpen von Baumästen ab. Durch die Stellung auf den höchsten Baumspitzen sowie durch die sanft zugerundete Unterfläche läßt sich der Horst von weitem als der eines Flußadlers erkennen. Der Durchmesser der Nestmulde beträgt annähernd einen Meter, wogegen die Höhe desselben, je nach seinem Alter, zwischen einem und dritthalb Meter schwankt. In jedem Jahre nämlich trägt das Fischadlerpaar neue Baustoffe herbei und thürmt so im Laufe der Jahre einen derartigen Riesenbau auf. »Nur in dem Falle«, schreibt mir Grunack, welcher zwanzig Jahre nach einander acht bis zehn, in der Dubrow bei Berlin stehende Fischadlerhorste besuchte, um die Eier oder Jungen auszuheben, »daß Stürme gewaltsame Beschädigungen des Horstes verursachen oder das vorjährige Brutgeschäft durch wiederholte Störungen belästigt wurde, unternimmt das Paar in fast unmittelbarer Nähe des alten die Herrichtung eines neuen Horstes; ungestört kehrt es sofort nach seiner Ankunft zum alten zurück und besetzt ihn fort an, meist bereits vier Wochen vor Beginn des Legens so regelmäßig, daß ihn abwechselnd einer und der andere Gatte des Paares zum Ruhesitze benutzt.« Wahrscheinlich [669] infolge des scharfen, ätzenden Geschmeißes, welches über den ganzen oberen Theil des Horstbaumes geschleudert wird, stirbt dieser, wenigstens in den Wipfelzweigen, früher oder später ab. Zwei Fischadlerhorste auf einem Baume wurden bei uns zu Lande zwar nur in äußerst seltenen Fällen, aber doch dann und wann beobachtet. Je nach der Witterung beginnt das Weibchen früher oder später, in der Regel zwischen dem vierundzwanzigsten und dreißigsten April zu legen, und fährt damit, an jedem zweiten Tage ein Ei zur Welt bringend, fort, bis das Gelege vollzählig ist. Letzteres besteht aus drei, selten vier, zuweilen auch nur zwei, länglichen, festschaligen, fast glanzlosen Eiern von neunundfunfzig bis siebzig Millimeter Länge und vierundvierzig bis zweiundfunfzig Millimeter Querdurchmesser an der dicksten Stelle, und ebenso veränderlicher Färbung und Zeichnung. Die Grundfärbung ist, nach Päßler, ein klares Weiß; die Zeichnung besteht aus matt schieferblaugrauen und rostfarbenen Flecken. Die schönsten Eier sind diejenigen, welche blutrothe, entweder am stumpfen oder am spitzigen Ende zusammenfließende, oft noch von schwarzen Adern durchzogene Flecke zeichnen. Andere schmücken Flecke von schönstem Kastanienbraun, andere solche, welche chokoladenbraun oder gelbrostfarben oder beinahe nur grau aussehen; manche sind großgefleckt, manche über und über mit kleinen Pünktchen besäet; endlich kommt auch zuweilen eine Art von Fleckenkranz vor. In den meisten Fällen sind sogar, wie Grunack nach Untersuchung von mehr als hundert Stück erfahren zu haben versichert, die Eier eines und desselben Geleges, ebenso wie die in mehreren Jahren nach einander aus demselben Horste entnommenen Gelege unter sich verschieden. Nach zweiundzwanzig- bis sechsundzwanzigtägiger Brutzeit, welche nach dem Legen des ersten Eies beginnt, und an welcher beide Eltern sich zu betheiligen scheinen, entschlüpfen die Jungen, in seltenen Fällen jedoch mehr als ihrer zwei. Sie sind, wie alle Adler, an Gefräßigkeit wahrhafte Ungeheuer, welche jedoch so überreichlich mit Nahrung versorgt werden, daß der Horst mit kaum zur Hälfte aufgezehrten und immer nur in der Vorderhälfte angefressenen frischen und der Boden unter ihm mit verfaulenden Fischen förmlich bedeckt ist, falls nicht ein Milanpaar die günstige Gelegenheit wahrnimmt, in der Nähe des Fischadlerhorstes den seinigen aufbaut und seine Jungen größtentheils mit den Ueberresten von der Tafel des Reichen auffüttert. Mindestens acht, vielleicht zehn Wochen bedürfen die Jungen, bevor sie flugfähig geworden sind; dann verlassen sie unter Führung der Eltern den Horst, lernen unter ihrer Anleitung fischen und treten endlich im September, Oktober, spätestens im November, ihre Reise nach südlichen Gegenden an.

Wird der Horst durch Stürme oder Fällen des Baumes zerstört, so verläßt der Fischadler nicht selten den Wald, in welchem er gestanden, gänzlich; raubt man ihm nur die Eier, so kehrt er trotzdem alljährlich zu demselben Brutplatze zurück. Findet sich in der Nähe eines hochstämmigen Waldes ein größeres fischreiches Gewässer, so siedelt sich zuweilen ein Fischadler unweit des anderen an; in der Regel aber beherrscht jedes einzelne Paar ein weit ausgedehntes Gebiet, wo möglich ein solches, welches nicht unmittelbar an der Seeküste liegt.

So wie geschildert sind die Wohnungs- und Brutverhältnisse des Fischadlers bei uns zu Lande, anders in verschiedenen Gegenden des Erdballes. Schon in Norwegen und Lappland wird es dem Vogel nicht immer leicht, einen passenden Nistbaum zu finden, und er muß sich dann wohl oder übel entschließen, auf Felsen seinen Horst anzulegen. In der Nähe größerer Steppenflüsse bleibt ihm keine andere Wahl, als auf dem Boden zu horsten, und im Rothen Meere, wo nur im Süden bewaldete oder doch bebuschte Inseln gefunden werden, sieht er sich, wie in den Steppen, genöthigt, auf den kleinen Eilanden, oft auf Koralleninseln, welche höchstens zwei Meter über den Meeresspiegel sich erheben, seinen Horst zusammenzutragen. Da hier auch noch die sonst von ihm verwandten Baustoffe fehlen, behilft er sich, so gut er kann, mit dem, was das Meer bietet, fischt Tange aller Art aus dem Wasser, trägt Muschelschalen, vielleicht selbst Korallentrümmer herbei, benutzt nicht minder die Reste anderer Weichthiere und schichtet aus allen diesen Stoffen ein kegelförmiges Bauwerk von etwa sechzig Centimeter Höhe auf, in dessen oberer flachen Mulde die Eier liegen. Gestattet es die Oertlichkeit, so wählt er auch hier einen Baum, mindestens einen [670] Mimosenbusch oder Schorastrauch, zur Anlage des Horstes, baut diesen, wie üblich, hauptsächlich aus Knüppeln auf und benutzt den Seetang nur nebenbei, nimmt aber auch keinen Anstand, den Horst auf einer alten Cisterne, dem platten Dache einer verlassenen Fischerhütte oder anderen Ruinen zu errichten. In Nordamerika, wo er, wie bei uns, vorzugsweise auf Bäumen horstet, unterscheidet sich sein Brutgeschäft, laut Ridgway, insofern von dem uns bekannten, als er an einzelnen Oertlichkeiten förmliche Siedelungen, wenn man dem Berichte Glauben schenken darf, auf einer einzigen kleinen Insel solche von dreihundert Paaren bildet. Zwar horstet er auch bei uns zu Lande gern in Gesellschaft, aber doch nur in sehr seltenen Fällen in unmittelbarer Nähe eines zweiten Paares oder mit diesem auf einem und demselben Baume, und Siedelungen, wie die in Rede stehenden, werden, so viel bekannt, auf der Erde nicht weiter gefunden. Nach dem genannten amerikanischen Forscher soll der allerdings sehr gutmüthige Fischadler unter Raubvögeln gänzlich unerhörte Tugenden bethätigen, nämlich anderen seiner Art beim Aufbaue eines neuen Horstes behülflich sein. Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich ausdrücklich, daß ich letztere Angabe nicht vertrete.

Das tägliche Leben des Fischadlers verläuft in sehr geregelter Weise. Ziemlich spät am Tage verläßt das Paar, einer der Gatten nach dem anderen, seinen Horst und fliegt nun, eine bestimmte Straße mit großer Genauigkeit innehaltend, dem oft entfernten Gewässer zu, um hier Fischfang zu treiben. Die langen Schwingen setzen unseren Flußadler in den Stand, weite Strecken mit Leichtigkeit zu durchfliegen. Er schwebt zuerst in beträchtlicher Höhe dahin, senkt sich dann über den Wasserspiegel tiefer herab und beginnt nun seine Fischjagd. So lange die Gewässer dampfen, erscheint er nicht über ihnen, weil er durch den aufsteigenden Dunst im Sehen behindert wird; daher sieht man ihn erst in den Vormittagsstunden mit seiner Jagd beschäftigt. Er kommt kreisend an, versichert sich durch sorgfältiges Spähen von der Gefahrlosigkeit, senkt sich hernieder und streicht nun in einer Höhe von ungefähr zwanzig Meter über dem Wasser auf und niederhält auch wohl zeitweilig still, rüttelt wie ein Thurmfalk über einer Stelle, um einen etwa erspähten Fisch fester ins Auge zu fassen, und stürzt dann mit weit vorgestreckten Fängen in etwas schiefer Richtung mit großer Schnelligkeit und Gewandtheit auf das Wasser nieder, verschwindet unter den Wellen, arbeitet sich aber rasch wieder empor, erhebt sich durch einige federnde Flügelschläge auf die Oberfläche des Wassers, schüttelt die Tropfen durch zuckende Bewegungen bestmöglichst ab und verläßt hierauf ein kleineres Gewässer, gleichviel ob er glücklich oder unglücklich war. Seine eigenthümliche Jagd erklärt, daß er in vielen Fällen fehlstößt; deshalb leidet er aber durchaus keinen Mangel; denn er läßt sich durch wiederholtes Mißgeschick keineswegs abschrecken. Im glücklichsten Falle schlägt er beide Fänge mit solcher Gewalt in den Rücken eines Fisches, daß er nicht im Stande ist, die Klauen augenblicklich wieder auszulösen: die Baschkiren nennen ihn deshalb bezeichnend »eiserne Kralle«. Nicht allzuselten geräth er in Lebensgefahr oder findet wirklich seinen Untergang, indem ihn ein zu schwerer Fisch mit sich in die Tiefe zieht und ertränkt. An den ihm abgejagten Fischen hat man beobachtet, daß er stets zwei Zehen auf der einen, zwei Zehen auf der anderen Seite des Rückens einschlägt. Die gefangene Beute erhebt er, falls er sie mit Leichtigkeit tragen kann, und schleppt sie weit mit sich fort, am liebsten dem Walde zu, um sie hier mit aller Sicherheit zu verspeisen. Schwerere Fische schleift er wenigstens bis an das Ufer, oft mit solcher Mühe, daß er ab und zu den Wasserspiegel mit dem Opfer und seinen Fängen berührt. Von der glücklich gefangenen Beute verzehrt er nur die besten Stücken, alles übrige läßt er liegen; von den Schuppen verschlingt er einige, niemals aber auch die Eingeweide. Nur im größten Nothfalle entschließt er sich, auf anderes Wild zu jagen. So theilt mir Freund Liebe mit, daß er Teichfrösche fängt, wenn er, durch wiederholte Verfolgungen scheu geworden, sich nicht mehr getraut, ein fischreiches Gewässer abzusuchen.

Mit anderen seiner Art lebt der Fischadler höchst verträglich. Um fremdartige Vögel bekümmert er sich seinerseits niemals und ist sicherlich herzlich froh, wenn diese nur ihn in Ruhe lassen. Kleinen [671] Vögeln gestattet er ohne Mißgunst, in seinem großen Horste sich anzusiedeln, und diese Mietleute sind ihrerseits seiner Gutmüthigkeit so vollkommen sicher, daß sie auch Nester zu bauen wagen, welche durch einen so starken Raubvogel entschieden gefährdet werden könnten, wenn letzterer daran dächte, seine Gastfreunde zu belästigen. Bei uns zu Lande siedeln sich nur ausnahmsweise kleinere Vögel in dem Horste eines Fischadlers an; schon auf dem Rothen Meere aber werden die großen Gebäude von solchen, insbesondere einer Würgerart, gern zur Anlage des Nestes benutzt, und in Amerika flechten und weben die Hängenestler, vornehmlich die Purpurgrakeln (Quiscalus purpureus), ihre luftigen und schwankenden Nestbeutel so regelmäßig an den Unterbau eines Fischadlerhorstes, daß dieser gerade dadurch schon von weitem kenntlich wird. Wilson fand nicht weniger als vier solcher Beutelnester an einem einzigen Fischadlerhorste befestigt. Wenn schon dies für die Gutmüthigkeit des Fischadlers oder, richtiger ausgedrückt, dafür spricht, daß er sich niemals an Geflügel vergreift, so wird der Beweis für letztere Annahme überzeugend doch erst durch die Schwimmvögel geliefert. Sie alle kennen den Fischadler so genau, daß sie sich nicht im geringsten vor ihm fürchten, betrachten ihn gewissermaßen als ihresgleichen und dulden ihn deshalb ohne Bedenken in ihrer Nähe. Am Mensalehsee in Egypten, wo jeden Winter hunderte von Fischadlern Herberge nehmen und ein sehr bequemes Leben führen, habe ich wiederholt gesehen, daß sie mitten unter den Enten saßen, ohne von ihnen auch nur beachtet zu werden. Dagegen hat der Fischadler von anderen Raubvögeln viel auszustehen. Bei uns verfolgen ihn Schwalben und Bachstelzen wohl mehr in der Absicht, um ihn zu necken, als ihm zu schaden; da aber, wo Seeadler leben, muß er oft für diese arbeiten, und namentlich der Weißkopfseeadler soll in beständigem Kriege mit ihm liegen, sich auf ihn stürzen, sobald er eine Beute erhoben hat, und ihn so lange peinigen, bis er diese ihm zuwirft. Auch schmarotzende Milane, Kolkraben, Nebel- und Rabenkrähen jagen ihm oft den glücklich gefangenen Fisch wieder ab. Die größten und ältesten Horste endlich geben mitunter dem Baummarder Herberge, und er mag es wohl sein, welcher sich dann der Eier bemächtigt hat, deren geleerte Schalen man zuweilen am Fuße der Horstbäume findet.

Nächst dem Fischotter ist der Fischadler der größte Feind einer geordneten Teichwirtschaft und allen Fischereibesitzern aus diesem Grunde verhaßter als jeder andere Raubvogel. In der nächsten Umgebung von Peitz, wo auf zweiundsiebzig Teichen von über tausend Hektar eine großartige Karpfenzucht betrieben wird, horsten, laut Schalow, alljährlich wohl fünfundzwanzig bis dreißig Fischadlerpaare, und sie fügen dem Pächter genannter Teiche so bedeutenden Schaden zu, daß derselbe ein Schußgeld von nicht weniger als sechs Mark für jeden erlegten Flußadler bezahlt. In Nordamerika hat man noch nicht an allen Orten die richtige Erkenntnis von der außerordentlichen Schädlichkeit unseres Raubvogels gewonnen, hält vielmehr hier und da noch an einem alten Aber glauben fest, nach welchem der Landwirt, in dessen Gebiet ein Fischadlerpaar haust, besonders glücklich sein wird. Infolge der unablässigen Nachstellungen, welche der Vogel bei uns zu erleiden hat, ist er hier zu Lande vorsichtig und scheu, und setzt nur am Horste ausnahmsweise einmal seine Sicherheit muthwillig aufs Spiel, bewahrt sich daher schon hierdurch, noch mehr aber durch seine Jagd über weite Wasserflächen vor mancher ihm zugedachten Büchsenkugel und erschwert unter allen Umständen die Jagd; in südlichen Ländern dagegen, wo seine Räubereien keineswegs mit schelem Auge betrachtet werden, hält es nicht schwer, ihn, wenn er aufgebäumt hat, zu unterlaufen oder bei seinen regelmäßigen Hin- und Herflügen aus der Luft herabzuschießen. Leichter erbeutet man ihn mit Hülfe eines Tellereisens, welches mit einem Fische geködert und unter Wasser aufgestellt wurde. In dieser Weise werden in Norddeutschland alljährlich mehrere Fischadler gefangen, und einer oder der andere gelangt dann wohl auch lebend in unsere Käfige. Doch gehört der Vogel hier, die größten Thiergärten nicht ausgenommen, immer zu den Seltenheiten. Ich habe alte wie jung aus dem Neste gehobene gepflegt, mich aber nicht mit ihnen befreunden können. Die alt eingefangenen gewöhnen sich im Käfige niemals ein, sitzen tagelang auf einer und derselben Stelle, geberden sich, wenn jemand ihren Käfig betritt, geradezu sinnlos, Furcht und Schrecken in [672] jeder Weise an den Tag legend, treten mit ihrem Wärter niemals in ein erträgliches Verhältnis, welken sichtlich dahin, magern mehr und mehr ab und liegen eines Morgens todt im Käfige, ohne daß man den Grund ihres Hinscheidens zu erkennen vermag. Auch jung eingefangene, aus dem Neste gehobene Vögel halten sich schlecht, gewöhnen sich schwer daran, selbst zu fressen und verkümmern früher oder später selbst bei dem besten Futter.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 668-673.
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