Juden

[150] Juden (ihre frühere Geschichte bis zur Zerstörung von Jerusalem s.u. Hebräer). I. Ihre äußeren Schicksale von der Zerstörung Jerusalems bis auf die neuere Zeit. Nach der Auflösung des Jüdischen Staates u. bes. zur Zeit des römischen Kaisers Hadrianus, der durch das Verbot der Sabbathsfeier u. der Beschneidung wie durch die Gründung einer neuen Stadt (Aelia Capitolina) auf den Trümmern von Jerusalem die jüdische Nationalität zu vernichten suchte, entstanden mehrmals Empörungen, so 115 n.Chr. der Aufstand unter Andreas, der sich Grausamkeiten aller Art erlaubte u. allein auf Cypern 1400 Römer tödten ließ; doch der damalige Feldherr Trajanus besiegte die Empörer u. zerstreute sie. Da die Bedrückungen der J. nun heftiger wurden, so machten dieselben unter Bar Cochba 127 einen neuen Aufstand. Dieser, ein Abenteurer, zog von Kyrene durch Ägypten, wo seit der Zerstörung Jerusalems ein Hauptsammelplatz der J. war, Äthiopien u. Arabien, nach Syrien u. Judäa; hier verbanden sich mit ihm der Gelehrte Akiba u. viele Nichtjuden, wogegen die Christen sich fern hielten, dafür aber von ihm verfolgt wurden. Bar Cochba schlug die Römer u. eroberte viele feste Plätze, sogar Jerusalem, u. ließ sich zum König ausrufen; endlich schickte Hadrianus den Julius Severus gegen ihn; dieser griff die Empörer einzeln an u. rieb sie auf, nahm Jerusalem u. verbrannte es; im Aug. 135 fiel seine letzte Festung Bether u. er selbst kam um; man rechnet bei 500,000 J., welche bei diesem Aufstande umkamen; die. Gefangenen wurden in die Sklaverei verkauft. Ähnliches Schicksal hatten auch die Erhebungen unter Antoninus Pius u. andern Kaisern, u. alle diese Versuche dienten nur dazu, die Zerstreuung der J. in der Gefangenschaft allgemeiner zu machen. Kaiser Julianus war tolerant gegen sie, ja er erlaubte ihnen den Wiederaufbau ihres Tempels; doch verzehrten diesen die Flammen bald wieder. Als aber Constantin der Große das Christenthum zur Staatsreligion im Römischen Reiche gemacht hatte u. dasselbe nach Julians Tode mehr sich ausbreitete, brach die Spannung zwischen Christen u. Juden oft, wie z.B. unter Justinian II. in Griechenland, in partielle Verfolgung durch die Geistlichkeit aus, u. Honorius, Arcadius u. Justinian nahmen die zu ihren Gunsten gegebenen Gesetze nach u. nach zurück. Auch anderwärts, namentlich in Persien, unter König Sapor 250 hatten die J. blutige Verfolgungen zu leiden. Ihr Unglück bezeichneten sie als ein Strafgericht Gottes, hielten sich aber fort u. fort für das auserwählte Volk Jehovahs u. beharrten als vermeinte Märtyrer fest bei ihrem Glauben. Dieser Eifer für ihre Religion war auch Ursache der Stiftung eines Sanhedrins u. Patriarchats zu Tiberias etwa unter Nerva, mehrerer Akademien ebenda, zu Jaffa u. zu Lydda u. eines ähnlichen Patriarchats zu Babylon. Zwar waren diese Anstalten nicht dauernd, denn das zu Tiberias ging schon 415, das zu Babylon 1038 ein, allein von hier ging aus den frühern Secten der eigentliche Rabbinismus hervor, der durch ein geordnetes Lehramt das Mosaische Gesetz überallhin zur Geltung brachte. Unter diesen Patriarchaten wurden die heiligen Bücher der Juden, die Mischna u. später die Gemara als Gesetzbuch Talmud (s.d.) festgestellt. Diese haben der Religion der J. erst die Gestalt gegeben, welche sie jetzt hat; sie verweisen noch immer auf einen Messias, welcher, mit weltlicher Macht angethan, die J. zu dem ersten Volk der Welt machen werde, u. so wurden die Leichtgläubigen von zahlreichen Betrügern getäuscht.

Indem die J. während des Verfalls der Wissenschaften in Europa im Besitz einer gewissen Cultur blieben u. sich auch des Handels bemächtigten, bestanden sie die Verwirrung der Völkerwanderung ohne Nachtheil für ihre Existenz u. trotzten gleichsam den Verfolgungen, welche bes. seit dem 7. Jahrh. von den Christen, die in ihnen die Urheber von allen öffentlichen Unglücksfällen erblickten, über[150] sie verhängt wurden. Vorzüglich entwickelte sich unter den Gothen in Spanien u. unter den Franken in Gallien ein großer Bekehrungseifer gegen die J.; dieselben mußten sich tausen lassen, od. wurden gemißhandelt u. zum Auswandern gezwungen. Die meisten verließen das Land ihrer Verfolger; diejenigen, welche sich hatten taufen lassen, fielen, wenn der Sturm vorüber war, wieder ab. Muhammed suchte im 7. Jahrh. Anfangs die J. durch Milde zu gewinnen, dann aber mit dem Schwerte zu bekehren. Unter dem Khalifen Almansor bekamen sie mehr Freiheiten u. befanden sich unter den Muhammedanern besser als unter den Christen. Sie erhoben sich, bes. unter den Mauren in Spanien, selbst zu Wohlstand u. Bildung. Als die Kreuzzüge zu Ende des 10. Jahrh. begannen, wandte sich die Wuth des christlichen Volkes gegen sie, indem man die Nachkommen derer, die den Heiland gekreuzigt hätten, vertilgen zu müssen glaubte; auch wurden ihnen allerhand Unthaten zugeschrieben, Diebstahl u. Ermordung christlicher Kinder, Vergiftung der Brunnen, Bezauberungen von Menschen u. Vieh etc. Fürsten u. Vornehme begünstigten oft diese Verfolgungen; denn da die J. fast im alleinigen Besitze des Geldes waren u. dasselbe zu hohen Zinsen ausliehen, so wurden oft die Großen durch den Tod od. die Vertreibung der Juden auf einmal ihrer Schuld ledig. Solche Judenvertreibungen fanden statt unter Alfons III. in Spanien, unter Philipp August in Frankreich, 1020 in England u. wieder bei der Krönung Richards I. Ihr Zustand war daher höchst bedrückt; so durften sie in den deutschen u. italienischen Städten, wo ihnen der Aufenthalt vergönnt war, nur einen gewissen Theil (Ghetto) bewohnen, welcher noch dazu des Nachts verschlossen wurde, waren in Deutschland dem Staatsoberhaupte leibeigen u. hießen so des Heiligen Römischen Reichs Kammerknechte, mußten außer 1 Fl., den sie dem Kaiser jährlich zahlten, den Vasallen, deren Gebiet sie passirten, einen eignen Leibzoll (Judenschoß, s. unten) zahlen etc. In Frankreich, wo sie mit der Zeit wieder zugelassen worden waren, bestanden ähnliche Verhältnisse, u. als sie unter Philipp V. 1318 wieder von da vertrieben wurde, flohen sie nach der Lombardei. Nur die sich taufen ließen, durften bleiben; allein auch diesen od. ihren Kindern wurden mittelst königlicher Ordonnanz den 4. April 1392 ihre geretteten Güter confiscirt. Am grausamsten war die Verfolgung 1348 u. 1349, als der Schwarze Tod hervorbrach u. man den J. Vergiftung der Brunnen Schuld gab. Man verfolgte sie mit Feuer u. Schwert u. vertrieb sie aus den Städten, wo sie noch geduldet worden waren. In dieser Noth flohen sie nach Polen. Sie hatten dort nicht nur 1264 u. in Lithauen um dieselbe Zeit bedeutende Freiheiten erhalten, sondern König Kasimir III., der eine Jüdin Esther zur Geliebten hatte, gewährte 1358 ihnen Vorrechte, welche die städtischen Gewerbe der Christen beeinträchtigten, u. sie strömten daher schaarenweise dahin. Nach dieser Verfolgung trat eine etwas ruhigere Zeit für die J. ein, u. selbst in Spanien siedelten sie sich wieder an u. fanden durch Alfons von Aragonien Schutz. Doch 1492 vertrieben sie Ferdinand u. Isabelle für immer aus dem Reich, u. Beide bewogen auch den König Emanuel von Portugal, Gleiches in seinem Reiche zu verordnen. Nur die sich taufen ließen, durften auf der Halbinsel bleiben, u. die Inquisition (s.d.) wurde auch hauptsächlich mit zur Ausrottung etwaiger heimlicher J. beauftragt. Es erschienen daher spätere Gesetze, welche diese neuen Christen (so heißen diese Bekehrten noch jetzt in Spanien) von öffentlichen Ämtern ausschlossen u. sonst beschränkten. Über 400,000 J. wanderten daher zu Ende des 15. Jahrh. aus der Pyrenäischen Halbinsel; die spanischen wandten sich meist nach der Berberei u. Italien, die portugiesischen nach Guienne, theils nach den Niederlanden. Im 15. bis 17. Jahrh. wurde der Zustand der J. besser, u. die Verfolgungssucht verlor sich; sie wurden in Venedig, Rom, Piemont, Toscana geduldet, u. wenn auch in einigen Gegenden, wie in Baiern (1454), in Köln (1509), in Marburg (um dieselbe Zeit) die J. vertrieben wurden, so geschah dies doch nicht mit der Rohheit der früheren Jahrhunderte. Dagegen wurden sie durch Herzog Heinrich Julius in die Braunschweigischen Lande zugelassen, u. auch in Hamburg, Altona, Schlesien, Böhmen u. in der Mark Brandenburg nahm ihre Zahl bedeutend zu. 1650 hielten sie in Ungarn ein Concil, auf dem ausgesprochen wurde, daß der Messias noch nicht gekommen sei, sondern noch erwartet u. bald kommen werde. Und in der That trat 1662 ein Jude aus Smyrna, Sabbathai-Sevi, unterstützt durch den reichen Nathan in Gaza, in Jerusalem als Messias auf, mußte aber auf Befehl der Türken Jerusalem verlassen u. kehrte nach Smyrna zurück. 1666 machte er einen zweiten Versuch in Constantinopel, aber ergriffen, mußte er zum Islam übertreten; da er jedoch seine Messiasideen ins Geheim noch verbreitete, wurde er endlich auf dem Schlosse Dulcigno in Morea eingesperrt. Seine Anhänger wirkten auf Untergrabung des Rabbinismus, verloren sich aber nach seinem Tode, 1676, unter J. u. Muhammedanern.

II. Die Emancipation der Juden bis auf die neueste Zeit. Das Bestreben, die J. von verschiedenen Beschränkungen zu befreien u. ihre Gleichstellung mit den übrigen Staatsbürgern durchzuführen, wurde bereits in der letzten Hälfte des 18. Jahrh. laut, indem hierzu außer der durch Mendelsohn geförderten Bildung der J. theils das moderne Staatsrecht, theils der Ruf in der Französischen Revolution nach religiöser u. bürgerlicher Freiheit mitwirkte. Gleichwohl führte die damals für die J. günstige Stimmung zu keiner gemeinschaftlichen Maßregel, vielmehr besitzt jedes Land darüber seine Particulargesetzgebung, welche bes. in constitutionellen Ländern vielfachen Veränderungen unterworfen gewesen ist. Unter den europäischen Staaten ist Spanienn. Portugal, wie bereits im Mittelalter, so noch jetzt, den J. abgeneigt, u. da nach der spanischen Verfassung von 1855 u. nach der Constitution in Portugal die Römisch-katholische Kirche die herrschende, jede andere aber nur die geduldete ist, so gibt es in beiden Ländern keine gleichen staatsbürgerlichen Rechte. In Frankreich berief Napoleon I. 1806 den großen Sanhedrin, aus 100 angesehenen J. Frankreichs bestehend, zur Berathung über die jüdischen Zustände u. erließ bald darauf ein Decret, daß nur die J., welche ein nützliches Gewerbe trieben, Bürger werden sollten, bis die Charte von 1814 u. von 1830 allen Glaubensparteien gleiche Rechte verhieß, worauf in Folge des Gesetzes vom 8. Februar 1831 die Staatskasse den Aufwand für den jüdischen Cultus u. einen Theil[151] der Kosten für den Unterricht übernahm. Diese Bestimmungen behielt auch die Verfassung vom 4. Rov. 1848 bei. Die Angelegenheiten der J. werden durch ein Generalconsistorium in Paris geleitet, für die J. in Algerien aber wurde 1846 ein besonderes jüdisches Consistorium in Algier mit zwei Provinzialconsistorien in Oran u. Constantine eingesetzt. In Folge dieser Einrichtungen treiben die J. nicht blos Handel u. Gewerbe, sondern sie dienen, zum Theil in hohen Ämtern stehend, dem Staate u. der Wissenschaft. In England hat sich die frühere Abneigung gegen die J. gemildert, u. die Gesetzgebung hat sie seit 1829 allmälig von vielen Beschränkungen befreit; allein die Erwerbung eines Parlamentssitzes konnte wegen des christlichen Eides nicht durchgesetzt werden, bis endlich nach 12jährigem Kampfe 1858 die Abänderung des Eides zu Gunsten der J. gestattet wurde, worauf am 27. Juli Sal. Rothschild ins Unterhaus eintrat. Für ihre wissenschaftliche Ausbildung konnten die J. nur die Universität London benutzen, die in keiner unmittelbaren Beziehung zu der Staatskirche steht, während die von den übrigen Universitäten verlangte Unterschrift der 39 Artikel ihren Zutritt zu denselben hinderte. In Holland u. Belgien wurden die J. schon zu Ende des 18. Jahrh. emancipirt u. die einzelnen Beschränkungen fielen mit der Revolution von 1830 ganz weg; in Belgien übernahm der Staat den Aufwand für den jüdischen Cultus, u. einzelne Differenzen, z.B. in Mastricht 1840, wo bei der Einweihung der neuen Synagoge das Volk zu Thätlichkeiten gegen die J. schritt, hatten nur in localen Verhältnissen ihre Veranlassung. In Skandinavien gab Dänemark bereits im 18. Jahrh., bes. aber 1814 ihnen die Wahl der Berufsarten frei, während sie in den politischen Rechten beschränkt u. ihnen z.B. für die Ständeversammlung das active, nicht aber das passive Wahlrecht gestattet wurde; dagegen dürfen seit 1850 Ehen zwischen Christen u. J. ohne weitere königliche Erlaubniß eingesegnet werden, nur mit der Verpflichtung der Nupturienten, die Kinder im Christenthum zu erziehen. In Schweden wurden einzelne Vergünstigungen, die ihnen durch eine Verordnung von 1838 zu Theil geworden waren, von dem Volke, bes. von dem Handwerkerstande in Stockholm, so mißliebig aufgenommen, daß selbst Excesse entstanden u. die Regierung mehre mildere Bestimmungen des Gesetzes beseitigte. In Norwegen, wo ihnen das Grundgesetz von 1814 den Eintritt verschloß, sprachen sich 1851 die Stände für die Zulassung der J. in das Reich aus, was auch der König genehmigte, u. für die J. gilt dort jetzt dieselbe Bestimmung, wie für die nicht zur Staatskirche gehörenden christlichen Confessionen nach dem Gesetz vom 16. Juli 1845. Im Russischen Reich, welches in seinen polnischen Provinzen eine zahlreiche jüdische Bevölkerung hat, wurden ihre Verhältnisse durch ein Reglement geordnet, u. sie selbst durch mehre Vergünstigungen für die Colonisation gewonnen. Allein in dem letzten Jahrzehnt zeigte sich das russische Gouvernement gegen die J. bes. wegen ihrer Theilnahme an den revolutionären Erscheinungen in Polen u. an dem längs der Grenze hin getriebenen Schmuggelhandel viel strenger. Nach einem Urteil vom Mai 1843 sollten alle gegen Preußen u. Österreich hin auf dem Landstriche von 50 Werfte Breite wohnenden J. nach dem Innern versetzt u. den Besitzern eigener Häuser nur eine zweijährige Frist zum Verkauf derselben gestattet werden. Ein anderer Ukas vom 26. Sept. 1843 verpflichtete sie vom 1. Jan. 1844 an gleich den übrigen Unterthanen zu persönlicher Leistung des Militärdienstes, unter Wegfall der, statt der Militärpflicht zeither von ihnen erhobenen jährlichen Abgabe von 105, 299 Rubel, u. 1816 wurde verordnet, daß alle J. des Königreichs Polen, welche unter 60 Jahre zählten, vom 1. October an ihre bisherige Kleidung (Kaftan, Gürtel u. Zobelmütze) ablegen, den langen Bart u. die Locken abschneiden u. in christlicher Kleidung erscheinen sollten, während ihnen bis zum 50. Jahre bei einer jährlichen Steuer von 50 Rubel gestattet war, ihre Tracht beizubehalten. Ein Ukas 1850 verbot den israelitischen Frauen in Rußland das Haarabschneiden. Doch traten seit 1854 mehrfache Milderungen ein, namentlich wurde der Maiukas 1843, obgleich derselbe wegen der großen Beschädigung des Handels nie zur Ausführung kam, definitiv wieder aufgehoben. In der Türkei genießen sie die Vortheile u. Vorrechte, deren sich die übrigen der Oberherrschaft des Sultans unterworfenen Nationen erfreuen. In Italien besteht dagegen in den meisten Staaten die mittelalterliche Strenge gegen die J. fort, namentlich im Kirchenstaate, wo noch im Juni 1843 zu Ancona ein Decret erlassen wurde, worin die Inquisition gegen die J. u. der Verlust mehrer bürgerlicher Rechte derselben ausgesprochen war. Zu Rom haben sie die Erlaubniß, in der Judenstadt (Ghetto) zu wohnen u. müssen den päpstlichen Schutz mit einer über 800 Scudi betragenden jährlichen Geldabgabe bezahlen, zugleich auch seit 1823 am Sabbath eine Predigt zu ihrer Bekehrung anhören. Die Judentaxe, 1849 von dem republikanischen Triumvirat aufgehoben, wurde nach der Restauration wieder eingeführt, u. ebenso wurde das Verbot für die J., christliche Frauen in Dienst zu nehmen, 1851 wieder eingeschärft. Nur in den Herzogthümern wurden manche Beschränkungen aufgehoben, u. in Sardinien 1848 die Emancipation der J. beabsichtigt. In der Schweiz ist die Lage der J. selbst in liberalen Cantonen beschränkt; so untersagte ihnen Baselland 1839 allen Aufenthalt auf seinem Gebiete außer an den Markttagen, u. 1851 wurde das Verbot der Niederlassung eingeschärft u. die Annahme eines Gehülfen od. Dieners von jüdischer Abkunft mit Strafe bedroht.

In Deutschland hat sich das Verhältniß der J. sehr eigenthümlich gestaltet. Der Schutz, den sie früher durch den Kaiser erhielten, mußte mit einer Steuer für die kaiserliche Kammer bezahlt werden. Allein dieses kaiserliche Vorrecht ging durch Privilegien u. durch die Reichsgesetzgebung im 16. Jahrh. auf alle die Reichsfürsten über, welche Regalien hatten, u. von dieser Zeit an entstand der meist sehr hohe Leibzoll, der jedesmal bei Betretung eines fremden Territoriums entrichtet werden mußte. Erst zu Ende des 18. Jahrh. wurde dieser Leibzoll in Österreich, Preußen u. Baiern u. zu Anfang des 19. in den übrigen deutschen Ländern aufgehoben, ohne daß dadurch das Schutzverhältniß selbst alterirt wurde. Nach Auflösung des Deutschen Reichs schien auch für die J. eine bessere Zeit einzutreten; die Bundesacte enthielt im Art. 16 die Bestimmung, daß die Bundesversammlung in Berathung ziehen werde, wie auf eine möglich übereinstimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der J. in Deutschland zu bewirken sei, u. wie denselben bes. der Genuß der[152] bürgerlichen Rechte gegen Übernahme aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten verschafft werden könnte, wobei indeß die von einzelnen Staaten bereits eingeräumten Rechte erhalten werden sollten. Allein diese Bundesgesetzgebung trat nicht ins Leben, u. so mußte die Particulargesetzgebung diese Angelegenheit wieder in die Hand nehmen, zumal da die Regulirung derselben in mehren Constitutionen in Aussicht gestellt worden war. Bei den Bewegungen in Deutschland 1848 eröffnete ihnen der Bundesbeschluß vom 7. April 1848 über die Wahl der Abgeordneten zur Constituirenden Versammlung in Frankfurt den Zutritt zur Deutschen Nationalversammlung, u. mit der Bestimmung der Deutschen Grundrechte (1849) u. namentlich des §. 16, daß durch das religiöse Bekenntniß der Genuß der bürgerlichen u. staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt werden sollte, u. daß dasselbe den staatsbürgerlichen Pflichten keinen Abbruch thun dürfe, war die vollständige Emancipation ausgesprochen, zugleich aber auch durch §. 20, wonach die Religionsverschiedenheit keinbürgerliches Ehehinderniß sein sollte, der Weg zu einer engeren Verbindung mit den Christen angebahnt. Auch in Beziehung auf den Judeneid wurden die Grundrechte wichtig. Schon früher hatte die Particulargesetzgebung eine entsprechende Eidesformel für die J. vor christlichen Gerichten festzustellen gesucht, z.B. in Braunschweig, wo nach dem Gesetz von 1845 die Formel mit den Worten beginnt: Bei dem Ewigen, meinem Gotte, schwöre ich ohne Vorbedacht od. Ausflucht in Aufsichtigkeit des Herzens, u. mit den Worten schließt: So wahr mir Gott helfe! Der Schwörende leistet den Eid mit bedecktem Haupte, indem er die rechte Hand auf 2 Mos. 20, 7 legt. Ähnliche Verordnungen wurden auch in Sachsen 1840 u. anderwärts erlassen. Die in den Grundrechten vorgezeichnete Formel: So wahr mir Gott helfe! war des specifisch christlichen Inhalts entkleidet u. eignete sich auch für die J., weshalb sie auch in verschiedenen Staaten Eingang fand. Mit der Aufhebung der Grundrechte durch die Bundesversammlungen 1851 hörten wenigstens theilweise diese Vergünstigungen auf, die Sache der Judenemancipation trat wieder in den Status quo vor 1848 zurück, u. es wurde der Particulargesetzgebung überlassen, diese Angelegenheit durch specielle Gesetze zu regeln. In Österreich blieb das Josephinische Edict in Geltung, welches die J. vom vollen Staats- u. Gemeindebürgerrecht ausschließt, ihnen jedoch alle staatsbürgerlichen Pflichten, die Leistung von Abgaben, den Kriegsdienst etc. auflegt. Der Zutritt zu Staatsämtern ist ihnen nicht gestattet, das Avancement beim Militär sehr erschwert, der Erwerb von Grundstücken u. der Aufenthalt auf dem platten Lande nicht erlaubt, die Übersiedelung aus einer Provinz in die andere an die Genehmigung der Regierung geknüpft (Ausländer bedürfen Behufs ihrer Niederlassung die specielle Einwilligung des Kaisers) u. der Betrieb der Gewerbe entweder ganz verboten, od. nur in so weit frei, daß sie auf das Meisterrecht keinen Anspruch haben. In der ärztlichen Praxis sind sie nicht gehindert, für die Advocatur gibt es aber mehrere Beschränkungen. In einzelnen Theilen des Reiches sind diese Bestimmungen nicht in voller Geltung. So dürfen sie in Mähren außer ihren Wohnungen mit kaiserlicher Erlaubniß Grundstücke kaufen od. pachten, Gewerbe betreiben u. in Städten, wo sich jüdische Gemeinden befinden, das Meisterrecht erwerben; in Böhmen genießen sie gleiche Freiheiten u. obgleich nur von den Bewohnern der Judenstadt in Prag Handel getrieben wird, so dürfen sie sich doch seit 1849 auch in anderen Stadttheilen ansiedeln; in Ungarn war der Gewerbebetrieb ohne Beschränkung gestattet, jedoch verwarf der Reichstag 4843 die Emancipation derselben. Nach den Bewegungen 1848 nahm sich der Reichstag in Wien ihrer an, u. in Folge eines Beschlusses desselben kam der Erlaß des Kaisers im Novbr. 1848, daß die Judensteuer, sowie alle auf ihnen speciell lastenden Paß- u. sonstigen Ortspolizeisteuern aufgehoben sein u. daß sie als Handelsleute bei der Besteuerung mit den Christen gleich behandelt werden sollten. Indeß bereits 1849, wo sie der Theilnahme an der Ungarischen Revolution verdächtig waren, gab sich in mehren Theilen der österreichischen Kronländer eine entschiedene Abneigung der Bevölkerung gegen die J. kund, u. das 1849 ertheilte Recht, Grundeigenthum zu erwerben, zog 1854 die Regierung zurück. Jedoch wird jetzt (1859) eine Revision der Gesetzgebung erwartet. In Preußen gab ihnen die Gesetzgebung von 1812 das Staatsbürgerrecht, die Erlaubniß zum Handel, zu Gewerben u. zum Besitz von Grundeigenthum, die Fähigkeit zu Gemeinde-, akademischen Lehr- u. Schulämtern, die Aufhebung besonderer Abgaben u. die Verheißung eines Gesetzes für Zulassung zum Staatsdienst etc. In der Folge wurde mehrern dieser Bestimmungen nicht nachgekommen, aber ein Gesetz von 1847, die bürgerlichen Verhältnisse der J. betreffend, hob die Beschränkung der Übersiedelung aus einem Theil des Landes in den anderen, die Beschränkungen für den jüdischen Hausirer, das Verbot gewisser Gewerbe u. die beengenden Bedingungen bei Erwerb des Grundeigenthums für die J. auf. Auch die Genehmigung bei Ehebündnissen inländischer J. unter einander wird nicht mehr eingeholt, u. in der Verpflichtung, eidliche Zeugnisse abzulegen, sind sie den Christen gleichgestellt; gestattet wurde ihnen die Übernahme des Schiedsamtes u. der Zugang zu dem unmittelbaren Staatsdienst, ohne daß sie jedoch in den Civil- u. Militärämtern obrigkeitliche Autorität auszuüben hätten; auf den Universitäten können sie als ordentliche Professoren der Mathematik, der Naturwissenschaften, der Medicin u. der Linguistik fungiren u. in Gewerbschulen Lehrerstellen bekleiden, die Theilnahme an den ständischen Rechten ist ihnen versagt, die Civilehe unter jüdischen Glaubensgenossen gestattet, die Ehe aber zwischen Christen u. J. nicht weiter berührt. An diesem Gesetz hielt die Regierung auch in den Bewegungen des Jahres 1848 möglichst fest. In Baiern ist für die J. das Edict von 1813 noch in Geltung. Der Ankauf von Grundstücken zum eigenen Besitz ist ihnen gestattet; an Orten, wo sie sich bereits befinden, soll bei zu großer Anzahl auf Verminderung gesehen werden; sie erhalten unter gewissen Bedingungen (Annahme fester Familiennamen, Leistung des Unterthaneneides etc.) das Indigenat, werden dann in die Judenmatrikel eingezeichnet u. genießen nun die allgemeinen bürgerlichen Rechte. Die Aufnahme fremder J. ist verboten u. nur bei großen Etablissements, bei Erlangung des Meisterrechtes u. bei bedeutenden Ankäufen dispensirt der Landesherr davon. Staats- u. Gemeindeämter stehen ihnen offen, ebenso die Militärcarrière. Der Hausir- u. Schacherhandel,[153] die Betreibung der Brauerei, sowie der Schenk- u. Gastwirthschaft ist ihnen verboten. Bei Verheirathungen haben sie die Erlaubniß der Regierung einzuholen, welche nur bei Nachweis des genügenden Erwerbes ertheilt wird. Der Gesetzentwurf von 1849, nach welchem den J. gleiche bürgerliche Rechte mit den christlichen Staatseinwohnern zustehen sollten, wurde von den Reichsräthen abgelehnt. In Rheinbaiern, wo die französische Gesetzgebung von früher her gilt, ist die Lage der J. etwas günstiger. In Württemberg besteht noch das Gesetz von 1828, wonach an die Stelle des früheren Schutzverhältnisses, die Rechtsgleichheit als Grundsatz getreten ist; es steht für sie der Zutritt zum Staats- u. Gemeindedienst, zur Advocatur u. zur ärztlichen Praxis, zu den Innungen u. zum Erwerb von Grundbesitz offen, dagegen ist ihnen nur das gemeindebürgerliche, nicht aber das staatsbürgerliche Wahlrecht gestattet. Die übrigen gesetzlichen Beschränkungen beziehen sich auf den Verkauf des Grundeigenthums, auf die Verheirathung, auf die Einwanderung etc. Überdies muß jeder Jude zu einer sogenannten Cultusgemeinde gehören, deren Vorsteherschaft der Rabbiner u. mehrere Beisitzer bilden. Ihnen ist der Gottesdienst, die Kirchenzucht u. Kirchenverwaltung, so wie die Armenpflege übertragen. In Hannover, wo die Verhältnisse der J. in einzelnen Landestheilen verschieden waren, kam erst 1842 ein Gesetz zu Stande, welches das Schutzverhältniß aufhob u. das Bürgerrecht freigab, dagegen den Gewerbebetrieb, den Ankauf von Grundstücken, die Veränderung des Wohnortes innerhalb des Landes, das Recht der Verheirathung u. die Einwanderung ausländischer J. an gewisse Bedingungen, meist an die Genehmigung der Regierung, knüpfte u. bes. den Schacherhandel sehr beschränkte. Im Königreich Sachsen, wo erst durch die russische Verwaltung 1814 die alte strenge Judenordnung von 1772 gemildert u. namentlich der Leibzoll aufgehoben wurde, ordnete das Gesetz von 1838 u. ein Nachtrag dazu von 1840 die Verhältnisse der J. Die darin enthaltenen Beschränkungen bestehen darin, daß ihnen der bleibende Aufenthalt nur in Leipzig u. Dresden erlaubt, daß die Übersiedelung von einer dieser Städte in die andere, ebenso wie die Niederlassung ausländischer J., an die Genehmigung des Ministeriums gebunden, u. daß mehrere Gewerbe, z.B. Schenkwirthschaft, Branntweinbrennerei, der Besitz von Apotheken, der Klein u. Ausschnitthandel, der Schacher- u. Trödelhandel ihnen ganz untersagt u. die Betreibung des Groß- u. Speditionshandels an die Erlaubniß der Regierung gebunden ist. Der Erwerb von Grundstücken, die sie binnen 10 Jahren nicht freiwillig veräußern dürfen, u. das damit verbundene Bürgerrecht gewährt ihnen nicht die in der Städteordnung verheißenen Rechte, u. sie können weder Staats- noch Gemeindeämter übernehmen. Für die Advocatur ertheilt das Gouvernement die Erlaubniß In Baden, wo sie früher die vollen staatsbürgerlichen Rechte genossen, entzog ihnen die Verfassungsurkunde von 1818 die Wählbarkeit zum Landtag, auch waren sie von den Staatsämtern, wie durch die Gemeindeordnung von 1831 von Gemeindeämtern ausgeschlossen. Für den Ankauf von Grundstücken u. den Betrieb der Gewerbe besteht keine wesentliche Beschränkung, nur der Schacherhandel wird möglichst gehindert. In Kurhessen trat die durch die Verfassung von 1831 angebahnte Emancipation der J. mit dem Gesetz von 1833, welches nur wenige Beschränkungen enthält, ins Leben; dagegen ist ihre Lage in Hessen-Darmstadt weit weniger frei. So wird z.B. das Staatsbürgerrecht, außer bei Übernahme eines Staatsamtes, von dem Ministerium nur unter gewissen Bedingungen ertheilt (Nachweis eines bestimmten Vermögens beim Großhandel, Eintritt in die Zunft des Handwerkes, Entsagung des Schachers etc.), u. der Ankauf von Grundbesitz ist ebenfalls nur unter gewissen Voraussetzungen gestattet. In Rheinhessen sind die Verhältnisse der J. aus der napoleonischen Zeit her etwas günstiger. In Nassau besteht für die J. das Schutzverhältniß u. zwar so, daß unter Nachweisung eines gewissen Vermögens der Schutz für den Handel dem ältesten Sohne, welcher auch in der Regel nur die Staatserlaubniß zur Verheirathung empfängt, od. der ältesten Tochter gewährt wird Zu Staatsämtern werden sie ausnahmsweise zugelassen, nicht aber zu Gemeindeämtern. Der Ankauf von Grundstücken ist frei, ebenso der Gewerbebetrieb mit wenigen Ausnahmen. In Oldenburg gewährt ihnen das Gesetz von 1827 das Staatsbürgerrecht, jedoch ist dabei der Besitz eines Schutzbriefes nothwendig, den nach dem Tode des Inhabers nur ein Familienglied bekommt. Als Ärzte u. Unterbeamte, nicht aber im Gemeinde- u. höheren Staatsdienst dürfen sie fungiren. Der Grundstücksbesitz ist gestattet, dagegen sucht das Gesetz dem Schacherhandel entgegenzuwirken. Die Erlaubniß zur Verheirathung ertheilt die Regierung nur concessionirten J. In Braunschweig hörte seit der westfälischen Regierung das frühere Schutzverhältniß auf, jedoch hat die spätere Gesetzgebung mehrere Beschränkungen, z.B. bei dem Erwerb von Grundbesitz u. bei den Staats- u. Gemeindeämtern, eingeführt, während der Betrieb der Gewerbe unbeschränkt ist. Durch Gesetze wurden 1848 u. 1849 alle Rechtsungleichheiten sowohl im öffentlichen, als Privatrechte, welche Folge des Glaubensbekenntnisses sind, aufgehoben. In den Mecklenburgischen Ländern besteht im Allgemeinen ein Schutzverhältniß, welches den J. die Abgabe von Aufnahmegebühren u. Schutzgeldern auferlegt. In Schwerin hatten sie seit 1848 das Bürgerrecht in den Städten erworben u. damit das Recht, Grundstücke zu erwerben, indeß wurde später die Ausübung dieses Rechtes versagt, weil nach den Bestimmungen des Landesvergleiches J. keine liegenden Gründe in Mecklenburg besitzen dürfen. In Holstein sind die J. nur in einzelnen Städten geduldet u. vielen Beschränkungen unterworfen. In den Anhaltischen Ländern herrscht insofern eine große Verschiedenheit, als in Köthen u. Bernburg durch die Gewerbefreiheit u. durch den nur wenig beschränkten Ankauf von Grundstücken ihre Lage freier ist, während in Dessau das Schutzverhältniß mit den damit verbundenen Abgaben besteht u. viele Beschränkungen in Bezug auf den Gewerbebetrieb, auf Verheirathung, auf Veränderung des Wohnsitzes etc. noch in Gültigkeit sind. Ein Weimarisches Gesetz von 1850 stellt die J. in allen Verhältnissen zum Staat den anderen Staatsbürgern gleich. In Meiningen u. Hildburghausen sind die J. nach den Edicten von 1811 u. 1814 Staatsunterthanen, jedoch durch verschiedene Bestimungen, namentlich im Gewerbebetrieb, beschränkt. Ähnliche[154] Beschränkungen gibt es in den Reußischen Ländern, in Lippe, wo nach einer Reihe von Jahren eine Erneuerung des Schutzbriefes gefordert wird. In Schwarzburg-Sondershausen sind die J. zwar von Staats- u. Gemeindeämtern ausgeschlossen, aber in dem Ankauf von Grundstücken u. in dem Gewerbebetrieb unbeschränkt. Fast ganz so ist ihre Lage im Waldeckischen etc. In den vier freien Städten war meist die Rücksicht auf die ausgedehnten Handelsverhältnisse daselbst maßgebend bei der Gesetzgebung über die Angelegenheiten der J. Am günstigsten war ihre Lage in Frankfurt a. M., wo sie nach dem Gesetz von 1824 zwar von Staats- u. Gemeindeämtern, nicht aber von der ärztlichen Praxis u. von der Advocatur ausgeschlossen, u. in privatbürgerlicher Beziehung den christlichen Staatsbürgern gleichgestellt sind. In Bezug auf den Grundbesitz ist ihnen der Kauf Eines Hauses u. Eines Gartens gestattet, als Handwerker u. Händler sind sie beschränkt. Die veränderte Verfassung von 1849 gewährte ihnen mehr Freiheiten; ebenso in Hamburg. In Lübeck ist seit Oct. 1848 ihre politische Gleichstellung mit den Christen ausgesprochen; in Bremen haben sie noch ein besonderes Schutzgeld zu bezahlen.

Was endlich die Lage der J. in den außereuropäischen Erdtheilen anlangt, so ist dieselbe nur theilweise bekannt geworden. In Asien, wo sie in allen Reichen leben, scheinen sie sich an mehreren Orten dem Islam accommodirt u. dadurch eine Verbesserung ihrer Verhältnisse herbeigeführt zu haben. Am gedrücktesten sind sie in Persien; in Syrien treiben sie Handel u. Ackerbau, in Ostindien, wo es weiße u. schwarze J. gibt, hauptsächlich Gewerbe, auch dienen sie hier als Soldaten; in der chinesischen Provinz Kai-fang-fu gibt es J., welche 200 v. Chr. dahin gekommen zu sein behaupten. In Afrika, wo sich sehr viele J. befinden, leiden sie im Allgemeinen denselben Druck, welchen der Islam gegen alle Nichtgläubigen auszuüben pflegt u. der in Fez-Marokko u. Ägypten sehr hart, in Tunis dagegen etwas milder ist, weil sie hier durch sprachliche u. medicinische Kenntnisse einen nicht unbedeutenden Einfluß zu gewinnen gewußt haben. In Algier ist ihr Zustand unter dem französischen Regiment besser geworden. In Amerika genießen sie in den Vereinigten Staaten alle bürgerlichen u. politischen Rechte, ebenso wurde 1842 auf Jamaica die Emancipation angenommen, dagegen sind sie in Südamerika vielfach beschränkt, u. nur die holländischen Colonien gewähren ihnen Freiheit.

Bei der Frage über die Emancipation der J. ist Seitens der Regierungen auf die Idee des Christlichen Staates u. auf die Nationalität das Hauptgewicht gelegt worden. Die Bevölkerungen haben sich meist aus materiellen Gründen dagegen ausgesprochen u. das Verhältniß zwischen den J. u. Christen ist nur allmälig u. nicht einmal überall ein besseres geworden, so daß sich auch noch in neuerer Zeit die früheren Judenverfolgungen z.B. in Syrien 1840 u. in der Moldau wiederholten, u. selbst in Deutschland regte sich in bewegten Jahren, z.B. 1819 (s. Hep-Hep), 1830 u. 1848, der alte Judenhaß, obschon es auch an Zeichen eines friedlichen, duldsamen Sinnes im geselligen u. geschäftlichen Verkehr nicht gefehlt hat. Für die Emancipation im Leben wirkten in neuester Zeit bes. die Lichtfreunde durch ihre weit gehenden Unionsplane, während die strengeren Theologen gegen dieses Nivellirungssystem sich erklärten.

III. Die Juden der gegenwärtigen Zeit nach Sitten, Gebräuchen, Charakter u. Lebensart. Sie sind als eine Reliquie der alten Hebräer (s.d.) im Ganzen unverändert geblieben. Obschon in den meisten Ländern in der bürgerlichen Gesellschaft zurückgesetzt, halten sie sich doch mit heimlichem Stolz für das auserwählte Volk Gottes u. harren auf den Messias, welcher sie aus dem jetzigen drückenden Zustande erlösen u. sie mächtig machen werde über alle anderen Völker. A) In Gestalt u. Physiognomie tragen die J. bis auf unsere Zeit den Stempel der orientalischen Abkunft. Die Männer haben glänzend schwarze (zuweilen rothe), an der Seite gelockte Haare, feuerige schwarze Augen, eine weit hervorstehende, gebogene Nase u. ein hervorragendes, nach oben gebogenes Kinn (Judenkinn), eine magere Gestalt u. einwärts gebogene Knie; ihr Gang ist kurz u. eilig. Das weibliche Geschlecht zeichnet sich durch ein rundes volles Gesicht, schwarze Augen u. überhaupt durch Fülle aus; jedoch pflegen im Alter auch die Judenfrauen mager zu werden. Eigenthümlich ist auch der Dialekt, in welchem die J. die Landessprache sprechen, bes. bei der Deutschen Sprache (s. Judendeutsch). Der Hauptzug im Nationalcharakter der J. ist Eigennutz, Gewinnsucht u. Schlauheit; ein großer Theil treibt Schacherhandel (Schacherjuden). Beim Handel schlagen sie gewöhnlich viel vor, begnügen sich aber auch mit geringem Gewinn. Mit großer Liebe widmen sie sich dem Wechsel- u. Banquiergeschäft, bes. dem Staatspapierhandel u. den Zeitkäufen, u. sind bei jeder Staatsanleihe interessirt. Auch Leihen auf Pfänder od. zu mehr als landesüblichen Zinsen (was ihnen in manchen Staaten gestattet war), od. auf Wechsel treiben sie u. wagen viel. Wegen ihrer Handelsklugheit sind die J. in dem ehemaligen Polen u. dem Orient die Zwischenhändler zwischen Kaufmann u. Käufer, u. jeder Große hat dort einen J. zum Commissionär (Factor). Daß sie aber auch geschickt zu anderen Erwerben sind, beweisen mehre Judencolonien in der Ukraine u. die Gewerbtreibenden an mehreren Orten Deutschlands. Das Kriegswesen ist dagegen ihre Sache nicht, u. sie sind in den meisten Staaten vom Kriegsdienste befreit. Bei ihrem hervortretenden Scharfsinn hat es stets auf dem Gebiet der Wissenschaften, namentlich der Medicin u. Linguistik, berühmte J. gegeben; ihre rege Phantasie hat unter ihnen Musiker u. Dichter, ihr Witz Belletristen u. Journalisten hervorgebracht. In der Politik sind sie meist liberal. Die Zahl der jetzt in der ganzen Welt lebenden J. beträgt wohl über 8 Millionen.

Obschon durch die Emancipation (s. oben II.) in ihren bürgerlichen Verhältnissen Manches sich geändert hat, so haben sie doch ihr B) nationales Recht, dessen Quellen das Mosaische Gesetz (s. Hebräer [Ant.]) u. der Talmud (s.d.) sind, auch außerhalb Palästina beibehalten. Das Ehebündniß (vgl. Ehe) wird durch Verlobung schriftlich u. vor Zeugen u. mit Auflegung einer Geldsumme, u. durch Trauung (s.u. Hochzeit) vollzogen. Der Mann erlangt ein Recht auf Alles, was die Ehefrau durch Arbeit erwirbt, od. was ihr auch durch Glück zufällt, nicht weniger steht ihm der Nießbrauch vom Vermögen der Frau in der Regel zu, u. der Mann ist auch ihr Universalerbe.[155] Die Erbfolge ist theils testamentarische, theils gesetzliche; in Beziehung auf erstere sind die Grundsätze von Schenkungen unter Lebenden u. Schenkungen von Todes wegen anwendbar, je nachdem der letzte Wille im gefunden od. kranken Zustand errichtet wird. Bei der gesetzlichen Erbfolge der J. tritt folgende Ordnung ein: unter den Descendenten erben zuerst die Söhne u. deren männliche Nachkommen, dann die Töchter u. in deren Ermangelung die weiblichen Nachkommen. Nach den Descendenten folgt der Vater, in dessen Ermangelung die Brüder u. deren Nachkommen u., ist in dieser Klasse Niemand vorhanden, die Schwestern u. deren Nachkommen. Personen, welche von mütterlicher Seite verwandt sind, beerben einander niemals; die Kinder können die Mutter, diese kann aber die Kinder nicht beerben. Die ehelichen Kinder u. Verwandten schließen die unehelichen, selbst die in Blutschande erzeugten nicht aus, doch muß deren Mutter frei u. von jüdischer Nation sein; ist sie eine Sklavin od. nicht von jüdischem Stamme, so folgen die Kinder der Mutter, sie beerben den Vater auch dann nicht, wenn keine Erben desselben vorhanden sind. Der erstgeborene Sohn des Vaters bekommt einen doppelten Antheil, jedoch nur von dem, was der Vater wirklich besessen hat (also nicht von den Activschulden); dagegen trägt jener auch einen doppelten Theil der Passivschulden. Ist der Erstgeborene vor geschehener Theilung verstorben, so fällt sein Erstgeburtsrecht auf seine Nachkommen; übrigens kann jeder auf dies Recht verzichten, es verkaufen od. verschenken. Die Erbfolge der Ehegatten richtet sich nach der Dauer der Ehe, je nachdem dieselben ein, zwei od. mehre Jahre zusammen gelebt haben. Schenkungen müssen öffentlich geschehen u. das Eigenthum davon gehörig übertragen werden; soll eine gültige Schenkung aufgehoben werden, so muß dies durch neue Schenkung mit allen Formalitäten geschehen. Die Vormundschaft ist entweder eine testamentarische, od. gesetzliche; der testamentarische Vormund hat Einnahme u. Ausgabe des Mündels genau zu berechnen; der gesetzliche beschwört dagegen nur die Führung der Vormundschaft (in vielen Ländern haben die christlichen ordentlichen Obrigkeiten die Sorge auch für jüdische Pupillen übernommen). Die Majorennität erlangt der Jude mit vollendetem 13. Jahr u. 1 Tag, wenn er zugleich ein sichtbares Zeichen der Mannbarkeit an sich trägt, die Jüdin wird unter gleichen Bedingungen schon mit zurückgelegtem 12. Jahre mündig. Handelsgeschäfte kann der Jude erst in einem Alter von 20 Jahren treiben. Das Mädchen bleibt, bis sie erwachsen ist, unter väterlicher Gewalt, daher kann sie der Vater ohne ihren Willen verheirathen (nach mehrern Landesgesetzen richtet sich die Volljährigkeit der J. nach dem gewöhnlichen bürgerlichen Rechte). Die Anwendung dieser Gesetze u. die Anstellung eines Rabbinen, in sofern sie sich auf jene bezieht, sind der landesherrlichen Aufsicht unterworfen. In Hinsicht der bürgerlichen Rechtsverhältnisse sind sie den Gesetzen des Staates unterworfen u. müssen sich nach diesen richten lassen, wenn sie nicht eine besondere Exemption nachweisen können.

In Beziehung C) auf Religion u. Cultus der J. ist beides noch immer der monotheistische Mosaismus (s. Hebräer); aber getrübt durch die Lehren des Talmud (s.d.), welcher ihre Tradition enthält u. in noch höherem Ansehen als die Bibel (Gesetz [Thorah] u. Propheten) steht. Die Festhaltung an den vielen eigenthümlichen Lehren desselben ist bis auf die neueste Zeit ihrem Verlangen nach Rechtsgleichheit mit anderen Staatsbürgern in christlichen Staaten hindernd in den Weg getreten. An die Stelle der Opfer im Cultus ist seit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem das Gebet (Tephila) getreten, u. die Gebete machen den Haupttheil der öffentlichen u. häuslichen Gottesverehrung aus. Das Mosaische Gesetz enthält keine Bestimmung über das Gebet bis auf die Beichtformel des Hohenpriesters über die Opfer am Versöhnungstage (s.d.) Man betete sonst im Tempel nach Herzensbedürfniß od. an anderen Orten. Das Aussterben der Hebräischen Sprache veranlaßte die Einführung stehender Gebetformeln. Das dreimalige tägliche Morgen- (Schachrith), Abend- (Mincha) u. Nachtgebet (Arbith), entspricht wahrscheinlich den drei täglichen Opfern im Tempel u. auch deren Zeit, weswegen auch an den Festtagen ein viertes (Mussaf) am hohen Vormittag dazu kam. Ihr Hauptbestandtheil ist das Schema u. die vorzugsweise Tephila (Gebet) genannte Schemone eßra (d.i. 18, die Zahl der darin vorkommenden Segenssprüche). Zu den ältesten Gebeten gehören: das Tischgebet (Benschen), Danksprüche (Berachoth) bei einem Genusse, beim Schlafengehen u. Aufstehen, die Fastenanrufungen etc. das Kadisch (Heiligung), welches beim Verluste der Eltern täglich durch 11 Monate u. am Sterbetage (Jahrzeit) nach dem gewöhnlichen Gebete gesprochen wird, Kiddusch (Heiligung) am Vorabend, Habhdala (Unterscheidung) am Ausgang eines Festes über einen Weinbecher gesprochen; das Gebet Alenu, welches man im Mittelalter gegen die Christen auslegte u. zu Judenverfolgungen benutzte; das Gebet Kol Nidre, mit welchem am Abend vor dem Versöhnungstage begonnen wird, in welchem die freiwilligen Gelübde für unverbindlich erklärt werden. Sie waren theils von Religionsbehörden, angesehenen Männern u. Gelehrten, theils durch Vorbeter (Chasan, Schelich Zibur) in den öffentlichen Ritus aufgenommen. An das Gebet knüpft sich beim Gottesdienst das Vorlesen aus der Thora (Perikopen), welche alle Jahre od. in 3 Jahren durchgelesen wird. Der wöchentliche Abschnitt heißt Sidra, u. das Stück, welches den (gewöhnlich neun) dazu aufgerufenen Personen (deren erster stets ein Kohen, d.i. Priester vom Stamme Aarons, der zweite ein Lewi ist) vorgelesen wird, Parascha; der letzte (Maftir) liest selbst einen passenden Abschnitt aus den Propheten (Haftara). Eine Sammlung der gewöhnlichen Gebete heißt Sidur, wovon es viele Ausgaben gibt. Gegen Mitte des 8. Jahrh. begann eine neue Bereicherung der Liturgie durch künstliches mit Hagada (s.d.) untermischtes Gebet, Piut, Plur. Piutim (Poesien), vorzüglich für Fest- u. Fasttage u. dgl. erst in Europa vollkommen ausgebildet. Die Vervielfachung dieser Gebete verursachte eine bedeutende Verschiedenheit des Ritus (Minhag). Man unterscheidet vorzüglich den spanischen, polnischen, deutschen u. italienischen Ritus, u. wieder von einzelnen Städten. Die spanischen Piutim haben ein reineres Hebräisch u. sind klarer, die anderen oft dunkel mit Aramäischem stark vermischt, u. daher häufig commentirt. Eigene Gebete haben zum Theil die Karäer. Die Sammlung dieser Gebete heißt Machsor. Durch die Reformen sind in[156] der neuesten Zeit in dem Gottesdienst mehre Veränderungen vorgeschlagen worden. Jakobsohn entfernte zuerst (1815) die Piutim, führte deutsches Gebet, deutsche Predigt, Orgel u. Chor ein, s. unt. IV. B). Das öffentliche Gebet in der Synagoge (Bethaus) od. in einem Privathause erfordert mindestens 10 Personen (Minjan) u. hat nur wenig Eigenthümliches. Mit dem Gebete wird das Anlegen der Gebetriemen (Tephilim, s.d.) u. des Gebetkleides (Talith, s.d.), so wie einige Gebräuche an den besonderen Festtagen verbunden. Die J. sitzen od. stehen beim Gebet, letzteres bes. beim Schemone eßra, wenn die Lade der Gebetrollen geöffnet wird, beim Vorlesen der Thora etc. Gekniet wird nur einmal am Neujahrstag u. dreimal am Versöhnungstag beim Alenu. Die anderen Stellungen der Orientalen sind längst außer Gebrauch, hingegen behielten sie eine wackelnde Bewegung (Schockeln), wie beim Lernen des Talmud. Das Schockeln u. das Plaudern, welches den Namen Judenschule hervorrief, ist beinahe überall abgeschafft. Von Festen gelten noch die alten, s.u. Hebräer (Ant.); der wöchentliche Festtag ist der Sabbath (s.d.) od. Schabbeß; das Fasten, hauptsächlich fünfmal (s.u. Fasten), wird jetzt nach der verschiedenen Glaubensrichtung bald mehr, bald weniger streng gehalten; über die Beichte, s.d.; ihr Sacrament ist die Beschneidung (s.d.); die Geistlichen heißen Rabbiner (s.d.);.ihre Gottes od. Bethäuser Synagogen (s.d.). Über die Ceremonien bei der Bestattung der Todten, s. Todtenbestattung. Die Wahrnehmung, daß manche ihrer Sitten u. Gebräuche mit den Einrichtungen der Nationen, unter denen die J. als geduldetes Volk lebten, geradezu im Widerspruch standen, u. daß die altrabbinische, dem Talmud fest anhängende Richtung der vollständigen Emancipation nur hinderlich sein könnte, veranlaßte die sogenannten Reformversuche.

IV. Die Reformversuche, wofür man theils von Seiten der Staaten selbst u. durch Associationen, theils durch Reformbestrebungen unter den J. thätig war Zunächst haben A) die Staaten das jüdische Schulwesen ins Auge gefaßt u. verschiedene Anstalten u. Einrichtungen ins Leben gerufen, um die Bildung der Jugend zu befördern. So müssen sich in Weimar nach der Judenordnung von 1823 alle jüdischen Lehrer einer Prüfung bei dem Oberconsistorium vor ihrer Lehrerthätigkeit unterwerfen; in Berlin wurde 1840 ein jüdisches Schullehrerseminar eröffnet; in Mähren soll kein Rabbiner angenommen werden, welcher nicht das Studium der Pädagogik an einer inländischen Lehranstalt nachweisen kann. In Rußland wurde 1841 ein allgemeines Reglement für die israelitischen Schulen innerhalb des Kaiserreichs ausgearbeitet u. Rabbinerseminare für die künftigen Lehrer des Volkes gegründet. Indeß hat die jüdische Orthodoxie derartige Neuerungen nicht ohne Argwohn betrachtet. Nicht weniger haben die Staatsregierungen dem jüdischen Cultus ihre Sorgfalt gewidmet; so ließ z.B. Weimar eine jüdische Gottesdienstordnung entwerfen, nach welcher der Gottesdienst mit nur wenigen Ausnahmen in Deutscher Sprache gehalten werden u. alles Auffällige vermieden werden soll. Auch in Baden wurde eine Ordnung für den Gottesdienst gegeben u. 1834 Synagogenräthe gebildet, welche ähnliche Befugnisse haben, wie die protestantischen Kirchengemeinderäthe. In Osterreich erschien 1820 ein Edict für den verbesserten Gottesdienst u. im Jahre 1850 trat eine Versammlung von Vertrauensmännern zur Regelung der israelitischen Cultusverhältnisse in Böhmen zusammen. Dagegen traten die Staatsregierungen einiger Länder in der Zeitperiode, wo die J. eine Erweiterung ihrer politischen Rechte zu erreichen suchten, auch diesen Reformen in mehr hindernder Weise entgegen. Nächstdem war man auch durch christliche Gesellschaften u. Vereine bemüht, für die Reform der J. zu wirken. Hierher gehören bes. die Bestrebungen, die J. zum Christenthum zu bekehren, für welche seit 1739 die Herrnhuter u. überhaupt im 18. Jahrh. die Spenersche Schule, im 19. Jahrh. aber bes. die Engländer thätig waren. Die Londoner Missionsgesellschaft zur Verbreitung des Christenthums unter den I. besteht seit 1808; sie hat vornehmlich in der Provinz Posen eine große Anstrengung entwickelt, u. seit 1848 haben sich ihre Boten in größeren Städten bes. nach Rußland hin gewendet. Der Erfolg war nicht bedeutend, gleichwohl wurde 1845 eine zweite britische Gesellschaft zur Beförderung des Christenthums unter den J. gegründet, welche aber wo möglich noch geringere Erfolge erzielte. Seit 1820 gründete man ähnliche Vereine auch in Deutschland u. in der Schweiz, meist unter dem Namen Freunde Israels, z.B. in Frankfurt, Dresden, Basel, Berlin, Hamburg u.a. O.

Am wichtigsten waren jedoch B) die Reformbestrebungen unter den J. selbst. Für dieselben war zweierlei sehr wirksam, theils das Auftreten Mendelssohns (s.d.) im 18. Jahrh., welcher sich durch die Einführung der Deutschen Sprache unter den J., durch seine literarische Thätigkeit u. durch seine Bestrebungen für das religiöse, nationale, sittliche u. sociale Leben große Verdienste um seine Glaubensgenossen erworben hat; theils die Französische Revolution u. die durch Napoleon decretirte Berufung des Sanhedrin. Der äußere Druck, welcher nach Beendigung der Freiheitstriege in den meisten deutschen Ländern auf den J. zu lasten begann u. schon beim Wiener Congreß Beschwerdeführungen von Seiten der jüdischen Glaubensgenossen veranlaßte, konnte diesen inneren Reformen nicht förderlich sein, u. erst der neuesten Zeit war es vorbehalten, diese Versuche, an denen die bei den J. immer größer werdende Kluft zwischen Gesetz u. Leben, zwischen Festhalten an den religiösen Formen u. zwischen Losreißen von denselben einen gewichtigen Antheil hatte, zu erneuen u. dabei das gesammte religiöse Gebiet nach Lehre u. Cultus als die Sphäre zu bezeichnen, welcher sich die Verbesserung vorzugsweise zuzuwenden habe. Für diese Zwecke wirkten u.a. die Rabbinerversammlungen. Nachdem bereits 1833 u. 1837 in Baden u. in Nassau derartige Zusammenkünfte in kleinerem Kreise anberaumt worden waren, trat auf Veranlassung Ludwig Philippsons die erste Versammlung von Rabbinern in Braunschweig den 11. Juni 1844 zusammen. Die Verhandlungen betrafen zunächst die dem Pariser Sanhedrin 1807 von Napoleon vorgelegten 12 Fragen u. die darauf gegebenen Antworten über die Familie, das sociale Verhältniß, über die geistliche Macht u. über gewerbliche Angelegenheiten. Die Versammlung bestätigte diese Antworten mit einigen Zusätzen, erklärte ferner, daß das Wesen des jüdischen Eides in der Anrufung des Namens Gottes[157] bestehe, um die mittelalterlichen Formen des Judeneides zu abrogiren, u. übergab die Anträge über Revision der jüdischen Ehegesetzgebung, über Vorbereitung einer neuen Liturgie für Synagoge u. Haus u. über den Sabbath einzelnen Commissionen zur Bearbeitung für die nächste Versammlung. Indeß fanden auch diese wenigen Resultate bei einem großen Theile der Judenschaft (den Orthodoxen od. Zeloten) große Anfechtungen, u. nicht nur die Competenz der Versammlung wurde bestritten, sondern auch jene Beschlüsse nach ihrem Inhalt, als dem eigentlichen Judenthum widersprechend u. darum als ganz gefährlich, verworfen. Die zweite Rabbinerversammlung in Frankfurt a. M. 1845 beschäftigte sich namentlich mit der Liturgie; es wurde beschlossen, auf allmälige Beseitigung der Hebräischen Sprache beim Gottesdienst hinzuarbeiten, mehrere Gebete zu entfernen, z.B. das Gebet um Wiederherstellung des Jüdischen Reichs u. um Zurückführung in das alte Vaterland, dagegen neue Gebetbücher für Gottesdienst u. Haus zu bearbeiten; außerdem besprach man sich über die Anträge des Berliner Reformvereins u. über die von Breslau aus beanspruchte Laiensynode. Die Stimmung der Versammlung gegenüber den Verhandlungen war sehr verschieden; indem Einige die ganzliche Vernichtung des Mosaismus fürchteten, bedauerten Viele, daß man nicht schneller vorwärts schreite, weshalb sich 1846 die Berliner Reformgenossenschaft ganz von den Bestrebungen dieser Versammlungen lossagte. Auf der dritten Zusammenkunft der Rabbiner 1846 zu Breslau beschäftigte man sich mit den Vorlagen der Commissionen über Bearbeitung eines Gebetbuches, über Errichtung jüdisch-theologischer Facultäten, mit der Feier des Sabbaths u. der Feste, Veränderungen bei der Beschneidung u. den Begräbnißceremonien. Diesmal hatte die Versammlung bes. von der liberalen jüdischen Partei Anfechtung zu erleiden, welche in den meisten Beschlüssen keine Verbesserungen, sondern nur hierarchische Tendenzen vermuthete.

Für die innere Reform der J. wirkten aber auch die Reformvereine. So traten 1832 im Großherzogthum Hessen mehrere aufgeklärte J. zu einem Vereine für sittliche u. bürgerliche Verbesserung der J. zusammen, um auf die Jugend, auf die Ausbildung jüdischer Theologen u. Lehrer u. auf größere Theilnahme der jüdischen Bevölkerung an bürgerlichen Gewerben hinzuwirken, u. hatten sich dabei der Theilnahme der Staatsregierung zu erfreuen, welche sämmtlichen Landräthen die Förderung u. Unterstützung des Vereins anempfahl. Ein Verein von J. in Frankfurt a. M. erklärte 1843 offen, daß sie in dem Mosaismus die Möglichkeit einer unbeschränkten Fortbildung anerkennten; der Talmud habe für sie weder in dogmatischer, noch in praktischer Hinsicht irgend eine Autorität; ein Messias, welcher die J. nach Palästina zurückführe, werde weder von ihnen erwartet, noch gewünscht; sie kennten kein Vaterland als das, dem sie durch Geburt u. bürgerliches Verhältniß angehörten. Die Berliner Genossenschaft für Reform im Judenthum wünschte in Bezug auf ihr Verhältniß zu der jüdischen Gesammtgemeinde in Berlin zwar die ungetheilte Einheit der jüdischen Gemeinde, jedoch unter gleicher Berücksichtigung der verschiedenen religiösen Bedürfnisse innerhalb derselben, unter Gestattung unbeschränkter Selbständigkeit der Genossenschaft in der Wahrung u. Leitung ihrer besonderen religiösen Angelegenheiten. Am 24. März 1849 beschloß dieselbe, den wöchentlichen Gottesdienst vom Sonnabend auf den Sonntag zu verlegen, u. 1850 sagte sie sich von der altjüdischen Synagoge gänzlich los. In diesen Bestrebungen, denen bes. Creizenach, Holdheim u. And. ihre Kräfte widmeten, lag die Veranlassung zu mancherlei Streitigkeiten, von denen bes. der Frankfurter Beschneidungsstreit (1843) eine größere Wichtigkeit erlangt hat. Es weigerten sich nämlich mehrere angesehene J. in Frankfurt, ihre neugeborenen Söhne beschneiden zu lassen, wogegen ein Gutachten der angesehensten deutschen Rabbiner die Beschneidung als nothwendig, die Nichtvollziehung derselben als ein Heraustreten aus dem jüdisch-kirchlichen Verbande bezeichnete u. die Vorschrift Mosis für ein Fundamentalgesetz des Judenthums erklärte.

Endlich ist auch für diese innere Reform von einzelnen Judengemeinden viel geschehen. Wie früher von Mendelssohn u. Jakobsohn deutschen Gebet u. deutsche Predigt, auch Orgel u. Chorgesang empfohlen wurde, so gingen später größere Gemeinden in Städten, wie Hamburg, Frankfurt a. M., Offenbach, mit gutem Beispiel voran u. es traten bald auch unter den J. gerühmte Prediger hervor, wie Jost, Heß, Creizenach, Weil, Johlsohn, Formstecher, Rehfuß, Geiger, Frankel, Auerbach, Ad. Jellinek u. And. Eine wichtige Erscheinung auf diesem Gebiete war das neue allgemeine israelitische Gesangbuch für Gotteshäuser u. Schulen, welches von Hamburg ausging u. am 31. Aug. 1833 in dem neuen israelitischen Tempel daselbst eingeführt wurde. Durch die Bewegungen 1848 erhielten diese Reformversuche eine neue Nahrung; allein die Altgläubigen widersetzten sich beharrlich jeder Neuerung; bes. streng waren sie in Bezug auf gemischte Ehen, u. die portugiesische Judengemeinde in Hamburg schließt Jeden aus, welcher eine Mischehe eingeht. Um die angestrebten Reformen nicht blos ins Leben einzuführen, sondern dieselben u. die damit in näherer od. fernerer Verbindung stehenden Lehren u. Gebräuche wissenschaftlich od. populär zu beleuchten, erschienen auch mehrere Zeitschriften, so von Geiger die Zeitschrift für jüdische Theologie; von Philippson, Allgemeine Zeitung des Judenthums; von Heß, Der Israelit des 19. Jahrh.; von S. Cohen, Archives israélites de France etc. Vgl. Jost, Geschichte der Israeliten (seit der Zeit der Makkabäer), Berl. 1820–29, 9 Bde.; Derselbe, Neuere Geschichte der Israeliten, 1846; Capefigue, Histoire philos. des Juifs (seit dem Verfall der Makkabäerherrschaft), Par. 1838; Grätz, Geschichte des Judenthums (vom Untergang des Jüdischen Staates bis zum Abschluß des Talmuds), Berl. 1853; Depping, Les Juifs dans le m oyen-âge, Par. 1834; Meyer, Die J. unserer Zeit, 1852, Dessauer, Geschichte (bes. über Cultur) der Israeliten, 1845; Jost, Geschichte des Judenthums u. seiner Secten, Lpz. 1853; Moses Morgoliouth, The history of the Jews in Great Britain, Lond. 1851, 3 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 150-158.
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