Chor [1]

[80] Chor (v. gr. Choros), 1) Reigen, mit Gesang verbundener Tanz; 2) (gr. Ant. u. Lit.), die Schaar von Sängern u. Tänzern, welche einen Chortanz zufführten. Chöre wurden in Griechenland seit den ältesten Zeiten bei Götterfesten aufgeführt, u. zwar tanzten die Choreuten im Kreis (daher Kyklische Chöre) um den Altar des Gottes, welchem das Fest gefeiert wurde. Bes. wurden sie an den Bacchusfesten getanzt, u. weil die Gesänge in kühnem u. hohem Styl (Dithyramben) den Weingott verherrlichten, so hießen jene Chöre auch Dithyrambische Chöre. Die Bacchusfeste, eng verbunden mit den Mysterien, stellten eine ernste u. eine frohe Seite dar; die Gesänge für jenen ersten Theil waren bes. die Dithyrambischen Chöre, im Gegensatz zu denselben hießen die lasciven, scherzhaften, Phallische Chöre. Diese Chöre wurden in Attika Grundlage der dramatischen Poesie, indem zwischen den Choractioneneinzelne Schauspieler auftraten, welche einen Mythus aus dem Leben u. den Thaten des Bacchus erzählten (Epeisodion). Mit der Zeit schied sich das ernste u. heitere Element, u. Tragödie u. Komödie wurde nach verschiedenen Seiten hin ausgebildet, u. nun nicht allein mehr die Sagen von Bacchus Gegenstand des Stücks, sondern auch andere Götter- u. Heroenmythen. Aber Chöre blieben auch in den, aus denselben gebildeten Dramen, u. zwar der Tragische Ch. in der Tragödie u. der Komische Ch. in der Komödie. Doch wurde das scherzhafte Element nicht ganz aus der Tragödie verbannt, aber an das Ende dreier zusammengehöriger Stücke (Trilogie) gewiesen u. dort als Satyrisches Drama (s.d.) dargestellt von dem Satyrischen Ch. Zum Tragischen Ch. gehörten Anfangs 50 Personen, seit Äschylos nur 15; eben so viel zum Satyrischen, zum Komischen 24. Der Ch. bestand aus Männern od. Frauen u. stellte Leute vor, welche nur Zeugen der Handlung sind, an der Handlung selbst aber nicht theilnehmen außer durch Rath, Ermahnung, Warnung, Trost; auch in den Zwischenacten, od. wenn die Handlung stillstand, sprach er in lyrischen Ergüssen. Seine phonetischen Darstellungen waren mehr ein Sprechen als Singen, wohl recitativartig (vgl. Choral 1). Die Ausrüstung des Ch-es (Choregia) war in Athen eine der bedeutendsten Staatsleistungen (Liturgien), da ein Bürger (Chorēgos od. Choragos) Alles zu besorgen hatte, was der Ch. zur Aufführung brauchte. An den Lenäen lag die Choregie den Schutzbürgern (Metöken) ob. Der Choreg mußte zuerst einen Ch. zusammenbringen, denn die Choristen (Choreutá) waren nicht Schauspieler, sondern freie Leute; dann erhielten diese einen besonderen Chorlehrer (Chorodidaskălos), der sie an einem, von den Choregen bes. dazu eingerichteten Orte (Choregĭon) in seinem od. in einem fremden Hause in Gesang u. Tanz übte. Während der Lehrzeit mußte der Choreg für die Beköstigung des Ch-es sorgen; für die Aufführung selbst gaber die schmucken Kleidungen, goldene Kränze, Masken etc. Die Ausstattung des tragischen Ch-es war kostspieliger, als die des komischen; z.B. die eines tragischen Ch. kostete an 700, eines komischen blos an 400 Thaler. Die dramatischen Chöre agirten in dem Theile des Theaters, welcher zwischen der Scene u. den Schauplätzen inne lag (Orchestra, s. u. Theater), u. zwar trat er entweder in marschähnlichem Aufzug auf Χόρος τετράγωνος, od. er bewegte sich im Reigen um die Thymele in der Orchestra Χόρος κύκλιος). Er war auch zuweilen tn 2 Hälften getheilt; dann gehörte im tragischen Ch. zu je 6 Choreuten ein Führer (Koryphäos), der wohl im Namen seines Chortheiles zuweilen sprach; der 15. war der Chorführer (Hegemon). Der Gesang wurde von einem Flötenspieler (Choraules) od. von einem Zitherspieler (Chorokitharistes) begleitet. Je nachdem der Ch. wegen Ausstattung u. Aufführung[80] gefiel, wurde der Sieg der Tragödie bestimmt; der Sieger erhielt als Preis einen, gewöhnlich mit einer Inschrift versehenen Dreifuß, welcher einem Gott geweiht u. öffentlich in der Tripodenstraße aufgestellt wurde, wozu man entweder Säulen od. kleine Gebäude (Choragische Monumente) wählte. Die vorzüglichsten bis auf neuere Zeiten erhaltenen Choragischen Monumente sind das Monument des Lysikrates (Laterne des Demosthenes) u. das des Thrasyllos u. Thrasykles (letzteres an der Südseite der Akropolis, jetzt als Kirche benutzt). Nach dem Peloponnesischen Kriege, wo Athens Wohlstand herabkam, waren die Chöre nicht mehr so prächtig, doch erhielten sie sich in der Tragödie, aber in der Komödie hörten sie, auch aus politischen Gründen, beim Übergang der alten in die mittlere Komödie ganz auf. In neuerer Zeit hat man mehrfach den Ch. der Alten nachzuahmen gesucht; so haben die älteren italienischen, spanischen u. französischen Trauerspiele, bis um 1630, Chöre, nur daß hier der Ch., aus einem Mißverstehen der Alten, gesungen wurde. Noch Racine versuchte in seiner Athalia u. Voltaire im Ödip den Ch. einzuführen. Auch die Brüder Stolberg u. Schiller (Braut von Messina) führten den Ch. wieder in die moderne Tragödie ein; ferner Raupach (in der Themisto), Letzterer aber in so fern in veränderter Weise, als er den Ch. in den Zwischenacten singend auftreten ließ. Vgl. Heeren, De chori graeci trag. natura et indole, Gött. 1784; Ilgen, Chorus Graecorum tragicus, Lpz. 1783. 3) Das von dem Ch. Gesprochene, meist lyrische Poesien; 4) eine zum gemeinschaftlichen Vortrage eines Musikstückes vereinigte Anzahl von Sängern od. Instrumentisten, daher Sänger-, Instrumentisten-Chöre. Erster ist entweder vollständiger, wenn alle 4 Stimmengattungen (Discant, Alt, Tenor u. Baß) vereinigt sind, od. blos männerstimmiger Männerchor; letzter heißtüberhaupt Musikchor, u. wird nach den Arten der Instrumente benannt: Hornisten-, Trompeterchor, Ch. der Streich- u. Holzinstrumente; 5) das Musikstück selbst, welches bestimmt ist, von sämmtlichen Mitgliedern eines Sängerchores vorgetragen zu werden, zwar nicht an eine gewisse Anzahl Stimmengattungen gebunden, aber vorzugsweise ein vierstimmiges, mit u. ohne Instrumentbegleitung, im Gegensatz von Arie, Recitativ, Duett, Terzet etc. od. Solo jeder Art. Ein für zwei alternirende Chöre berechnetes Musikstück heißt Doppelchor. In Kirchenmusikstücken ist die Bearbeitung des Ch-es am vielstimmigsten u. vielseitigsten u. im sogenannten strengen Style, in der Oper aber im sogenannten freien Style; 6) bei Clavier- u. einigen anderen Saiteninstrumenten die Anzahl der neben einander liegenden Saiten von gleicher Tonhöhe, welche mittelst Anschlag einer einzigen Taste zugleich erklingen, daher z.B. zwei-, dreichöriges Fortepiano; 7) bei Orgeln die zu einer Clavis gehörenden Pfeifen einer Mixtur, gewöhnlich durch – fach bezeichnet, z.B. Cornett dreifach; 8) Abtheilung der Personen bei der Brüdergemeinde (s.d.), nach Alter u. Geschlecht, deren jeder ein Chorhelfer für das männliche od. eine Chorhelferin für das weibliche Personal vorstehen u. für deren religiöse Bedürfnisse sorgen. 9) (bibl. Ant.), nach Luthers Übersetzung von Debir (s.d.) das Allerheiligste im Tempel der Juden; 10) (Hohes Ch.), in katholischen Kirchen eine durch Stufen erhöhte Abtheilung der Kirche, in welcher der Hauptaltar sieht, im Gegensatz zu dem Schiff der Kirche. In Dom- u. Stiftskirchen sind an den Seiten des Ch-es mit Gitterwerk versehene Sitze für die vornehme Geistlichkeit angebracht, s. Chorgestühl. Im Mittelalter bildete das Ch. einen besonderen, gewöhnlich halbrunden, fünf- od. siebeneckigen, gegen Osten gelegenen Anbau; 11) (Orgel- od. Sängerchor), der für die Sänger u. Musiker bestimmte Raum in Kirchen am Ende des Mittelschiffes vor der Orgel. Er liegt gewöhnlich dem Altar gegenüber in gleicher Höhe mit der ersten Empore; 12) Lieder im Ch. zu singen, s. Stufenpsalmen; 13) so v. w. Emporkirche; 14) die an der Wand eines Tanz- od. Concertsaales für die Musiker angebrachte Gallerie.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 80-81.
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