4.

[684] Der eine Gott, verhüllt in allen Wesen,

Durchdringend alle, aller inn're Seele,

Des Werks Aufseher, alles Sein durchduftend,

Zuschauer, blosser Geist und frei von Guṇa's9, –


Der eine Weise, der die ewige Einheit

Vervielfacht vieler von Natur Werkloser,

Wer den als Weiser in sich selbst sieht wohnen,

Der hat den ew'gen Frieden und kein andrer.10


Sein Selbst machend zum Reibholze,

Und den Om-Laut zum obern Holz,

Schaut man, nach fleiss'ger Denkquirlung,

Verstecktem Feuer gleich, den Gott.11


Wie im Ölsamen Öl, in Milch die Butter,

In Strömen Wasser, im Reibholze Feuer,

So findet im eignen Selbste jenen Âtman,

Wer, weise, ihn erschaut durch Wahrheit und Kasteiung.12


Gleichwie die Spinne den Faden

Auslässt und wieder in sich zieht,

So geht im Wachen und Schlafen

Die Seele aus und wieder ein.13


Ein Raum, dem Lotoskelch ähnlich,

Dessen Spitze nach unten geht,

Ist das Herz, und es ist, wisse,

Des Weltalls grosser Stützepunkt.14


Beim Wachen weilt er im Auge,

In der Kehle beim Traumesschlaf,

Im Herzen weilt beim Tiefschlafe,

Im Haupte als Turîyam er.15
[684]

Wenn durch Erkenntnis eindämmert16

Das eigne Selbst im höchsten Selbst,

Das ist die Dämmerungsandacht17,

Drum verehrt in der Dämmerung!


Das Dämmerungsgebet eindämmt18,

Hält ab des Leibs, der Rede Not,

Dämmt zur Einheit alle Wesen,

So üben Einstabträger19 es.


Vor dem die Worte umkehren,

Mit dem Manas, nicht findend ihn20,

Der ist des Lebensgeist's Wonne;

Der Weise kennt ihn und wird frei.


Der alldurchdringende Âtman,

Wie Butter in der Milch versteckt,

In Selbstkenntnis, Selbst-Zucht wurzelnd,

Ist Endziel der Upanishad21;

Ist der Kern der All-Eins-Lehre,

Ist Endziel der Upanishad,

– ist Endziel der Upanishad.


Fußnoten

1 Zur Anordnung. Als Übergang von den Vedânta- und Yoga-Upanishad's zu den im Sannyâsa das höchste Ziel sehenden Texten kann, mit Rücksicht auf ihren dritten Teil, die Brahma-Upanishad betrachtet werden. An sie reihen sich, in der Ordnung der Liste Colebrooke's und Nârâyaṇa's, zwei Gruppen von Sannyâsa-Upanishad's, 1) Sannyâsa, Âruṇeyî, Kaṇṭhaçruti, welche sich alle drei durch ihre fragmentarische Form und trümmerhafte Überlieferung auszeichnen, und 2) Paramahaṅsa, Jâbâla, Âçrama, deren Darstellung geordneter ist, und deren späte Stellung im Kanon noch kein Beweis für ihre Posteriorität sein dürfte. Nur die letztgenannte wird wohl, um ihres systematisierenden Charakters willen, an das Ende der ganzen Entwicklungsreihe zu stellen sein.


2 Die Bestimmung derselben rührt teilweise von uns her, da die Einteilungen in der Calcuttaer und den beiden Punaer Ausgaben (mit Nârâyaṇa's und Ça karânanda's Kommentar) teils verwirrt, teils ganz unzweckmässig sind. Im Telugudruck ist unsere Upanishad in zwei sehr verschiedenen Rezensionen vorhanden, ohne den ersten Teil als Brahma-Upanishad, und mit demselben als Parabrahma-Upanishad.


3 Nach Praçna 2,4, mit welcher Stelle makshikâvat gelesen werden muss. Die Korruption ist durch das folgende yathâ mâkshikâ entstanden.


4 Nach Nârâyaṇa: »es (das Tiefschlafen, Träumen, Wachen) hängt an ihm (dem Âtman) wie eine Weiberbrust; er ist der Veda's und der Götter Ursprung« (vgl. S. 728 Anm.). – Der Sinn des ganzen (im Originale äusserst dunkeln) Abschnittes scheint zu sein, dass der höchste Âtman ganz und ungeteilt den Menschen durch alle drei Zustände des Tiefschlafens, Träumens und Wachens begleitet.


5 Der Vergleich des Âtman mit einem Krebse (karkaṭaka) gibt keinen besonderen Sinn und steht in der Upanishad-Literatur isoliert da.


6 Das Folgende ist ein Zitat aus Bṛih. 4,3,22, welches jedoch durch das vorgesetzte na (nicht) einen völlig andern Sinn gewonnen hat: weder die Dinge noch ihr kontradiktorisches Gegenteil lässt sich dem Brahman zuschreiben. (Anders Ça karânanda).


7 Sattvam, Rajas und Tamas.


8 Wörtlich: »vom Offenbarmachen« (sûcanât sûtram); dieselbe Etymologie Âruṇeya 3, unten S. 693.


9 = Çvet. 6,11.


10 = Çvet. 6,12 (frei).


11 = Çvet. 1,14.


12 = Çvet. 1,15 (frei).


13 Erläuterung des Bildes von der Spinne, oben S. 680.


14 Erläuterung von Teil 2, Schluss (S. 682), = Mahânâr. 11,6-7 (Atharva-Rez). oben S. 251.


15 Erläuterung des Eingangs von Teil 2 (S. 681) mit Ersetzung des dort genannten Nabels durch das Auge.


16 Im Originale Wortspiel zwischen samdhâ verbinden, samdhin (hier wohl: verbindend) und samdhyâ Dämmerungsandacht.


17 Im Originale Wortspiel zwischen samdhâ verbinden, samdhin (hier wohl: verbindend) und samdhyâ Dämmerungsandacht.


18 Lies nirodhakâ.


19 Eine besondere Klasse der Sannyâsin's, hier wohl für diese im allgemeinen.


20 Nach Taitt. 2,4.


21 = Çvet. 1,16.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 684-685.
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