Hauser

[99] Hauser, Kaspar. Am 26. Mai 1828 traf in Nürnberg ein Bürger einen jungen, in Bauerkleider gekleideten Menschen an, der in ungeschickter Haltung sich kaum fortbewegen konnte u. einen Brief an den Rittmeister bei der 4. Escadron des 6. Reiterregiments in der Hand haltend, nach diesem sich erkundigte. Der Bürger führte ihn zum Rittmeister, der nichts aus ihm erfragen konnte, als daß er von Regensburg komme u. ein Reiter werden wolle, wie sein Vater gewesen. Weil er über seine Person u. seinen Stand keine Auskunft geben konnte, so wurde er auf die Polizeiwachstube gebracht. Hier gab er nun an, daß er obigen Namen führte. Bei der Untersuchung ergab sich, daß er wohlgewachsen, von zarten Gliedern, weichen Händen u. Füßen, die nicht von Schuhen gedrückt waren, aber neue Blutblasen hatten, auch von guter Gesundheit war; außer Brot u. Wasser wollte er nichts genießen, auch bekamen ihm andere Speisen nicht; er war unbekannt mit den gewöhnlichsten Erscheinungen u. Gegenständen des Lebens, konnte aber etwas schreiben, namentlich seinen Namen; bei sich hatte er nichts als ein Schnupftuch mit K. H. roth gezeichnet u. einige katholische Gebetbücher. In dem Briefe, datirt 1828 von der baierischen Grenze, hieß es, daß er (der Briefsteller) ein armer Tagelöhner sei, dem der Knabe am 7. Oct. 1812 von dessen unbekannter Mutter zugebracht worden sei, daß er ihn nicht aus dem Hause gelassen, aber christlich erzogen u. schreiben gelehrt u. nun des Nachts fortgeführt u. bis Neumark begleitet habe. Ein in dem Briefe eingeschlagener, wie von der Mutter geschriebener Zettel besagte, daß sie (die Mutter), ein armes Mädchen, den Knaben den 30. April 1812 geboren habe u. daß sein Vater Chevauxleger beim 6. Regiment in Nürnberg sei. Durch eine Schrift des Bürgermeisters Binder, der den, seit seiner Auffindung als verwahrlosten Knaben in einem Thurme der Burg in polizeilicher Verwahrung gehaltenen H. oft in sein Haus kommen ließ u. ihm nach u. nach manches abgefragt hatte, erfuhr man, daß H. von Kindheit an in einem, unter der Erde liegenden Behältniß gewesen, wohin, da ein Holzstoß vor dem Fenster stand, kein Licht u. kein Mensch gekommen war, sondern daß ihm blos ein Mann, wenn er geschlafen, Brot u. Wasser gebracht u. ihn gereinigt u. angekleidet habe. Sein Spielzeug seien zwei hölzerne Pferde gewesen (dergleichen auch in seinem Nürnberger Gewahrsam sein Lieblingsspielwerk blieben); kurz vor seiner Wegführung sei der Mann öfter gekommen, habe ihm die Hand zum Schreiben geführt u. die Füße im Gehen geübt, endlich habe er ihn auf den Schultern aus dem Kerker getragen u. nach Nürnberg gebracht. Des Mannes Aussehen konnte er nicht beschreiben, da er ihn nicht hatte ansehen dürfen. Diese Mittheilung machte große Sensation, u. H. fand viel Theilnahme. Seit dem 18. Juli 1828 wurde er dem Professor Daumer in Nürnberg zur Erziehung übergeben. Je mehr er hier lernte, desto mehr schwand seine früher sehr große Wißbegierde, die Schärfe seiner Sinne u. die Treue seines Gedächtnisses, doch lernte er schreiben, zeichnen u. bes. reiten; Geistliche u. Ärzte konnte er nicht um sich leiden u. in der Kirche wurde es ihm unheimlich. Am 17. Oct. 1829 wurde er von der Mutter seines Erziehers in dem mit Wasser gefüllten Keller in einer Ecke kauernd, durch einen Schnitt an der Stirn verwundet gefunden. Er erzählte, als er auf dem Abtritt gesessen, habe sich ihm ein Mann mit schwarzem Gesicht genaht u. diese Wunde mit einem Messer beigebracht, u. in der Angst habe er sich in den Keller verkrochen. Alle Nachforschungen deshalb blieben erfolglos. Zur Sicherheit wurde H. in das Haus des Magistratsraths Biberach gebracht u. erhielt zwei Mann Polizeiwache. Nachdem er so einige Monate gelebt hatte, hörten die Wächter einst in der Stube einen Schuß fallen u. fanden H. beim Eintreten am Kopf durch einen Pistolenschuß verwundet. Er gab an, die Pistole hätte an der Wand gehangen, u. da er von dem Sims ein Buch habe holen wollen, sei er gestürzt, habe sich aber an der Pistole festgehalten, u. diese sei so losgegangen u. habe ihn verwundet. 1831 kam Lord Stanhope nach Nürnberg, nahm ihn als Pflegesohn an, ließ ihn nach Ansbach bringen, dort weiter unterrichten u. wollte ihn dann mit nach England nehmen, zugleich übergab er dem Präsidenten von Feuerbach eine Summe Geld, um die Untersuchung über H. zu fördern. Dieser glaubte Entdeckungen gemacht zu haben, welche Hoffnung auf Entschleierung des Geheimnisses gaben. Als aber H. am 14. Decbr. 1833 im Schloßgarten bei Utzens Denkmal, wohin ihn ein Fremder unter dem Vorgeben bestellt hatte, ihm manches Wichtige entdecken zu müssen, erschien, empfing er, wie er sagte, von dem Fremden einen Stich in die linke Seite u. st. hieran am 17. Dec. 1833. Ein am Platz der Verwundung gefundener, verkehrt geschriebener Zettel gab wieder die baierische Grenze als den Ort an, woher der Mörder gekommen sei. Schon bei H-s Leben hatte Merker in Berlin (Kaspar H., nicht unwahrscheinlich ein Betrüger, Berl. 1830) nach den eigenthümlichen Umständen, mehr aber noch nach den Vermuthungen u. Schlüssen über H., an der Wahrheit der von H. erzählten Geschichten gezweifelt u. ihn für einen Betrüger gehalten; nach H-s Tode suchte von Lang (in den Blättern für literarische Unterhaltung, 1834) auch noch aus seinem Ende dafür einen Grund zu entnehmen, indem er glaubte, H. habe sich selbst ermordet, da er eine baldige Entdeckung seines Betruges habe fürchten müssen. Aber Daumer erklärte sich aus psychologischen u. moralischen Gründen u. Heidenreich (Geschichte u. Verwundung, Krankheit u. Leichenöffnung Kaspar H-s, im 21. Bd. von Gräfes u. Walthers Journal für Chirurgie) aus anatomischen Gründen gegen die Möglichkeit eines Selbstmordes, u. Feuerbach, der mit den Untersuchungsacten am bekanntesten war, sprach sich (Kaspar H., Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben, Ansb. 1832) auch dagegen aus. Vergebens war die Preisaussetzung des Königs von Baiern[99] von 10,020 Gulden für Entdeckung des Mörders, denen Skanhope noch 5000 beifügte. In neuester Zeit sind die Privatuntersuchungen über H. wieder aufgenommen worden. Vgl. Daumer, Mittheilungen über K. H., Nürnb. 1832; Frey, Geschichte K. H-s, Berl. 1834; Daumer, Enthüllungen über K. H., Frkf. 1859; Broch, K. H., Zürich 1859.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 99-100.
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