Württemberg [1]

[397] Württemberg (seit 1803 amtlich angeordnete Schreibart für Würtemberg od. das frühere Wirtenberg u. das nachmalige Wirtemberg), Königreich in Süddeutschland, zwischen 25° 52' 20'' u. 28° 9' 36'' östl. Länge u. zwischen 47° 35' u. 49° 35' 30'' nördl. Breite, grenzt an Baiern, den Bodensee, Baden, Hohenzollern u. eine Parzelle des Großherzogthums Hessen (Wimpfen), hat außerdem fünf Exclaven im Badenschen u. drei im Hohenzollernschen, sowie einige Enclaven dieser Staaten in seinem Gebiet; es umfaßt das alte Herzogthum W. u. mehre sonst reichsfreie Fürstenthümer (Hohenlohe, Krailsheim, Mergentheim, die Grafschaft Limpurg), Städte u. Stifter, sowie einige früher zu Österreich gehörige Landstriche, demnach den größten Theil des alten Schwäbischen u. den südlichen des Fränkischen Kreises u. ist 354,29 QM. groß. Die Hauptgebirge des meist bergigen Landes sind der Schwarzwald u. die Alp, außerdem der Gebirgsstock der Adelegg u. Theile der Oberschwäbisch-baierischen Hochebene u. des Schwäbisch-fränkischen Terrassenlandes. Vom Schwarzwald gehört fast die Hälfte zu W.; dieser Theil erstreckt sich in einer Länge von 12 Meilen von der Neckarquelle bis zur Vereinigung der Enz u. Nagold u. hat als die höchsten Punkte den 3732 rheinische Fuß hohen Katzenkopf u. den Kniebis mit dem 3112 Fuß hohen Roßbühl. In der Gegend der Neckarquelle zweigt sich vom Schwarzwald die Alp od. der Schwäbische Jura ab, durchzieht in nordöstlicher Richtung das Land u. fällt allmälig zur Donau ab (s. Jura 2) b) bb). Jenseit der Donau, in Oberschwaben, steigt das Land wieder zu einem Plateau an (mit dem 2438 F. hohen Bussenberge bei Riedlingen), dessen südlicher, im Mittel 2000 bis 2300 F. hoher Theil, von der Quelle des Schussen beginnend u. durch diesen Fluß in zwei Theile, einen westlichen u. östlichen (Altdorfer Oberwald) getheilt, nach dem Bodensee hin sich senkt. In diesem Theile des Landes, u. zwar bei Isny in der südöstlichen Ecke des Donaukreises, steht auch der aus dem baierischen Alpenland herüberziehende Gebirgsstock der Adelegg mit dem Schwarzegrat od. Schwarzkopf (3557 F.), dem Schönbühl (3481 F.), dem Hochkopf (3318 F.). Den Zwischenraum zwischen dem Schwarzwald u. der Alp erfüllt das an Wald, Flachs u. Getreide reiche Schwäbisch-fränkische Terrassenland, welches von der Neckarquelle (in 2222 F. Höhe) als eine 2200 bis 2400 F. hohe Hochfläche, die Baar genannt, ausgeht, sich unter verschiedenen Namen fortsetzt (dem Plateau des Oberen Gaues an der Nagold, den östlich davon gelegenen Plateaulandschaften des Schönbuch, des Fildern, des Strohgäus von 1700 bis 1000 F. Höhe, dem 1600 F. hohen Schurwalde zwischen der Fils u. Rems, dem Hügellande zwischen Neckar u. Enz, den Gschwender Höhen, Löwensteiner Bergen, Waldenburger Bergen) u. nach Baiern hinüberreicht. Schöne u. fruchtbare Thäler werden durch die Flüsse gebildet. Von den letzteren gehen zum Rhein: der Neckar (mit rechts: Jagst, Kocher, Murr, Rems, Fils, Lauter, Erms, Echaz, Eyach, Schlichem, Prim u. links: Enz, Kerth, Aich, Ammer, Glatt u. Eschach), Kraich, Salza, Pfinz, Alb, Murg, Kinzig u. Tauber; die Rothach, der Schussen u. Argen ergießen sich in den Bodensee. Die Donau, welche den südlichen Theil W-s durchfließt, nimmt rechts auf die Iller, Roth, Westernach, Riß, Schwarzach, Osterach u. links die Brenz, Blau, Schmiechen, Lauter, Lauchart, Schmie. Kanäle sind der Wilhelmskanal zwischen Kanstadt u. Heilbronn, die Kanäle in Eßlingen, Berg bei Kanstadt u. Besigheim. Die bedeutendsten der zahlreichen Seen u. Teiche sind: der Bodensee, Federsee, Häklerweiher, Tegernsee (od. Degersee), Moosweiher, Grünbergerweiher, Rohrsee, Truchsessenweiher, Haldensee, Elleratzhoferweiher, außerdem liegen viele kleine Weiher auf dem Schwarzwalde. Auf der Alp gibt es intermittirende Quellen, welche Hungerbrunnen genannt werden. Das Klima ist gemäßigt, mild u. gesund, in den nördlichen Theilen wärmer als im Süden, wo die Gebirge des Schwarzwaldes u. der Alp eine rauhere Temperatur u. die ausgebreiteten Moore häufige Nebel veranlassen. Die Gegenden am Neckar u. Bodensee sind die mildesten. Der Boden gehört zu den fruchtbarsten in Deutschland. Von Producten kommen fast alle die der gemäßigten Zone vor (vgl. unten). Von den Mineralquellen, deren über 70 gezählt werden, sind die bekanntesten die warmen Quellen Liebenzellerbad, Wildbad u. Geisthal, die Soolquellen in Kanstadt, Mergentheim, Kalw, Friedrichshall, [397] Sulz u. Schwäbisch-Hall, die Eisenquelle in Niedernau, die Schwefelquelle in Boll bei Göppingen, die Sauerbrunnen in Göppingen, Ditzenbach, Überkingen, Teinach u.a. Vgl. Heyfelder, Die Heilquellen u. Molkencuranstalten des Königreichs W., Stuttg. 1840. Einwohner wurden im Jahr 1861 gezählt: 1,720,708 ortsanwesende (1,822,926 ortsangehörige); auf die Quadratmeile kommen also 4857 Ew., so daß W. eines der dichtest bevölkerten Länder Europas ist. Ihrer Abstammung nach sind die Einwohner (mit Ausnahme der Juden) Schwaben, nur im südlichen Theile Alemannen u. an der nördlichen Grenze Franken; ihrer Religion nach der größte Theil Evangelische (1,179,812), die übrigen Katholiken (527,057), Sectirer (2499) u. Juden (11,338). Die Sprache ist der Schwäbische Dialekt, doch nähert er sich nach dem Rhein zu dem Pfälzischen, nach der Schweiz zu dem Schweizer Deutsch u. geht nördlich ganz in den Fränkischen Dialekt über. Der Württemberger ist von Charakter meist gutmüthig, gerade, offen, religiös (oft in Schwärmerei ausartend), häuslich, fleißig, tapfer, heiter, Tanz, Musik u. den Wein liebend. Eine allgemeine Nationaltracht gibt es nicht, dagegen zeichnet sich fast jede Gegend durch besondere Tracht, namentlich in der Kopfbedeckung der Frauen, aus. Keppler, Schiller, Gust. Schwab, Hegel, Schelling, Uhland u. Berth. Auerbach stammen aus W. Die Einwohner wohnen in 136 Städten, 1703 Dörfern, 3196 Weilern etc.; statt der Marktflecken gibt es Dörfer mit Marktgerechtigkeit. Die Aus- u. Einwanderung ergab in den Jahren 1856 bis 1861: 24,399 ausgewanderte (davon 16,527 nach Amerika) u. 5852 eingewanderte Personen.

Die Staatsverfassung des Königreichs (bearbeitet von R. von Mohl, Das Staatsrecht des Königreichs W., 2 Thle., 2. Aufl. Tüb. 1840) gründet sich noch jetzt auf die zwischen dem König Wilhelm I. u. den Ständen vereinbarte Verfassungsurkunde vom 25. Septbr. 1819, durch welche der Jahre lang fortgesetzte Verfassungsstreit zwischen der seit 1806 absoluten Regierung u. den Ständen der altwürttembergischen Lande abgeschlossen u. die alten u. die neuen Bestandtheile des Königreichs unter Einer Grundverfassung vereinigt wurden (über die Geschichte der Verfassung von 1819 f. von Mohl u. die Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft Band 6, S. 44 f.). Sämmtliche Bestandtheile des Königreichs sind hiernach für ein unzertrennliches Ganze erklärt; jeder etwaige künftige neue Landzuwachs wird in die Gemeinschaft der Verfassung aufgenommen. Als Theil des Deutschen Bundes hat das Königreich im engeren Rathe eine Stimme für sich (die sechste), im Plenum aber zwei Stimmen. Alle organischen Beschlüsse der Bundesversammlung haben, nachdem sie vom König verkündet sind, auch für das Königreich verbindende Kraft. Der König, als das Haupt des Staates, vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt u. übt dieselbe unter den in der Verfassung festgesetzten Bedingungen aus. Der Sitz der Regierung kann nicht außer Landes verlegt werden. Die Thronfolge, zu welcher rechtmäßige Geburt aus einer ebenbürtigen, mit Bewilligung des Königs geschlossenen Ehe vorausgesetzt wird, gebührt dem Mannesstamme des königlichen Hauses u. richtet sich nach der Linealerbfolge u. dem Erstgeburtsrecht. Erlischt der Mannesstamm, so geht die Thronfolge auf die weibliche Linie ohne Unterschied des Geschlechtes so über, daß die Nähe der Verwandtschaft mit dem zuletzt regierenden Könige u. bei gleichem Verwandtschaftsgrade das höhere Alter entscheidet. Der König wird mit dem 18. Jahre volljährig; im Falle der Minderjährigkeit od. einer sonstigen Verhinderung an der eigenen Ausübung der Regierung tritt eine Reichsverwesung ein, welche in erster Linie dem nächsten Agnaten, u. falls kein solcher vorhanden ist, der Mutter od. Großmutter gebührt. Der Huldigungseid wird dem Thronfolger erst dann abgelegt, wenn derselbe in einer feierlichen Urkunde den Ständen die unverbrüchliche Festhaltung der Landesverfassung bei seinem königlichen Worte versichert hat. Die Verhältnisse der Mitglieder des königlichen Hauses zum Könige, so wie unter sich sind in einem eigenen Hausgesetz vom 8. Juni 1828 näher bestimmt. Zu dem Hofstaat gehören vier Erbkronämter, ein Erbreichsmarschall. (Fürst von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst), Erbreichsoberhofmeister (Fürst zu Waldburg-Wolfegg-Waldsee), Erbreichsoberkämmerer (Fürst zu Löwenstein-Wertheim) u. Erbreichspanner (Graf von Zeppelin). Für die Angelegenheiten der Hofverwaltung besteht ein Oberhofrath. Das königliche Kammergut, zu welchem sämmtliche zu dem vormaligen herzoglich württembergischen Familienfideicomisse gehörigen, so wie die vom König neu erworbenen Grundstücke, Gefälle u. nutzbaren Rechte gehören (jetziger Reinertrag circa 15 Mill. Gulden), hat die Eigenschaft eines von dem Königreich unzertrennlichen Staatsgutes; auf demselben haftet die Verbindlichkeit neben den persönlichen Bedürfnissen des Königs u. der Mitglieder des königlichen Hauses auch den mit der Staatsverwaltung verbundenen Aufwand, soweit möglich, zu bestreiten. Die theils in Geld, theils in Naturalien bestehende Civilliste (jetzt 850,000 Gulden) wird auf die Regierungszeit eines jeden Königs verabschiedet; auch die Apanagen, Witthume, Heirathsgüter u.a. dgl. Leistungen, welche die Mitglieder des königlichen Hauses in Anspruch zu nehmen haben, werden an diese von der Staatskasse unmittelbar entrichtet. Als ein Privateigenthum der königlichen Familie besteht neben dem Kammergut noch das sogenannte Hofdomänenkammergut. Die Verwaltung u. Benutzung desselben steht dem Könige zu; der Grundstock dieses Vermögens darf aber ebensowenig, wie der Bestand des Kammergutes ohne Einwilligung der Stände vermindert werden.

Die Zusammensetzung der Landstände ist, nachdem der in den Jahren 1849–1851 mit einer provisorisch gewählten u. dreimal einberufenen Landesversammlung gemachte Versuch eine Abänderung der früheren Bestimmungen herbeizuführen fehlgeschlagen war (vgl. C. Reyscher, Drei verfassungberathende Landesversammlungen, Tübing. 1851), nach der die Auflösung dieser Landesversammlung decretirenden Verordnung vom 6 Nov. 1850 u. der Zurückziehung des Entwurfes einer revidirten Verfassung mittelst Note vom 17. April 1852, gegenwärtig wiederum die nämliche, wie sie die Verfassungsurkunde von 1819 angeordnet hat. Die Stände theilen sich hiernach in zwei Kammern. Die Erste (Kammer der Standesherren) besteht aus den Prinzen des königlichen Hauses, aus den Häuptern der fürstlichen u. gräflichen Familien u. den Vertretern der standesherrlichen Gemeinschaften, auf deren Besitzungen[398] zur Zeit des Deutschen Reiches eine Reichs- od. Kreistagsstimme geruht hat, u. aus den vom Könige erblich od. auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern. Zu erblichen Mitgliedern darf der König nur solche Gutsbesitzer aus dem standesherrlichen od. ritterschaftlichen Adel ernennen, welche von einem mit Fideicommiß belegten, nach dem Rechte der Erstgeburt sich vererbenden Grundvermögen im Königreich, nach Abzug der Zinsen von den aufhaftenden Schulden, eine jährliche Rente von 6000 Gulden beziehen; auch darf die Zahl der erblich od. lebenslänglich ernannten Mitglieder den dritten Theil der übrigen Mitglieder der Ersten Kammer nicht übersteigen. Die Zweite Kammer (Kammer der Abgeordneten) ist zusammengesetzt aus 13 Mitgliedern des ritterschaftlichen Adels, welche von diesem aus seiner Mitte gewählt werden, aus den sechs protestantischen Generalsuperintendenten (Prälaten), dem katholischen Landesbischof, einem Mitglied des Domcapitels u. dem der Amtszeit nach ältesten Dekan katholischer Confession, dem Kanzler der Landesuniversität, je einem Abgeordneten der Städte Stuttgart, Tübingen, Ludwigsburg, Ellwangen, Ulm, Heilbronn u. Reutlingen u. 63 Abgeordneten der Oberamtsbezirke. Der Eintritt in die Erste Kammer geschieht bei den Prinzen des königlichen Hauses u. den anderen erblichen Mitgliedern nach zurückgelegter Minderjährigkeit; der Eintritt in die Zweite Kammer setzt die Zurücklegung des 30. Lebensjahres voraus. Die Wahlcollegien in den Städten u. Oberämtern werden gebildet zu 2/3 aus den höchstbesteuerten Bürgern als Urwählern u. zu 1/3 aus Wahlmännern, welche von den übrigen mit Gebäude-, Grund- od. Gewerbesteuer belegten Einwohnern gewählt sind. Staatsdiener können innerhalb des Amtsbezirkes, Kirchendiener innerhalb des Oberamtes, wo sie wohnen, nicht gewählt werden. Die Versammlung der Stände wird regelmäßig alle drei Jahre, außerdem je nach Bedürfniß auch außerordentlicher Weise u. bei jeder Regierungsveränderung innerhalb der ersten vier Wochen einberufen. Alle sechs Jahre findet eine vollständige Neuwahl zur Zweiten Kammer statt. Den Vorsitzenden der Ersten Kammer ernennt der König ohne Vorschlag; der Vicepräsident der Ersten u. die beiden Präsidenten der Zweiten Kammer werden aus drei von den betreffenden Kammern erwählten Candidaten vom König ernannt. Zu den ständischen Rechten gehört jetzt zwar nicht mehr das Recht der Initiative, wie nach der alten Verfassung u. dem Interimsgesetze vom 1. Juli 1849, wohl aber das Recht der Einwilligung bei Ausübung der Gesetzgebungsgewalt, das Recht in Beziehung auf Mängel od. Mißbräuche bei der Staatsverwaltung ihre Wünsche, Vorstellungen u. Beschwerden dem Könige vorzutragen, wegen verfassungswidriger Handlungen Klage anzustellen, die Steuern zu verwilligen, die Controle des Staatshaushaltes u. die Mitwirkung bei Verwaltung der Staatsschuld. Zur Änderung einer Verfassungsbestimmung bedarf es einer Zweidrittelmajorität; sonst genügt absolute Mehrheit. Jede Kammer kann für sich eine Petition od. Beschwerde an die Regierung richten od. eine Anklage bei dem Staatsgerichtshof erheben; sonst bedarf es zu einem an die Regierung zu richtenden Beschlusse der Übereinstimmung beider Kammern. Kein Ständemitglied kann während des Landtages ohne Einwilligung der betreffenden Kammer verhaftet werden, außer auf frischer That. Nach Vertagung, Verabschiedung od. Auflösung der Versammlung besteht als Stellvertreter derselben der ständische. Ausschuß zur Besorgung der zur ununterbrochenen Wirksamkeit der Landesrepräsentation nothwendigen Geschäfte. Besonders liegt demselben ob die Überwachung der Staatsschuldenzahlungskasse, die jährliche Prüfung der Steuerverwendung u. des Etats für das kommende Jahr, die Vorbereitung der Landtagsgeschäfte u. erforderlichen Falles die Ergreifung der Maßnahme zur Erhaltung der Landesverfassung. Der Ausschuß besteht aus den Präsidenten der zwei Kammern, zwei Mitgliedern der Ersten u. acht Mitgliedern der Zweiten Kammer. Die Wahl geschieht von den zu diesem Zweck vereinigten Kammern nach relativer Stimmenmehrheit auf die Zeit von einem ordentlichen Landtage bis zum andern; die Hälfte der Ausschußmitglieder ist immer anwesend u. wird aus der landständischen Sustentationskasse bezahlt, der weitere Ausschuß wird nur nach Bedürfniß, der Regel nach jährlich einmal, einberufen. Im Falle einer Auflösung ist spätestens binnen sechs Monaten eine neue Versammlung einzuberufen.

Die Staatsbürger haben gleiche staatsbürgerliche Rechte u. sind ebenso zu gleichen staatsbürgerlichen Pflichten u. gleicher Theilnahme an den Staatslasten verbunden. Von jedem geborenen Württemberger ist nach zurückgelegtem 16. Lebensjahre u. von jedem Neuaufgenommenen bei der Aufnahme der Huldigungseid zu leisten. Kein Staatsbürger kann wegen seiner Geburt von einem Staatsamt ausgeschlossen werden. Die Militärpflicht ist eine allgemeine, vorbehältlich der gesetzlichen Ausnahmen. Jedem Bürger ist Freiheit der Person, Gewissens- u. Denkfreiheit, so wie Freiheit des Eigenthums zugesichert; die Beseitigung der Grundlasten ist durch mehre Gesetze vom 14. April 1848, 8. u. 17. Juni 1849 u. Instructionen vom 23. Octbr. 1848 u. 22. März 1850 erfolgt. Den drei christlichen Confessionen ist der volle Genuß der staatsbürgerlichen Rechte gewährleistet; ebenso sind nach Verordnung vom 5. Oct. 1851 alle Benachtheiligungen u. Unterschiede des öffentlichen u. Privatrechtes, welche bisher in Betreff der Israeliten bestanden, aufgehoben. Kein Staatsdiener kann ohne besondere Prüfung angestellt werden; in den Diensteid ist die Verpflichtung auf die Verfassung mit aufgenommen. Eine Versetzung ohne Verlust an Rang u. Gehalt kann nur aus erheblichen Gründen erfolgen. Die Ansprüche hinsichtlich des Gehaltes u. der Pensionen sind geregelt durch eine Dienstpragmatik vom 28. Juni 1821 u. Gesetz vom 7. Sept. 1849. Nach dem letzteren Gesetz darf ein Quiescenzgehalt die Summe von 2000 Gulden, eine Pension 1800 Gulden nicht übersteigen.

Behufs der Verwaltung ist das Königreich in vier Kreise eingetheilt: Neckarkreis mit 17 Oberämtern, einschließlich der Stadtdirection in Stuttgart, welche einem Oberamte gleichkommt, Schwarzwaldkreis mit 17, Jagstkreis mit 14, Donaukreis mit 16 Oberämtern, s. unten S. 405. Eine Veränderung der Oberämter ist Gegenstand der Gesetzgebung. An der Spitze eines Oberamtes steht ein Oberamtmann (in Stuttgart der Stadtdirector), welchem die administrative u. polizeiliche Aufsicht über die Ortsbehörden (Schultheiß u. Gemeinderath, Stiftungsrath) gebührt. Über den Oberämtern steht für jeden Kreis eine Kreisregierung,[399] welche unmittelbar dem Ministerium des Innern untergeordnet ist. Die Centralleitung der gesammten Verwaltung ruht in dem Ministerium, welches in sechs Departements: der Justiz, der auswärtigen Angelegenheiten, des Innern, des Kirchen- u. Schulwesens, des Kriegswesens, der Finanzen zerfällt. Als besondere Centralstellen sind den Departementsvorständen (Ministern) unmittelbar untergeordnet: dem Ministerium der Justiz das Collegium für die Strafanstalten u. die Redaction des Regierungsblattes; dem Ministerium des Innern die Abtheilung für den Straßen- u. Wasserbau, das Medicinalcollegium, die Centralstelle für Gewerbe u. Handel u. für die Landwirthschaft, die Centralleitung des Wohlthätigkeitsvereines; dem Ministerium des Kirchen- u. Schulwesens das evangelische Consistorium, der katholische Kirchenrath, der Studienrath, die Landesuniversität Tübingen, die israelitische Oberkirchenbehörde, die Kunstanstalt, Thierarzneischule, die Land- u. Forstwirthschaftlichen Anstalten; dem Kriegsministerium das Oberkriegsgericht u. der Oberrecrutirungsrath; dem Finanzministerium die Oberfinanzkammer mit besonderen Abtheilungen für Domänen, Forsten, Staatsbauten, Verkehrsanstalten, Berg- u. Münzwesen, die Oberrechnungskammer, die Staatskassenverwaltung, das Steuercollegium u. das Topographische Bureau. Außerhalb des Departementsverbandes stehen noch der Geheimrath als höchste berathende Behörde für Gesetzentwürfe, Competenzstreitigkeiten zwischen Justiz- u. Verwaltungsbehörden u. für die Verhältnisse zwischen Staat u. Kirche u. den einzelnen Kirchen unter sich, als entscheidende Behörde bei Recursen u. Expropriationen u. als Zwischenorgan zwischen Regierung u. Ständen; der aus einem vom König ernannten Präsidenten u. zwölf zur Hälfte vom König, zur Hälfte von den Ständen gewählten Mitgliedern bestehende Staatsgerichtshof als richterliche Behörde für Handlungen von Staatsdienern u. Ständemitgliedern, welche auf Umsturz der Verfassung od. Verletzung einzelner Punkte derselben gerichtet sind; die ständische Staatsschuldenzahlungskasse, verwaltet von, durch die Ständeversammlung gewählten, durch die Regierung bestätigten Beamten, unter Leitung des ständischen Ausschusses. Der Hauptfinanzetat wird in der Regel immer auf drei Jahre im Voraus entworfen. Insoweit die Erträge des Kammergutes nicht zureichen, wird der Staatsbedarf durch Steuern bestritten, deren Anlegung der Verwilligung der Stände bedarf u. über deren etatsmäßige Verwendung den Letzteren Nachweis zu geben ist. Während das Kammergut durch Ablösung der Zehnten u. Gefälle einen bedeutenden Ausfall erlitten hat, hat der Erwerb der Posten u. die Anlegung von Eisenbahnen eine ansehnliche Erhöhung der Erträgnisse gebracht. Die Post, früher (seit 1819) als Erbmannthronlehen dem fürstlichen Hause Thurn u. Taxis gegen eine jährliche Abgabe von 70,000 Gulden verliehen, wurde, nachdem die zwangsweise Aufhebung dieses Lehns in Folge Intervention von Österreich u. Preußen nicht zum Ziele geführt hatte, durch Vertrag vom 22. März 1851 dem Hause Thurn u. Taxis abgekauft. Die Eisenbahnen, welche seit 1843 ausschließlich als Staatseisenbahnen angelegt worden sind, haben, so wie die Telegraphen, bereits eine bedeutende Ausdehnung erlangt, s. unten S. 403. An directen Steuern besteht sowohl eine Grundsteuer, als eine Gewerbe- u. sogen Ergänzungssteuer von dem Einkommen aus Capitalien, Besoldungen u. Pensionen. Unter den indirecten Steuern nehmen die Erträgnisse aus dem Zollverein, zu welchem W. durch seinen Zoll- u. Handelsvertrag mit Baiern 1827 den ersten Anstoß gab, die erste Stelle ein; dazu kommen noch die sogenannte Accise als regelmäßig 1 Procent von den dem gerichtlichen Erkenntniß unterliegenden Verträgen über unbewegliches Grundeigenthum nach Gesetz vom 18. Sept. 1852, die Wirthschaftsabgabe von der Berechtigung zum Bierbrauen, Branntweinbrennen u. anderen Wirthschafsgewerben nach Gesetz vom 9. Juli 1827 u. Gesetz vom 3. Nov. 1855, eine Malzsteuer nach Gesetz vom 8. April 1856, eine Branntweinsteuer nach Gesetz vom 19. Septbr. 1852 u. die Gerichtssporteln nach einem Sportelgesetz vom 23. Juli 1828 (vgl. Herdegen, W-s Staatshaushalt, Stuttg. 1848; Hoffmann, Das württembergische Finanzrecht, 1. Bd. Tüb. 1857). Die Gemeinden, als Grundlage des Staatsvereines, haben ihre Ordnung bes. durch Edict über Verwaltung derselben vom 1. März 1822, Gesetz über das Bürger- u. Beisitzrecht vom 20. April 1828 (revidirt 4. Dec. 1833) u. Gesetz vom 6. Juli 1849 erhalten. Jeder Bürger muß darnach einer Gemeinde als Bürger od. Beisitzer angehören. Die früheren Personal- u. Realexemtionen sind nach u. nach aufgehoben worden. Ein Unterschied zwischen Stadt- u. Dorfgemeinden besteht in Bezug auf die communalen u. staatsbürgerlichen Rechte nicht mehr. Die Rechte der Gemeinden werden durch die selbstgewählten Gemeinderäthe unter Mitwirkung der Bürgerausschüsse vertreten. Eine Ausnahme von der regelmäßigen Selbstverwaltung macht das Gesetz vom 24. Jan. 1855 bei sogenannten verwahrlosten Gemeinden, welche wegen ökonomischen od. sittlichen Zerfalles nicht im Stande sind ihren Aufwand ohne Staatsunterstützung zu bestreiten; hier übernimmt an Stelle des Gemeinderathes ein von der Regierung ernannter Beamter mit vermehrter Strafgewalt die Verwaltung. Die zu einem Oberamt vereinigten Gemeinden bilden eine Amtskörperschaft, welche durch die aus 20 bis 30 Abgeordneten u. den Ortsvorstehern bestehende Amtsverwaltung unter dem Vorsitze des Oberamtmannes vertreten wird. Die Amtskörperschaft hat zur Bestreitung der gemeinsamen Ausgaben, namentlich des Baues der Oberamtsstraßen, eine eigene, von einem Amtspfleger verwaltete Kasse, welcher zugleich die directen Steuern einzubringen u. an die Staatshauptkasse abzuliefern hat.

Im Kirchenrecht gebührt dem König das obersthoheitliche Schutz- u. Aufsichtsrecht über die Kirchen, vermöge dessen die Verordnungen der Kirchengewalt ohne vorgängige Einsicht u. Genehmigung desselben weder verkündet noch vollzogen werden dürfen. Im übrigen ist jeder der drei Kirchen, so wie den Israeliten die freie öffentliche Religionsübung u. der volle Genuß ihrer Kirchen-, Schul- u. Armenfonds zugesichert. Das Kirchenregiment der Evangelisch-Lutherischen Kirche wird durch das königliche Consistorium u. die Synode ausgeübt, welche letztere durch die Verstärkung des Consistoriums mit den Generalsuperintendenten gebildet wird. Wenn der König einem anderen, als dem evangelischen Glauben zugethan ist, so gehen die landesherrlichen Episcopalrechte auf den Geheimrath über.[400] In den meisten gemischten Gemeinden ist seit 1823 eine Vereinigung der Reformirten u. Lutherischen eingetreten; die reformirt gebliebenen sind seit 1806 den evangelischen Consistorien untergeordnet. In Betreff der Kirchen-, Schul- u. Sittenpolizei hat die Gemeinde in dem Kirchenconvente, in Betreff der Verwaltung der milden Stiftungen in dem Stiftungsrathe eine Mitwirkung. (Gaupp, Das Recht der evangelischen Kirche in W., 1830–32, 3 Bde.; Hauber, Recht u. Brauch der evangelisch-lutherischen Kirche in W., 1854–56, 2 Bde; Süskind u. Werner, Repertorium der evangelischen Kirchengesetze in W., 1860 ff.; Zeller, Beiträge zur evangelischen Kirche in W., Stuttg. 1861). Die Rechtsverhältnisse der Katholischen Kirche, bes. des Bisthums u. Capitels in Rottenburg, sind durch eine Bulle von 1827 u. eine königliche Verordnung vom 30. Jan. 1830 im Ganzen übereinstimmend mit den anderen Theilen der Oberrheinischen Kirchenprovinz geregelt; auch die katholischen Gemeinden haben eine gleiche Mitwirkung, wie die evangelischen, bei Verwaltung der Kirchenzucht u. der milden Stiftungen. Ein neues Concordat mit dem Päpstlichen Stuhle wurde 1857 abgeschlossen, s. Concordat S. 335.

Die Verwaltung der Rechtspflege wird ausgeübt in unterster Instanz bei geringfügigen Sachen (je nach der Bevölkerungszahl bis zu 15,20 u. 30 Gulden Werth), sogenannten Untergangssachen (einfachen Nachbarstreitigkeiten) u. Compromißsachen durch den Gemeinderath des Ortes, woneben der Ortsvorsteher eine Strafgewalt bei geringen Injurien, Waldfreveln u. Polizeisachen bis zu 6–12 Gulden Geld- od. zwei bis vier Tagen Gefängnißstrafe hat; in wichtigeren Sachen durch die Oberamtsgerichte, bestehend aus dem Oberamtsrichter u. einem od. mehrern stimmberechtigten Actuaren. Das Oberamtsgericht ist zugleich die Untersuchungsbehörde für alle Gesetzübertretungen u. die Strafbehörde für Verbrechen u. Vergehen geringerer Art, sowie die zweite Instanz u. Aufsichtsbehörde über die vor den Gemeinderath gehörenden Sachen. Die Mittelinstanz bilden vier Kreisgerichtshöfe, mit denen die Schwurgerichtshöfe in Verbindung stehen. Die Kreisgerichtshöfe bestehen je aus einem Civilsenat als Appellationsinstanz für die in erster Instanz vor den Oberamtsgerichten entschiedenen Sachen, aus einem Criminalsenat als Recursbehörde bei obergerichtsamtlichen Straferkenntnissen, Anklagekammer für die Schwurgerichtshöfe u. ordentliche Instanz für die nicht vor die Schwurgerichte gehörenden Verbrechen, ferner aus einem ehegerichtlichen Senat für Ehestreitigkeiten von Protestanten u. einem Pupillensenat. Als höchste Instanz entscheidet das Obertribunal u. der Cassationshof in Stuttgart, welcher ebenfalls in vier Senate zerfällt. Das Privatrecht hat neben dem Gemeinen Recht seine Hauptquelle noch in dem Landrecht von 1610, wovon der erste Theil den bürgerlichen Proceß, die drei folgenden das bürgerliche Recht betreffen Commentare von Griesinger, Frankf. 1703–1808, 10 Bde.; von Reinhardt, Stuttg. 1820–25, 4 Bde., neue Ausg. von Rieke, ebd. 1642; Die Vorarbeiten des Landrechts, herausgeg. von Faber u. Schloßberger, ebd. 1859). Das Unterpfandwesen u. Concursrecht ist unter Beseitigung der stillschweigenden u. generellen Pfandrechte gänzlich umgestaltet durch ein Pfand- u. Prioritätsgesetz von 1825; weitere Verbesserungen im Executions- u. Pfandwesen enthielt ein Gesetz vom 13. Nov. 1855. Das Wechselrecht beruht jetzt auf der durch Gesetz vom 6. Mai 1849 eingeführten allgemeinen deutschen Wechselordnung. Über das Erbrecht vgl. Stein, Handbuch des württembergischen Erbrechts, 3. Aufl. von Kübel, Stuttg. 1860. Die Ehe- u. Ehegerichtsordnung von 1687 erlitt wesentliche Veränderungen durch ein Gesetz vom 1. Mai 1855, welches für gemischte u. andere bürgerlich zulässige Ehen, wenn ein zuständiger Geistlicher nicht zu haben ist, die bürgerliche Trauung (Nothcivilehe) einführte (Handbuch der württembergischen Ehegesetze nach protestantischem u. katholischem Recht von Süßkind u. Werner, 2 Abthl.). Hervorzuheben sind außerdem ein Gesetz über die privatrechtlichen Folgen der Verbrechen u. Strafen vom 5. Sept. 1839 (Handausgabe mit Motiven von Knapp, 1840) u. ein Gesetz über kürzere Verjährungsfristen vom 6. Mai 1852 (Handausgabe von Lammfromm, Stuttg. 1855). Systematische Bearbeitungen des Württembergischen Privatrechts lieferten: Weishaar, Handbuch des württembergischen Privatrechts, Stuttg. 1831–33, 3 Bde.; Bierer, Grundsätze des württembergischen Privatrechts, Tüb. 1837; Reyscher, Das gesammte württembergische Privatrecht, 2. Aufl. Tüb. 1846–48; C. G. Wächter, Das in W. geltende Privatrecht, Stuttg. 1839–51, 2 Bde. Der Civilproceß beruht jetzt hauptsächlich auf dem vierten Edict vom 31. Dec. 1818 u. Novelle vom 15. Sept. 1822, das Verfahren bei den höheren Gerichten auf der provisorischen Verordnung vom 22. Sept. 1819, wodurch der erste Theil des Landrechts u. die frühere Hofgerichtsordnung größtentheils antiquirt sind. (Der nach dem Vorbild der badischen Proceßordnung angelegte Entwurf einer neuen bürgerlichen Proceßordnung, bearbeitet von Harprecht, Stuttg. 1848, kam nicht zur Berathung). Nur in den unteren Instanzen besteht Mündlichkeit, doch so, daß nach Gutdünken des Oberamtsrichters auch ein schriftliches Verfahren an die Stelle tritt (vgl. Berner u. Schäfer, Das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten von den württembergischen Gerichten, Stuttg. 1858; Scheuerlen, Der deutsche u. gemeine württembergische Civilproceß, Tüb. 1836). Auf das formelle Verfahren vor den Administrativbehörden bezieht sich ein Gesetz vom 13. Nov. 1855, betreffend die Rechtsmittel in Verwaltungsjustizsachen des Departements des Innern. Das Strafrecht, welches sich lange Zeit fast nur auf die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532 gründete, wurde neu geordnet durch das Strafgesetzbuch vom 1. März 1839 (Commentare von Hufnagel, 1840, 2 Bde.; Derselbe, Ausgabe des Strafgesetzbuchs mit Anmerkungen, 1845; Hepp, Commentar, 1840; über früheres Recht: Wächter, Die Strafarten u. Strafanstalten des Königreichs W., Tüb. 1832), welches aber durch Gesetz vom 18. Aug. 1849 u. Gesetz vom 14. April 1855 einzelne Abänderungen erlitt. Die durch das erstere Gesetz abgeschaffte Todesstrafe u. körperliche Züchtigung wurde durch Gesetz vom 17. Juni 1853 für drei Fälle (Angriff gegen die Person des Staatsoberhauptes, körperliche Mißhandlung desselben, Mord) wieder hergestellt. Dem Strafgesetzbuch schließt sich an das Polizeistrafgesetz vom 2. Oct. 1839 (erläutert von Knapp, Stuttg. 1840 u. Holzinger, Ellwangen[401] 1844), welches auch eine Anzahl kleiner gemeiner Verbrechen, wie Diebstahl u. Betrug bis 5 Gulden Werth, in den Kreis der Polizeivergehen zieht. Nach einer Erweiterung durch Gesetz vom 24. Jan. 1855 kann das Bezirksamt bei einzelnen Vergehen auf bis vierwöchiges Gefängniß, 60 Gulden Geldstrafe, körperliche Züchtigung u. örtliche Consination erkennen. Über das Strafverfahren entscheidet gegenwärtig die Strafproceßordnung vom 22. Juni 1843, welche sich fast ganz an die Grundsätze des alten Untersuchungsverfahrens anschließt u. nur in schweren Fällen, d.h. den mit fünf- od. mehrjähriger Zwangsarbeit im Zuchthaus zu ahndenden Verbrechen, eine öffentliche Schlußverhandlung, jedoch blos zum Vortrage der Anklageacte u. der Vertheidigung, nicht auch zur Führung u. Reassumirung des Beweises einführt. Doch wurde seitdem, zunächst durch Verordnung vom 28. Juli 1848 für Proceßsachen ein öffentlich-mündliches Anklageverfahren u. durch Gesetz vom 14. Aug. 1849 für eine Reihe politischer u. gemeiner Verbrechen, auch ein öffentlich-mündliches Anklageverfahren mit Schwurgerichten eingeführt. (Vgl. Holzinger, Die Schwurgerichte in W., Stuttg. 1849). Die Handlungen der sogenannten Freiwilligen Gerichtsbarkeit u. die gerichtliche Mitwirkung in Vormundschafts-, Pfand- u. Erbschaftssachen sind theilweise schon durch das Landrecht von 1610, außerdem durch die Landesordnung von 1621, Communordnung von 1758 u. den sogenannten Staat für Vormünder von 1776 (revidirt durch Ministerialverfügung vom 26. Juni 1843) festgestellt; vgl. von Jeitter, Hadbuch über die Behandlung der Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Königreich W., 2. Aufl. Tüb. 1844, 2 Bde. Eine vollständige, historisch u. kritisch bearbeitete u. mit geschichtlichen Einleitungen versehene Sammlung der württembergischen Gesetze wurde 1828_–51 in sieben Abtheilungen unter der Redaction von A. L. Reyscher (Staatsgrundgesetze bis 1828, 3 Bde., von Reyscher, Gerichtsgesetze bis 1838 von Rieke u. Kapfler, 4 Bde., Kirchengesetze bis 1834, evangelische von Eisenlohr, 2 Bde., katholische von Lang, 1 Bd., Schulgesetze in drei Abtheilungen von Eisenlohr u. Hirzel, Regierungs- u. Polizeigesetze bis 1838 von Zeller u. Mayer, 5 Bde., mit zwei Anhängen der Juden- u. Postgesetze, Finanzgesetze in 3 Theilen, als Cameral-, Steuer- u. Staatsrechnungsgesetze von Hoffmann u. Moser, Kriegsgesetze bis 1848 von Kapf, 3 Bde.) herausgegeben. Eine amtliche Ausgabe der Gesetze u. Verordnungen enthält seit 1807 das Staats- u. Regierungsblatt. Bemerkenswerth ist außerdem die Sammlung altwürttembergischer Statutarrechte (von 19 Städten u. Ämtern des früheren Herzogthums W.), herausgeg. von A. L. Reyscher, Tüb. 1834, 1 Bd. Zeitschriften über Württembergisches Recht sind: Hofacker, Jahrbuch der Gesetzgebung u. Rechtspflege im Königreich W., Stuttg. 1825–31, 4 Bde.; Sarwey, Monatsschrift für die Justizpflege in W., Ludwigsb. 1837–55, 20 Bde., u. Kübel u. Sarwey, Württembergisches Archiv für Recht u. Rechtsverwaltung mit Einschluß der Administraturjustiz, 3 Bde. (wird fortgesetzt).

Die hauptsächlichsten Nahrungszweige der Einwohner sind Ackerbau u. Viehzucht, Industrie u. Handel. Den Landbau betreffend werden 2,731,816 württembergische Morgen von den zum Ackerbau verwendeten Ländereien, 1,919,311 von den Forsten eingenommen. Vorherrschend ist die. Drei- u. Vierfelderwirthschaft, u. es wird gebaut von Getreide viel Dinkel, Hafer u. Gerste, weniger Roggen u. Weizen, Mais in den milderen Gegenden, von Hülsenfrüchten viele Linsen, Erbsen, Bohnen u. Wicken, außerdem viel Kartoffeln, Rüben, Möhren, viel Raps, Rübsen, Hauf, Flachs, Hopfen, Mohn. Berühmt sind die weißen Rüben von Jettingen, der Spargel u. Weißkohl von Ulm, der Kopfkohl von Echterdingen; durch ihren Gartenbau haben einen Ruf die Gegenden von Stuttgart, Eßlingen, Ulm, Heilbronn u. bes. das Remsthal bis Schorndorf. Wein gedeiht im Neckarthale (von Eßlingen an abwärts), im Tauberthale u. bei Öhringen, Obst (von welchem viel zu Obstwein verwendet wird) im Neckarthale u. in den in dasselbe mündenden Thälern der Alp, auf den Fildern etc. Die ausgedehnten, auf dem Schwarzwald aus Nadelholz, auf der Alp aus Laubholz bestehenden Waldungen bringen außer dem beträchtlichen Ertrage an Holz, von welchem viel verflößt wird, Rinde, Harz, Theer, Besenreis, Eicheln, Bucheln, wildes Obst, Beeren, Kräuter. Viehzucht: Für die Pferdezucht bestehen Gestütshöfe in Marbach, Offenhausen, Güterstein u. St. Johann; die Rindviehzucht ist im Jagst- u. Donaukreise am bedeutendsten; in den Gegenden des Allgäus u. Schwarzwaldes bleiben die Rinderheerden den Sommer über auf den Bergweiden. Sehr beträchtlich ist auch die Schafzucht, namentlich an der Alp, weniger die Zucht von Schweinen u. Ziegen, dagegen wieder ansehnlich die von Geflügel u. Bienen; Schnecken werden auf der Alp gezogen, hier u. da auch Seidenwürmer. Nicht unbedeutend sind die Jagd u. Fischerei. Der Bergbau beschränkt sich auf die Förderung von Eisenerzen (bei Wasseralfingen, Aalen, Neuenburg, auf der Alp u. bei Fluorn u. Dornhan, im Ganzen aus etwa 40 Gruben) u. Salz aus den vier Staatssalinen in Hall mit Wilhelmsglück, in Friedrichshall mit Clemenshall, in Wilhelmshall mit Schwenningen, in Sulz. Ausgedehnte Lager von Torf gibt es im Donaukreise. Anstalten zur Förderung der Landwirthschaft sind: die königliche Centralstelle für die Landwirthschaft in Stuttgart (19. Juli 1848 neu organisirt) zur Förderung der gesammten Urproduction u. der an dieselbe sich schließenden Gewerbe u. Handel, sowie zur Überwachung der Land- u. forstwirthschaftlichen Lehranstalten; 62 landwirthschaftliche Bezirksvereine, ferner Vereine für Schaf-, Bienen- u. Seidenzucht, für Wein-, Obst-, Blumen- u. Gartenbau, Weinverbesserungsgesellschaft, Forstmännerverein; außerdem der Württembergische Creditverein in Stuttgart (seit 1825), die Zielerkassen, die Bauernbanken, ein Capitalistenverein, die allgemeine Rentenanstalt in Stuttgart, Gebändeversicherungsanstalt (ein 1772 gegründetes Staatsinstitut), die Württembergische Feuerversicherungsgesellschaft u. die Württembergische Hagelversicherungsgesellschaft in Stuttgart. Ein landwirthschaftliches Fest mit Preisvertheilung wird jährlich in Kanstadt abgehalten, außerdem zahlreiche Ausstellungen von Vieh u. landwirthschaftlichen Producten (sogenannte Particularfeste). Die Land- u. Forstwirthschaftlichen Lehranstalten s. unten. W. hat eine blühende u. ausgebreitete Industrie. Seit 12. Febr. 1862 ist die Gewerbefreiheit eingeführt. Die seit 8. Juni 1848 bestehende Centralstelle für Gewerbe u. Handel in Stuttgart hat die[402] Förderung der technischen Cultur durch Verbreitung dahin einschlagender Kenntnisse, durch Veranstaltung von Ausstellungen, Preisvertheilungen etc., durch Begutachtung der auf Gewerbe u. Handel bezüglichen Gesetze u. Verordnungen etc. zur Aufgabe; mit ihr verbunden ist ein Musterlager von einheimischen u. auswärtigen Gewerbserzeugnissen, eine Webelehrschule, eine technisch. chemische Analysiranstalt, ein Maschinensaal, eine Zeichnen- u. Modellirschule, Bibliothek u.a. Sie wird in ihrer Wirksamkeit von den unter ihr stehenden, seit 1854 eingerichteten Handels- u. Gewerbekammern in Heilbronn, Stuttgart, Reutlingen u. Ulm unterstützt. Außerdem dienen zur Beförderung der Industrie Gewerbeschulen, Handwerkerbanken (Vorschuß- u. Sparkassen), Localbanken für Gewerbe, die Industriebank in Stuttgart u.a. W. besaß im Jahre 1861 im Ganzen 18,445 Fabriken (darunter 10,333 Branntweinbrennereien) mit 338 Dampfmaschinen von 28,465 Pferdekräften. Es wird eine bedeutende Baumwollenindustrie betrieben, welche ihren Sitz bes. in Bempflingen, Ravensburg, Spiegelberg, Heidenheim, Unterhausen, Berg, Nürtingen, Eßlingen etc. hat; im Jahr 1858 gab es 17 Baumwollspinnereien, 9 Zwirnereien u. gegen 20 Baumwollwebereien. Strumpfwebereien sind in Kalw u. Ravensburg, Türkischrothfärbereien in Kanstadt u. Kalw. Von gleicher Wichtigkeit wie die Baumwollindustrie ist die Wollenindustrie; es gibt 64 Streichgarnspinnereien (darunter die großartige in Mergelstetten u. Bohlheim bei Heidenheim), 3 Kammgarnspinnereien u. gegen 30 größere Tuchfabriken (bes. in Ludwigsburg, Waiblingen, Kalw, Eßlingen, Bietigheim, Nagold, Stuttgart etc.), Teppichfabriken, Wollfärbereien; in Stuttgart wird jährlich im August eine Tuchmesse abgehalten. Die Leinweberei ist zwar in Abnahme begriffen, liefert aber noch große Mengen zur Ausfuhr. Ein ansehnlicher Nahrungszweig bes. für die Landgemeinden des Schwarzwald- u. Donaukreises ist die Weißstickerei. Auch einige Seifenfabriken gibt es u. viele Lederfabriken (für Saffian in Kalw, für Galanteriewaaren in Stuttgart u. Böblingen, für Handschuhe in Eßlingen). Von Wichtigkeit ist die Papierfabrikation in Heilbronn, Ravensburg, Stuttgart, Ulm, Heidenheim (in letzterem Orte ist eine Fabrik, welche Holz zu Papier verarbeitet) etc., im Ganzen in 19 Fabriken für Maschinenpapier u. in 25 für Büttenpapier. Holzwaaren werden bei dem Reichthum des Landes an diesem Material in beträchtlichen Mengen verfertigt, sowohl grobe Holzwaaren, als seine, wie Möbels, Spielwaaren, Pfeifenköpfe (Ulmer), Wagen, Schwarzwälder Uhren, Bürsten; auch ein großer Reichthum an Harz, Pech, Terpentin, Theer, Ruß etc. wird gewonnen. Nicht unbedeutend sind die Strohwaarenfabriken u. die Fabriken von musikalischen Instrumenten (Pianos, Harmoniums etc.) genießen einen ausgebreiteten Ruf. Ferner gibt es 6 Rübenzuckerfabriken, 20 Tabaksfabriken, 4 Fabriken moussirender Weine, viele Branntweinbrennereien, Bier- u. Essigbrauerien; viel Kirsch-, Wachholder- u. Himbeergeist wird auf dem Schwarzwalde, der Alp u. im Allgäu bereitet. Ansehnlich ist die Eisen- u. Metallwaarenindustrie in den 8 dem Staate gehörigen Hüttenwerken, den 15 Frischhütten, 5 Gießereien, 5 Drahtwerken, 2 Pfannenhämmern, in den Fabriken von Stahlwaaren (berühmt ist die in Neuenburg), Maschinen (die in Eßlingen ist die größte), Nägeln, Messern (bes. in Tuttlingen, Heilbronn etc.), Nadeln, Waffen, Blech- u. Messingwaaren, der königlichen Stückgießerei in Ludwigsburg, den Glockengießereien, den Fabriken von Gold-, Silber-, Bronce- u. Bijouteriewaaren. Von chemischen Producten wird erzeugt: Eisenvitriol, Alaun, Soda, Salmiak, chemische u. pharmaceutische Präparate, Farben, Pottasche (bes. auf dem Schwarzwalde), Schießpulver (in 15 Mühlen), Zündhölzer, Leim, außerdem Seife u. Lichter. Endlich gibt es viele Ziegelbrennereien, Thonwaarenfabriken, Bau-, Mühl- u. Schleifsteinbrüche. Der Industrie entsprechend ist auch der Handel lebhaft; die bedeutendsten Handelsplätze des Landes sind Heilbronn, Kanstadt, Ulm, Friedrichshafen, Stuttgart, Kalw, Reutlingen u. Tuttlingen. W. gehört seit 1834 zum Deutschen Zollverein; die Durchfuhrzölle sind seit 17. Febr. 1861 aufgehoben. Ausgeführt wird Getreide, Schlachtvieh, Holz, Holzwaaren, Wolle, Woll- u. Baumwollwaaren, Leder, Lederwaaren, Salz, Mühl- u. Bausteine, Wein, moussirende Weine, Obstweine, Obst, Bier, Gyps, Papier, Eisenguß-, Gold-, Silber- u. Bijouteriewaaren, Maschinen etc.; eingeführt: Colonialwaaren, Öl, Hopfen, Hanf, Farbepflanzen, Tabaksblätter, Eisenwaaren, Häute, Felle, Seide u. Seidenwaaren, Baumwolle, Steinkohlen, Glas, Glaswaaren etc. Der Handel wird befördert durch die Schifffahrt auf dem Neckar, dem Bodensee u. der Donau (deren Beschiffung in Ulm beginnt), durch gute Landstraßen, von denen ungefähr 400 Staatsstraßen sind, durch die Eisenbahnen. Letztere gehören dem Staate u. erreichten Ende 1862 eine Länge von 67,6 Meilen. Die württembergische Staatsbahn (37,1 Meile lang) beginnt zu Bruchsal in Baden u. führt über Mühlacker, Bietigheim, Ludwigsburg, Stuttgart, Kanstadt, Eßlingen, Plochingen, Ulm, Biberach u. Ravensburg nach Friedrichshafen; von dieser gehen Zweigbahnen von Stuttgart über Kanstadt, Gmünd, Aalen u. Wasseralfingen nach Nördlingen (bis Wasseralfingen 10,55 Meilen lang), von Bietigheim über Heilbronn nach Hall (12 Meilen), von Plochingen über Reutlingen u. Tübingen nach Rottenburg (8 Meilen) u. von Mühlacker nach Pforzheim. Die Post, bis 1851 dem Fürsten Thurn u. Taxis gehörig, ist seit 1. Juli 1851 Staatseigenthum geworden (s. oben S. 400) u. hat 281 Poststellen (darunter 108 Postämter). Der Telegraphendraht durchzieht in einer Länge von 190,5 Meilen das Land. Andere Institute zur Beförderung des Handels u. Verkehres sind die königliche Hofbank (1802 als Leihbank gegründet), der Capitalistenverein (eine seit 1855 bestehende Hypothekenbank), die Allgemeine Rentenanstalt in Stuttgart (mit 4,400,000 Fl. Activvermögen), der Württembergische Creditverein, die Württembergische Handelsgesellschaft (1853 für den Handel mit dem Auslande gegründet), die Handels- u. Gewerbekammern, die Transportversicherungsgesellschaft in Heilbronn.

Für die geistige Ausbildung ist in vorzüglicher Weise gesorgt u. dieselbe steht hier auf einer hohen Stufe. Die oberste Behörde für die evangelischen Schulen ist das Evangelische Consistorium, für die katholische der Kirchenrath. Volksschulen befinden sich in jeder Gemeinde, u. die aus denselben Entlassenen müssen noch bis ins 18. Lebensjahr die Sonntagsschulen besuchen. Volksschullehrer werden in besonderen Bildungsanstalten[403] zum Schuldienste vorbereitet; solche Anstalten sind die öffentlichen evangelischen Schullehrerseminarien in Eßlingen (bei diesem auch ein israelitisches Lehrerseminar) u. Nürtingen u. das katholische in Gmünd, sowie die Privatschullehrerseminare einzelner evangelischer u. katholischer Pfarrer. Im Jahr 1860 zählte man 2463 Schulmeisterstellen; der geringste Gehalt ist 300 Fl. neben freier Wohnung. Außer den Volksschulen bestehen viele Privaterziehungs- u. Lehranstalten, ferner das königliche Katharinenstift in Stuttgart (1818 gegründet) für Töchter aus den gebildeten Ständen u. viele Kleinkinderschulen. Gelehrte Schulen, welche nebst den Theologischen Seminarien u. den Realschulen unter dem Studienrathe stehen, sind die 73 Lateinischen Schulen, die 3 Lyceen (in Ludwigsburg, Öhringen u. Ravensburg), die 7 Gymnasien (in Ehingen, Ellwangen, Heilbronn, Rottweil, Stuttgart, Tübingen u. Ulm), die 4 niederen evangelischen theologischen Seminare (in Maulbronn, Schönthal, Blaubeuren u. Urach, Vorbereitungsanstalten zum Universitätsstudium für evangelische Theologen), das höhere Evangelische Seminar in Tübingen, 2 niedere katholische Convicte (in Ehingen u. Rottweil) u. ein höheres (Wilhelmsstift an der Universität Tübingen), die Eberhard-Karls-Universität in Tübingen (s.u. Tübingen) u. das katholische Priesterseminar in Rottenburg. Lehranstalten für Gewerbebildung sind die königliche Polytechnische Schule in Stuttgart (1829 gegründet, 1847 u. 1862 reorganisirt u. zum Rang einer Hochschule erhoben), die königliche Winterbaugewerbeschule ebendaselbst (1845 von der Polytechnischen Schule abgetrennt), die 66 Realschulen, etwa 60 gewerbliche Fortbildungsschulen, gegen 100 Sonntagsgewerbeschulen, über 1000 Industrieschulen (für den Unterricht bes. im Nähen, Stricken, Strohflechten etc.), mehre Webeschulen. Außerdem bestehen an Fachschulen: die königliche Hebammenschule, die königliche Kunstschule u. die 1857 gegründete Musikschule in Stuttgart, die königliche Land- u. forstwirthschaftliche Lehranstalt in Hohenheim (1818 gegründet u. 1847 zur Akademie erhoben), die 3 königlichen Ackerbauschulen in Ellwangen, Ochsenhausen u. Kirchberg, die 2 Armenackerbauschulen, die Waldbauschule in Ellwangen, die königliche Thierarzneischule in Stuttgart (1821 gegründet, 1861 reorganisirt); die Militärbildungsanstalten s. unten S. 406. Andere Anstalten für Wissenschaften u. Künste sind die Sternwarten in Stuttgart u. Tübingen, das 1820 errichtete Statistisch-topographische Bureau, das Museum der Bildenden Künste in Stuttgart mit Kunstschule u. reichen Sammlungen, das Conservatorium für Erhaltung der öffentlichen Denkmäler, 4 Theater. An wissenschaftlichen u. Kunstvereinen bestehen der Verein für vaterländische Naturkunde, der Historische, der Literarische Verein, der Württembergische Alterthumsverein, der Oberschwäbische Verein für Kunst u. Alterthum, der Alterthumsverein in Riedlingen, der Ärztliche, der Wundärztliche u. Thierärztliche Verein, der Württembergische Kunstverein, der Verein für klassische Kirchenmusik, der Verein für Vaterlandskunde bei dem Statistisch-topographischen Bureau u. viele Gesangvereine. Wissenschaftliche u. Kunstsammlungen sind die Öffentliche Bibliothek (1765 gestiftet mit 380,000 Nummern), die Münz- u. Medaillen-, Kunst- u. Alterthumssammlung, Naturhistorische Sammlung, einige Kunstsammlungen in königlichen Schlössern (bes. in Stuttgart), die Sammlungen von Antiken, neueren Bildhauerwerken, Kupferstichen, Steindrücken, Handzeichnungen u. Gemälden bei dem Museum der Bildenden Künste in Stuttgart. Der Buchhandel blüht bes. in Stuttgart (wo es 76 Buchhandlungen gibt; im ganzen Lande 129) u. in Ulm. Im Jahr 1862 erschienen 171 Zeitungen, darunter 39 politische. In Stuttgart wird eine süddeutsche Buchhändlermesse gehalten.

Die sittliche Cultur der Einwohner anlangend zählte man im Jahr 1861: 11,220 unehelich Geborene, so daß überhaupt auf 100 Geborene 199, so uneheliche kamen. Am ungünstigsten gestaltete sich das Verhältniß in den Oberämtern Welzheim (wo 36,733 uneheliche auf 100 Geborene kamen), Gaildorf (28,50) u. Backnang (25,73), am günstigsten im Stadtbezirke Stuttgart (8,91) u. in den Oberämtern Reutlingen (10,69), Urach (11,59), Kanstadt (12,40), Münsingen (12,48) u. Mergentheim (12,73). In der Periode vom 1. Juli 1859 bis 30. Juni 1860 wurden von den Bezirksgerichten 4713, von den Criminalsenaten der Gerichtshöfe 950 u. von den Schwurgerichtshöfen 111 Verbrechen u. Vergehen abgeurtheilt. Als Strafanstalten bestehen die Zuchthäuser in Gotteszell u. Stuttgart, die Arbeitshäuser in Ludwigsburg u. Markgröningen, das Kreis- u. Festungsgefängniß in Ulm, die Zuchtpolizeihäuser in Rottenburg u. Hall, die Strafanstalt in Hohenasperg, die polizeilichen Beschäftigungsanstalten in Vaihingen an der Enz u. Rottenburg. Armen-, Wohlthätigkeits- u. Krankeninstitute. In den meisten Städten gibt es öffentliche Armenhäuser (etwa 600); jede Gemeinde muß ihre Armen versorgen, doch trägt auch der Staat jährlich dazu eine gewisse Summe (etwa 1,900,000 Fl.) bei. Für das ganze Land ist. 1848 als Centralstelle eine Armencommission in Stuttgart errichtet worden, welche für gleichmäßige Behandlung des Armenbeschäftigungs- u. Industriewesens sorgt, u. ein 1817 gestifteter Wohlthätigkeitsverein, welcher in den Oberämtern u. einzelnen Ortschaften seine Vertreter hat u. bes. auf gute Erziehung u. Bildung armer Kinder hinwirkt. Für hülfsbedürftige Kinder bestehen städtische Anstalten, Privatkosthäuser, 2 Staatswaisenhäuser in Stuttgart u. Weingarten u. 22 Rettungsanstalten. Ferner gibt es eine öffentliche Taubstummen- u. Blindenanstalt in Gmünd, ebendaselbst auch ein Privatblindenasyl, Filialschulen für Taubstumme in Eßlingen u. Nürtingen, Taubstummenanstalten in Wilhelmsdorf, Winnenden u. Lustenau, eine Blindenanstalt in Stuttgart, ein Institut für Stammelnde in Ulm, 5 Anstalten für schwachsinnige Kinder, 2 Staatsirrenhäuser (in Winnenthal u. Zwiefalten), 6 Privatirrenanstalten. Außer den zahlreichen Sparkassen, unter welchen die Württembergische Sparkasse den ersten Platz einnimmt, bestehen auch viele Versorgungskassen u. Unterstützungsvereine, darunter als Staatsanstalten die geistliche Wittwenkasse, die Pensionsanstalt für Wittwen u. Civilstaatsdiener, die Pensionskasse der Volksschullehrer, eine gleiche für deren Hinterlassene, diejenige der Lehrer der Lateinischen u. Realschulen, die Wittwenkassen der Lehrer, Offiziere, Unteroffiziere, Landjäger u. Forstdiener. Krankenanstalten gibt es in großer Menge, unter ihnen ist das Katharinenhospital in Stuttgart die großartigste.[404]

Kirchliches (vgl. oben S. 400 f.). Das ganze Land ist in 6 evangelische Generalsuperintendenzen getheilt, deren Vorsteher Prälaten heißen, in 49 Dekanate (die Dekanate haben u.a. die seit 1854 bestehenden Diöcesansynoden zu leiten) u. 915 Pfarreien. Die einzelnen Pfarrer werden in der Leitung der kirchlichen Angelegenheiten nach Verordnung vom 25. Jan. 1851 durch Pfarrgemeinderäthe unterstützt. Die Katholische Kirche gehört in Folge der päpstlichen Bulle vom 11. April 1827 zur Oberrheinischen Kirchenprovinz (Erzdiöcese Freiburg) u. steht zunächst unter dem bischöflichen Ordinariat in Rottenburg; ihr Verhältniß zum Staate wurde durch Gesetz vom 30. Jan. 1862 geregelt, nach welchem alle kirchlichen Anordnungen der Genehmigung des Staates bedürfen. Der katholische Kirchenrath hat die Rechte des Staates über die Katholische Kirche auszuüben. Es gibt 29 katholische Dekanate u. 652 katholische Pfarreien. Über die jüdischen Glaubenssachen hat durch Gesetz vom 25. April 1828 die israelitische Oberkirchenbehörde die Aufsicht. Besondere israelitische Kirchengemeinden, welche sich seit 1832 bildeten, zählt man im Lande 49. Finanzen. Die Ausgaben waren auf die drei Finanzjahre 1861/62 bis 1863/64 auf 47,182,643 Gulden festgesetzt (also jährlich im Durchschnitt 15,727,547 Gulden), zu deren Deckung als Einnahme bestimmt waren: 20,510,105 Gulden Reinertrag des Kammergutes (Domänen, Verkehrsanstalten etc.), 24,510,105 Gulden Steuern u. 2,258,133 Gulden verfügbares Restvermögen. Die gesammte Staatsschuld betrug am 8. Febr. 1862: 70,753,792 Gulden (darunter 3 Mill. Gulden in Papiergeld). Der Staat wird eingetheilt in vier Kreise: a) Neckarkreis, 60,433 QM. mit 497,375 Ew. (Zählung vom 3. Dec. 1861), Sitz der Kreisregierung ist Ludwigsburg, zerfällt in 17 Oberämter; b) Schwarzwaldkreis, 86,71 QM. mit 431,676 Ew., Regierungssitz: Reutlingen, 17 Oberämter; c) Jagstkreis, 93,433 QM. mit 414,904 Ew., Ellwangen als Regierungssitz u. 14 Oberämtern; d) Donaukreis, 113,72 QM. mit 376,753 Ew. Ulm als Regierungssitz u. 16 Oberämtern. Die königliche Residenz ist in Stuttgart, die zweite in Ludwigsburg. Königliche Luftschlösser sind: Rosenstein, Favorite, Seegut, Scharnhausen, Solitude u. Bellevue.

An der Spitze des Heeres, welches mit Baden u. Hessen-Darmstadt das 8. deutsche Armeecorps bildet, steht das Generalinspectorat, jetzt Prinz Friedrich von Württemberg u. ein Offizier des Generalquartiermeisterstabes. Der Stab des Generalinspecteurs wird im Felde durch einen besonderen Etat bestimmt. Dann folgt der Generalquartiermeisterstab, welcher in eine technische u. eine taktische Abtheilung zerfällt. Letztere zählt im Felde 17 Offiziere, 6 Guiden, 1 Stabsfourier, 1 Fourier; erstere begreift in sich das Ingenieurcorps in der Stärke von 10 Offizieren, 2 Stabsfourieren u. 2 Werkmeistern u. das Pionniercorps zu 2 Compagnien, 8 Offiziere u. 300 bis 400 Mann zählend. (Im Krieg wird noch eine Geniecompagnie zum Dienst in der Bundesfestung Ulm formirt). Eine Feldjägerabtheilung (3 Offiziere, 50 M.), welche im Kriege den Dienst der Armeegendarmen versieht, 1 Schwadron Leibgarde (5 Offiziere, 150 M). Die Reiterdivision aufs Linienregimentern bestehend, zu je 4 Schwadronen. Das Regiment in der Stärke von 680 M., worunter 20 Offiziere u. 96 Schützen. 1 Brigade Artillerie (1 Feldartillerieregiment zu 1 Bataillon reitender zu 500 M., 1 Bataillon leichter zu 422 M., 1 Bataillon schwerer Fußartillerie zu 650 M., das Bataillon zu 2 Batterien à 8 Geschütze, dem Festungsartilleriebataillon zu 3 Batterien zu 600 M.), der Garnisonsartillerie u. dem Arsenale, dem Armeetrain. Die Infanterie, 1 Division zu 3 Brigaden; 1. Brigade zu 3 Regimentern, 2. Brigade zu 2 Regimentern u. 1 Jägerbataillon, 3. Brigade zu 3 Regimentern u. 1 Jägerbataillon. Das Regiment zu (2 Bataillone à 4 Compagnien à 217 M.) 1823 M, worunter 40 Offiziere u. 80 Schützen, aus denen in der Regel die Unteroffiziere entnommen werden. Das Jägerbataillon zählt zu 4 Compagnien 898 M. incl. 18 Offiziere. Außerdem im Felde 1 Stabscompagnie zu 218 M., 1 Sanitätscompagnie, dann 1 Disciplinarcompagnie, welche die aus den Strafanstalten entlassenen Soldaten aller Waffengattungen enthält. Garnisonen: Stuttgart, Ludwigsburg, Ulm, Hohenasperg, Wiblingen, Gmünd, Komburg. Ein Ehreninvalidencorps. Außerdem erhalten noch eine Anzahl Invaliden als Landinvaliden einen kleinen Gehalt. Im Frieden beläuft sich die Stärke der württenbergischen Armee auf 10,370 M. Im Kriege zählt das Heer etwa 25,000 M. nach der Bundesmatrikel; 4600 M. werden jährlich ausgehoben. Bei Herstellung des Feldetats werden Ersatzbataillone, Schwadronen u. Batterien aufgestellt. Außerdem ist für den Kriegsfall eine Landwehr vorbereitet, zu welcher alle Waffenfähige aufgeboten werden können. Ihr Dienst beschränkt sich jedoch auf die Dauer des Krieges. Die oberste Leitung u. Beaufsichtigung des Heeres führt das Kriegsministerium, welches umfaßt das Ministerialcollegium mit den vortragenden Räthen, die Kanzlei (Kanzleidirection mit der Adjutantur vereinigt) u. die Kriegsministerialkasse; ferner gehören dazu: das Oberkriegsgericht, welches die Militärrechtspflege unter sich hat, der Oberrecrutirungsrath, aus Mitgliedern des Ministerums des Innern u. des Oberkriegsrathes zusammengesetzt, welcher die Ergänzung, eine Medicinalcommission, welche die ärztliche Pflege des Heeres beaufsichtigt, die Kasernen-, Militärhospital-, Montirungs- u. Offiziersuniformirungsverwaltungen. Die untere militärische Rechtspflege handhaben Garnisons- u. Regimentsgerichte, diese sind kriegsrechtliche Regimentscommissionen (von dem Commandeur gewählt), Kriegsrechte od. Revisionsgerichte; der Auditeur wohnt ihnen bei. Prügelstrafe findet nicht statt, Im Kriege finden auch Standrecht u. außerordentliche Militärgerichte statt. Die Aussprüche der kriegsrechtlichen Commissionen bedürfen der Bestätigung des Regimentscommandeurs, die Kriegsrechte des Commandirenden. Offiziere, welche die Standesehre verletzen, werden vor Ehrengerichte gestellt, welche aus älteren Offizieren als der Beschuldigte bestehen u. die Frage entscheiden, ob die Beschuldigung wahr ist. Die Gesundheitspflege der Armee wird von einem Generalstabsarzt beaufsichtigt, welcher mit einem Regimentsarzt die Medicinalcommission bildet. Außerdem bestehen bei den Regimentern Regiments- u. Bataillonsärzte, welche Unterärzte für die chirurgischen u. medicinischen Dienste zur Seite haben, ein Oberveterinärarzt beaufsichtigt den Gesundheitszustand der Pferde der Armee, Regimentsveterinärärzte die der Regimenter u. Hufschmiede der einzelnen Schwadronen. Uniformirung: Waffenröcke[405] königsblau, nur die der Feldjäger dunkelblau, Kragen der Generalität u. Ärmelaufschläge blau, heller bei gestickter Uniform. Generaladjutanten dieselbe Uniform, nur in Silber gestickt, Kragen der Reiterei zur Hälfte roth, zur Hälfte königsblau, Ärmelaufschläge roth, Kragen u. Aufschläge des Generalstabes, der Pionniere u. der Artillerie schwarz, bei ersterem mit goldenen Litzen, der Infanterie roth, eine Reihe Knöpfe, bei der Generalität, dem Generalstab, der Reiterei u. den Pionnieren gelb, bei der Artillerie u. Infanterie weiß; Beinkleider königsblau, roth vorgestoßen, graue Mäntel mit rothen Passepoils am Kragen. Kopfbedeckung: in der gesammten Armee Käppis, welche bei den Generälen mit breiten goldenen Borten u. goldener Rose, bei den Adjutanten des Königs mit silbernen Borten u. silberner Rose geziert sind, die bei schweren Waffen mit Roßschweifen, bei Fußgehenden mit Bonbons versehen; Schützen u. Jäger mit grünen, Infanteristen mit blauen, Offiziere mit silbernen resp. helleren Bonbons. Farbe der Käppis roth bei der Reiterei, schwarz bei den übrigen Waffen. Bei den Pionnieren, Fuß-, Festungsartillerie, Arsenal Käppis, bei der Feldjägerschwadron u. der Leibgarde Kalpaks, welche bei der Letzteren mit Büschen (schwarz u. roth) verziert sind; außer Dienst Mützen. Die Nummer des Regiments ist auf dem Käppi, der Mütze u. den Knöpfen angebracht, die Nummern der Compagnien auf den Achselklappen. Ferner unterscheiden sich die Regimenter nach ihren Nummern von einander durch die Farbe der Franzen an den Fahnen, resp. Standarten. Die Cavallerie trägt roth passepoillirte Waffenröcke mit einer Reihe Knöpfe, die Feldjäger u. Leibgarde gelbe, die Offiziere goldene Achselschnüre. Die Offiziere unterscheiden sich durch Epauletts von der Farbe der Knöpfe, die Generale mit Bouillons, die Obersten mit dicken, die anderen Stabsoffiziere mit dünnen Franzen, die Rittmeister u. Hauptleute mit einem Epaulett mit Franzen auf der rechten Schulter u. auf der linken ein Contreepaulett, die Lieutenants mit zwei solchen; Grade, welche gleiche Epauletts haben, unterscheiden sich durch einen u. zwei Sternchen, welche bei goldenen Epauletts von Silber u. umgekehrt sind. Alle Offiziere haben schwarz rothseidene Schärpen mit Quasten, Generale mit Bouillons u. von Gold; Porteépée golden, roth u. schwarz untermischt. Die Unteroffiziere unterscheiden sich durch Treffen auf Kragen u. Ärmeln. Die Militärbeamten haben königsblaue Röcke mit schwarzsammtnem Kragen u. Aufschlägen mit goldener, bei den Militärärzten silberner Stickerei, königsblaue Beinkleider, Degen mit Porteépee; Abzeichen: bei den höheren Behörden Stabsoffiziersepauletts, bei den niederen (Regimentsquartiermeistern, Auditeurs, Regimentsärzten u. dgl.) in den ersten zehn Jahren die Epauletts der Lieutenants, in den späteren der Hauptleute. Außerdem haben die Militärärzte silberne, die übrigen Militärbeamten goldene Stickerei. Bewaffnung: Sämmtliche Handfeuerwaffen der Infanterie, Jäger, Artillerie, Pionniere u. Reiter sind gezogen nach dem System Minié u. haben gleiches Kaliber. Die Reiter führen Säbel, Carabiner u. (die Unteroffiziere) Pistolen. Die Infanterie Musketen, die Jäger Büchsen, die übrigen Truppen leichtere Gewehre. Faschinenmesser bei sämmtlichen fußgehenden Waffen, Yatagans bei den Jägern; außerdem ist ein Theil der Infanteristen noch mit Beilen bewaffnet statt der Faschinenmesser. Lederzeug schwarz (Leibgürtel), bei der Reiterei weiß. Zeltgeräthschaften trägt die gesammte Infanterie bei sich. Ein Theil der Artillerie (reitende u. leichte fußgehende) besitzt gezogene Kanonen. Das Pionniermaterial besteht in drei Brückenequipagen nach Biroge. Mit eisernen Pontons werden Versuche gemacht. Die Aushebung (Conscription) geschieht durch das Loos, jeder Württemberger ist militärpflichtig; nur die Söhne der reichsständischen Fürsten u. Grafen ausgenommen, Kleinheit unter dem Maß, Invalidität, die Eigenschaft als Studirender, Künstler, Schulprovisor, einziger Sohn u. dgl. befreien vom Militärdienst; Stellvertretung ist gestattet. Militärpflichtigen, welche die Vorprüfung zu akademischen Studien od. als Zöglinge einer höheren Kunst mit guten Erfolgen bestanden haben, wird die Begünstigung einer blos einjährigen Dienstzeit im activen Heere, wobei sie die Dienstzeit selbst wählen dürfen, zu Theil. Dienstzeit: sechs Jahre, Ungehorsam gegen das Recrutirungsgesetz kann sie um zwei Jahre verlängern. Die Remonte wird aus dem Lande bezogen. Bildungsanstalten des Heeres: eine Kriegsschule mit vierjährigem Curs in vier Klassen, von denen jede nach dem Etat eine Stärke von 18 Schülern haben kann, unter Leitung des Generalquartiermeisterstabes in Ludwigsburg; es muß ein Offiziersexamen gemacht werden. Bei den Regimentern ist Sorge getragen für die Ausbildung der jüngeren Offiziere, der Unteroffiziere u. Soldaten durch Ertheilung eines regelmäßigen Unterrichtes, welcher im Winter stattfindet. Die Ausbildung der Recruten dauert 11/2 Jahr, bei der Cavallerie u. Artillerie zwei Jahre, worauf nur die zum laufenden Dienst nöthigen Soldaten bei den Fahnen bleiben, die übrigen bis auf die Übungen beurlaubt werden. Alle zwei bis drei Jahre werden mit erhöhtem Friedensstande größere Übungen u. Feldmanoeuvres ausgeführt. Zum Zweck der Schießübungen der Infanterie mit den neuen Präcisionswaffen ist in einem Albthal bei Urach (Brühlthal) ein Schießplatz eingerichtet. In der Nähe ein Barakenlager für das jeweilige schießende Bataillon. Die Artillerie hat ihre Schießübungen in Gmünd. Festung: Ulm, Bundesfestung, besitzt eine aus österreichischen, baierischen u. württembergischen Truppen gemischte Besatzung, welche im Frieden circa 6000 M. zählt. Das Gouvernement hat ein württembergischer General, desgleichen ist ein württembergischer General Truppencommandeur u. Vicegouverneur. Hohenasperg hat nur den Namen einer Festung u. dient zur Aufbewahrung von Gefangenen. Kanonengießerei, Gewehrfabrik, Artilleriewerkstätten im Zeughause zu Ludwigsburg. Zu erwähnen ist noch das streng militärisch organisirte Landjägercorps, welches zur Aufrechthaltung der Landespolizei im Lande vertheilt, aus 1 Corpscommandanten, 1 Stabsoffizier u. 4 in den Kreisstädten stationirten Bezirkscommandanten u. 400–500 Landjägern besteht. Dieses Corps steht unter dem Ministerium des Innern, die Offiziere aber zählen zum activen Militär. Auch die Steuer- u. Forstschutzwachen sind organisirt. Der Commandant zählt zum activen Militär. Kosten des Heeres über 3 Mill. Gulden.

Das Wappen ist statt der sonstigen vielen Schilder jetzt nur ein längs getheilter Mittelschild, in ihm rechts drei schwarze liegende Hirschhörner über einander, mit vier u. drei Enden[406] (wegen Württemberg), links drei leopardirte Löwen über einander (wegen Schwaben), beide in Gold. Wappenhalter ein blauer gekrönter Löwe u. ein goldener Hirsch, auf einer unter dem Schilde flatternden Bandschleife steht der Wahlspruch: Furchtlos u. trew. Landesfarben u. Feldzeichen: roth u. schwarz. Ritterorden: Orden der württembergischen Krone (s.d.), Militärverdienstorden (s. Verdienstorden F) c) u. Friedrichsorden (s.d.). Medaillen: goldene u. silberne fürs Militär u. eben solche für Civil. Dienstehrenzeichen: für 25 Dienstjahre bei Offizieren u. 20 Dienstjahre bei Unteroffizieren u. Soldaten; für jene ein goldenes, für diese ein weißes Kreuz, in der Mitte ein W. in einem Lorbeerkranz, Band roth, mit blauer Einfassung; Medaille für den Sieg bei Brienne, einerseits in einem Lorbeerkranz: König u. Vaterland, andernseits in einem Lorbeerkranz: Für den Sieg am 1. Februar 1814 u. die gekrönte Chiffre F. R.; Medaille für den Sieg bei La Fère Champenoise, gleich der vorigen, auf der Kehrseite: Für den Sieg am 25. März 1814; Medaille für die Einnahme von Paris, wie die vorige, nur steht auf der Kehrseite: Für Paris den 30. März 1814. Alle drei Medaillen in Gold für die Offiziere, in Silber für Unteroffiziere u. Soldaten, an ponceaurothem Band; Ehrendecoration für den Feldzug 1815, ein goldenes, ein silbernes Kreuz u. eine silberne Medaille; das Kreuz enthält im Mittelschild die gekrönte Namenschiffre u. auf den vier Armen steht: Für Tapferkeit u. Treue 1815; Band roth, gelb u. schwarz; Medaille für Feldzüge überhaupt (Kriegsdenkmünze) aus Kanonenmetall, am 1. Jan. 1840 gestiftet; Avers ein W. mit Krone u. Lorbeerkranz, Revers ein von zwei gekreuzten Schwertern getragener Schild mit der Inschrift: Für treue Dienste in N. N. Feldzügen; an einem schwarz u. roth gestreiften Bande an der linken Brust getragen.

Münzen, Maße u. Gewichte. In W. wird seit lange gerechnet nach Gulden zu 60 Kreuzer od. 15 Batzen à 4 Kreuzer, früher in der Währung des 24-, seit der Münzconvention vom 21. Sept. 1837 des 241/2, seit der vom 24. Jan. 1857 des 521/2-Guldenfußes (vgl. Deutschland S. 19 s.u. Münzconventionen g). Landesmünzen sind A) bis zum Jahr 1837 a) in Gold: Ducaten nach dem Reichsfuß, sogenannte Carolin zu 11, halbe zu 51/2 Gulden u. Friedrichsd'or von 1810 zu 11 Gulden; b) in Silber: Conventions-Species, Kronenthaler zu 2 Fl. 42 Kr. (jetzt dem Curs unterworfen), 20 u. 10 Kreuzer im Conventionsfuß; 2 u. 1 Guldenstücke im 24- Guldenfuß u. als Scheidemünze 6,3,1, zu. 1/2 Kreuzer; B) seit 1837 a) in Gold: Ducaten, wie früher, u. 5 Guldenstücke; b) in Silber: Guldenstücke u. halbe im 241/2-Guldenfuß, seit der Convention vom 30. Juli 1838 Doppelthaler als Vereinsmünze zu 31/2 Gulden, später auch wieder 2 Guldenstücke; als Scheidemünze: 6, 3, 1 u. 1/2 Kreuzer; c) in Kupfer: seit 18421/2 Kreuzer; C) seit 1857 a) in Gold: Kronen zu 1/56 Pfund seinen Goldes u. Halbkronen zu 1/100 seinen Goldes: b) in Silber: Zwei- u. Einthalerstücke im 30-Thalerfuße (Vereinsmünzen), Gulden- u. halbe Guldenstücke im 521/2 -Guldenfuße, als Scheidemünze 6,3 u. 1 Kreuzer; c) in Kupfer: 1 Kreuzer. Maße: Die Maßverhältnisse sind nach seit 30. Nov. 1806 allgemein eingeführten Bestimmungen folgende: Längenmaße: der Schuh (Fuß) zu 10 Zoll à 10 Linien ist – 0,286 Meter od. 127 Pariser Linien, 100 württembergische Schuh = 91,28 preußische Fuß; die Elle ist 2,144 Schuh od. 0,614 Meter; die Ruthe hat 10 Fuß, die Stunde hat 1300 Ruthen; häufig wird jedoch auch noch das Duodecimalmaß gebraucht, die Ruthe zu 16 Schuh, der Schuh zu 12 Zoll. Flächenmaß: der Jauchert (Mannsmahd, Tagewerk) ist – 11/2 Morgen, der Morgen hält 384 QRuthen (nach der 166schuhigen QRuthe 150) od. 0,315 Hectaren od. 1,23442 preußische Morgen; Fruchtmaß: der Scheffel, getheilt in 8 Simri à 4 Vierling à 4 Meßlein à 2 Ecklein à 4 Viertelein, hält 177,226 Liter – 33,2246 preußische Scheffel, 1 Simri – 9421/2 Decimal- od. 1620 Duodacimalcubikzoll. Flüssigkeitsmaße: das Fuder hat 6 Eimer, der Eimer 16 Imi à 10 Maß (20 Flaschen) à 4 Quart od. Schoppen; der Eimer Hellaich – 293,928 Liter, man hat nämlich dreierlei Maß, Trübaich, Hellaich u. Schenkmaß, 160 Maß Trübaich. – 167 Hellaich, 10 Maß Hellaich – 11 Schenkmaß; die Grundlage der übrigen Maße ist die Hellaich, 1 Maß Hellaich hält 781/2 Decimal- od. 135 Duodecimalcubikzoll od. 1,83705 Liter od. 1,6044 Berliner Quart, 1 Maß Trübaich. – 1,91742 Liter, 1 Schenkmaß- = 1,67005 Liter; 33/4 Eimer sind 1 rheinisches Stück od. 71/2 rheinische Ohm, 100 Eimer – 427,833 preußische Eimer. Holzmaß: 1 Meß (Klafter) ist 6 Fuß breit, 6 Fuß hoch, Scheitlänge 4 Fuß, hält also 3,386 Steren; das Meß wird eingetheilt in Viertel, Achtel u. Ecklein; Heu- u. Strohmaß: die Wanne Heu hat 8 Schuh ins Gevierte, d.h. in Länge, Breite u. Höhe, u. wird zu 11 Centnern angenommen, 1 Centner hat 5 Bund zu 20 bis 21 Pfund; 80 Bund Stroh sind 1 Fuder. Gewicht: Der Centner hat 104 leichte od. 100 schwere Pfund, s.u. Centner A) a) ff); das schwere Pfund ist aber nur Rechnungspfund; das leichte Pfund ist das Kölnische zu 2 Mark u. daher dem preußischen fast gleich u. wird so beim Verkehr u. der Steuer angenommen, 1 Centner – 48,610 Kilogr.; das Zollgewicht ist das des deutschen Zollvereins (1 Centner – 50 Kilogr. – 100 Pfund, 1 Pfund = 1/2 Kilogr.) u. jetzt officiell allgemein eingeführt; Markgewicht ist das Kölnische; Münzgewicht ist die Vereinsmünzmark; Apothekergewicht das alte Nürnberger.

Vgl. Württembergische Jahrbücher für vaterländische Geschichte, Geographie, Statistik u. Topographie (seit 1818, jährlich 2 Hefte), herausgeg. von Memminger, seit 1822 vom Statistisch-topographischen Bureau, Stuttg. 1818 ff.; Memminger, Beschreibung des Königreichs W., ebd. 1824 ff., 43 Hefte vom 23. Hefte an fortgesetzt vom Statistisch-topographischen Bureau), 3. A., ebd. 1841; Geographisch-statistisch-topographisches Handbuch für Reisende in W., ebd. 1833; Koch, Geognostisch-statistische Beschreibung von W., ebd. 1836; Völter, Geographische Beschreibung von W., ebd. 1836; Derselbe, W., das Land u. seine Geschichte, 2. Aufl. ebd. 1847; Fischer, Geographie, Statistik u. Topographie des Königreichs W., ebd. 1838; Griesinger, Universallexikon von W. etc., 2. Ausg. Stuttg. 1843; Mosen, Vollständige Beschreibung von W., ebd. 1843; Fischer, Wegweiser auf Reisen durch W., ebd. 1845; G. Schwab u. Klüpfel, Wanderungen durch Schwaben, 3. Aufl. Lpz. 1851; Wittmann, Geographie von W., 2. Ausg. Eßlingen 1852; Seubert, Das Königreich W., Lpz. 1855; Pleibel, Handbuch der Vaterlandskunde[407] von W., Stuttg. 1858; Königlich württembergisches Hof- u. Staatshandbuch, herausgeg. vom Statistisch-topographischen Bureau, ebd. 1858; Glöckler, Land u. Leute W-s, ebd. 1861, 2 Bde.; Beyer, Industriegeographie von W. u. Baden, ebd. 1861; Das Königreich W., eine Beschreibung von Land, Volk u. Staat, herausgeg. vom Statistisch-topographischen Bureau, ebd. 1864. Karten: Topographischer Atlas des Königreichs W. in 55 Blättern, bearbeitet vom Statistisch-topographischen Bureau, Stuttg. 1821–1851; Paulus, Das Königreich W., herausgeg. von demselben Institut, ebd. 1850; Fr. von Mittnacht, Königreich W., 4 Blätter, ebenfalls herausgeg. von Statistisch-topographischen Bureau, ebd. 1853; Kiepert, Das Königreich W. etc., Weimar 1856.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 397-408.
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