Der Chor

[211] Der Chor (Schauspielkunst und Musik). Ursprünglich bezeichnete man mit diesem Worte einen Trupp Sänger und Tänzer, welche bei öffentlichen festlichen Gelegenheiten den Pomp und das Feierliche derselben durch gewisse Handlungen erhöhen mußten. So war es denn auch unstreitig bei der Tragödie und Comödie, welche einen Haupttheil öffentlicher Feierlichkeit in den ältesten Zeiten ausmachten, wo denn eigentlich der Gesang des Chors die Hauptsache war; in der Folge wurden die Chöre freilich nur zur Nebensache gemacht. Nach dem, was wir nun von den Tragödien der Alten noch wissen, war der Chor eine Gesellschaft von Personen männlichen oder weiblichen Geschlechts, die während der ganzen Vorstellung [211] Zuschauer, oder vielmehr Zeugen der Handlung waren, und auf dem Schauplatz immerfort zugegen blieben. Stand die Handlung hie und da stille, so sang der Chor Lieder, die mit dieser in Beziehung standen, und welche entweder den Affect stärken, oder die Empfindungen über den Vorgang der Handlung ausdrücken sollten, ab; nahm wohl auch bisweilen durch Bemerkungen gegen die handelnden Personen, durch Rath, durch Trost, auch wohl durch Vermahnung oder Abrathung, an der Handlung selbst Theil; aber selten erschien er als Hauptperson der Handlung, wie es etwa der Fall beim Aeschylus ist. Er stellte gemeiniglich entweder einen Theil des Volks, oder die Aeltesten aus dem Volke, bei welchem die Handlung vorging, wohl auch die Räthe des Königs u. s. w. vor; und nie konnte der Chor aus der Tragödie wegbleiben, ja, dem ersten oben angeführten Ursprunge nach, nicht einmal die Bühne verlassen. Anfangs waren es auch sehr viel, bisweilen auf 50 Personen, welche den Chor ausmachten; doch wurde diese Zahl in der Folge bis auf 15 beschränkt. Der Anführer oder Vorsteher eines solchen Chors nun hieß Coriphäus, der denn auch da, wo jener Antheil an der Handlung nahm, im Namen der übrigen sprach; bisweilen theilte sich auch der Chor in zwei Theile, wo sie denn abwechselnd sangen. Diese Abtheilungen von dem Chor, welche man, vielleicht nicht ganz richtig, Chöre zu nennen pflegt, waren dann in Bewegung, und gingen von einer Seite des Theaters nach der andern, von welchen verschiedenen Bewegungen denn auch die verschiedenen Benennungen der einzelnen Lieder oder Absätze herrührten, nemlich: Strophe, Antistrophe und Epodos (s. den Art. Strophe, Th. V. S. 427). Wie aber eigentlich die Musik, nach welcher dieser Chor gesungen wurde, beschaffen gewesen sei, darüber läßt sich, da alle Nachrichten darüber verloren gegangen, gar nichts bestimmtes sagen; jedoch läßt sich schließen, daß es vielmehr eine Art Declamation nach einem bestimmten Maaße gewesen, und daß überhaupt die Melodien derselben, wenn man sie so nennen darf, blos in Einklängen und Octaven bestanden habe, und sehr einfach gewesen sei. [212] Sie wurden auch von den Instrumenten, welches etwa einige Flöten waren, Ton für Ton im Einklang begleitet. – Mit dem Verfall der alten Tragödie ist nachher der Chor in den Trauerspielen ebenfalls abgekommen, und nur erst die Trauerspieldichter unserer Zeit – und Schiller als der Erste (m. s. dessen Vorrede zur Braut von Messina) – haben wieder den Versuch gemacht, den Chor nach Art der Alten auf unsere Bühne zu bringen. (Vergl. auch den Art. Schauspiel, Th. V. S. 84 u. 85.)

Daß übrigens in unserer heutigen Musik der Chor einen vier- oder auch mehrstimmigen Gesang ausmacht, wobei jede Stimme mit einer Menge Sänger oder Sängerinnen besetzt ist, und das Gehör mit aller Pracht der Harmonie und Schönheit der Melodie zu rühren weiß, ist bekannt. Diese Chöre, welche nun freilich wohl in hohem Grade von jenen der alten Griechen sehr unterschieden sein mögen, kommen in Oratorien sowohl, als in Opern, in jenen noch mehr, vor, und drücken entweder freudigen Zuruf, oder Verwunderung, Schmerz, Anbetung etc. einer ganzen Menge von Menschen aus, und sind, wie bekannt, von sehr großer Wirkung, aber auch für den Compositeur eine schwere Aufgabe. Welcher nur etwas Gebildete ist nicht von den in ihrer Art einzigen Chören eines Händels schon im Innersten tief erschüttert worden?

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 211-213.
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