Gemeinde

[120] Gemeinde. I. Die politische G. im Staate ist die genossenschaftliche Verbindung der auf einem bestimmten Bezirke des Staatsgebietes (Gemeindebezirk, Gemeindemarkung, Gemeindeflur) wohnenden Individuen unter einem bestimmten Gemeindenamen u. mit Corporationsrechten zum Zwecke der Wahrung u. Beförderung der localen Interessen. Die G. ist daher der Organismus der örtlichen Gemeinschaft, während der Staat die Organisation der Volksgemeinschaft ist. Zwar hat es eine Zeit gegeben, zu welcher die localen Interessen mit denen des Volksstammes so zusammenfielen, daß Staat u. Gemeinde oft in einem Gemeinwesen vereinigt waren, u. diese Zeit läßt sich fast in der Kindheit jedes Volkes nachweisen, ja es kann ein solches Zusammenfallen aus besonderen historischen Veranlassungen auch wohl unter gebildeten Völkern noch vorkommen, wie dies z.B. die deutschen Freien Städte noch heute beweisen. Immer werden jedoch solche Erscheinungen in einem ausgebildeteren Zustand des Völkerlebens nur als Anomalien zu betrachten sein, da Zweck u. Wesen des Staates in seiner höheren Idee von dem Zweck u. Wesen der G. offenbar verschieden ist. Deshalb läßt sich auch nicht die G. als ein Staat im Kleinen bezeichnen, wenn es auch wahr ist, daß die Organisation der G. u. des Staates viel Ähnlichkeit hat u. der Staat seine wesentliche Stütze in den G-n zu finden hat. Der verschiedene Zweck u. Umfang der G., die weit geringeren materiellen u. geistigen Kräfte, welche der G. zu Gebote stehen, müssen nothwendig dazu führen, daß die G. sich auf weit engere Grenzen ihrer Wirksamkeit beschränken muß u. die Erfüllung einer großen Anzahl von Aufgaben, welche von den Einzelnen der Kraft der Gesammtheit zu überlassen ist, nicht von der G., sondern nur vom Staate erwartet werden kann. Es ist deshalb auch keineswegs die G. blos als untergeordnete Theile des Staates, der Gemeindebezirk nur als ein staatlicher Verwaltungsbezirk anzusehen, womit nothwendig dann die weitere Consequenz sich verbinden würde, daß die Gemeindebehörden nur die unterste Stufe der Staatsdienerschaft bildeten. Zwar liegt dieser Ansicht die allerdings nicht zu verkennende Wahrheit zu Grunde, daß der Staat des Bestehens der G-n u. einer Einwirkung auf dieselben nicht entrathen kann, ja daß es auch wohl zweckmäßig erscheinen mag, einzelne Functionen der Staatsgewalt den Gemeindebehörden zu übertragen; werden dagegen die G-n nur zu Unterabtheilungen des Staates gemacht, so führt dies nothwendig dazu, daß dadurch jedes Gemeindeleben ertödtet, dem Staat aber eine Last auferlegt wird, der er gar nicht gewachsen ist. Unmöglich kann der Staat nämlich seiner Aufgabe nach die örtlichen Verhältnisse, auf deren Kenntniß u. richtige Beurtheilung es bei der Leitung des Gemeindewesens vorzugsweise ankommt, so übersehen, daß er durch seine Organe dieselben zu beherrschen vermöchte; unmöglich ist es selbst, daß er für diese Verhältnisse fortdauernd das rege Interesse sich erhalten könnte, dessen sie doch von Seiten der leitenden Persönlichkeiten bedürfen, wenn sie gedeihlich gepflegt u. erhalten werden sollen. Wo das Wesen der Gemeinschaft auf localem Grunde beruht, wird nothwendig die Individualität derselben sich auch in den verschiedenen Körperschaften sehr verschieden ausbilden. Ebendeshalb treibt die Ausbildung der G. in einer ganz anderen Richtung fort, als sie dem Staate vorgezeichnet ist, welcher die gemeinsamen Ideen des gesammten Volksbewußtseins aufzunehmen u. zur Verwirklichung zu bringen hat. Diese Ausbildung wird für die G. immer am vollkommensten nur auf ihrem ureigenen Boden erwachsen. Der Staat kann dabei nur unterstützend, helfend, vorsorgend u. verhütend wirken, wenn er seine Kraft nicht am unrechten Orte anwenden u. verschwenden will. Die G. ist daher ihrem Wesen nach als eine selbständige Corporation, die Stellung des Staates ihr gegenüber nur als eine auf der oberaufsehenden Gewalt desselben beruhende zu betrachten. Doch liegt dies Verhältniß keineswegs den bestehenden Gemeindeordnungen durchgängig zu Grunde, vielmehr zeigen dieselben eine außerordentliche Mannigfaltigkeit. In vielen derselben erscheint die G. nur als eine Unterabtheilung des Staates, der Gemeindebezirk nur als ein abgegrenzter Theil des Staatsgebietes; in anderen dagegen ist die oberaufsehende Gewalt in einem Umfange verstanden worden, daß dieselbe einer wirklichen Bevormundung der G-n gleichkommt. Diese große Verschiedenheit der Gemeindeordnungen hat ihren Grund zum Theil in den verschiedenen Culturverhältnissen überhaupt u. in der großen Verschiedenheit der Bevölkerung der einzelnen Ortschaften. In letzter Beziehung kommt es oft bei G-n auf dem Lande vor, daß eine Persönlichkeit, ein Gut (Rittergut, Grundherr, Fabrikbesitzer), so prädominirt, daß sich hierdurch Ausnahmestellungen bedingen, die vielleicht anderswo nicht od. doch nicht in dem Maße geboten sind. Gerade diese Ausnahmestellungen, in Verbindung mit den großen Gegensätzen, welche sich in den politischen Anschauungen der Gegenwart überhaupt finden, sind in neuester Zeit der Gegenstand lebhafter Kämpfe gewesen, die zum Theil noch unausgeglichen sind, so daß in vielen Staaten das Gemeindewesen in einer schwankenden Lage begriffen ist, welche eine richtige Darstellung desselben sehr erschwert.

A) Allgemeiner Überblick über die geschichtliche Entwickelung u. die Quellen des heutigen Gemeinderechts in Deutschland. Die Vereinigung der Landesbewohner in örtlichen Genossenschaften unter einer gewissen selbständigen Verwaltung geht in Deutschland bis auf die ältesten Zeiten zurück. Solche Genossenschaften zeigten sich schon in der alten Gauverfassung u. in den Markgenossenschaften, die bis zu einem gewissen Grade indessen zugleich auch Alles in sich vereinigten, was heutzutage der Begriff des Staates in sich schließt. Die Verfassung dieser alten Genossenschaften war Anfangs eine rein republikanische; jedes freie Mitglied derselben nahm an der Gemeindeversammlung Theil u. eine Obergewalt, welche die G. selbst in ihrer Thätigkeit[120] beschränkt hätte, existirte nicht. Später, mit der Auflösung der Gauverfassung u. dem veränderten Heerbanndienst, bildeten sich diese Verhältnisse wesentlich um. Mit dem 11. Jahrh. findet sich schon der Unterschied zwischen Dörfern, als blos ländlichen Ansiedelungen zum Zwecke des Ackerbaues, u. den größeren Städten, in welchen unter dem Schutze von Fürsten u. Bischöfen, hinter Mauern u. Wällen, sich mehr die gewerb- u. handeltreibende Klasse versammelte. Dieser Unterschied wirkte aber zugleich wesentlich auf die Verfassung beider Arten von G-n ein. Die kleineren Landgemeinden, des Schutzes mächtigerer Herren bedürftig, verloren frühzeitig ihre Selbständigkeit u. waren gezwungen, sich an die größeren Grundbesitzer anzuschließen, welche mit Gewährung des Schutzes meist zugleich in den Besitz der Gewalt über die G. gelangten; manche Ansiedelungen entstanden auch erst durch die Grundherren u. mußten es dann um so mehr sich gefallen lassen, unter deren Botmäßigkeit zu bleiben. In den Städten dagegen entwickelte sich das Gemeindeleben unter dem Einfluß mancher Privilegien u. durch wachsenden Wohlstand, welcher den Bürgern das Bewußtsein eigener Kraft verlieh, bald zu größerer Selbständigkeit. Schon frühzeitig findet sich hier eine collegialisch geordnete, von den Bürgern selbst gewählte Behörde an der Spitze, welche die Gemeindeangelegenheiten ordnete u. auch einzelne Jurisdictionsbefugnisse, wenn schon die letzteren meist unter Concurrenz landesherrlicher Vögte od. bischöflicher Beamten, ausübte. Dies Stadtregiment wußte sich durch Erwerbung mancher Hoheitsrechte, die durch Kauf, Verpfändung u. unter anderen Titeln auf dasselbe übergingen, bald eine noch höhere Bedeutung zu erringen. Man suchte die Personen u. Güter der Stadtgemeinde von dem Landgerichte immer mehr zu emancipiren u. die Einwirkung des Landesherrn auf ein möglich geringes Maß zurückzuführen. Vorzüglich gelang dies in den sogen. Reichsstädten, in denen die Vogtei bei dem Kaiser verblieben war. Aber auch die Landstädte, d.h. diejenigen, über welche die Vogtei an einen Landesherrn als eigenes, erbliches Recht gelangt war, wußten sich meist so frei zu machen, daß nicht allein die Verwaltung, sondern auch die Gesetzgebung (Autonomie) im Kreise der bürgerlichen Verhältnisse ihnen meist ganz überlassen blieb u. die landesherrliche Einwirkung sich fast nur auf eine allgemeine Bestätigung des Stadtrechts bei vorkommenden Regierungswechseln, Huldigung u. Entrichtung der ihnen auferlegten Beten beschränkte. Erst die Reformation u. der Dreißigjährige Krieg bewirkte hier wesentliche Änderungen. Wie die erstere (auch die nunmehr immer allgemeiner hervortretende Anwendung des Römischen Rechtes trug viel dazu bei) die landeshoheitliche Gewalt hoch emporhob, erschütterte der letztere die Macht der Städte auf das Äußerste u. zwang dieselben, der Autorität der Fürsten sich noch mehr zu unterwerfen. Der frühere Gemeinsinn verschwand u. machte einem unterwürfigen Vertrauen auf die Allmacht der Staatsgewalt Platz. Die Räthe der Städte wurden mehr u. mehr aus dem Kreise juristisch geschulter Männer besetzt, die für die frühere Selbständigkeit der G. keine Formel zu finden wußten u. dieselbe daher mehr u. mehr aufgaben. Mit dem römischen Satze, daß die politischen G-n die Rechte der Minderjährigen genössen, fand man es bald gerechtfertigt, das ganze Gemeindewesen als der Obervormundschaft der Staatsregierung unterworfen zu betrachten, was die Folge hatte, daß an Stelle der städtischen Autonomie unmittelbar vom Landesherrn ausgehende polizeiliche Vorschriften, an Stelle der früheren freien Wahl der städtischen Beamten Bestätigung od. auch gar unmittelbare Einsetzung durch die oberen Regierungsbehörden, an Stelle der früheren Selbstverwaltung des städtischen Vermögens vielfache Eingriffe in dasselbe zu staatlichen Zwecken traten. Je mehr der Staat an Bedeutung gewann, um so tiefer sank das Gemeindeleben u. ging hier zuweilen durch Bildung bevorrechteter Klassen, welche den Besitz der Ämter u. damit den Genuß der städtischen Güter vorzugsweise sich zuzuwenden wußten, in förmliche Stagnation über. Daher war es kein Wunder, daß man am Ende des 18. Jahrh. zu der Theorie gelangte, daß die Ortsgemeinden überhaupt, eigener Selbständigkeit bar, nur Theile des Staatsorganismus bildeten u. daß das Gemeindevermögen als mittelbares Staatsgut u. die Gemeindebeamten als mittelbare Staatsdiener zu betrachten seien. In Verbindung damit stand, daß der philosophische Zeitgeist nach Theorien strebte, welche die Mannigfaltigkeit der örtlichen Verfassungen unter allgemeinere Gesichtspunkte zu bringen geeignet wären, wobei man aber selbst falsche Analogien herbeizuziehen wußte, welche das Übel nur noch mehr verschlimmerten. Am weitesten ging in Unterdrückung der früheren Selbständigkeit der G-n Frankreich, wo ein Gesetz vom 18. December 1789 die alten verschiedenen Stadtverfassungen ganz aufhob u. uniforme gleichberechtigte Municipalitäten an die Stelle setzte, deren Mitglieder allerdings zunächst noch von den Communen selbst gewählt wurden. Unter Napoleon wurden aber die G-n unter einen Maire gestellt, welcher nur auf fünf Jahre von dem Minister, in kleineren Communen von dem Präfecten ernannt wurde u. unter strengster Verantwortlichkeit gegen Präfect u. Minister stand. Ebenso wurden die Mitglieder des Gemeinderaths vom Präfecten ernannt u. konnten, wie der Maire, jeden Augenblick ihres Amtes durch die vorgesetzte Behörde wieder entsetzt werden. Die Gemeindeverwaltung gerieth dadurch in völlige Abhängigkeit von den Staatsbehörden, was die Folge hatte, daß dieselbe selbst ganz vernachlässigt wurde u. fortan mehr politische Einflüsse die Stellenbesetzung bestimmten. Mit der Einführung des französischen Rechtes in den eroberten Provinzen gingen diese Grundsätze auch auf einen großen Theil Deutschlands über; ja sie wurden hier auch von anderen Staaten (Anhalt-Köthen 1811, Nassau 1816, Großherzogthum Hessen 1821) nachgeahmt.

Dagegen betrat zuerst Preußen mit seiner Städteordnung vom 19. November 1808 den Weg einer entschiedenen Reform im Sinne einer Wiederbelebung des alten Gemeinsinnes. Der Bürgergemeinde sollte wieder ein wirksamerer Antheil an der Gemeindeverwaltung gegeben, die G-n selbst wiederum als selbständigere Corporationen hergestellt u. die Oberaufsicht des Staates auf das Nothwendigste beschränkt werden. Die Städteordnung, neben welcher auch eine umfassende Landgemeindeordnung treten sollte, wurde sofort für alle Provinzen des damaligen[121] Preußischen Staates eingeführt, u. wenn sie auch im weiteren Verlaufe der Jahre nicht allen Erwartungen entsprach, so zeigten doch ihre Grundsätze bald die wohlthätigste Wirkung auf die Belebung des ganzen Staatskörpers u. trugen wesentlich dazu bei, die Wiedererhebung der Nation zu ermöglichen. Sie wurde u. blieb seitdem zugleich das Vorbild, nach welchem man von liberaler Seite die Gemeindeverfassungen umzugestalten suchte. Gerade hierdurch regte sie aber auch vielfach entgegengesetzte Bestrebungen auf. Die Bildung der neueren Gemeindeordnungen wurde deshalb, nicht zum Vortheil der Ausbildung des Gemeindelebens, von den verschiedenen politischen Zeitströmungen influirt, welche namentlich im Jahre 1848 sich in mächtiger Weise auch für die Frage wegen Stellung u. Organisation der G-n geltend machten. Die Rreichsverfassung der Frankfurter Nationalversammlung bestimmte darüber (§. 184, 185), daß jede G. als Grundrechte ihrer Verfassung a) die Wahl ihrer Vorsteher u. Vertreter, b) die selbständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit Einschluß der Ortspolizei, unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des Staates, c) die Veröffentlichung ihres Gemeindehaushaltes u. d) Öffentlichkeit der Verhandlungen als Regel zu erhalten habe, auch daß jedes Grundstück einem Gemeindeverbande angehören u. daß nur der Landesgesetzgebung etwaige Beschränkungen wegen Waldungen u. Wüsteneien vorbehalten bleiben sollten Doch haben die hiernach gebildeten Gemeindeordnungen unverändert kaum die nächsten Jahre überlebt. In vielen Staaten wurden sie ganz aufgehoben; in anderen traten wenigstens sehr bald wesentliche Modificationen derselben ein.

In Preußen kam unter dem 31. Mai 1831 eine revidirte Städteordnung zur Publication (vgl. von Rönner u. Simon, Die preußischen Städteordnungen, Breslau 1843; K. Streckfuß, Die beiden preußischen Städteordnungen, Berl. 1841). Die Revision ging bes. darauf aus, das große Mißverhältniß zu beseitigen, welches nach der alten Städteordnung die Bevorzugung der Stadtverordneten vor dem Magistrate (s. unten) veranlaßte. Es wurden deshalb dem letzteren jetzt ausgedehntere Einspruchsrechte gegen die Beschlüsse des Stadtverordnetencollegiums eingeräumt, die Zahl der Stadtverordneten vermindert u. dagegen die lebenslängliche Bestellung der Magistratsmitglieder zu befördern gesucht. Andere Bestimmungen suchten aber auch der Regierungsgewalt wieder mehr Einfluß auf die Verwaltung der städtischen Gemeindeangelegenheiten zu verschaffen. So wurde jede bedeutendere Besitzveränderung im Vermögen der G. von der Genehmigung der Regierungsbehörde abhängig gemacht, bei Differenzen zwischen Magistrat u. Stadtverordneten der Regierung das Recht gegeben, durch einen Commissarius einzugreifen, u. dem Staatsoberhaupt das Recht vorbehalten, in solchen Fällen, wo sich eine Stadtverordnetenversammlung parteisüchtig od. widerspenstig zeigen sollte, dieselbe gänzlich unter Verlust des Gemeindewahlrechts für die Schuldigen aufzulösen. Namentlich die letzteren Bestimmungen riefen in vielen Städten gegen Einführung dieser revidirten Städteordnung Abneigung hervor, u. da die Einführung selbst in den Willen der G-n gestellt war, so blieben die meisten Städte der alten Provinzen bei der Städteordnung von 1808. Eingeführt wurde die revidirte Städteordnung daher nur in den Provinzen Sachsen, Westfalen u. vielen Städten der Provinz Posen. In der Rheinprovinz war nach deren Erwerbung die französische zwischen Stadt u. Land nicht unterscheidende Municipalverfassung beibehalten worden, u. mehrfache Versuche, auch hier die Städteordnungen von 1808 u. 1831 einzuführen, riefen lebhaften Widerstand hervor, der bes. wider Trennung der Verfassungen der G-n in Stadt- u. Landgemeinden gerichtet war. Die letzteren waren inzwischen in den alten Provinzen ganz in ihrer alten Verfassung belassen worden (vgl. von Haxthausen, Die ländliche Verfassung in den einzelnen Provinzen der preußischen Monarchie, Königsb. 1839; Lavergne-Peguilhen, Die Landgemeinde in Preußen, Königsb. 1841). Erst 1841 wurde, zunächst für die Provinz Westfalen, auch eine neue Ordnung dieser Landgemeinden in das Leben gerufen. Endlich kam 1845 auch eine Gemeindeordnung für die Rheinprovinz vom 23. Juli d.i. zu Stande. Im Jahre 1848 erhoben sich von allen Seiten Petitionen, welche auf eine Reorganisation des Gemeindewesens hinstrebten. Man verlangte eine allgemeine Gemeindeverfassung für die ganze Monarchie, Aufhebung der bes. in der revidirten Städteordnung enthaltenen Beschränkungen u. die vollständigste Durchführung des Principes der Selbständigkeit u. Selbstverwaltung, auch für die bisher in wesentlicher Abhängigkeit von den Gutsherren u. Landrathsämtern gebliebenen Landgemeinden. Die Regierung legte hierauf auch der Nationalversammlung einen dahin gehenden Entwurf vor; aber ungeachtet der entschiedenen Freisinnigkeit desselben, fand er dennoch großen Widerspruch u. 76 Abgeordnete stellten ihm einen anderen entgegen, welcher die demokratischen Grundsätze auf die äußerste Spitze trieb. Beide Entwürfe kamen wegen Auflösung der Versammlung nicht zur Berathung; doch sicherte die Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 eine neue Gemeindeordnung für alle Provinzen zu. Zur Erfüllung dieser Zusicherung legte die Regierung ihren Entwurf im Jahre 1850 nochmals den Kammern vor, u. derselbe trat, wennschon mit mannigfachen Modificationen, hierauf auch als Gemeindeordnung für den Preußischen Staat vom 11. März 1850 zugleich mit einer neuen Kreis-, Bezirks- u. Provinzialordnung von demselben Tage, mit der Bestimmung in gesetzliche Kraft, daß dieselbe in allen G-n des Staates eingeführt werden sollte. Allein bald zeigten sich bei der Verschiedenheit in den einzelnen Provinzen für die Durchführung desselben die größten Schwierigkeiten, u. da bes. von Seiten der ländlichen größeren Gutsbesitzer eine lebhafte Reaction gegen dieselbe begann, so wurde durch einen Allerhöchsten Erlaß vom 19. Juni 1852 angeordnet, daß mit der Einführung der Gemeindeordnung u. mit Bildung der durch die neue Kreis-, Bezirks- u. Provinzialordnung angeordneten neuen Kreis- u. Provinzialordnungen nicht weiter vorzugehen sei, u. durch Gesetz vom 24. Mai 1853 wurde hierauf die gänzliche Aufhebung der Gemeindeordnung vom 11. März 1850 mit der Bestimmung ausgesprochen, daß an Stelle derselben wieder ganz die früheren Bestimmungen treten, zur Fortbildung derselben aber besondere provinzielle Gesetze mit Trennung von Stadt u. Land erlassen werden[122] sollten. Als solche Gesetze sind hierauf auch unter dem 19. März 1856 eine neue Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen, unter dem 14. April 1856 zwei Gesetze, betreffend die ländlichen Ortsobrigkeiten u. die Landgemeindeverfassung in den sechs östlichen Provinzen der Monarchie, u. ein Gesetz, betreffend die Gemeindeverfassung in der Rheinprovinz vom 15. Mai 1856, erlassen worden. Mittelst dieser Gesetze wurde namentlich der Unterschied zwischen Stadt u. Land überall wieder zur Geltung gebracht, in der Verfassung der Landgemeinden aber aus äußeren Gründen das gutsherrliche Regiment ziemlich stark bevorzugt.

In Österreich bestand bis zum Jahre 1848 in dem Zustande der G-n die größte Mannigfaltigkeit. Einige Provinzialgemeindeordnungen abgerechnet, existirte kein Gesetz, welches die Verhältnisse der G-n allgemein regelte. Einige Verbesserungen nahm Kaiser Joseph II. vor, doch blieben dieselben, wie auch später, meist auf die Regulirung der Verhältnisse in den größeren Hauptstädten beschränkt. Im Ganzen war die Stellung der G-n eine der Aufsicht u. Leitung der Staatsbehörden unmittelbar unterthänige, indem in allen wichtigen Punkten die Entscheidung bei den Landesstellen od. bei solchen Magistraten war, welche den G-n vom Staate bestellt wurden. Eine auf sehr liberalen Principien beruhende Gemeindeordnung, welche für alle Länder der Österreichischen Monarchie, mit Ausnahme von Ungarn, Kroatien, Slavonien, Siebenbürgen u. dem Lombardisch-venetianischen Königreich, u. für Stadt- u. Landgemeinden gleichmäßig Geltung erhalten sollte, wurde unter dem 17. März 1849 verkündet. In derselben waren über die einzelnen Ortsgemeinden noch Bezirks- u. Kreisgemeinden gesetzt, deren Ausschüsse einen wesentlichen Theil der oberaussehenden Gewalt übertragen erhalten sollten; für die größeren Städte der Monarchie wurde die Einführung besonderer Stadtordnungen vorbehalten. Allein bei dem bald darauf folgenden Umschwung der Dinge trat diese Gemeindeordnung nicht in das Leben. Dafür stellte aber doch das Kaiserliche Cabinetsschreiben vom 31. December 1851 auch für die G-n wesentliche Änderungen in Aussicht. Diese Änderungen sind zum größten Theil noch nicht eingetreten. Als Grundlagen sind dabei aber folgende angegeben: als Ortsgemeinden werden die factisch bestandenen u. bestehenden G-n angesehen, ohne deren Vereinigung da, wo sie nothwendig od. wünschenswerth erscheint, nach Maßgabe der Bedürfnisse auszuschließen. Der Unterschied von Stadt- u. Landgemeinden soll festgehalten, die Vorstände für beide der Bestätigung u. nach Umständen selbst der Ernennung der Regierung vorbehalten werden, während die Wahl der Gemeindevorstände u. Gemeindeausschüsse nach zu bestimmenden Wahlordnungen den G-n vorbehalten bleibt. Der Wirkungskreis der G-n soll sich auf ihre Gemeindeangelegenheiten beschränken, jedoch mit der Verbindlichkeit, der vorgesetzten landesfürstlichen Behörde in allen öffentlichen Angelegenheiten die durch allgemeine od. besondere Anordnungen bestimmte u. in Anspruch genommene Mitwirkung zu leisten. Auch in den eigenen Gemeindeangelegenheiten sollen wichtigere, in den Gemeindeordnungen näher zu bestimmende Acte u. Beschlüsse der Prüfung u. Bestätigung der landesfürstlichen Behörden vorbehalten werden. Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen ist auszuschließen. Bei den Activ- u. Passivwahlen soll den überwiegenden Interessen, namentlich dem Grundbesitze nach Maßgabe seiner Ausdehnung im Gemeindebezirk u. nach seinem Steuerwerth, dem Gewerbsbetriebe im Verhältniß zum Gesammtgrundbesitze, in den Stadtgemeinden aber insbesondere dem Hausbesitze u. so viel möglich den Corporationen für geistige u. materielle Zwecke das entscheidende Übergewicht gesichert werden.

In Baiern wurden durch ein Edict vom 24. September 1808 in allen Städten über 5000 Seelen die früheren Verfassungen aufgelöst u. an Stelle derselben sehr beschränkte, von dem Ministerium ernannte Municipalräthe nach französischem Muster eingeführt. Allein mit der Gemeindeordnung vom 17. Mai 1818, womit noch eine Gemeindewahlordnung vom 5. August 1818 u. ein Gesetz über Gemeindeumlagen vom 22. Februar 1819 in Verbindung stand, ging man von diesen Principien wieder ab u. folgte im Ganzen dem System der preußischen Städteordnung von 1808. Die Magistratscorporationen wurden mit erweiterter Wirksamkeit wieder hergestellt u. ihnen zum Beirath u. zur Controle Communrepräsentanten beigegeben. Dabei begünstigte man gleich Anfangs die Lebenslänglichkeit der Gemeindebeamten u. machte den Magistrat mehr zum Mittelpunkt des städtischen Wesens. Eine Revision erfolgte unter dem 1. Juli 1834. Im Jahre 1850 wurde ein neuer Entwurf einer vollständigen, auf alle G-n berechneten Gemeindeordnung nach dem Muster der preußischen Gemeindeordnung vom 11. März 1850 ausgearbeitet, der aber nicht zum Gesetz erhoben wurde. In der Rheinpfalz blieben die Gemeindeverhältnisse im wesentlichen französisch, indem der Landtagsabschied vom Jahre 1837 nur geringe Abänderungen traf. Vgl. Beisler, Betrachtungen über Gerichtsverfassung etc. mit besonderer Bezugnahme auf Baiern, Augsb. 1831; Döllinger, Die Verfassung u. Verwaltung der G-n in Baiern, München 1819, 2 Thle. Den baierischen Verhältnissen sind die Verhältnisse der G-n in Württemberg ähnlich; doch hob man hier den Unterschied, welcher früher zwischen Stadt- u. Landgemeinden bestand, ganz auf u. theilte die G-n je nach Verschiedenheit ihrer Größe in drei Klassen ab. Die Gesetze, auf welchen das Gemeindewesen hier beruht, sind das zweite Organisations-Edict vom 31. December 1818 u. das Edict über Verwaltung der G-n vom 1. März 1822, so wie ein Gesetz über das Bürger- u. Beisitzrecht vom 18. April 1828 (revidirt 2. December 1833). Vgl. Schütz, Die Gemeindeordnung Württembergs., Stuttg. 1837. Hannover hatte bis in die neuere Zeit keine allgemeine Gemeindeordnung. Seit 1819 schon hatte man indessen angefangen, die Verfassung einzelner Städte u. Flecken durch besondere Gesetze zu reguliren. Allgemeinere Grundsätze stellte hierauf das Staatsgrundgesetz von 1833 auf, welche auch, wiewohl mit mehreren Modificationen, in das Landesverfassungsgesetz vom Jahre 1840 übergingen. Das Verfassungsgesetz vom 5. September 1848 aber stellte die Grundsätze von 1833 nicht nur in ihrer Reinheit wieder her, sondern sprach sich in noch freisinnigerer Weise für Selbstverwaltung der G-n, freie Wahl der Gemeindebehörden, deren Bestätigung von der Regierung[123] nur aus gesetzlich festgestellten Gründen verweigert werden dürfe, aus u. stellte zu diesem Zwecke eine allgemeine Städte- u. Landgemeindeordnung in Aussicht. Beide Gesetze sind hierauf auch unter dem 1. Mai 1851 u. 4. Mai 1852 erschienen. Doch hat die Städteordnung neuerdings einige Abänderungen erlitten. Vgl. Stüve, Wesen u. Verfassung der Landgemeinden, bes. in Niedersachsen, Jena 1851. Das Königreich Sachsen erhielt eine allgemeine Städteordnung vom 2. Februar 1832, welche im Ganzen dem Vorbilde der preußischen revidirten Städteordnung folgt. Bürgermeister u. besoldete Rathsherren werden indessen hier sofort auf Lebenszeit gewählt, u. nicht die Stadtverordneten allein machen die Vertretung der Stadt aus, sondern neben denselben besteht noch ein größerer Bürgerausschuß, welcher auch zu Veränderungen im städtischen Vermögen seine Stimme zu geben hat. Für die Landgemeinden erschien ein besonderes Gesetz vom 7. November 1838, welches nach einem anderen Gesetze auch auf kleinere Städte Anwendung findet. Den sächsischen Gesetzen ziemlich ähnlich ist die Gemeindeordnung für Kurhessen vom 23. December 1834. Dagegen ist Nassau mit Communalordnung vom 5. Juni 1816 u. das Großherzogthum Hessen mit der Gemeindeordnung vom 30. Juni 1821 mehr französischem Muster gefolgt, indem beide die G-n mehr als abhängige Staatsanstalten betrachten. Für Nassau wurde indessen ein neues, auf die Grundsätze vollster Selbständigkeit begründetes Gemeindegesetz vom 12. December 1848 publicirt. Das Herzogthum Braunschweig erhielt eine Städteordnung vom 4. Juni 1834 (revidirt vom 19. März 1850) u., ebenfalls vom 19. März 1850, eine schon 1832 zugesagte Landgemeindeordnung. In den Sächsischen Herzogthümern wurde für Weimar eine Landgemeindeordnung unter dem 2. Februar 1840, für Gotha eine Gemeindeordnung vom 30. Mai 1834; für Koburg, Altenburg u. Meiningen enthielten die betreffenden Grundgesetze u. Verfassungsurkunden mannigfache leitende Grundsätze auch für die Organisation u. Verwaltung der G- u. Im Jahre 1848 vereinigten sich aber sämmtliche Thüringische Staaten zur Bearbeitung einer gemeinschaftlichen Thüringischen Gemeindeordnung für Stadt u. Land, bei welcher man den demokratischen Entwurf der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung zu Grunde legte. Dieselbe fand hierauf auch in Sachsen-Weimar, Schwarzburg, Reuß u. Anhalt Eingang, während Altenburg sich zeitig davon lossagte. Schon 1854 erlitt indessen dieses Gesetz wieder bei einer Revision wesentliche Veränderungen u. ist seitdem in mehreren Staaten, z.B. Reuß, auch wieder ganz aufgehoben worden. Altenburg gab seinen Landgemeinden eine Dorfordnung vom 16. September 1851. Durch besondere Freisinnigkeit zeichnete sich das Gemeindegesetz vom 31. December 1831 für das Großherzogthum Baden aus; da sich aber dies Gesetz für den Wohlstand der G-n höchst nachtheilig erwies, so wurde im Jahre 1851 eine sehr durchgreifende Revision desselben vorgenommen. Vgl. Fröhlich, Zwei badische Gemeindegesetze, Heidelb. 1854. Von den übrigen kleineren deutschen Staaten erwähnen wir noch für Oldenburg eine Landgemeindeordnung vom 28. December 1831 u. eine Städteordnung vom 12. August 1833, welche zum Theil aber wieder durch Artikel 66 bis 73 des revidirten Staatsgrundgesetzes vom 22. November 1852 modificirt wurden; für Lippe eine Gemeindeordnung vom 21. März 1841; für Waldeck eine Gemeindeordnung vom 27. April 1850, für Bremen eine Gemeindeverfassung der Landgemeinden vom 25. Februar 1850; für Hohenzollern-Hechingen eine Gemeindeordnung vom 19. October 1833 u. für Hohenzollern-Sigmaringen vom 6. Juni 1840; für Frankfurt eine Gemeindeordnung vom 12. August 1824.

B) Eintheilungen der Gemeinden. Wenige Ausnahmen abgerechnet, wird noch fast überall in Deutschland der Unterschied der G-n in Stadt- u. Landgemeinden festgehalten. Über die Nothwendigkeit dieses Unterschiedes besteht allerdings Streit. Manche nahmen an, daß derselbe seine Bedeutung verloren habe, seitdem in neuerer Zeit viele Gewerbe auf den Dörfern ebenso wie in den Städten betrieben würden, u. damit die Bevölkerung der ersteren eine mit der städtischen Einwohnerschaft ziemlich gleiche Mischung erhalten habe. Aber im Großen u. Ganzen läßt sich der Unterschied zwischen Stadt u. Land noch heute sehr wohl erkennen u. erzeugt je für die Stadt- u. Landgemeinden verschiedene Interessen, die auch eine abweichende Organisation beider Arten von G-n zu bedingen scheinen. Auch die eigentlichen Fabrikdörfer entbehren wegen der meist gleichen Beschäftigung ihrer Bewohner doch des städtischen Charakters, welcher in der Vereinigung der verschiedenen bürgerlichen Gewerbe hervortritt, u. lassen sich daher mit den Städten nicht auf eine Stufe stellen; ebenso wenig läßt sich annehmen, daß Städte von geringerem Umfang u. geringerer Einwohnerzahl in allen Punkten nur größeren Dörfern gleichzustellen seien. Es empfiehlt sich deshalb auch keineswegs, wenn der Begriff Stadt etwa nur auf G-n von einer gewissen Einwohnerzahl eingeschränkt wird. Welche G. als Stadt, welche als Landgemeinde zu betrachten sei, kann vielmehr nur nach der historischen Ausbildung bestimmt werden, welche die G. im Laufe der Zeiten genommen hat, u. Stadt wird man immer nur diejenige G. nennen können, deren Bevölkerung von Alters her sich vorzugsweise der bürgerlichen Nahrung u. Beschäftigung hingegeben hat, während als Eigenthümlichkeit der Landgemeinden die ausschließliche od. doch vorzugsweise Beschäftigung mit der Landwirthschaft anzusehen ist. Finden sich in einer Landgemeinde aber ausnahmsweise auch andere Erwerbszweige in ausreichender Menge vertreten, daß sie dem städtischen Charakter näher kommt, so erscheint es dann angemessener, für dieselbe im einzelnen Falle die Aufnahme unter die Städte einzuleiten, als durch totale Uniformirung den ganzen Unterschied zwischen Stadt- u. Landgemeinden zu verwischen. Außer dem letzteren Unterschiede kennen aber manche Gemeindeordnungen auch mitunter noch einen Unterschied zwischen Orts- u. Amtsgemeinden, insofern nämlich mehrere Ortsgemeinden selbst wieder unter sich zu gemeinschaftlichen Zwecken als besondere Körperschaften vereinigt sind. Diese Einrichtung empfiehlt sich bes. für solche Zwecke, für deren Erfüllung die Kräfte der kleineren Ortsgemeinden nicht ausreichen, wie z.B. für Vertheilung der Armen-, Deichbaulast u. Uferschutz, Landstraßenunterhaltung u. dergl. Doch bedarf es dabei immer sorgsamer Berücksichtigung,[124] daß nicht die willkürlichen Districtsgrenzen, sondern nur die auf natürlichem Grunde beruhenden Gemeinschaftsinteressen ein festeres Gebilde zu erzeugen vermögen, u. daß daher ohne das Vorhandensein einer solchen natürlichen Gemeinschaft die Bildung einer Amtsgemeinde wenig Nutzen versprechen kann. Auf dem Boden der Ortsgemeinde selbst aber kommen als kleinere G-n wohl hier u. da noch sogenannte Alt- od. Realgemeinden (G. der Großhäusler, Anspänner etc.) vor; sie bilden meist eine Vereinigung mehrerer bevorrechteter Personen in der G., welchen eine vorzugsweise Benutzung der Gemeindegüter (s. Allmenden) zukommt. Ihre historische Erklärung finden sie darin, daß sie gewöhnlich den ursprünglichen Kern der Ortsbevölkerung ausmachen, um welchen dann die größere G. sich als eine im Laufe der Zeit hinzugetretene Erweiterung gelegt hat. Die rechtlichen Verhältnisse zwischen beiden Arten der G. gehören in der Regel zu den schwierigsten Punkten des Gemeindewesens, da Privatrecht u. öffentliches Recht hier oft zusammenfällt u. zuweilen die Realgemeinde auch nur in Rechte der Einzelnen (Jura singulorum) sich auflöst, die natürlich weder durch Beschlüsse der G., noch durch höhere Anordnungen ohne Weiteres aufgehoben werden können.

C) Als Vereinigung auf örtlicher Grundlage muß die G. den Wohnsitz im Gemeindebezirk zur Grundlage für die Mitgliedschaft im Gemeindeverband nehmen, so daß Niemand Mitglied in der G., noch weniger Beamter derselben sein kann, der nicht wesentlich in ihr ansässig ist. Zum Erwerb der Gemeindeangehörigkeit gehört als Vorbedingung der Besitz des Indigenats (Staatsangehörigkeit). Von dem Grundgedanken ausgehend, daß die Ortsgemeinde zugleich die Grundlage des Staates, der Gemeindebezirk als die letzte Unterabtheilung des Staatsgebietes zu betrachten sei, sind aber viele Verfassungen zu dem Satze gelangt, daß jeder Staatsangehörige nothwendig einem Gemeindeverbande in irgend einer Eigenschaft angehören u. auch jedes Grundstück einer solchen G. einbezirkt sein müsse (z. B. in Württemberg, Braunschweig, Hannover, Sachsen-Weimar etc.). Diese Consequenz ergibt sich jedoch aus dem Begriffe der G. keineswegs u. hat ebenso die historische Entstehung der G-n, als die Erfahrung gegen sich. Von jeher hat es namentlich auf dem Lande eine große Anzahl Grundbesitzungen gegeben, welche keiner G. angehörten, z.B. die adeligen Grundherren u. Rittergutsbesitzer, größere Waldungen etc. Mag es nun auch wünschenswerth erscheinen, daß auch diese Besitzungen zur Tragung von allgemeinen Lasten herbeigezogen werden, so führt doch die Einbezirkung derselben im Verwaltungswege in die nächste G. in der Regel zu den schwersten Überlastungen, welche bereits den Grund für vielfache Klagen u. lebhafte Kämpfe Seitens der Verletzten gebildet haben. Besser ist es daher, wenn dergleichen Grundstücke als besondere Complexe behandelt werden, was keineswegs ausschließt, daß ihnen ein Theil der wirklich gemeinsamen Lasten (Wegebau, Feldpolizei) ebenso auferlegt werden kann, wie den G-n. Besitzer von Grundstücken in einer Gemeindeflur, welche aber auswärts wohnen, heißen Forenser (Ausmärker, Markgenossen). Ihre Beziehungen sind verschieden geordnet, indem sie bald ganz den anderen Grundstücksbesitzern gleichgestellt sind, bald blos für diejenigen Verhältnisse ihnen gleichberechtigt u. gleichverpflichtet gelten, welche den Grundbesitz angehen, bald überhaupt der Rechte der anderen Ortsbürger ganz entbehren u. nur die auf die Grundstücke gelegten Lasten gleich den anderen Grundstücksbesitzern zu tragen haben. Welches dieser Systeme im einzelnen Falle den Vorzug verdiene, läßt sich im Allgemeinen schwer entscheiden, viel wird dabei immer auf die Größe des forensischen Besitzthums u. das Verhältniß, welches zwischen ihm u. den Besitzungen der übrigen Gemeindeglieder stattfindet, ankommen. Auch in persönlicher Hinsicht aber finden sich unter den Mitgliedern der G-n manche Unterscheidungen u. Exemtionen. Sehr verbreitet ist die Unterscheidung zwischen Bürger (Nachbar) u. Beisasse (Schutzbürger, Schutzverwandter), von denen dann nur die ersteren die vollen Rechte eines Gemeindemitgliedes, die letzteren dagegen wohl den Schutz der G. u. das Recht zur Theilnahme an den öffentlichen Anstalten derselben genießen, nicht aber zugleich z.B. am Wahl- u. Stimmrecht Theil haben. Die Bedingungen zum Erwerb des vollen Bürgerrechtes sind in den einzelnen Gemeindeordnungen sehr verschieden normirt. Als Bedingungen kommen meist Betrieb eines regelmäßigen Gewerbes, Einnahme von einer bestimmten Höhe od. Nachweis eines bestimmten Vermögens, ein gewisses Alter etc. vor; außerdem kann wohl als allgemeine Regel betrachtet werden, daß das volle Bürgerrecht selbst erworben werden muß, wenn Jemand neben selbständigem Haushalt in dem Gemeindebezirk ein Grundstück von einer gewissen Größe od. ein Haus erwirbt. Neuere Gesetzgebungen haben aber auch wohl den ganzen Unterschied zwischen Bürgern u. Schutzbürgern ganz aufgehoben u. jeden für vollberechtigt erklärt, welcher einen festen Wohnsitz in der G. genommen hat, wie z.B. das badische Gemeindegesetz vom Jahre 1831. Allein diese Aufhebung hat fast überall große Nachtheile für den Wohlstand der G-n gehabt, indem sie die Stimmberechtigung an eine große Klasse von Einwohnern vergibt, die als minder Besitzende u. vielleicht nur kürzere Zeit an dem Orte sich Aufhaltende unmöglich ein so lebhaftes Interesse an der Erhaltung eines kräftigen u. gesicherten Gemeindewesens haben können, als die Vollbürger. Zu den bloßen Schutzverwandten müssen auch die Staatsbeamten, Geistliche, Schullehrer etc. gezählt werden, welche nur durch ihr Amt genöthigt wurden sich in der G. aufzuhalten; doch ist in manchen Gemeindeordnungen es diesen Personen ebenfalls zur Pflicht gemacht, das volle Bürgerrecht für sich u. ihre Angehörigen zu erwerben, wofür ihnen nur die Vergünstigung ertheilt wird, die Gemeindebeiträge in geringeren Procentsätzen zu entrichten.

D) Als eine selbständige Corporation kann keine G. einer gewissen inneren Organisation entbehren, um ihren Willen zu erkennen zu geben. Nur die allerkleinsten G-n würden im Stande sein, ihre Angelegenheiten in einer Versammlung aller Gemeindeangehörigen zu ordnen. Es bedarf daher gewisser Gemeindebehörden, welche die Gemeindeangelegenheiten leiten, den G-n selbst als Obrigkeiten vorgesetzt sind u. dieselben vertreten. Fast alle neueren Gemeindeordnungen lassen diese Behörden in zwei Körper zerfallen, in den Bürgermeister[125] u. Gemeinderath (Gemeindevorsteher, Gemeindeschulze in den Landgemeinden, Magistrat, Stadtrath, Stadtschultheiß in den Städten), als an der Spitze des Ganzen stehende, executive Behörde, die eigentliche Gemeindeobrigkeit; u. in den Gemeindeausschuß (Bürgerausschuß, Stadtverordnetenversammlung etc.), als eine Repräsentantschaft der G., welche dem Gemeinderath in seiner Thätigkeit berathend zur Seite steht, denselben controlirt u. an deren Zustimmung sogar die Gemeindeobrigkeit in wichtigeren Fällen gebunden ist. Nach manchen Gemeindeordnungen theilt sich der Gemeindeausschuß sogar in zwei Collegien (s.u. Sachsen), indem für die wichtigsten Fälle noch ein weiterer Ausschuß, nach anderen auch die ganze G. zu berufen ist. Daß die Gemeindeobrigkeit nicht in zu großer Abhängigkeit von dem Gemeindeausschuß steht, u. die Bildung des letzteren in solcher Weise erfolgt, daß die verschiedenen localen Interessen in demselben zu einer entsprechenden Vertretung gelangen, ist die Aufgabe der Gemeindewahlordnungen, welche indessen so verschieden sind, daß sich allgemeinere Grundsätze derselben kaum angeben lassen. Die früher vorgekommene Wahl nach Zünften u. Gilden ist jetzt aber allgemein abgeschafft. Auch der engere Gemeinderath pflegt ein Collegium zu bilden, u. nur das kommt wohl vor, daß dem Bürgermeister als Vorsitzendem bei Meinungsdifferenzen ein entscheidendes Gewicht beigelegt ist. Im Allgemeinen herrscht der Grundsatz vor, daß alle Gemeindeämter wenigstens zu Anfang nur auf eine bestimmte Reihe von Jahren übertragen werden, weil alle Gemeindeämter auf dem besonderen Vertrauen der Gemeindeglieder beruhen, u. diesen daher von Zeit zu Zeit Gelegenheit gegeben werden muß sich über die Fortdauer ihres Vertrauens zu äußern. Indessen dürfen diese Zeiträume nicht zu kurz bemessen u. es muß die Möglichkeit gegeben sein, daß namentlich die Vorsteher der größeren Stadtgemeinden ihre Ämter lebenslänglich übertragen erhalten können, da sich sonst schwer genug geeignete Persönlichkeiten finden würden, um solche Ämter zu übernehmen. Daß der Gemeindebeamte eine besondere juristische Bildung besitze, wird, nachdem jetzt fast überall die frühere städtische Jurisdiction aufgehoben ist, der Regel nach nicht erfordert; nur bei größeren Städten pflegt dies für die ersten Stellen im Gemeinderathe vorgeschrieben zu sein. Für die Landgemeinden, bei denen die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten weniger Zeit erfordert, pflegt das Amt des Gemeindevorstehers sogar ein unbesoldetes Ehrenamt zu sein, u. auch in den städtischen Verfassungen findet sich, daß der Stadtrath zuweilen neben seinen besoldeten Mitgliedern eine Anzahl unbesoldeter Mitglieder zählt. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen ist wenigstens bei den Berathungen der Gemeindeausschüsse angemessen. Auch empfiehlt es sich, wenn periodisch von dem Gemeindehaushalte (s. unten) öffentliche Nachweisungen durch den Druck gegeben werden.

E) Der Kreis der Gemeindeangelegenheiten (Gemeindesachen), über welche den Gemeindebehörden die Cognition zustehen muß od. doch zustehen sollte, ist durch die örtliche Grundlage u. den örtlichen Zweck der Gemeindegenossenschaft gegeben. Je mehr die Thätigkeit der Gemeindebehörden sich auf diese localen Interessen werfen kann, u. je weniger ihr in dieser Beziehung die Kraft durch zu ausgedehnte Bevormundung Seitens der Staatsgewalt od. durch Übertragung fremdartiger Geschäfte gelähmt wird, um so mehr ist auf eine gedeihliche Entwickelung des ganzen Gemeindewesens zu hoffen. In den Kreis dieser Gemeindeangelegenheiten hat zunächst die Entscheidung darüber, ob ein Individuum in den Kreis der Bürgerschaft aufzunehmen sei, u. zwar um so mehr zu fallen, als nach fast allgemeiner Regel das mit der Aufnahme erlangte Heimathsrecht (s.d.) in einer G. zugleich derselben die Verpflichtung auferlegt, das Gemeindeglied im Verarmungsfalle zu sustentiren. Doch kann dabei dem Staate das Recht einer Mitwirkung nicht ganz entzogen sein, indem der Staat ein Interesse eines theils daran nehmen muß, daß den Unterthanen die Füglichkeit des Wegziehens von einem Orte zum anderen innerhalb des Staatsgebietes nicht zu sehr eingeschränkt, u. daher eine engherzige Exclusivität der G. verhütet werde; anderentheils aber, daß sich auch nicht an einem Orte zu viele Personen zusammendrängen, welche durch Mangel an Unterhalt etc. nicht blos der einzelnen G., sondern selbst de in Bestehen das ganzen Staatsorganismus gefährlich werden könnten. Deshalb pflegt hierbei gerade die Staatsaufsicht (s. unten) eine ziemlich ausgedehnte zu sein, so daß namentlich in streitigen Fällen von der Entscheidung der Gemeindebehörden über die Aufnahme od. Nichtaufnahme ein Recurs an die oberen Staatsbehörden gestattet ist. Außerdem ist als Gemeindesache die sogenannte Ortspolizei zu betrachten. Hierher gehört insbesondere die Sorge für den Erwerbsbetrieb der Gemeindeangehörigen (wo Zünfte bestehen, nur unter Concurrenz dieser besonderen Corporationen), für Beschaffung u. Güte der Lebensmitttel, die Ordnung des Marktsverkehrs, die Sorge für Zucht u. Sitte im öffentlichen Leben, der Schutz gegen Elementarschäden (Feuer- u. Wassergefahr), für Gesundheit, Reinlichkeit, Verschönerung, Herstellung u. Instandhaltung der Communalwege, für die Ordnung u. Bequemlichkeit des Verkehres auf Straßen u. Plätzen. Auch der niedere Unterricht in Volks- u. Mittelschule, insofern nicht derselbe sich in den Händen der Kirche befindet, kann als Gemeindesache erklärt werden, u. ebenso wird zuweilen die nächste obervormundschaftliche Pflege, od. wenigstens eine Mitwirkung dabei, den Gemeindevorstehern anvertraut, da die hierbei einzuhaltenden Rücksichten nicht minder dem polizeilichen Gebiete zuzurechnen sind, u. die Gemeindebehörden wegen ihrer nahen Verbindung mit den Familien viel mehr, als die Gerichte, dazu geeignet erscheinen, hierbei das wahrhaft Nützliche zu erkennen u. zu thun. Im Ganzen stimmen hiev mit auch alle neueren Gemeindeordnungen überein; allein darin weichen die meisten ab, daß sie diese polizeilichen Functionen doch nicht als die ureigene Sache der G., sondern vielmehr als einen den G-n nur übertragenen Wirkungskreis betrachten, welcher eben deshalb sowohl namentlich in den größeren Städten, als auch in den Landgemeinden u. in letzteren sogar regelmäßig den Gemeindebehörden entzogen werden kann, um ihn eigentlichen Staatsbeamten zu übertragen. Dagegen ist man darüber allgemein einig, daß die früher den G-n, insbesondere den Städten, zukommende Rechtspflege über die Gemeindeangehörigen u. deren Sachen, weder durch die Natur des Gemeindeverbandes geboten[126] ist, noch sich bes. als zweckmäßig herausstellt, weshalb dieselbe den G-n neuerdings zugleich mit Aufhebung der realen Patrimonialgerichtsbarkeit der Grundherren fast überall genommen worden ist. Nur für geringere Geschäfte, für Besitzstreitigkeiten, Streitigkeiten in Ansehung von Wegen, Grenzen, Wasserläufen, Gesindesachen etc., ingleichen für die Übung eines schiedsrichterlichen Vermittleramtes kann die Heranziehung der Gemeindebehörden, namentlich bei Landgemeinden, nicht unangemessen erscheinen.

F) Zur Erfüllung aller ihrer verschiedenen Aufgaben bedarf die G. pecuniärer Mittel, mithin eines gewissen Vermögens, dessen Zusammenbringung, Verwaltung u. ordnungsgemäße Verwendung Aufgabe des Gemeindehaushaltes ist. Die G. reicht hiermit zugleich in die privatrechtliche Sphäre hinein; sie erscheint insoweit als eine juristische Person (Universitas ordinata), welche sich durch gehörig gefaßte u. von den Vorstehern formgerecht ausgeführte Gemeindebeschlüsse ebenso Dritten, als Dritte sich verpflichten, Eigenthum erwerben, besitzen u. veräußern kann. Das Gemeine Recht ertheilt überdieß allen G-n die Rechte der Minderjährigen. Das Gemeindevermögen besteht theils aus Gemeindegütern (Allmendgüter, in Städten Kämmereigüter), theils in der Regel außerdem aus mancherlei Gerechtigkeiten, aus. Brau- u. Schenkgerechtigkeiten, Wassernutzungen, Hutungsgerechtigkeiten etc. Die pflegliche Benutzung dieser Güter ist eine der Hauptaufgaben der Gemeindebehörden. Wo der Nutzabwurf hiervon nicht ausreicht, um die Kosten der Gemeindeverwaltung zu decken, muß zu Gemeindeumlagen gegriffen werden; für außerordentliche Fälle hat die Contrahirung von Gemeindeschulden auszuhelfen. Auch muß die G. das Recht haben, da, wo die Gemeindezwecke gewisse persönliche Dienstleistungen erheischen, diese der Reihe nach als sogenannte Reihedienste von den einzelnen Mitgliedern zu verlangen. Zu diesen Gemeindediensten gehören die Wachdienste, Dienste bei Gemeindeversammlungen, Hand- u. Spanndienste bei Bauten u. in Feuer- od. Wassersgefahr, ebenso auch eine etwa bestehende Communal- od. Bürgerwehr, ein Institut, welches indessen, wenn es zu einer ständigen Einrichtung od. gar zum Theil der Landesvertheidigung erklärt wird, den Kreis der G. überschreitet u. daher einer unmittelbar vom Staate ausgehenden Leitung nicht entrathen kann. Die Art der Umlegung dieser Gemeindesteuern u. Gemeindedienste hat sich nach der Veranlassung u. dem Zwecke zu richten, für welchen die Beiträge erforderlich geworden sind. Bei Ausgaben, welche der ganzen G. zu Gute kommen, hat jedes Gemeindeglied beizutragen; Ausgaben dagegen, welche nur einzelnen Klassen der Einwohnerschaft Nutzen bereiten, wie z.B. Ausgaben für Feldpolizei, können auch nur diesen Klassen auferlegt werden. Persönliche Befreiungen, welche dabei Einzelne entweder für ihre Person od. für ihre Grundstücke in Anspruch nehmen, erfordern stets den Nachweis eines besonderen Rechtstitels. Der specielle Maßstab für die Art der Vertheilung aber ist, wo nicht ein allgemeines Ortsstatut denselben schon im Voraus festgesetzt hat, je für den einzelnen Fall von den Gerichtsbehörden zu bestimmen, wobei der Repräsentation der G. im Gemeindeausschüsse immer ein entscheidendes Wort gebührt. Der letzteren sind überhaupt für den Gemeindehaushalt ganz die nämlichen Befugnisse beizulegen, wie sie in Bezug auf den Staatshaushalt in constitutionellen Staaten der Landesvertretung zukommen. Der Gemeindevertretung ist daher in Zeiträumen nicht allein ein Etat über sämmtliche Ausgabe u. Einnahme vorzulegen, sondern auch ebenso nach Verlauf des Zeitraumes der gehörige Nachweis über die erfolgte Verwendung zu liefern. Ebenso dürfen Gemeindeschulden nicht ohne ausdrückliche Bewilligung des Gemeindeausschusses contrahirt werden, so daß in der Regel jedes Schulddocument neben der Unterschrift des Gemeindevorstandes zu seiner Gültigkeit auch der Mitunterschrift eines od. mehrerer Mitglieder des Gemeindeausschusses bedarf.

G) Den schwierigsten Punkt in der Ordnung der Gemeindeangelegenheit wird immer die Bestimmung der Grenze bilden, bis zu welcher den G-n die Besorgung ihrer Angelegenheiten frei zu lassen, u. von wo an die Staatsaufsicht über die G-n zu beginnen hat. Den oben aufgestellten Sätzen über das Wesen der G-n entsprechend, muß im Allgemeinen der Staatsaufsicht die Befugniß eingeräumt werden, daß ihr gestattet ist, von allen Vorgängen des Gemeindelebens Kenntniß zu nehmen; daß sie ferner die Macht hat, die G. bei Überschreitungen zur Beobachtung der ihrem Wirkungskreis gesetzlich vorgezeichneten Grenzen, bei Lässigkeit zur Erfüllung der ihnen durch die Staatsgesetzgebung auferlegten Verbindlichkeiten anzuhalten, u. daß sie auch auf den Gebieten, wo staatliches u. gemeindliches Interesse zusammentreffen od. sich doch wenigstens nahe berühren, selbst zu unmittelbaren Anordnungen befugt sei. Abgesehen von diesen Fällen ist dagegen jedes sonstige thätige Eingreifen in den Wirkungskreis der G. nur als Ausnahme zu betrachten, welches eigentlich nur gerechtfertigt erscheint, wenn die Staatsgewalt dazu im Wege der Beschwerde, u. zwar aus der G. selbst, sei es von einzelnen betheiligten Gliedern od. von den Behörden derselben, angerufen wird. In Wirklichkeit geht indessen die Staatsaufsicht in den meisten Gemeindeordnungen viel weiter u. nimmt, was bes. die Landgemeinden betrifft, oft die Eigenschaft einer wirklichen Curatel an. Als Ausflüsse der Staatsaufsicht kommen nämlich nicht blos die Bestätigung aller Gemeindewahlen, so wie die Disciplinaraufsicht über die Gemeindebeamten u. die vorgeschriebene Genehmigung aller solcher Gemeindebeschlüsse, welche auf Einführung allgemeiner statutarischer Bestimmungen über Maßstab u. Beitragspflicht bei Gemeindediensten u. Gemeindeumlagen, über polizeiliche Gebote u. Verbote etc. hinzielen, vor; sondern in der Regel pflegt auch noch eine ganze Reihe wichtigerer Verwaltungsmaßregeln, wie die Contrahirung von Schulden, Veräußerung von Grundstücken, Dispositionen über die Bewirthschaftung von Gemeindewaldungen, Schenkungen u. einseitige Verzichtleistungen, Führung von Processen, Abschließung von Vergleichen, Auswerfung der den Gemeindebeamten zu gewährenden Besoldungen etc. an die Zustimmung der Staatsaufsichtsbehörde gebunden zu sein. Gemildert erscheint dieses System der erweiterten Aufsicht des Staates über die G-n da, wo den Staatsbehörden zur Ausübung der Oberaufsicht Bezirks- u. Kreisausschüsse als[127] berathende u. zum Theil mitbeschließende Körperschaften zur Seite gestellt sind, deren Mitglieder entweder von den G-n selbst od. auch von der Staatsbehörde hierzu gewählt werden. Nur muß dabei jede politische Tendenz dieser Ausschüsse entfernt gehalten werden. Vgl. Hüllmann, Städtewesen des Mittelalters, Bonn 1825–29, 4 Bde.; Barthold, Geschichte der deutschen Städte, Lpz. 1850 bis 1853, 4 Bde.; Pagenstecher, Die deutsche Gemeindeverfassung, Darmst. 1848; Bülau, Die Behörden in Staat u. G., Lpz. 1836; Reichard, Statistik u. Vergleichung der jetzt geltenden städtischen Verfassungen, Altenb. 1844; Weiske, Sammkung der neueren deutschen Gemeindegesetze, Lpz. 1848; Graf Giech, Ansichten über Staats- u. öffentliches Leben, Nürnb. 1857; Wegner, Grundzüge u. Reorganisation des Gemeindewesens, Berl. 1850; Küchler, Gesichtspunkte zur Reform der deutschen Gemeindeordnungen, Gieß. 1851; Organ für deutsches Gemeindewesen, Lpz. 1850, 1. Bd.; Monatsschrift für deutsches Städte- u. Gemeindewesen, herausgegeben von Piper, 1855 ff., bis jetzt 4 Jahrgänge.

II. Wie im Staate, so hat auch die Kirche den Begriff der G. ausgebildet. Die kirchliche G. ist die Genossenschaft der an einem Orte zu gemeinsamem Glauben u. gemeinsamem Dienste Gottes in Wort u. Werken Verbundenen; sie erhält einen sichtbaren Mittelpunkt durch das gemeinsame Kirchengebäude. Allein die Entwickelung dieser kirchlichen G. hat nothwendig wegen der Einheit des Glaubens, welche nicht, wie die wirthschaftlichen Interessen, Cultur u. Nationalität, denen die politische G. dient, eine so verschiedenartige Ausbildung gestattet u. hat wegen der großen Bedeutung, welche das geistliche Amt den Gemeindegliedern gegenüber einnimmt, eine von der Entwickelung der politischen G. ganz verschiedene sein müssen. Zwar finden sich in der ältesten christlichen Kirche Spuren genug, welche erkennen lassen, daß, bei Annahme eines allgemeinen Priesterthums aller durch die Taufe Wiedergeborenen, die Auffassung der G. als einer selbständigen Genossenschaft im Reiche der Kirche den ältesten Kirchenlehrern keineswegs fremd war, u. daß in Folge dieser Ansicht die G-n in nicht wenig Beziehungen, bei Bestellung der Ämter u. bei Übung der Zucht, zu wesentlicher Mitwirkung berufen wurden. Die weitere Ausbildung der Kirche, die wichtige Unterscheidung zwischen Laien u. Clerikern mußte indessen diese Stellung sehr bald verändern. Die G-n mußten hierdurch in wesentliche Abhängigkeit von dem Amte kommen, welches nicht sie, sondern die Bischöfe verliehen; sie sanken zu Genossenschaften herab, denen zwar gewisse Pflichten gegen das Amt, welchem die seelsorgerliche Pflege über sie anvertraut ist, u. gegen die Kirche, in welcher sie gemeinsam Gott zu dienen haben, nicht aber die Rechte selbständiger, autonomischer Körperschaften zukommen. Dies ist im Ganzen auch bis auf die neueste Zeit der Standpunkt der Katholischen Kirche geblieben. Einer anderen Richtung huldigten dagegen die Reformatoren, bes. Luther, welcher, in der Erinnerung an die erste Einrichtung der Kirche, auch in dieser Beziehung die G. wieder zum Mittelpunkt des kirchlichen Lebens zu machen strebte u. das Amt nur als die rechtliche Ordnung betrachtete, in welcher der allgemeine priesterliche Beruf aller Gläubigen zur Übung gebracht werde (vgl. besonders seine Schrift: Grund u. Ursach aus der Schrift, daß eine christliche Versammlung od. Gemeine ein Recht u. Macht habe, alle Lehre zu urtheilen u. Lehre zu berufen, ein- u. abzusetzen 1523). In diesem Geiste wurde in der That das kirchliche Gemeindeleben auch anfangs, bes. in mehreren Städten, organisirt. Allein in Folge der wiedertäuferischen Bewegung u. des Bauernkrieges wurde die Entwickelung bald wieder in andere Bahnen gedrängt. Denn nicht nur daß damit das Reformationswerk von den G-n an die landesfürstliche Obrigkeit überging, näherte man sich auch in den dogmatischen Ansichten wiederum insofern mehr den katholischen Ansichten, als anstatt des allgemeinen Priesterthums das geistliche Amt wieder in den Vordergrund gestellt u. die Übertragung desselben, unabhängig von der wechselnden Ansicht der Gemeindeangehörigen, auf Berufung kraft Auftrags im Namen Gottes zurückgeführt wurde. Nach diesen Grundsätzen mußte die Bedeutung der G-n hinter die umfassendere Macht der Kirche als Ganzes zurücktreten. Indessen unterscheidet sich dabei doch wesentlich die Evangelische von der Reformirten Kirche. In der ersteren hat die Consistorialverfassung den G-n meist nur in äußeren Dingen einige Wirksamkeit belassen, in Beziehung des inneren Lebens aber in der Regel ihnen nur eine sehr passive Stelle zugetheilt. Wegen der ihnen obliegenden subsidiarischen Verpflichtung zur Deckung der kirchlichen Ausgaben (s.u. Kirchenbaulast) hat ihnen zwar das Recht nicht versagt werden können, ihr Interesse bei der Verwaltung des Kirchengutes zu vertreten, weshalb ihnen meist eine Concurrenz bei Abnahme der Kirchrechnungen, Bestellung der Kirchrechnungsführer etc. eingeräumt ist. Aus demselben Grunde haben sie das Recht, mit ihren Einwendungen gehört zu werden, wenn an den parochialen Verhältnissen Veränderungen vorgenommen werden sollen. Dagegen ist ihnen bei Besetzung des geistlichen Amtes, insofern ihnen nicht vermöge Patronates od. sonstwie in dieser Beziehung besondere Rechte erworben worden sind, in Bezug auf die Aufsicht über christliche Zucht u. Sitte in der G. in der Regel jede Einwirkung abgeschnitten. Erst in neuerer u. neuester Zeit hat man angefangen, auch in der Lutherischen Kirche auf diesem Gebiete den kirchlichen G-n durch Errichtung von Pfarrgemeinderäthen, Gemeindekirchenräthen, Kirchenvorständen etc., eine gewisse Mitwirkung einzuräumen, wie sie in der Reformirten Kirche von jeher bestanden hat. Neben den Predigern soll jede G. noch Älteste u. Diakonen od. Pfleger haben, welche theils über Lehre, Leben u. Wandel der Gemeindeangehörigen Aufsicht zu führen, theils der Kirche in Werken der Liebe zu dienen haben. Die Gesammtheit derselben bildet das Presbyterium der G., deren Beruf es ist, den Bau der Kirche zu befördern. Auf dieser Grundlage beruht die Kirchenordnung für das preußische Rheinland u. Westfalen vom 5. März 1835. Die Presbyterien bestehen hier aus dem Prediger u. vier gewählten Mitgliedern, drei Ältesten, einem Kirchmeister u. einem Diakon. In größeren G-n gibt es daneben noch eine besondere Repräsentation, welche bei gewissen wichtigeren Handlungen, namentlich bei der Wahl der Prediger u. des Presbiteriums mit letzterem zusammentritt. Eine ähnliche Einrichtung besteht in Lippe-Detmold (Verordnung[128] vom 3. Febr. 1851). Für die östlichen Provinzen Preußens wurde die Einführung von Gemeinderäthen durch eine Cabinetsordre vom 29. Juni 1850 genehmigt. In Baiern bestehen jenseits des Rheins Presbyterien seit der Vereinigung der beiden Confessionen im Jahre 1818, welche sich durch Cooptation ergänzen; sie haben das Recht, den Pfarrgenossen selbst brüderliche Ermahnungen zu ertheilen u. temporäre Ausschließung von der Kirchengemeinschaft zu verhängen. In den Kreisen diesseits des Rheins bestehen seit einer Verordnung vom 7. Oct. 1850 Kirchenvorstände, welche aus dem Geistlichen u. auf sechs Jahre gewählten Gemeindegliedern gebildet sind. Als ihr Beruf ist ihnen neben der Vertretung der G. in äußeren Angelegenheiten auch die Förderung der Anstalten christlicher Wohlthätigkeit, überhaupt Hebung des kirchlichen Lebens in der G. zugewiesen. In Württemberg erfolgte die Einsetzung von Pfarrgemeinderäthen durch Verordnung vom 25. Jan. 1851; im Herzogthum Braunschweig durch Gesetz vom 30. Nov. 1831; in beiden Ländern werden die weltlichen Mitglieder auf sechs Jahre gewählt. In Baden wurden besondere Kirchgemeinderäthe 1821 (wie in der baierischen Pfalz aus Veranlassung der Vereinigung der beiden Confessionen) eingeführt; nach einem Entschluß vom 26. Juli 1856 werden sie durch die Wahl der bleibenden u. der in dreijährigem Wechsel austretenden Mitglieder ergänzt. Sie gelten auch als Sittengerichte u. haben als solche das Recht der Ermahnung u. Rüge. Im Großherzogthum Hessen (Edict vom 6. Juni 1832) u. Herzogthum Nassau (Edict vom 1. April 1848) bestehen die Kirchenvorstände, mit dem Recht der Mitaufsicht über die äußere Kirchenzucht, der Verwaltung u. nächsten Aufsicht über Kirchen- u. Stiftungsvermögen, aus dem Pfarrer, Bürgermeister u. einer Anzahl von mittelbar gewählten Gemeindegliedern. In Sachsen-Weimar u. Oldenburg sind die Kirchgemeinden fast ganz nach dem Vorbild der politischen G. organisirt. Auf dem alten Standpunkt sind dagegen bis jetzt namentlich die Königreiche Sachsen u. Hannover verblieben, indem für das erstere ein Gesetz vom 30. Mai 1844 bis jetzt nur eine Vertretung der Kirchengemeinde in Rechtsstreitigkeiten geschaffen hat, u. im letzteren Lande den durch Gesetz vom 14. Oct. 1848 creirten Kirchenvorständen, welche aus dem Pfarrgeistlichen u. wenigstens vier von der G. gewählten Vorständen bestehen sollten, auch nur Vertretung der G. in ihren rechtlichen Angelegenheiten u. ein Antheil an der Verwaltung des Kirchenvermögens zugewiesen ist. Vgl. Kirche.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 120-129.
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