Schwalbenweih (Nauclerus forficatus)

[682] Ein in jeder Hinsicht auffallender und bei aller Einfachheit der Zeichnung prachtvoller Raubvogel Süd-und Mittelamerikas, welcher sich jedoch schon wiederholt nach Europa verflogen und deshalb auch unter den Vögeln dieses Erdtheiles aufgezählt wird, ist der Schwalbenweih (Nauclerus forficatus und furcatus, Falco forficatus und furcatus, Milvus und Elanus furcatus, Elanoides yetapa, Bild S. 681). Der Leib ist kräftig, der Hals kurz, der Kopf klein, aber lang, der Schnabel ziemlich lang, aber niedrig, schon vom Grunde aus sanft herabgekrümmt, starkhakig, an der Schneide gerade, ohne Zahn oder Ausschnitt, aber tief gespalten, der Fuß kurz und klein, jedoch ziemlich kräftig, der kurze Fang mit stark gekrümmten, äußerst spitzigen Nägeln bewehrt, der Flügel schwalbenartig gebaut, sehr lang und sanft zugespitzt, in ihm die zweite oder dritte Schwinge die längste, der Schwanz außerordentlich entwickelt und so tief gegabelt, daß die äußersten Federn mehr als noch einmal so lang sind als die mittelsten, das Kleingefieder endlich weich. Bei dem alten Vogel ist das ganze Gefieder mit Ausnahme des Mantels, der Flügel und des Schwanzes weiß; letztere Theile sind schwarz, metallischgrün glänzend, die Armschwingen an der Innenfahne bis gegen die Spitze hin rein weiß, die letzten Schwingen nur an der Spitze schwarz. Bei jungen Vögeln bemerkt man am Nacken und Hinterkopfe schwarze Federschäfte und zuweilen dunklere Schaftstriche; das Rückengefieder ist graulich und glanzlos, die unteren Deckfedern haben graue Spitzen, und die letzten Armschwingen sind rein weiß. Das Auge ist kaffee- oder dunkelbraun, der Schnabel schwarz, die Wachshaut blaugrau, der Fuß grünlich lichtblau, die Krallen sind licht hornfarben. Das Männchen ist etwas kleiner als das Weibchen, am Rumpfe reiner weiß und auf den Flügeln glänzender schwarz gefärbt. Die Länge beträgt sechzig, die Breite einhundertunddreißig, die Fittiglänge vierzig bis fünfundvierzig, die Schwanzlänge, an der äußersten Feder gemessen, dreißig Centimeter.

In ganz Südamerika, von Südbrasilien an bis zu den südlichen Vereinigten Staaten, ist der Schwalbenweih ein an vielen Orten vorkommender und stellenweise häufiger Vogel. Die Vereinigten Staaten und Texas bewohnt er nur während der Sommermonate. Er erscheint, laut Audubon, in Louisiana und Mississippi, wo er gemein ist, zu Anfang des April in großen Scharen und verläßt das Land wieder im September. Einzelne schweifen über die Grenzen ihres Verbreitungskreises [682] hinaus und zeigen sich in Pennsylvanien, New York und anderen nördlichen Staaten, sind aber ebenso gut als verflogene anzusehen, wie diejenigen, welche in Europa erlegt wurden. Eigentlich seßhaft sind sie nur im Süden Nordamerikas, in Texas, Mejiko und Brasilien.

Höchst selten sieht man den Schwalbenweih einzeln oder paarweise, gewöhnlich in zahlreichen Trupps, in hoher Luft schwebend oder theilweise aufgebäumt. Solche Flüge zählen zwanzig bis zweihundert Stück. »Der Flug des Schwalbenweihs«, sagt Audubon, »ist überraschend schön und sehr anhaltend. Der Vogel bewegt sich durch die Luft mit solcher Leichtigkeit und Zierlichkeit, daß jeder, welcher auch nur einigermaßen Vergnügen an Beobachtung der Vögel hat, von dem Schauspiele entzückt sein muß. Dahin gleitend, steigt der Weih in großen Kreisen zu unschätzbarer Höhe auf, nur mit dem tiefgegabelten Schwanze die Richtung des Fluges bestimmend, stößt plötzlich hernieder mit der Schnelligkeit des Blitzes, erhebt sich von neuem, segelt weg und ist bald außer Sicht. Ein anderes Mal sieht man einen Schwarm rund um einen Baum oder zwischen den Zweigen hindurchjagen, den Stamm fast berührend, um Kerfe oder kleine Eidechsen zu ergreifen. Die Bewegungen sind bewunderungswürdig schnell und mannigfaltig. Die tiefen Bogen, die plötzlichen Kreise und Querzüge und die außerordentliche Leichtigkeit, mit welcher die Vögel die Luft zerschneiden, muß jeden Beobachter entzücken.«

Die Nahrung des Schwalbenweihs besteht vorzugsweise, zeitweilig ausschließlich in Kerbthieren. Audubon und Ridgway geben an, daß er auch Eidechsen und Schlangen aufnimmt; fast alle übrigen Beobachter behaupten einstimmig, daß er nur auf Kerfe jagt. Dies geschieht ganz in der Weise, wie Schwalben bei ihrer Jagd zu Werke gehen, nur mit dem Unterschiede, daß der Schwalbenweih seine Beute nicht mit dem Schnabel, sondern mit dem Fuße ergreift. »Bei unserer Reise durch die Berge«, erzählt Owen, »sahen wir einen großen Schwarm von Schwalbenweihen niedrig über unserem Wege durch die Luft gleiten. Manche von ihnen schwebten kaum vier Meter über dem Boden weg. Der ganze Haufen hielt sich eng zusammen und erinnerte an unseren Thurmsegler. Die Vögel flogen nicht schnell, aber kräftig und stetig, ohne jegliche sichtbare Bewegung der Flügel. Unser Erscheinen schien sie nicht im geringsten zu behelligen; nicht einmal die Ausrufe des Entzückens, welche mein Gefährte laut werden ließ, alle seine Zeichen und Winke, welche ich umsonst zu verhindern suchte, beunruhigten sie. Einige zogen vier oder fünf Meter an uns vorüber und gaben uns dabei die beste Gelegenheit, ihre Bewegungen genau zu beobachten. Dann und wann wurde ein Haupt langsam und anmuthig gedreht oder niedergebogen, dann zugleich der Fuß, welcher sich vorher zusammengekrampft und einen Gegenstand gefaßt hatte, vorgeschoben, so daß er den bisher geschlossenen Schnabel berührte. In dieser Stellung verblieb der Weih aber nur einen Augenblick. Der Schnabel wurde geöffnet, die Beute verschluckt und das Haupt wieder erhoben. Diese Bewegung wiederholte die ganze Gesellschaft. Die Ursache wurde uns bald klar: die Schwalbenweihen jagten auf eine prächtig gefärbte Bienenart.«

Auch die Vögel kennen den Schwalbenweih als Kerbthierfresser, und einzelne betrachten ihn deshalb mit schelen Augen. »Wir sahen«, theilt uns Burmeister mit, »einen Schwalbenweih, welcher von einem Tyrann verfolgt wurde. Dieser stieß unausgesetzt auf ihn herab und brachte den Falken in nicht geringe Verlegenheit. Der Tyrann hat auf diesen Falken eine wahre Wuth, und wo er ihn erblickt, fällt er ihn an, vielleicht weil er weiß, daß jener ihm die besten Käfer vor dem Schnabel wegnimmt, während er seine Beute nur im Fluge packt und die sitzenden Kerfe unbehelligt läßt.«

»Bei ruhigem und warmem Wetter«, fährt Audubon fort, »segelt der Schwalbenweih in unermeßlicher Höhe dahin, ein großes Kerbthier, Mosquitofalk genannt, verfolgend, und gibt dabei alle Flugkünste zum besten. Sein hauptsächlichstes Futter bilden Heuschrecken, Raupen, kleine Schlangen, Eidechsen und Frösche. Er streicht hart über dem Boden weg, hält zuweilen einen Augenblick an, schwebt hernieder, packt eine Schlange, erhebt sie und zerreißt sie in der Luft.

Wenn die Raubvögel in dieser Weise jagen, ist es nicht schwierig, ihnen sich zu nähern, wogegen sie sonst sehr scheu sind. Hat man einmal einen von ihnen erlegt, dann erscheinen alle [683] anderen über dem todten, als hätten sie die Absicht, ihn wegzunehmen. Ich habe bei solchen Gelegenheiten verschiedene von ihnen geschossen und so schnell gefeuert, als ich mein Gewehr laden konnte. Sonst hält es schwer, sie zu erbeuten, weil sie bei Tage in hoher Luft fliegen oder zur Nachtruhe die höchsten Bäume an Flüssen und Seen erwählen.« Azara bemerkt, daß einer seiner Freunde, um die ihm sonst unerreichbaren Raubvögel zu erlegen, einen ihnen ähnlich gestalteten und bemalten Drachen steigen ließ, welcher sie herbeizog und in Schußnähe brachte.

»Der Schwalbenweih«, schließt Audubon, »paart sich sofort nach seiner Ankunft in den südlichen Staaten. Seine Brautwerbung geschieht im Fluge, und seine Bewegungen sind dann schöner als je. Der Horst wird regelmäßig in den Wipfelästen der höchsten Eichen oder Fichten erbaut, am liebsten an dem Ufer eines Stromes oder Teiches. Er ähnelt dem der gewöhnlichen Krähe, besteht äußerlich aus trockenen Reisern, vermischt mit ›spanischem‹ Moose, und ist innerlich mit weichem Grase und einigen Federn ausgefüllt. Die vier bis sechs Eier des Geleges, deren Längsdurchmesser ungefähr funfzig, und deren Querdurchmesser etwa vierzig Millimeter beträgt, sind auf grünlich- oder milchweißem Grunde gegen das stärkere Ende hin mit wenigen unregelmäßigen Flecken von dunkel- oder rostbrauner Farbe gezeichnet. Männchen und Weibchen brüten abwechselnd, und einer der Gatten füttert dabei den anderen. Die Jungen entschlüpfen dem Eie in einem Dunenkleide von gelblicher Farbe, erhalten sodann ihr Jugendkleid und ähneln bereits im Herbste fast vollständig den Alten, deren Kleid sie im nächsten Frühlinge tragen.«

Audubon berichtet von einem Schwalbenweih, welchen er mehrere Tage im Käfige hielt. Derselbe verweigerte jegliche Nahrung, brach sogar den Inhalt seines Magens aus und ließ sich auch nicht stopfen. Mit gesträubtem Gefieder saß er mißgelaunt auf einer Stelle. Nur wenn man ihn an seinen Flügeln packte, versuchte er seine Klauen zu gebrauchen. Er starb an Entkräftung.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 682-684.
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