Zigeunersprache

[621] Zigeunersprache, 1) gehört zu den jüngern indischen Volksmundarten, deren Mutter das Sanskrit ist; doch hat sich die Sprache vielfach mit Elementen aus den Sprachen der verschiedenen Länder, in welchen die Zigeuner hausen, vermischt u. zerfällt daher auch in eine Menge von einander abweichender Dialekte. Die grammatischen Formen sind aber noch unverkennbar indischen Ursprungs. Die Substantiva haben nur zwei Geschlechter, Mascul. u. Femin., u. einen Singular u. Plural, letzteren durch die Endungen e u. a bezeichnet. Die Casusendungen sind in beiden Zahlen dieselben, mit Ausnahme des Accusativs, welcher im Sing. [621] Mascul. auf s, Femin. auf a, im Plur. aber auf n endigt. Bei leblosen Dingen ist auch im Sing. oft der Accusat. dem Nomin. gleich. Der Dativ hat die doppelte Endung ke (ge) od. te, ti (de), der Ablat. endigt auf tar, ter, der Locativ auf c, Instrument. u. Sociat. ha, ssa, Gen. kero, z.B. cziriklo der Vogel, Accusat. czirikles, Vocat. czirikleja, Dat. czirikleske, Ablat. cziriklestar, Instr. czirikleha, Gen. czirikleskero, Plur. Nom. czirikle, Accusat. cziriklen, Voc. cziriklále, Dat. cziriklenge, Ablat. cziriklendar, Instr. cziriklenssa, Gen. cziriklengero. Die Adjectiva haben verschiedene Formen für die Geschlechter, werden aber vor ihrem Substant. nicht slectirt. Der Comparativ hat die Endung, der, dir, Superlativ fehlt. Adverbia werden aus Adjectiven auf es gebildet. Die Zahlwörter sind: 1 jek, 2 dui, 3 trin, 4 stahr, 5 pansch, 6 schōb, 7 efta, 8 ochdo, 9 ennia, 10 dēsch, 20 bisch, 100 schēl. Die Ordinalia werden daraus durch die Endung to gebildet: jekhto der erste, dujto der zweite, trito der dritte etc. Die persönlichen Pronomina sind: me ich, mee wir, tu du, tume ihr, lo er, li sie (Sing.), le sie (Plur.); Possessiva: miro mein, maro unser, tire dein, tumaro ener, leskero Fem. lakaro sein, ihr; Relativum: ke, kon, Neutr. ho, so. Eine Art Artikel ist Mascul. o, Femin. i, Plur. e. Die Verba haben keinen Infinitiv, sondern umschreiben ihn durch den Conjunctiv. Es gibt nur drei Tempora: Präsens, Imperfectum u. Perfectum, z.B. chava ich esse, chaves me ich aß, chaijum ich habe gegessen. Sie haben die gewöhnlichen drei Personen in beiden Zahlen, z.B. chava ich esse, chaha du issest, chala er ißt, chaha wir essen, chana ihr eßt, chana sie essen. Die Präpositionen stehen theils mit dem Dativ auf te, theils mit dem Nom. Der Anfang des Vaterunsers lautet: maro dād, kon tu hal andro bollepasti, te vel i patuv tre lavesti, d.h. unser Vater, welcher du bist im Himmel, daß komme die Ehre deinem Namen; od. im spanischen Zigeunerisch: amaro dada, oté andre o tarpe, majarificable sinele tun nao, d.h. unser Vater, dort in dem Himmel, geheiligt sei dein Name. Vgl. Graffunder, Über die Sprache der Zigeuner, Erf. 1835; Pott, Die Zigeuner, 2. Bd., Paspati, On the language of the Gypsies im Journal of the Americ. Orient. Soc. Vol. VII. 2) So v. w. Rothwälsch.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 621-622.
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