Geierbussard (Ibycter australias)

[732] Der Geierbussard (Ibycter australias, Falco australis und Novae-Zealandiae, Morph nus und Polyborus Novae-Zealandiae, Circaëtus Novae-Zealandiae und antarcticus, Milvago australis und leucurus, Senex australis, Aetriorchis Novae-Zealandiae und australis, Vultur plaucus, Bild S. 731), bewohnt zwar einzelne Oertlichkeiten gemeinschaftlich mit dem Chimango, im allgemeinen aber doch mehr die Südspitze des Festlandes. Besonders häufig ist er auf den Falklandsinseln, welche der Mittelpunkt seines Verbreitungskreises zu sein scheinen. In der Größe gleicht dieser Geierfalk unserem Schreiadler. Das Gefieder des alten Vogels ist tiefschwarz, nur auf den Federn des Halses, des Rückens und der Brust weißlich in die Länge gestreift; die Hosen sind lebhaft rostroth, die Wurzeln der Schwungfedern und die Spitzen der Schwanzfedern weiß. Der Schnabel ist licht hornfarben, die Wachshaut wie der Fuß orangegelb. Die Jungen unterscheiden sich von den Alten durch den Mangel der lichten Streifen an Hals und Brust; die Federn sind hier rostroth und röthlichweiß gefleckt, die Wurzel der Schwungfedern rostfarben, die Schwanzfedern schwärzlichbraun, ohne weiße Spitzen. Der Schnabel ist dunkler, der Fuß braungelb.

[732] Ueber die Lebensweise des Geierbussards haben Darwin und Abbott berichtet. »Diese Raubvögel«, sagt Darwin, »kommen mit anderen Arten ihrer Familie in vieler Hinsicht überein. Sie leben von dem Fleische todter Thiere und von Seegeschöpfen. Auf einzelnen Inseln muß das Meer ausschließlich ihre Nahrung liefern. Sie sind nichts weniger als scheu, vielmehr furchtlos in hohem Grade und durchsuchen die nächste Nachbarschaft der Häuser nach Auswurf aller Art. Wenn eine Jagdgesellschaft ein Thier tödtet, versammelt sich bald eine Anzahl von ihnen über der Leiche und wartet, auf der Erde sitzend, geduldig, ob nicht etwas für sie abfällt. Sie greifen aber gern auch verwundete Thiere an: eine Scharbe, welche sich in diesem Zustande nach dem Ufer geflüchtet hatte, wurde augenblicklich von mehreren gepackt und getödtet oder der Tod wenigstens durch Schnabelhiebe der Räuber beschleunigt. Die Officiere eines Kriegsschiffes, welche im Winter auf den Falklandsinseln waren, erwähnen mehrere Beispiele von der ungewöhnlichen Kühnheit und Raubsucht der Vögel. So fielen diese über einen Hund her, welcher fest schlafend nahe bei einem aus der Gesellschaft lag, und bei ihren Jagden konnten die Schützen nur mit Mühe verhindern, daß die Geierfalken die von ihnen verwundeten Gänse vor ihren Augen ergriffen. Vor der Mündung eines Kaninchenbaues sollen oft mehrere von ihnen warten und dann gemeinschaftlich das Thier ergreifen, sobald es herauskommt. Um den Bord des Schiffes flogen sie, so lange dasselbe im Hafen lag, fortwährend herum, und man mußte gute Wache halten, um zu verhüten, daß sie das Leder vom Tauwerk rissen und das Fleisch und Wildpret vom Hintertheile des Schiffes stahlen.« Daß sie Verwundete ihrer eigenen Art nicht verschonen, sondern im Gegentheile wüthend anfallen, tödten und fressen, erfuhr Abbott. »Sie sind äußerst lebhaft, auch ungemein neugierig, und ergreifen fast alles, was auf dem Boden liegt: ein großer, schwarzer, lackirter Hut wurde von ihnen beinahe eine englische Meile weit weggeschleppt, und ein paar schwarze Bälle, wie man sie zum Fange des Rindviehes braucht, ebenso. Herr Usborne erlitt während der Küstenaufnahme einen bedeutenderen Verlust, weil ihm die Geierfalken einen kleinen Kompaß mitsammt der Büchse, in welcher er stak, wegstahlen und soweit forttrugen, daß er niemals wieder aufgefunden werden konnte. Außerdem sind die Vögel überaus streitsüchtig und so leidenschaftlich, daß sie zuweilen aus Wuth mit ihrem Schnabel das Gras ausreißen.« Trotzdem zeigen sie sich feig, wenn ein muthiges Thier ihnen gegenübertritt: Abbott sah, daß ein Austernfischer den Geierbussard vertrieb, als dieser die Eier des Strandvogels wegstehlen wollte. Auf dem Boden laufen sie mit auffallender Schnelligkeit, so gewandt fast wie Fasane, dahin; ihr Flug dagegen ist schwerfällig und plump; sie bewegen sich daher mehr laufend als fliegend. Auch sie lärmen und stoßen häufig mehrere harsche Töne aus, welche so an das Krächzen der Krähen er innern, daß die Robbenfänger die Geierbussarde geradezu Krähen nennen. Beim Schreien werfen sie wie andere Arten der Familie ihren Kopf nach oben und hinten. Der Horst wird auf den felsigen Klippen der Seeküste angelegt, besteht gewöhnlich aus abgestorbenen Grashalmen und ist innerlich oft mit Wolle ausgekleidet. Die zwei, ausnahmsweise auch drei rundlichen, auf braunem Grunde mit dunkleren Flecken, Strichen und Schmitzen gezeichneten Eier des Geleges findet man in der ersten Woche des November. Die Jungen erhalten erst im zweiten Lebensjahre das ausgefärbte Kleid.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 732-733.
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