Vaterunser

[376] Vaterunser (Gebet des Herrn, Oratio dominica, Pater noster), das Matth. 6, 9–13 u. Luc. 11, 2–4 enthaltene, nach seinen ersten Anfangsworten genannte, von Jesu seinen Jüngern gelehrte Gebet. Man zählte das V. in der ältesten Kirche unter die Geheimnisse der Kirche, u. die Katechumenen durften dasselbe erst nach ihrer Aufnahme beten. Es findet sich schon gebraucht in den ältesten griechischen, lateinischen, gallicanischen u. gothischen Liturgien u. wurde außer bei der Messe auch zu den Tageszeiten (Horae canonicae) gebetet, u. nach den Bestimmungen des Toledaner Concils wurden die Geistlichen angehalten dasselbe bei Verlust ihres Amtes täglich zu beten. In der Protestantischen Kirche wird das[376] V. sowohl beim Gottesdienst von dem Prediger, laut od. still, nach der Predigt auf der Kanzel, u. still von der Gemeinde beim Ein- u. Ausgang gesprochen, als auch bei allen kirchlichen u. liturgischen Handlungen, wie Abendmahl, Taufe, Confirmation, Trauung, Begräbniß. Das V. ist das dritte Hauptstück des Katechismus u. es wird dort getheilt in a) die Anrede (Vater unser, der du bist im Himmel); b) die sieben Bitten (geheiligt werde dein Name, bis: erlöse uns von dem Übel); u. c) den Beschluß (die Doxologie: denn dein ist das Reich u. die Kraft u. die Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit). Die Bitten theilt man in Gebete, daß Gott uns gewisse Güter zuwenden (1.–4.), u. Bitten im engern Sinn, daß Gott gewisse Übel von uns abwenden wolle. Die Gebete aber theilt man wieder in Gebete um geistige (1.–3. Bitte) u. um leibliche Güter (4. Bitte). Die christlichen Confessionen unterscheiden sich beim Gebrauch des V-s in der Weglassung od. Mitbetung der Doxologie. Weggelassen wird sie von der Römischen u. Griechischen Kirche; sie steht allerdings nicht in der Vulgata, wird nicht erwähnt von den meisten älteren lateinischen Kirchenvätern u. findet sich nicht in den abendländischen Liturgien, wogegen die besten griechischen Codices u. viele Übersetzungen an den betreffenden Textstellen des Matthäus u. Lucas sie haben. Das V. ist in viele neuere Sprachen übersetzt, weil der Religionsunterricht der heidnischen Völker meist mit Erlernung desselben begann; schon Andr. Müller sammelte 83 Formeln, welche Th. Lüdeken herausgab, Berl. 1680; einen Nachtrag von 13 anderen enthielt das Auctarium versionum orationis dominicae, 1690; um 11 neue vermehrt ist die Ausgabe von B. Mottus, Lond. 1700; bis auf 152 vermehrt veranstaltete Chamberlayne eine Sammlung, welche Wilkens herausgab, Amsterd. 1715; 150 enthält J.J. Marcels Sammlung, Par. 1805; 156 die Ausgabe Parma 1806, Fol.; der Spanier C. Hervas hat in seiner Idea del universo, Cesena 1778–87, schon das V. in 307 Sprachen. In Adelungs u. Vaters Mithridates bildet es stets den Text, welcher zur Kenntniß der einzelnen Sprachen analysirt wird. Nach Tertullians u. Cyprians Vorgang ist das V. von Geistlichen u. Dichtern zum Gegenstande der Erklärung u. Umschreibung gemacht worden, Sammlung von Pöhlmann, 3. Aufl. Nürnb. 1840; Ammon, 12. Aufl. Lpz. 1845; Predigten über das V. von Marheinecke, Arndt, Harms u.a.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 376-377.
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