Habichte (Accipitrinae)

[582] Als die nächsten Verwandten der Edelfalken dürfen wir die Habichte (Accipitrinae) ansehen. Sie gehören zu den raubfähigsten Gliedern der Ordnung, übertreffen sogar in gewisser Hinsicht die Edelfalken noch; es fehlt ihnen jedoch der Adel, welcher jene auszeichnet. Die Familienkennzeichen liegen in dem gedrungenen Leibe mit etwas langem Halse und ziemlich kleinem Kopfe, in den kurzen abgerundeten Schwingen, dem sehr langen Schwanze und den hohen Läufen mit großen oder kleinen Fängen; denn die Länge der Zehen schwankt erheblich. Der Schnabel ist minder gewölbt und seitlich mehr zusammengedrückt als bei den Edelfalken, der Zahn gewöhnlich weniger deutlich und weiter nach hinten stehend; doch kommen auch hier Abänderungen vor. Der [582] nackte Kreis ums Auge fehlt. Das Gefieder ist dicht und ziemlich weich, auf der Oberseite in der Regel dunkel blaugrau, auf der unteren lichter, oft dunkler gebändert. Im Alter sind beide Geschlechter gleich gefärbt; die Jungen hingegen unterscheiden sich wesentlich durch das Gefieder von ihren Eltern.

Die Unterfamilie, welche etwa achtzig Arten zählt, verbreitet sich über alle Erdtheile; gewisse Sippen sind auf der ganzen Erde heimisch. Einzelne finden sich innerhalb eines sehr ausgedehnten Gebietes, wenige scheinen beschränkt zu sein. Im Gegensatze zu den Edelfalken bewohnen die Habichte fast ausnahmslos dichte Waldungen und halten sich hier möglichst verborgen, wie es ihr Strauchritterleben erfordert. Auch sie sind begabte Geschöpfe, jedoch nicht in gutem Sinne, Mordgier und List ihre hervorstechenden Eigenschaften. Ihre leiblichen Begabungen lassen nichts zu wünschen übrig. Sie fliegen rasch und ungemein geschickt, sind im Stande, ihre Richtung jählings in eine andere umzuändern und bewegen sich, fast nach Art der Marder, in den verschlungensten Gebüschen mit überraschender Gewandtheit, meiden jedoch so viel als möglich die Höhen: ihr Flug führt meistens niedrig über der Erde hin. Auf dem Boden gehen sie gut, obgleich mit Zuhülfenahme ihrer Flügel; das Geäst dichter Bäume durchschlüpfen sie mit ungewöhnlicher Fertigkeit. Sie sind furchtbare Feinde aller Thiere, welche sie bezwingen können. Ihre Jagd gilt den Säugethieren wie den Vögeln; sie verschmähen selbst Lurche nicht. Sie fangen im Fliegen, im Sitzen, im Laufen und im Schwimmen und verfolgen die einmal ins Auge gefaßte Beute mit einer Rücksichtslosigkeit ohne gleichen. Ihre Mordgier läßt sie nicht selten ihre Sicherheit vergessen. Mit starken Thieren balgen sie sich in wüthendem Kampfe oft lange herum, bis ihnen der Sieg gelingt. Zuweilen büßen sie in solchen Kämpfen ihr Leben ein.

Unter sich halten die Habichte ebenso wenig Freundschaft wie mit anderen Thieren. Das Weibchen frißt sein Männchen auf, die Mutter oder der Vater seine Kinder, und diese fallen, wenn sie stark genug sind, über ihre Eltern her. Nur wenn sie ihre Raubsucht und Freßgier vollständig befriedigen können, halten sie Frieden innerhalb der Familie im gewöhnlichen Sinne des Wortes.

Die Vermehrung der Habichte ist leider eine verhältnismäßig starke; denn das Gelege besteht aus einer beträchtlichen Anzahl von Eiern. Der Horst wird stets auf Bäumen, meist aber niedrig über dem Boden angelegt und, wie es scheint, immer selbständig errichtet. Einzelne Arten verzieren ihn sehr hübsch durch grüne Reiser, welche sie unter Umständen wiederholt erneuern. Angriffe gegen die Brut versuchen sie mit Heldenmuth abzuwehren: sie stoßen furchtlos selbst nach dem Menschen.

Alle Habichte sind schädliche Vögel, welche die rücksichtsloseste Verfolgung notwendig machen. Hinsichtlich der Edelfalken läßt es sich entschuldigen, wenn man ein gutes Wort einlegt: den Habichten Fürsprecher zu sein, würde als Frevel an der übrigen Thierwelt erscheinen. Man hat zwar auch sie abgerichtet und aus einzelnen schätzbare Baizvögel gewonnen; im allgemeinen aber ist nicht einmal dieser Nutzen so hoch anzuschlagen, als es vielleicht scheint: das störrische Wesen dieser Vögel macht die Abrichtung schwierig und selten belohnend.

Im Käfige sind die Habichte unausstehliche Geschöpfe. Ihre Freßgier, ihre Unverträglichkeit, ihre Mordlust erschweren die Haltung und verwehren ein Zusammensperren mit anderen Vögeln gänzlich. Sie werden um so verhaßter, je genauer man sie kennen lernt.

Unser Sperber gilt als Urbild der artenreichsten, über alle Erdtheile verbreiteten, nach ihm benannten Untersippe (Nisus). Ein gestreckter Leib mit kleinem Kopfe und zierlichem, sehr scharfhakigem Schnabel, kurzen Flügeln, langem, gerade abgeschnittenem Schwanze und sehr hohen schwachen Läufen mit dünnen, langen, äußerst scharf bekrallten Zehen sind die hauptsächlichsten Merkmale derselben. Das Gefieder ist bei den Alten und Jungen sehr übereinstimmend gefärbt und gezeichnet.

[583] Unter den verwandten Raubvögeln sind die Sperber die gewandtesten und kühnsten. Im übrigen besitzen sie alle Eigenschaften der bevorzugten Mitglieder ihrer Familie.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 582-584.
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