Gebirge

[29] Gebirge, 1) ist eine Menge von Bergen, welche nach einer gewissen Ordnung, nach gewissen Gesetzen u. mit bestimmten Begrenzungen zusammengruppirt sind. Nach seiner Oberflächenbildung steht es als der reine Gegensatz des Flachlandes da. Mit dem Hochlande können die G. das gemein haben, daß die meisten ihrer Oberflächenpunkte eine bedeutende absolute Höhe haben; darin unterscheiden sie sich aber immer von demselben, daß dieses seinem Relief nach dem Flachland ähnlich ist. Die angesehensten Geologen haben die Ansicht, daß sämmtliche G. der Erde nichts Anderes sind als Resultate von (vulkanischen od. plutonischen) Erhebungen. Die äußere Form der G. ist dagegen zum großen Theil Folge späterer Zerstörung durch Licht- u. Wasserwirkung (Verwitterung u. Erosion). Gestalt u. Ausdehnung der Grundflächen der G. ist allein abhängig von den besonderen Wirkungen, durch welche sie entstanden sind; die Form der Oberfläche u. die Höhe aber sind zum Theil Producte der Zerstörung, dabei zugleich wesentlich bedingt durch die Art u. Kraft der Erhebung u. die Natur der erhobenen Massen. Schon daraus geht hervor, daß die innere Zusammensetzung der G. die äußere Form derselben wesentlich bedingen muß. Über das Innere der G. geben Mineralogie u. Oryktognosie, über ihre Entstehung die Geologie Aufschluß. Aus der oben gegebenen Definition darf aber nicht gefolgert werden, daß alle G. nach einer Gleichförmigkeit construirt sind, wie dies früher die herrschende Meinung war. Man dachte sich nämlich in jedem G. einen höchsten Hauptrücken, von welchem die Gewässer nach beiden Seiten abfließen. Von diesem Hauptrücken ausgehend nahm man Hauptäste an, welche durch das Einspülen der am Hauptrücken entspringenden Gewässer gebildet würden, u. welche möglichst winkelrecht gegen den Hauptrücken lägen. Ebenso sollten winkelrecht von jedem Hauptaste Nebenäste ausgehen, ungefähr parallel mit dem Hauptrücken, u. von den Nebenästen wiederum in ähnlicher Art Zweige etc. Diese Art von Regelmäßigkeit findet sich fast nirgends in der Natur; häufig haben zwar G. eine zu ihrer Breite verhältnißmäßig große Längenausdehnung u. bilden einen fortlaufenden Haupt rücken, nur selten aber gehen die Äste so von ihm aus, wie, nach dem Vergleiche der Theoretiker, die Rippen vom Rückgrat eines thierischen Skeletts. Bei weitem häufiger laufen vielmehr mehrere Züge von ungleicher Höhe neben einander fort, hier u. da durch Zwischenmassen, meist aber durch niedrige Sättel mit einander verbunden. Von diesen Zügen wird derjenige, welcher von keinem Thale ganz durchbrochen ist, der Schlußrücken genannt. Ein solches G. mit verhältnißmäßig großer Längenausdehnung u. einem Schlußrücken nennt man Kettengebirge od. eine Gebirgskette. Ist der Schlußrücken schroff u. felsig, so heißt er Gebirgsgrat, sonst aber Kamm, Forst od. Firste. Die Linie auf dem höchsten Punkt des Schlußrückens, welche das nach beiden Seiten abfließende Wasser trennt, nennt man Wasserscheide, u. wenn die Gewässer verschiedenen Meeren zugehen, Hauptwasserscheide. Doch nicht immer ist es die Hauptwasserscheide, welche dem Schlußrücken folgt; häufig fließen Gewässer, welche von ihm nach entgegengesetzten Richtungen ausgehen, demselben Meere zu, u. oft auch gehen Gewässer, welche auf derselben Seite des Schlußrückens ihren Ursprung haben, dennoch verschiedenen Meeren zu. Demjenigen Gebirgszug, welcher die größte allgemeine Erhebung hat, nennt man Hauptrücken; oft ist derselbe zugleich Schlußrücken, oft aber liegt auch die Wasserscheide auf einem Nebenrücken Bergstock ist diejenige Stelle des G-s, an welcher sich der Zug in mehrere Rücken theilt; sind es drei solcher Rücken, so nennt man es Gabelung (Gebirgsgabel), sind es vier od. mehr Rücken: Gebirgsknoten. Auf einem solchen Centralpunkte können die Massen des G-s zugleich auch die höchsten Gipfel enthalten, häufig aber ist er auch plateauartig beschaffen, od. es liegen selbst tiefe Einsattelungen zwischen den abgehenden Zügen. Durch die Einsattelungen, von denen die Schluchten u. Thäler ausgehen, findet meist die Überschreitung der G. statt; sie haben daher den Namen der Pässe od. Pforten erhalten (in Tyrol: Joche, in Vorarlberg: Grade, in Piemont: Cols, in den Pyrenäen Port). Die Thäler eines G-s werden nach Maßgabe ihrer Richtung zur Lage der Gebirgsrücken unterschieden in Längen- od. Parallelthäler u. in Quer- od. Transversalthäler. Von den Kettengebirgen verschieden sind die Massengebirge. Ihre Länge übersteigt nicht so sehr ihre Breite; sie können aus lauter Kuppen u. Schluchten mit auseinanderlaufenden Zügen bestehen, haben aber häufiger zwischen den Bergzügen Hochebenen von mehr od. weniger Ausdehnung, in welchen dann wieder tiefe Thäler eingeschnitten sind. Dieselbe Erscheinung wie das Massengebirge, aber in größerem Maßstabe, wird ein Gebirgsganzes genannt. Je nach der Höhe unterscheidet man: Hochgebirge, die sich über 6000 Fuß erheben u. einen dem entsprechend bedeutenden Umfang haben; Mittelgebirge, mit einer Erhebung zwischen 3000–6000 Fuß, u. Niedere Gebirge, die eine Höhe von 1000–3000 Fuß erreichen Noch niedrigere, zusammenhängende Erhebungen nennt man: Bergland, Hügelland, Hügelketten, Landrücken, Höhenzüge. Wenn G. von geringer Erhebung anderen von größerer Höhe vorgelagert, von denselben aber durch breites Flachland getrennt sind, nennt man sie Vorberge. Je nachdem die größte Ausdehnung eines G-s in der Richtung der Meridiane od. der Parallelkreise liegt, pflegt man es wohl auch Meridian- u. Parallelgebirge, auch Polar- u. Solargebirge zu nennen, u. zieht es sich in diagonaler Richtung zwischen jenen Kreisen, Diagonalgebirge, dessen Lage dann nach den Himmelsgegenden bezeichnet wird. Nach Art der Masse, aus welcher ein G. hauptsächlich besteht, unterscheidet man: Ur-, Übergangs-, Flötz-, aufgeschwemmte u. vulkanische G. Je nach der Art der Entstehung u. späteren Zerstörung hat man in neuerer Zeit (B. Cotta) unterschieden: Faltengebirge, in welchen kein Eruptivgestein zu Tage getreten ist, sondern nur Flötzformationen aufgerichtet sind (Jura); Krystallinische Schiefergesteine, in denen Eruptivgestein nur untergeordnet vorkommt u. krystallinischer Schiefer ganz vorherrscht (Erzgebirge, Sudeten, Schwarzwald); Centralmassengebirge, in denen centrale Massen krystallinischer Eruptivgesteine (Granit) den Gebirgsbau bestimmen (Harz, westliche Alpen, Odenwald); u. endlich Eruptiv- od. Ausbruchsgebirge, die sich nach ihrem relativen Alter in porphyrische, basaltische u. vulkanische unterscheiden (Hundsrück, Rhön). Die Seitenflächen der G. (Abhang, [29] Abfall) können sanft, steil, schroff, senkrecht od. überhangend sein; meist erscheinen sie an den einzelnen Stellen verschieden, u. oft ist die Abdachung des G-s nach der einen Seite hin steiler als nach der anderen (die Alpen z.B. fallen gegen Süden weit steiler ab, als gegen Norden, die Pyrenäen dagegen umgekehrt, der Jura ist steiler im Osten als gegen Westen). Bei einem sanfteren u. mithin längeren allgemeinen Abhange haben auch die Thäler u. Schluchten weniger steile Seiten, so daß hierdurch überhaupt die bessere Gangbarkeit eines G-s bedingt wird. Bei kleineren G-n, welche den größeren vorgelagert sind, ist gewöhnlich der dem Flachlande zugewendete Abhang der sanftere. Je nach der absoluten Höhe unterscheidet man an den Abhängen verschiedene Regionen: die untere od. Basisregion, der gangbarste Theil des G-s, meist Wiesen od. Ackerland u. daher am stärksten bewohnt; von der unteren steigt die Waldregion auf, gewöhnlich steil u. schwer gangbar; dann kommt die Alpregion (die Region der Bergweiden), welche wiederum meist mit sanft gewölbten Abhängen auftritt, u. von hier an steigt oberhalb der Vegetationslinie mit meist steilen u. kahlen Felsen die höchste od. Felsregion auf, zu der gewöhnlich Massen von Steingeröll den Übergang bilden. Reicht die Höhe der G. über die Schneelinie hinauf, so sind sie hier mit ewigem Schnee u. Eis bedeckt, bilden vielleicht Gletscher, die mit ihren Eismassen dann auch in die niedere Region hinabgestiegen sind. Aus dem über die Gestaltungen der G. Gesagten erhellt, daß es ein Irrthum ist, förmliche Systeme darüber aufstellen zu wollen; gleichwohl hatte dies schon Buache (1752) gethan, indem er in jedem Welttheile gewisse hohe Centralmassen annahm, von denen aus sich die Gebirgszüge gleich dem Gewebe eines Blattes nach allen Seiten erstrecken sollten, zwischen den Flußthälern entlang bis zu den Meeren u. als Seegebirge sodann durch die Oceane hindurch, über Klippen, Inseln u. Untiefen, die er als Kuppen seiner sogen. Seegebirge betrachtet. Obwohl nun die Natur nur in selteneren Fällen dergleichen untermeerische Gebirgsfortsetzungen nachweist, so nahmen doch mehrere Geographen, wie Gatterer, Zimmermann, Marius Schmidt u.a., diese Theorie an u. theilten die Erdoberfläche nach solchen eingebildeten Seegebirgen in große Erdbecken ab. Gatterer ging sogar noch weiter, indem er 1775 ein System aufstellte, nach welchem alle G. der Erde in Zusammenhang stehen u. die Erde als ein regelmäßiges Netz überziehen, gebildet durch Kreise, welche sich rechtwinkelig schneiden. Diese Kreise belegte er mit den Namen: Bergmeridiane, Bergparallelen, Bergäquator. So wenig diese Annahme sich in der Wirklichkeit erreichen ließ, fand sie dennoch Anhänger, wie z.B. Müller in seiner Terrainlehre u. Friedr. Schultz (1803). Der Letztere beging zugleich den Irrthum, daß er davon ausging, die äußere Gestalt der Erde nur von den Wirkungen des Fließenden abhängig zu machen. Erst die neuere Zeit hat die Unhaltbarkeit aller dieser willkürlichen Theorien nachgewiesen u. die Kenntniß der Oberflächenbildung der Erde so weit vervollkommnet, daß sich daraus eine naturgemäße Anschauung hat entwickeln können, die jedoch die Regelmäßigkeit in der Oberflächenbildung ausschließt. 2) Der Geognost bezieht den Ausdruck G. auf das Innere, auf die Formation etc. ohne daß darum die Gebirgsform vorhanden zu sein braucht; 3) (Mineral.), so v.w. Gebirgsart; 4) Bergleute nennen wohl auch ein Hügelland oft G. od. öfter Erzgebirge, wenn daselbst Metalle gefunden werden.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 29-30.
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